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06 – Ein Eremit

Geschmacksrichtungen | 12

„Hast du was?“, Benedikt sah mich forschend an.
––Wir saßen beim Essen.
––Ich hatte Wurstscheiben und Käse und Brot auf den Tisch gestellt. „Nein. Wieso?“
––„Ich weiß nicht.“
––Ich zerschnitt eine Tomate. „Was bedeutet ‚im sauren Bereich gepuffert‘?“
––„Wie?“
––„Ich hab’ im Bad etwas aufgeräumt. Das stand auf der einen Flasche.“
––„Keine Ahnung.“
––„Außerdem wollte ich meine Sachen verstauen.“ Ich kippte den ganzen Wodka auf einmal. „Und da hab’ ich den Schrank aufgemacht.“
––„Oh!“, er wusste sofort welchen. „Na ja, man weiß ja nie, was kommt“, sagte er. „Ich nehm’ häufig Leute mit. Da gibt’s natürlich verschiedene Geschmacksrichtungen.“
––Ich nickte. „Und dann bist du sicher, dass du nicht HIV-positiv bist?“
––„Ja. Denn seit dem Test ist nichts mehr bei mir gelaufen.“
––Wir aßen eine Weile schweigend.
––Ich würgte mühsam. Essen verdirbt … „Mach das mit mir!“, stieß ich heraus.
––„Was?“
––„Alles.“
––Er sah mich an. Zweifel lag in seinem Blick, auch Sorge.
––„Ich will nicht, dass du meinetwegen Kinder-Sex machst. Ich bin erwachsen. Und ich bin mindestens so pervers wie du. Wenn du versuchst, mich zu schonen, dann finde ich das beschissen. Du sollst dich austoben. Ich will dich, wie du bist. Die zahme Version passt mir überhaupt nicht. Das langweilt mich zu Tode.“ Ich war aufgesprungen.
––Er stand auf und nahm mich in den Arm. „Was ist denn los mit dir? Du zitterst ja.“
––Ich riss mich los. „Ich will keinen Vater. Da reicht mir meiner. Ich will einen Mann.“
––„Aber Johannes …“
––Ich fiel auf die Knie. „Befiel mir, was du willst! Ich werde es tun.“
––„Komm, sei nicht albern! Beruhige dich!“
––„Ich will mich nicht beruhigen!“, schrie ich. „Du sollst mich wie einen Partner behandeln, nicht wie ein Kind!“
––„Du benimmst dich aber wie ein Kind“, sagte er sehr behutsam und strich mir über den Kopf.
––Da begann ich zu schluchzen. Ich hockte auf dem Boden, hielt seine Knöchel umfasst und schluchzte. Er ging nun auch in die Knie, nahm mich in den Arm und sprach zu mir mit sanften, tröstlichen Worten.

Allmählich ebbte der Schmerz ab. Und zum zweiten Mal, wie schon am Vormittag, hatte ich das Gefühl, dass etwas in mir wegschmilzt und ich gleichzeitig – oder gerade dadurch – ich selbst wurde. „Lass uns ins Bett gehen!“, sagte ich, und er folgte mir. Es war, als versuchte ich ihn aufzusaugen. Ich tat alles, was mir einfiel. Ich lutschte an seinen Zehen, ich vertiefte mich in seinen Bauchnabel, sein Haar, gleich welches, immer war ich zwischen seinen Lippen. Und nicht genug und nicht genug. Wie schnell stößt man an Grenzen … „Ich will mehr von dir. Viel mehr.“

Ich fühlte die Emulsion und seinen Finger in mir, seine Finger. Ich sah ihn an.
––Er kniete vor mir.
––Ich lag auf dem Rücken mit angewinkelten, auseinanderragenden Beinen. Mehr Creme, mehr Finger.
––In seinem Gesicht breitete sich eine zögernde Erregung aus. Ein grausamer Zug, den ich heraufbeschwören wollte, mischte sich unter die Zärtlichkeit. Seine Hand schob sich vorwärts, tiefer in mich hinein. Ich war wie Wachs. Meine Beckenknochen schienen sich zu dehnen. Er hielt mir Poppers vor die Nase. Die breiteste Stelle seines Handrückens fuhr leise in mich ein. Seine Faust steckte bis zum Knöchel in mir und vollführte rätselhafte, seidige Bewegungen in meinem Körper.
––Ich bin in dir, weil du in mir bist. Wir sind nun eins. Mein Leben liegt in deiner Hand, meine Wärme, mein Innerstes. Ich fühle mich in dir geborgen. Nimm mich, nimm alles von mir, nimm es ganz – und nimm mich ernst!
––Er küsste mich, unsere Zungen umspielten einander wie Delfine, während ich ihn tief in mir spürte.
––Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, aber irgendwann hatte es sich erschöpft. Vorsichtig glitt seine Hand aus mir. „Lass uns rübergehen!“, sagte ich.
––Eine Ahnung spiegelte in seinen Augen.
––Er nahm mein Kinn. „Dein Gesicht ist so leer von Wissen und so voll von Erwartung“, sagte er langsam. – Was für eine samtige, dunkle Stimme.
––„Lass uns rübergehen!“, wiederholte ich und ging schon voraus. Ich öffnete den Schrank, holte das schwarze Gummituch heraus und breitete es über die Matratze. Dann legte ich die Ware aus: mich. „Ich habe Durst“, sagte ich, „gib mir zu trinken! Los!“
––Er stand über mir, lang und gerade. Er ging leicht in die Knie. Das Becken schob er ein wenig vor. Sein Gesicht war konzentriert, sein Schwanz war auf mein brennendes Gesicht gerichtet – ein Feuerwehrschlauch, der alles auslöschen sollte.
––Und dann kam der Strahl. Als er mich traf, schrie ich auf vor Entsetzen und Entzücken. Mein Gesicht badete in warmer Nässe. Ich öffnete den Mund weit, ein lascher, lauer Geschmack spritzte mir in den Rachen.
––Er ging tiefer in die Hocke. Sein Schwanz war jetzt direkt über meinem Gesicht und überflutete meine Augen, meine Nase. Ich reckte den Kopf, die Flut lief mir den Hals und den Nacken herunter. Mein Haar saugte die Pfützen von dem Gummi auf. Als er ausgepumpt hatte, drehte ich mich um und schlürfte den Rest von dem schwarzen Tuch.
––Er schlug mir mit der flachen Hand auf den Arsch.
––Ich riss den Kopf hoch und schrie: „Ja!“
––Er schlug wieder.
––Ich feuerte ihn an.
––Da ging er zum Schrank. Er zog die Ketten aus dem Schrank, die Handschellen.
––Ich spürte, wie er mich fesselte, wie er mich zu seinem Eigentum machte.
––Die Eisenglieder klemmten mir den Sack ab und drangen zwischen meine Backen.
––Er riss meine Hände hoch in den Handschellen und band sie an einen Haken, knapp unter der Decke.
––In dieser Haltung, halb hängend, halb stehend, das Gesicht zur Wand, erwartete ihn mein Körper.
––Der erste Peitschenhieb glühte auf meinen Rücken nieder.
––Ich zuckte zusammen. Der nächste Hieb traf mich.
––Ich sah zur Seite. Sein Schwanz war hoch aufgebäumt.
––Er spuckte mir ins Gesicht.
––Ich riss meinen Mund weit auf und erwartete eine weitere Ladung. „Rotz mich voll! Du sollst mich vollrotzen!“
––„Halt die Fresse!“, sagte er.
––Und die Peitsche sauste nieder. Mein Mund stieß ständig tosende Geräusche aus. Vor meinen Augen tanzte die Wand. Nun gab es keine Steigerung mehr. Doch, doch, es gibt immer eine Steigerung, immer, gerade dann noch, wenn sie unmöglich scheint: Täuschung, Verrat, Hochverrat. Jesus – Judas.
––„Ruf jemanden an. Ich will, dass du jemandem erzählst, was du hier mit mir machst.“
––Er reagierte nicht.
––„Los! Ich will hören, wie du über mich redest!“
––In seinem Gesicht lag Ungläubigkeit, die sich langsam in Wissen verwandelte. Es dauerte eine Weile, so kam es mir jedenfalls vor. Dann hatte er das Telefon in der Hand und wählte eine Nummer.
––Heute denke ich, es war seine eigene und er sprach mit dem Besetztzeichen.
––„Thomas? Grüß dich. Hier ist Benedikt. Ich peitsch’ grade einen Jungen durch.“
––„Eine geile Drecksau“, keuchte ich.
––„Eine geile Drecksau“, wiederholte er folgsam, „ich hab’ sie am Bahnhof Zoo aufgelesen. Hörst du die Peitsche zischen? Er kann gar nicht genug davon kriegen. Hörst du? Ich halt den Hörer noch dichter ran. Hörst du ihn stöhnen? Er ist ganz wild darauf, von mir fertiggemacht zu werden. Er leckt auch meine Pisse aus dem Klobecken, wenn ich es will.“
––„Ja“, ächzte ich, „ja!“
––„Ich hab’ ihn mir so hingetrimmt, dass er alles macht, was ich sage. Wenn ich ihn genügend bestraft habe und er artig darum bittet, werde ich ihm den Maulkorb anlegen und an der Leine durch die Wohnung führen. Aber jetzt muss ich auflegen. Das Vieh braucht mehr. Ich melde mich wieder bei dir.“ Er knallte den Hörer auf.
––Seine Schilderung hatte mich so heiß gemacht, die Verachtung in seinem Ton klang so echt, dass ich außer mir war. Ich zitterte heftig am ganzen Körper, ein Zucken kochte durch mich hindurch und dann, in einem heißen Aufschrei, verschoss ich meinen ganzen Saft, spritzte gegen die Wand vor mir, meine Seele sprengte durch den pochenden Schwanz aus meinem Körper und zerschellte an der Mauer. Ich sah die Brühe runterrinnen.
––Benedikt zerrte mich vom Haken und drückte mich gewaltsam zu Boden. Er bearbeitete seinen Prügel, der wie ein fetter, wütender Aal zwischen seinen gespannten Fingern zuckte.
––Ich starrte auf diese Waffe mit weit aufgerissenem Mund. Durch seine pralle Eichel, durch sein Gesicht, durch seinen ganzen Körper flutete ein Beben. Ich saugte den Anblick gierig in mich auf. Und dann, wie ein Komet mit langem Schweif, trat das erste Geschoss aus seiner Mündung und traf mein Gesicht. Das nächste, das nächste. Ein Feuerwerk von Salven in sechs, sieben langgezogenen Spritzern klatschte gegen meine Haut, meine Lippen. Ich sog die Suppe ein wie ein Verhungernder und leckte ihm die letzten Tropfen von der Kuppe.
Dann sackte ich in mich zusammen.
––Er war neben mir und übersäte mich mit einem Sternenhimmel von Küssen. Irgendwann nahm er mir die Handschellen ab und die Ketten, rieb mir den zerschundenen Rücken ein und ging, Arm in Arm mit mir, ins Bett.
––Ich schmiegte mich an ihn.
––Aber er drehte sich auf die andere Seite und sagte: „Schlaf gut!“

Titel- und Abschlussbild mit Material von Shutterstock: 


conrado (Mann in Ketten), Asia Evtyshok (Mann mit Peitsche), 
Christian Mueller (Hintergrund) | ArtOfPhotos (Körper), Business stock (Hand)
, Anon Muenprom (Hintergrund)

Hanno Rinke Rundbrief

32 Kommentare zu “Geschmacksrichtungen | 12

  1. Wegen unterschiedlicher Geschmacksrichtungen erhöht oder senkt sich das HIV-Risiko? Nun gut, der Junge ist vielleicht wirklich zu unaufgeklärt und unreif.

    1. Wenn die Erzählung so weiter geht, dann wird sich das schnell ändern. Er erlebt auf alle Fälle relativ viel für sein Alter.

      1. Ist das wirklich so? Gibt es solche Veranlagungen ohne jegliche äußere Einwirkungen?

    1. Es scheint halt so, als wollte er alle Spielarten nacheinander abhaken. Um dann dazu zu gehören!? Oder sich Respekt verschafft zu haben!? Seltsamer Junge.

      1. Vor allem scheinen ja die Grenzen zwischen dom & sub schwer verwischt. Schließlich ist es ja eher der Junge, der dem eigentlich dominanten Benedikt sagt, was der zu tun hat.

      2. Es geht sicher um mehr als um ein paar aufregende Erlebnisse. Aber der Ton des Jungen im ersten Kapitel ist so anders als hier bei dieser Begegnung mit Benedikt … da muss noch einiges passieren bis sich dieser Kreis wieder schließt und wir am Anfang der Geschichte ankommen.

  2. Ich kann mit diesem Bild, dass man während dem Sex ‚eins‘ wird, nie etwas anfangen. So sehr man die Körper verschmelzen lässt, das eigene Selbst bleibt doch immer bestehen.

    1. Ich würde das auch nicht unbedingt so bezeichnen, aber sehr selten, wenn man mit dem richtigen Partner zusammen ist, dann erahne ich was man damit meint. Es bleibt aber für mich nur ein Bild.

      1. Die Körper verschmelzen. Man gibt sich zu einem kleinen Stück selbst auf. Ich finde das schon einen treffenden Ausdruck.

      1. Es scheint ja eine Beziehung zwischen den beiden zu geben, die über reine Lust hinausgeht. Viel weiter kann man das wahrscheinlich nicht analysieren. Für die Geschichte braucht es diesen Gegenspieler zu Johannes sowieso.

      2. Es gibt Menschen, die eine Seite in uns zum Vorschein bringen, die wir noch nicht kannten. Schön, wenn es dabei dann weniger extrem zugeht als hier. Man muss nicht alles zu Ende denken. Aber man kann.

      3. Wenn man aufmerksam ist tun das doch die meisten Menschen. Oder anders gesagt, die Beziehungen, die man zu unterschiedlichen Familienmitgliedern, Freunden, Lovern hat, unterscheiden sich doch alle ein wenig voneinander.

  3. Mir fällt bei Texten, die ‚Lust‘ beschreiben immer wieder auf, wie wenig lustvoll diese Beschreibungen für mich sind. Ich wüsste aber auch nicht, welche Worte das Lesegefühl ändern würden.

    1. Das war vielleicht nicht was Sie meinten, aber so eine Erzählung soll wahrscheinlich auch gar keine Lust auslösen. Das wäre ja höchstens bei einem rein pornografischen Text das Ziel.

      1. Genau. Spoiler: Es wird noch viel schlimmer, aber natürlich bin ich eitel genug, nicht zu wollen, dass man diesen Text pornographisch genießen kann.

      2. Ach du großer Gott. Dabei ist vor allem der junge Johannes jetzt schon so anstrengend…

      3. Es muss wohl noch so schlimm werden, dass wir den Protagonisten in dem Zustand, den wir zu Beginn kurz präsentiert bekommen haben, wiederfinden. Katharsis.

      4. Klar. Keine Tragödie ohne Katharsis. Und mit einer Komödie haben wir es hier ja eher nicht zu tun.

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