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06 – Ein Eremit

Mein Heim | 13

„Hast du etwas dagegen, wenn ich mir die Kammer etwas herrichte?“, fragte ich ihn beim Frühstück.
––Er sah mich prüfend an. „Mach, was du willst, du kannst dir freien Lauf lassen.“
––Ich lächelte. „Danke!“
––„Heute ist so gutes Wetter, das ist nicht sehr günstig für mich. Da gehen die Leute lieber zu Fuß. Das kann man mit langen Fahrten ausgleichen, aber die kriegt man nicht immer. Kann sein, dass ich etwas später komme. Aber wenn ich in der Gegend bin, guck’ ich zwischendurch mal nach dir.“
––Ich nickte. „Ich warte auf dich. Ich freu’ mich auf dich.“
––Er stand auf, umfasste meine Schultern und gab mir einen kurzen Kuss. „Du bist ein merkwürdiger Junge. Ich frage mich wirklich, wie das weitergehen soll.“
––Ich sah zu ihm auf. In seinem Gesicht lag eher Neugier als Sorge. Ein ernstes Lächeln.
––„Ich liebe dich“, sagte ich, und er ging.

Es war eine Qual, auf der Straße zu sein. Das Licht war gleißend hell wie unter der Operationslampe, eine stickige Wärme brütete in den verstopften Straßen. Fremde Menschen, fremde Häuser.
––Ich brauchte eine ganze Weile, bis ich das Heimwerker-Geschäft fand. Ich hatte es aus den Gelben Seiten herausgesucht, weil die ersten beiden Ziffern der Telefonnummer mit denen von Benedikts Telefonnummer übereinstimmten; dann hatte ich die Straße im Stadtplan ausfindig gemacht.
––Ein riesiger Laden mit Gängen, voll von Latten, Stangen, Eisen.
––Ich kaufte einen Quast, eine Rolle, einen Eimer Farbe, eine Sperrholzplatte und Tesa-Band. Mein Geld reichte aus, aber es war damit fast verbraucht.
––Der Rückweg war noch schlimmer als der Hinweg. Ich schleppte schwer durch die blendende Hitze. Die Nacht hatte mich erschöpft, und der Tag erschöpfte mich noch mehr.

Als ich wieder in der Wohnung war, überkam mich ein Gefühl von Gier. Ich konnte es kaum abwarten. Zuerst zog ich die Matratze auf den Flur und stellte die Lampe zurück ins Schlafzimmer. Meinen Rucksack verstaute ich im Schrank. Nur das kleine Kruzifix, das ich die gesamte Zeit über mit mir getragen hatte, nahm ich heraus. Ich löste das Poster von der Wand und rollte es ein. Weg mit Zeus, dieser Raum ist Gottes Raum! Dann deckte ich den Boden und so gut es ging auch den Schrank mit alten Zeitungen ab, die ich in der Küche gefunden hatte. Ich hatte mir die Farbe schon im Geschäft mischen lassen: die Konsistenz, an der Farbe gab es nichts zu mischen. Dann deckte ich den Boden und so gut es ging auch den Schrank mit alten Zeitungen ab, die ich in der Küche gefunden hatte.
––Die Rolle tauchte ein in den Eimer und zeichnete einen ersten Streifen an die Wand. Das war gut. So wollte ich es haben. Ich holte den Tritt aus der Küche. Zuerst begann ich mit der Decke. Dann kamen die Wände dran, eine nach der anderen und auch die Innenfläche der Tür. Zum Schluss nagelte ich die Sperrholzplatte auf den Fensterrahmen, strich sie und verklebte die Ränder mit dem breiten Plastikstreifen. Ich schleifte die Matratze zurück in den Raum und brachte das Kruzifix oberhalb der Schlafstelle an. Tritt und Werkzeugkasten stellte ich zurück an ihren Platz. Wie in Trance nahm ich mir den Leuchter aus dem Wohnzimmer. Ich setzte ihn ab, unterhalb der Matratze. Als ich die Kerze anzündete, zitterten meine Hände, so erfüllt war ich. Dann schloss ich die Tür.
––Alles war schwarz. Die Decke, die Wände, der Schrank, die Holzplatte vor dem Fenster, die Lagerstätte mit dem Gummituch. Nur das Kruzifix und der Leuchter schmückten den Raum.
––Ich fiel auf die Knie, ich schluchzte und betete: „O Herr, ich bin dein Diener.“

Im Dunkeln lag ich nackt auf der Gummihaut.
––Die porenlose Glätte erregte meinen Körper. Der weihrauchartige Geruch getrockneter Pisse erregte meine Sinne.
––Ich wartete. Oh, wie ich wartete! So glücklich kann ich gar nicht sein, wenn er da ist, wie ich leide, wenn er weg ist. Ich will nie mehr ohne Ketten sein, wenn er weg ist, damit ich meine Gefangenschaft spüre. Das wird erträglicher sein.

Habe ich die Freiheit, nicht frei sein zu wollen? Freiheit und Pflicht. Wollen und Müssen, all das nimmt plötzlich eine andere Bedeutung an. Er ist unabhängig. Er fühlt sich unabhängig. Der Wunsch nach solcher Unabhängigkeit – ist das sehr erwachsen oder sehr kindisch? Ich will ihn sehr erwachsen. Ich will ihn grenzenlos, schrankenlos: keine Schranken der Gedanken, der Gefühle, der Handlungen. – Nicht die Einseitigkeit normaler Menschen und Beziehungen, die Spezialisierung, die Scheuklappen-Mentalität, die all die anderen haben, Schmalkalden ist überall. Die ganze DDR war eine riesige Kleinstadt, von deren Bevormundung sich die meisten immer noch nicht erholt haben. Meine Eltern standen nie ganz hinter der Partei und erst recht nie ganz hinter der Kirche; ich will ganz und gar sein. Keine behagliche Stube fettiger Genügsamkeit. Ich will den Kosmos, darum wähle ich die Kammer. Die einzige Möglichkeit, mein Ziel zu erreichen.

Die Tür flog auf.
––Er stand im Raum. „Was ist denn hier los?“
––Auf Knien rutschte ich ihm entgegen. Ich kroch um ihn herum und drückte meine Nase in seine Hose, dort hinein, wo sie knapp den Arsch umspannte.
––Meine Zunge leckte über den Stoff, über die Naht und einte die beiden Backen in ihrer Berührung. Sie arbeitete sich tiefer in die Schlucht, aus der seine stämmigen Oberschenkel wuchsen, eine feuchte, dumpfe Grotte, die ich hingebungsvoll ausleckte, bevor sich mein Kopf auf der anderen Seite seiner leicht gespreizten Beine wieder herausschob, die Zunge immer weiter am Stoff tastend, bis sie gegen den Schwanz drückte. Dann wurde sie wild.
––Meine Arme stützten sich am Boden ab, während ich weit nach hinten durch seine Beine gebeugt, auf Knien hockte, das Gesicht fest gegen seinen flachen Bauch gepresst.
––Meine Zunge kämpfte sich vor zu seinem Hosenschlitz und leckte sich am Reißverschluss wund. Dann biss ich in den Dorn mit meinen Zähnen und zerrte ihn runter. Der Reißverschluss öffnete sich. Ich schickte meine Nase ins Innere. Sie schob sich vor in Weiches, Feuchtes. Ein brenzlig stickiger Geruch drang in mich ein, dumpf scharf.
––Ich wollte weiter, immer weiter.
––Meine Zunge folgte, fühlte Stoff, die Nase wurde süchtig an den Düften. Die Zähne kämpften sich durch Nähte und berührten Haut. Gefräßig bissen sie in Schamhaar, die Zunge stieß auf Festes, wühlte sich tiefer, grub sich in Sackfalten, die Hände hatten fiebernd nachgeholfen. Frei lag der Schwanz, berührte mein Gesicht, der wilde Duft des langen Tages strömte aus den Poren.
––Da riss er sich mit einer heftigen Bewegung den Gürtel aus der Hose und peitschte mich, wohin er traf. Dazwischen flüsterte er Wortgeschosse auf mich ab. Er drückte seine Beine zusammen und quetschte meinen Hals mit seinen kräftigen Oberschenkeln. Er nahm mir den Atem, ich schnappte nach Luft und tobte umso wilder mit meinem Gesicht gegen seinen Sack.
––Ich schluckte seinen Schwanz, ich inhalierte ihn, er sprengte meinen Rachen, drängte sich tief hinab in meinen Schlund. Schleim bildete sich. Sein Schiff lief permanent vom Stapel und versank im Meer. Ich riss den Kopf hoch, er ließ mich frei. Ich packte ihn bei den Hüften und drehte ihn in heftigem Ruck um die eigene Achse. Meine Zunge scheuerte über seine haarig straffen Backen, versenkte sich, mein Mund saugte an seinem Loch, als wollte er es ausschlürfen, ich tauchte in Untiefen, er presste meinen Kopf noch tiefer. Mit den Händen packte ich seinen Sack, umkrallte seinen Schwanz, und dann tat er es, der warme Brei war überall in meinem Gesicht, in meinem Mund, die weiche, scharfe Masse, tief aus seinem Inneren. Ich taumelte zurück.
––Er stürzte über mich. Sein harter Körper drückte mich in den Boden. Seine Lippen pressten meine, sein Jochbein schlug hart gegen mein Jochbein. Er keuchte, er quetschte mich zusammen, sein Schwanz bohrte sich in meinen Sack. Ein ruckhaftes Zucken schmiedete unsere Körper zu einem flackernden Muskel zusammen, bis sich das Schütteln in einen würgenden Schrei entlud, ein einziger Schrei aus beiden Mündern, ein Feuerknäuel, das in der Unendlichkeit verglüht.

Titel- und Abschlussbild mit Material von Wikimedia Commons/gemeinfrei/public domain (Titel/Fensterbild, Ausschnitt): Tizian – ‚San Jerónimo penitente‘ und Shutterstock: Krakenimages.com (Mann), Anthony Paz (Lampe)
 | Dean Drobot (schreiende Köpfe)
, Masyle (Spritzer), Anon Muenprom (Hintergrund)

Hanno Rinke Rundbrief

39 Kommentare zu “Mein Heim | 13

  1. Wie passt das denn nun zusammen? Auf der einen Seite „Herr, ich bin dein Diener“, auf der anderen Seite die neu entdeckten SM-Erlebnisse. Doch Sex für Gott wie in einem früheren Kommentar vorgeschlagen wurde?

      1. Ich dachte eh von vornherein, dass das alles nur eine kurze Episode für beide ist. Dass Johannes quasi einzieht und die beiden sich länger füreinander interessieren hat mich überrascht.

      2. Ich hätte nach dem Start am Bahnhof auch nicht unbedingt erwartet, dass Johannes so ein extremes Verhältnis zur Religion hat. Aber gut, die Geschichte nennt sich „Der Eremit“. Man konnte es erwarten, wenn man den Titel wörtlich nimmt.

      1. Da spielt wohl auch einfach noch das jugendliche Stürmen und Drängen mit hinein…

      1. So etwas ist ja immer schwer zu sagen, aber bisher finde ich, dass Johannes und Benedikt ja eigentlich überhaupt nicht zueinander passen. Die Lust scheint das aber gut zu kaschieren.

      1. Hahaha! Ich fand es auf jeden Fall erstaunlich, dass er sich die Kammer gleich renoviert. Ich war immer noch der Auffassung, dass sein Aufenthalt bei Benedikt eher vorübergehend sei.

      2. Leimschnüffeln war bei bildungsfernen Jugendlichen eine Zeit lang sehr angesagt. Johannes braucht das aber nicht, um seine Phantasie anregen zu lassen.

  2. Ich würde ja denken, dass der Wunsch nach solcher Unabhängigkeit weder kindisch noch erwachsen ist. Zumindest relativieren sich mit dem Älterwerden solche Wünsche wieder.

      1. Sich treiben zu lassen ist die eine Möglichkeit, sich zu disziplinieren die andere. Beide können sich dabei frei in ihrer Entscheidung oder gefangen in ihrer Veranlagung fühlen.

  3. Gottes Raum. Oh Mann. Manchmal freue ich mich einfach, dass ich keinen Hang zum Religiösen habe und mich um solche Die nge nicht scheren muss.

    1. Naja. Man kann sich auch freuen, kein Interesse an Fußball zu haben. Dann braucht man sich nicht über vergeigte Tor-Chancen und ungeimpfte Nationalspieler zu ärgern. Ob solcher Verdruss durch die Freuden am Altar oder am Ball ausgeglichen wird, können nur die Gläubigen und die Fans beurteilen.

      1. Jedem das Seine. Johannes scheint mir wahnsinnig angestrengt in seinem Glauben und in seiner Sexualität. Das kann aber einfach auch sein genereller Charakter sein.

    1. Genau wie Johannes konfrontiert scheint Benedikt sich ja ohne Probleme anzupassen bzw. einzulassen. Es gab bisher ja wenig Reibung.

      1. Kapitel No. 1 lässt darauf schließen, dass die beiden am Ende der Erzählung nicht mehr zusammen sein werden. Was bis dahin geschieht bleibt natürlich offen.

      1. Na ja, sie sind aber eben auch ein entscheidendes Thema dieser Beziehung… Vielleicht sogar das einzige Bindeglied zwischen den beiden Protagonisten.

  4. Betrifft: von Männern, Frauen und Dir…
    Ganz dabei bin ich mit Dir im Vorspann zu Aline von Drateln. Man kann nochmal etwas herausschlagen. Dann hat es sich sozusagen doppelt ausgezahlt…

      1. Was für ein überaus unangenehmer fieser Mensch dieser Weinstein auch ist…

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