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0707
03 – Regen in der Wüste

#11 | Banane

„Ja, schönen guten Abend! Ich ruf’ Sie an in einer Angelegenheit, also, ich war meinem Mann untreu.“
––„Haben Sie mit Ihrem Mann darüber gesprochen?“
––„Nein. Noch nicht.“
––„Ahnt Ihr Mann etwas davon?“
––„Ich glaube, nein. Aber er sagt manchmal, ich sei so komisch.“
––„Dauert das Verhältnis noch an?“
––„Nein. Das war gar kein Verhältnis. Das war, als ich zur Kur war. Ich war da verschickt vom Müttergenesungswerk, wie das heißt – na ja, und einen Abend, man hatte wohl auch schon so ein bisschen was getrunken, in der Gaststätte. Und ein Herr, der kam dann so zu uns und setzte sich und gibt auch einen aus. Wir kamen ins Gespräch. Und nachher fragt er mich, ob ich noch mit zu ihm komme, auf ein Glas Sekt zum Abschluss. Ich hab’ gedacht, ein Glas Sekt, das kannst du dir ruhig noch erlauben. Aber im Grunde: Man macht sich ja was vor. Man weiß ja doch, worauf es hinausläuft.“
––„Und jetzt haben Sie Gewissensbisse?“
––„Ja. Ich versteh’ das nicht von mir. Wie es … Also, wie es dazu kommen konnte.“
––„Was wäre, wenn Sie mit Ihrem Mann darüber sprechen würden?“
––„Ja, darüber hab’ ich auch schon nachgedacht. Ich glaube, mein Mann … Erst wär’ er sicher sprachlos, wahrscheinlich auch wütend, aber letzten Endes und unter den Umständen damals … Ich glaube, er hätte Verständnis dafür. Man ist ja heute aufgeklärter, sexuell, als vor zehn Jahren.“
––„Und könnten Sie sich vorstellen, dass Sie erleichtert wären, wenn Sie erst mal mit Ihrem Mann gesprochen haben?“
––„Ja, das wär’ ich wohl.“
––„Ich merke, dass Sie noch nicht ganz zufrieden sind.“
––„Nein, nicht so richtig.“
––„Haben Sie nicht den Mut, es Ihrem Mann zu sagen?“
––„Schwer würde es schon sein.“
––„Aber der Gedanke, dass es danach wieder so wie früher wäre – würde Ihnen das nicht Mut machen?“
––„Wissen Sie, da liegt ja das Problem. Ich glaube einfach nicht, dass es wieder so wie früher wäre.“
––„Warum nicht?“
––„Ich … Ich kann mich damit immer noch nicht abfinden.“
––„Wenn Ihr Mann Ihnen verzeiht, dann können Sie sich vielleicht auch selber verzeihen.“
––„Was es so schwer macht, ist: Es war sehr … Es war sehr schön mit diesem Mann. Also, ich meine, es war etwas anderes. Er hat mir gar nichts bedeutet, eigentlich überhaupt nichts. Aber es war etwas Besonderes mit ihm, so wie es mit meinem Mann nie war, sexuell.“

Ist er so gut im Bett, wie er im Anzug aussieht?
––„Findest du meinen Schwanz schön?“
––„Also Julio, so was fragt man doch nicht!“
––„Warum nicht? Du hast mich gefragt auch, ob ich dein Mund schön finde.“
––„Das ist etwas anderes. Das kann man nicht vergleichen. Ich hab’ dich ja auch nicht gefragt, ob du meine …“
––„Ja?“
––„Ach, nichts. Leg dich wieder hin! Du nimmst mir die Sonne.“
––„Ich denke, du bist mit eine Jude verheiratet. Die, man sagt, sollen haben besondere Qualitäten.“
––„Haben sie auch.“
––„Und?“
––„Nicht, Julio! Julio, lass das! – Ich will das nicht. So etwas mach’ ich nicht.“
––„Nicht mal bei dein Mann?“
––„Nein.“
––„Wie hat er es am liebsten?“
––„Julio, du bist geschmacklos!“
––„Was hat er Besonderes? Ich will wissen, ob ich auch kann, ob ich besser kann.“
––„Du benimmst dich ausgesprochen albern. Das ist doch kein Wettbewerb!“
––„Verzeihung! Ich wollte nicht kränken. Ich bin dumm. Verzeih mir! Verzeihst du mir?“
––„Er hat nichts ‚Besonderes‘ … Nicht so wie du … Seine besonderen Qualitäten … Also, im Bett liegen sie jedenfalls nicht.“

„Es fällt Ihnen schwer, das zu akzeptieren?“
––„Ja. Irgendwie schon. Mit meinem Mann, da müsste es doch am schönsten sein, mein’ ich.“
––„Das war für Sie ein aufwühlendes Erlebnis?“
––„Ja. Ja, sehr. Auch, bis ich das so vor mir selbst eingestanden habe …“
––„Sind Sie dadurch unsicher geworden in Ihrer Liebe zu Ihrem Mann?“
––„Nein. Nein, also das überhaupt nicht.“
––„Sie wollen Ihren Mann nicht verlassen?“
––„Nein, unter keinen Umständen.“
––„Und können Sie dieses Erlebnis dann vielleicht hinnehmen als das, was es war: ein einmalig schönes Erlebnis, das Sie in sich bewahren, ohne es zu wiederholen?“

„Julio, ich will, dass es immer so weitergeht, immer weiter, hörst du? Immer – und noch danach! Ich brauche keinen weiteren Höhepunkt mehr, alles ist Höhepunkt, alles. Ich habe das noch nie erlebt. Du darfst nicht aufhören. Hör nicht auf! Hör nie auf! O Julio! Julio! Ja!“

„Ja, ich glaube, ja. Das könnte ich wohl. Ich meine, ich muss es ja.“
––„Bereuen Sie, dass Sie es getan haben?“
––„Vielleicht wär’ es besser gewesen, man hätt’ das gar nicht erlebt. Dann würd’ man jetzt nichts vermissen.“
––„Liebt Ihr Mann Sie?“
––„Ja. Er liebt mich.“
––„Und Sie lieben ihn?“
––„Ja, ich lieb’ ihn auch.“
––„Meinen Sie, dass Ihnen diese gegenseitige Liebe auf die Dauer helfen kann?“
––„Ja, wahrscheinlich. Ich brauch’ ja auch vor allem, was man so sagt: Zärtlichkeit und … Geborgenheit.“
––„Und das finden Sie bei Ihrem Mann?“
––„Ja. – Das ja. Und das andere ist wohl nicht so wichtig.“
––„Sind Sie der Meinung, Zuneigung ist wichtiger als ein noch so reizvolles Abenteuer?“
––„Ja. Ja, das meine ich.“
––„Könnte Ihnen diese Einstellung den neuen Zugang zu Ihrem Mann erleichtern?“
––„Ja. Ja, bestimmt. Das wird schon gehen. Man muss sich nur mal aussprechen. Bei dem Thema ist das ja nicht so einfach. Immer noch nicht. So im Bekanntenkreis, da redet man ja nicht drüber, über so was. Aber das hat mir schon sehr geholfen. Also, danke sehr! Und … Auf Wiedersehen!“

Habe ich diese Frau eingelullt oder gut beraten?, dachte sie, während sie sich eine Banane schälte.
––Der Kater strich um ihre Beine.
––Sie legte die Banane auf einen Teller und griff nach einer Gabel. – Es geht einfach nicht, dass jeder wahllos mit jedem durcheinander schläft. Wo kommen wir denn da hin?! Ja, wohin. Ein Seitensprung, wenn er diskret behandelt wird …, das hat es immer gegeben … Habe ich veraltete Ansichten oder habe ich überhaupt keine Ansichten und bin bloß veraltet? – Sie nahm die Banane in die Hand und biss ihr die Spitze ab.
––Der Kater federte ihr auf den Schoß und reckte seine Schnauze auf ihren Mund zu. Sein Kopf tastete Schwingungen. Seine Barthaare zitterten. Er witterte etwas.
––„Ja, Othello, ja.“ Sie griff ins Fell. „Einen Kosmos habe ich mir aufbauen wollen, erst mit der Familie, dann allein. Einen Kosmos. Und gereicht hat es gerade für ein Katzenkörbchen.“ Sie streichelte den seidigen, schwarzen Rücken. „Aber wir geben nicht auf, nicht? Nein, wir sind tapfer. Wenn alles kaputt ist, dann braucht man nicht zu basteln, dann kann man ganz von vorn anfangen. Aber wie? Es war doch alles so schön. Oder hab’ ich mir das nur eingeredet? Solange ich es geglaubt habe, war es so. Aber ich glaube es nicht mehr.“ Ihre Finger kraulten dem Kater mechanisch den Nacken.
––Er schnurrte mit zusammengekniffenen Augen.
––„Aber wie, Othello, wie? Ein neues Kleid? Eine Reise? Ein Bad im Trevi-Brunnen oder in der Binnenalster? Wie schafft man sich eine neue Identität? Brauchen wir das, eine neue Identität?“ Sie starrte plötzlich auf das Tier, als sähe sie es zum ersten Mal. „Was rede ich denn da? Wieso wir? Ich! Ich brauche eine neue Identität – wenn überhaupt.“
––Einen Klaps für den Kater, der erschrocken unter die Anrichte kroch, eine Dörrpflaume für sich und ein bisschen Wasser für die Agave.

Das Telefon klingelte.
––Sie stellte die Gießkanne aufs Fensterbrett und sah zur Uhr. Zwei vor elf. Sie griff entschlossen nach dem Hörer. Wenn Sie mich nicht in Ruhe lassen, rufe ich die Polizei, wollte sie sagen. – „Hallo!“ Sie schluckte.
––„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Lass mich in Ruhe!“
––„Du sollst mich in Ruhe lassen! Das Thema ist für mich erledigt.“
––„Martin! Du hast mir gestern deine Meinung gesagt, und ich habe sie zur Kenntnis genommen. Schluss!“
––„Wir können uns ein andermal darüber unterhalten. Ich erwarte gerade einen dringenden Anruf.“
––„Ja. Gute Nacht!“ Sie atmete tief durch. Länger hätte sie das nicht mehr ausgehalten. Die Tränen waren schon wieder in ihr aufgestiegen. Die Knie zitterten.
––Das Telefon läutete.
––„Ja, hallo …“
––„Ooh, das klingt aber sehr schlaff heute! Ich weiß, was dir fehlt. Du brauchst einen Mann. Einen, der dich bei den Schultern nimmt und sanft aufs Bett drückt. Du fühlst ihn über dir, du fühlst ihn auf dir – und bald wirst du ihn in dir fühlen.“

Titel- und Abschlussgrafik mit Bildmaterial von Shutterstock: ViDI Studio (Frau), 
matike (Lampe), 
Rene Hansa (Jeans auf Boden), Chanawee Champakerdthapya (Unterhose auf Boden), ImageFlow (Bett), ImageFlow (Mann auf Bettrand)
, Flower Studio (Banane), Cees_Schaap (Schrank), vectorfusionart (Boden)

36 Kommentare zu “#11 | Banane

  1. Man ist heute aufgeklärter, als vor zehn Jahren. Aber der Unterschied zwischen Seitensprung und offener Beziehung ist natürlich ein sehr großer.

    1. Na aber hallo! Und vor allem diskutiert man solche Sachen nicht erst im Nachhinein aus. Jedenfalls nicht, wenn man möchte, dass die Beziehung oder Ehe weiter anhält.

    2. In der Erzählung geht es trotzdem noch um einen „einfachen“ Seitensprung. Den kann man nunmal nicht im Vorfeld ausdiskutieren.

  2. Gegenseitige Liebe kann auf die Dauer oft helfen. Aber manchmal reicht auch das nicht aus um eine Beziehung zu retten.

      1. So würde ich das auch sehen. Zumindest ist das mein Ideal von Liebe.

      2. Ansonsten heisst das vielleicht auch einfach, dass die Liebe eben doch nicht groß genug war.

  3. Manchmal war alles schön, aber irgendwann ist es das eben nicht mehr. Da hilft dann auch keine Sentimentalität und kein Jammern. Die Vergangenheit ist Vergangenheit.

    1. Sie sind aber schon recht hart, Herr Everslage. Wenn das immer so einfach wäre mit den eigenen Problemen umzugehen…

      1. Es klingt harsch, aber grundsätzlich stimmt das doch. Manchmal fühlt es sich vielleicht an als ob man auf der Stelle tritt, aber wenn sich das Leben bewegt, dann immer nur nach vorne. Zurück kann man nicht.

  4. Es braucht ja auch keinen ganzen Kosmos. Da sind vielleicht auch einfach die eigenen Erwartungen zu überhöht.

      1. Bezos! Als Rentner ins Weltall. Mir ist mein kleiner innerer Kosmos weitaus lieber.

  5. Wie wir bereis wissen, ist es trotzdem zur Scheidung gekommen. Die Überlegungen, wie man am besten mit dem Vertrauensbruch nach einem Seitensprung umgeht, helfen der Protagonistin der Geschichte jedenfalls nicht mehr weiter.

    1. Schlimm oder? Wenn man Menschen mit Problemen helfen muss, bei denen man eigentlich selbst gern Hilfe hätte. Aber möglicherweise gibt es da ja sogar einen kleinen heilenden Effekt. Wer weiss…

      1. Da wären wir wieder beim Abstand, der manchmal gut tut. Ein Gespräch mit Sicht auf die Situation einer anderen Person kann das ja vielleicht bieten.

      1. Maaßen ist bitter und Laschet ist fad. Baerbock trotz der Buchgeschichte eigentlich ganz süß.

  6. Findest du meine Banane schön? Wer fragt eigentlich (also ernsthaft) ob der Partner Körperteile schön findet? Ist das nicht ähnlich wie „Bin ich gut im Bett“?

    1. Das klingt für mich wirklich nicht nach der selben Frage. Außerdem soll man nicht alles so ernst nehmen. Weder literarische Texte, noch Sex.

      1. Von ’schöner Banane‘ war nicht die Rede/Schreibe. Beim Sex zu kichern, gilt als Lustkiller. Literarische Texte darf man womöglich symbolisch verstehen: eine Banane kann man also im übertragenen Sinne sehen (Zonen-Gabi) oder einfach pellen. Und dabei lachen.

  7. Genau wie sie sagt: Im Bekanntenkreis redet man nicht über so etwas. Und wenn, dann heisst es, der Ehemann muss Geborgenheit und Abenteuer zugleich bieten. Und alle anderen Optionen werden verachtet. Das kreiert nur Probleme.

    1. Natürlich will man all das von seine Partner haben. Sonst könnte man doch mit jedem beliebigen Menschen zusammenleben.

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