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Tänzer außer der Reihe

Dialog 18: Zu Hause

EIN GANZER KERL

(Der Unglückliche: U; der Glückliche: G)

G: Was is’ denn?

U: Hörst du das nicht?

G: Ich hör’ nur dich.

U: Da summt doch eine Mücke.

G: Na und? Lass sie doch!

U: Dich sticht sie ja nicht. Ich werd’ immer gestochen.

G: Mein Gott! Kannst du denn keine Ruhe geben?! Ich muss morgen früh raus.

U: Da ist sie! Beinah hätt’ ich sie gehabt.

G: Ja, beinah. Näher bist du noch nie an was rangekommen.

U: Was soll denn das jetzt?

G: Schon gut.

U: Es ist überhaupt nichts gut. Immer machst du mich runter!

G: Okay, okay, ich entschuldige mich. Zufrieden?

U: Nein, ich bin nicht zufrieden. Ich bin überhaupt nicht zufrieden!

G: Aber eben warst du’s. Hast doch gewinselt wie ’ne läufige Hündin.

U: Du Stück Scheiße!

G: Hey! Nun pass mal auf: Vielleicht kannst du mich nicht ausstehen, aber keiner macht’s dir so wie ich. Du brauchst das. Du brauchst mich, klar? Also je weniger du dich dagegen wehrst, umso besser geht’s dir. Logo. Ich finde dich auch ganz geil, aber wenn du mich nicht mehr willst – ich hau sofort ab, sofort. Das weißt du.

U: Du kommst dir wohl irrsinnig sicher vor.

G: Das stimmt. Ich weiß, du bist nicht immer glücklich, wenn wir zusammen sind, aber du bist kreuzunglücklich, wenn ich nicht da bin.

U: Es wäre toll, dich nicht lieben zu müssen.

G: Was soll toll daran sein, nicht zu lieben? Ich beneide dich sogar darum, ehrlich. Komm, gib mir ’n Kuss! Komm schon. – Na, merkst du, wie da was passiert? Du zitterst ja richtig. Na komm! Du gehörst in meinen Arm. – So ist es gut. Das ist, wo du hingehörst. Du kannst mir die Brustwarzen noch ’n bisschen lecken. – So. – Ja, – so ist gut. Geil. Du machst das echt stark – Spitze. Und die Achselhöhle auch. Hmhmm, ja. – Tut mir leid mit gestern Abend. Tut mir echt leid. – Ich musste noch ’n Porsche rüberschaffen. Ging nicht anders. War ’ne Terminsache. Aber die Bohnensuppe war heut’ sicher noch besser als gestern. Echt klasse. Über Nacht, da zieht das so richtig durch. Da kriegt das noch mal neu Würze. Wie du. Geile Sau. – Was is’ jetzt?

U: Ich war bei Bodo, vorige Nacht.

G: Ach nee! Beim lieben Bodo. Habt ihr nun endlich gefickt?

U: Du weißt doch, dass ich das nicht will.

G: Aber er will es. Das sieht man deutlich.

U: Er hat mir da ’ne Geschichte erzählt …

G: Was für ’ne Geschichte? Sag bloß, der hat ’n Kerl abgekriegt!

U: Nein …

G: Drum!

U: Alles aus der Fantasie.

G: Woher auch sonst?

U: Aber das war – ich war ganz geplettet. – Das hatt’ ich dem gar nicht zugetraut.

G: Was war denn so doll dran?

U: Er hat beschrieben, wie er in Venedig in ’ner Gondel liegt.

G: Ach du liebe Scheiße!

U: Nee wirklich. Du hättest das mal hören müssen!

G: Danke! Lieber nicht. Leck noch ’n bisschen!

U: Wenn er aussähe wie du und du wie er, dann würd’ ich jetzt neben ihm liegen …

G: Und dir was von Gondeln vorfaseln lassen. Oder würd ich dann so kariert quatschen?

U: Warum tust du so primitiv? Denkst du, das macht mich an?

G: Das denk’ ich nicht, das weiß ich.

U: Manchmal denk’ ich, dass es schön sein muss, tot zu sein, besonders sonntags denk’ ich das.

G: Aber nicht, wenn ich da bin. Wenn du mich riechst. Wenn du mich schmeckst.

U: Nein, dann nicht. Dann leider nicht.

G: Mach doch endlich das Licht wieder aus.

U: Achso, ja. – Ich kann Papageien-Tulpen übrigens nicht ausstehen.

G: Hast du ’n Rad ab? Was soll denn das jetzt?

U: Ich wollte nur, dass du’s weißt, dass Papageien-Tulpen nicht meine Lieblingsblumen sind.

G: Du denkst wohl, ich bin ganz blöd, was? So gut kenn’ ich dich nu’ inzwischen auch schon. Ich weiß, was deine Lieblingsblumen sind: Vergissmeinnicht. Genau wie meine. Stimmt’s? Schläfst du schon? – Hörst du. Hörst du?

U: Ich hör’ die Mücke.

G: Mich stört sie nicht.

U: Nein, aber mich sticht sie.

G: Sag mal, weinst du? – Weinst du jetzt?

U: Quatsch, ich – ich – ich bin so müde, so müde.

G: Hör mal, ich brauch’ dich doch auch.

U: Ich weiß. Das weiß ich doch.

G: Das weißt du?

U: Ja sicher.

G: Da war sie! Mach das Licht noch mal an. – So!

U: Hast du sie?

G: Bitte, hier!

U: Toll! Du bist der Größte. – Kann ich das Licht jetzt wieder ausmachen?

G: Von mir aus. Wenn du den Anblick der Leiche nicht mehr ertragen kannst.

U: Du musst morgen früh raus. Lass uns schlafen!

G: Von Venedig sabbeln, das könnt ihr, aber ’ne Mücke totschlagen ...

U: Dazu braucht man eben einen ganzen Kerl.

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ERLÄUTERUNGEN

Der Sonntag ist der heikelste Tag der Woche. Deshalb werden Sie kaum einen Schwulen kennenlernen, der ihn vor elf Uhr vormittags beginnt, es sei denn, er ist schon gegen acht irgendwo mit einem Espresso verabschiedet worden oder er ist untypisch, und das hoffen natürlich die meisten von sich. Schließlich, wozu ist man Außenseiter?

Wenn immer noch irgendjemand haltlos ist, dann war er das am Sonnabend. Der Sonntag ist der Tag der dosierten Vergnügen. Die Hoffart derer, die einen festen Partner haben, erhält beim Sonntagsfrühstück reichlich Nahrung. Wie schmerzlich, das allein runterkauen zu müssen! Wie behaglich, noch eine Weile miteinander vor ausgehöhltem Ei und halb voller Tasse zu sitzen und über die beiden Wochen zu reden: die, die gerade vorbei ist und die, die gerade anfängt. Das wiegt manchen Streit auf.

So ein Sonntagsfrühstück ist ein Genuss, den schwule und getrenntgeschlechtliche Ehepaare teilen, bloß, dass die Hetenpaare das Frühstück in Sonntags-, Freizeit- oder Straßenkleidung eingenommen und schon vor zwei Stunden beendet haben, alles wegen der Kinder und überhaupt.

Weil es also deprimierend ist, Sonntag Morgen allein frühstücken zu müssen, deshalb haben die fortschrittlichen Lokale fortschrittlicher Länder den Brunch auf ihre Speisekarte geschrieben. Sozialistische und islamistische Länder brauchen das nicht, weil es dort neben anderen Mangelerscheinungen weder Einsamkeit noch Homosexualität gibt. Einsamkeit und Freizügigkeit sind nun mal Geschwister. Wer also meint, der Fortschritt läge im Liberalen, der/die akzeptiert das. Und die anderen? Der Sozialismus ist per Definition fortschrittlich und der Gottesstaat per Definition richtig. In beiden Lagern ist ‚konservativ‘ ein Synonym für ‚reaktionär‘. Bis hierhin die Sonntagspredigt.

Eine Verabredung zum Brunch, vormittags gegen zwölf, ist ein guter Anfang, um aus einem Totensonntag so etwas wie Allerseelen zu machen: Zusammensitzen und sich einig werden – meist geht es um kulturelle Themen, Spiegelbild der Wochenendbeilagen besserer Zeitungen. Politik ist ja mehr was für Heteros und für den Abend. Jedenfalls finden das die Bruncher. Die Engagierten engagieren sich inzwischen schon.

Sonntag Vormittag, das ist aber auch: extrem salopp gekleidete, alterslose Männer, die mit bissiger Miene und großem Hund die Anlagen beleben.

Nun sind wir mit den Verallgemeinerungen am Ende, nun müssen wir differenzieren: Die einen besuchen ihre Mütter (gegebenenfalls einschließlich Vater) zum Mittagessen, die anderen erst zum Kaffeetrinken. Auf das Selbstgebackene folgt der gefürchtete Sonntagnachmittagsspaziergang.

Die Mütter, die zu den Vätern halten, die ihren Söhnen, die schwul sind, nicht verziehen haben, werden nicht besucht. Da aber die Mütter mit ihren Söhnen viel gemeinsam haben, unter Umständen sogar die Männerliebe, wechseln sie im Allgemeinen schließlich doch das Lager, schon aus Angst, dass es für sie später, als Geschiedene oder Witwe, zu spät sein wird, diesen Schritt noch glaubwürdig und würdevoll vollziehen zu können. Diese Furcht ist allerdings unbegründet, denn eine reumütige Mutter wird genauso triumphierend heimgeführt wie der verlorene Sohn aus der Bibel.

Anschließend erholen sich Bruncher und Söhne im Café. So viele Schwule wie sonntags zwischen halb sechs und halb acht sehen Sie sonst nie auf einem Fleck. Wer zu zweit kommt, hat die besseren Karten und die schlechteren Chancen. Wer mit vielen kommt, gilt als allein. Biergärten und Weinstuben füllen sich friedlich in der Dämmerung. Am Sonntagabend sind Schwule nichts Besonderes mehr, da sind alle Menschen gleich. Darum laufen sie auch alle gegen acht auseinander und werden häuslich. Der Sonntagabend gehört der Familie und dem Fernsehen.

Wer trotzdem ausgeht, kommt voll auf seine Kosten: Heute befindet er sich wirklich mal unter Gleichgesinnten, es folgt die berüchtigte Nahtstelle zweier Wochen. Die lässt sich für Menschen, die ihre Umwelt, ach, und sich selbst ständig beobachten, nicht so leicht überschlafen. Da muss Rechenschaft abgelegt oder verdrängt werden. Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Warum leben wir? Warum können wir ‚Unendlichkeit‘ denken, wenn wir sie nicht begreifen können? – Gute Nacht!

Cleo Laine: ‚Don’t Ask Me‘

Auszug aus Hanno Rinkes ‚Liedschatten‘

Die (ziemlich) unglückliche Liebe, wie sie sich oben im Dialog darstellt, wird wohl noch häufiger besungen als die glückliche. Meist auch gefühlvoller. Cleo Laine sang überwiegend Jazz. Ihre rauchige Stimme packte mich sofort, als ich sie 1969 im Radio hörte. Der Song passte eigentlich nicht zu ihrem jazzigen Image, aber dafür umso besser in meine Vorstellungen von Drama: ‚Don’t ask me – just for fun‘. Daraus ließe sich eine herrliche Selbstmord-Tragödie spinnen. Aber: Cleo Laine lebt noch. Im Oktober wird sie 94.

Aus der Single ‚Don’t Ask Me / Come Rain Or Come Shine‘, erschienen 1969 (Großbritannien) bei Fontana; Ⓟ Chappell & Co. Ltd., Interpretin: Cleo Laine

33 Kommentare zu “Dialog 18: Zu Hause

  1. Was ist eigentlich Brunch? Also welcher Logik folgt dieses seltsame Langfrühstück? Man kann zwar wunderbar beisammen sitzen, aber man kann ja nicht länger und mehr essen als man Appetit hat.

    1. Ursprünglich meint das ja die Vermischung aus Frühstück und Mittagessen. Sowohl zeitlich wie auch was die Gerichte angeht. Da sich aber heute eh vermischt was man wann isst, nun ja, gibt es wohl keinen großen Unterschied mehr zu einem regulären ausgedehnten Frühstück.

    2. Ich habe Brunch in L.A. kennen gelernt. 11.30 abgeholt im Hotel. 12.00 erste Bloody Mary. Bei den Eggs Benedict war ich schon sehr lustig. Ab 15.00 Tea Dancing. Nach der Happy Hour 18.00 begann für viele die lange Nacht. Für mich auch: im Bett. Am Montag Morgen war ich für die Verhandlungen topfit.

      1. Hier in Deutschland heißt Brunch dagegen ja oft auch einfach nur, dass es ein etwas üppigeres Buffet gibt.

  2. Manchmal wäre es wirklich toll, wenn man sich aussuchen könnte wen man liebt. Die ein oder andere Verletzung hätte man sich dann wohl sparen können.

      1. Leider ist man selbst wenn man es sich aussucht auch noch darauf angewiesen, dass die andere Person mitspielt. Und zwar nicht nur im ersten Moment, sondern auch noch nach ein paar Wochen, Monaten, Jahren…

      1. Das löst wahrscheinlich nicht immer das Problem des Unglücks, aber ein erster Schritt ist die Trennung bestimmt.

  3. Ich mag Sonntags auch richtig gerne alleine frühstücken. Vielleicht liegt das daran, dass ich eh Morgenmuffel bin. Mir ist Gesellschaft dann meistens zu anstrengend.

    1. Das ist ja das gute am ausgedehnten Sonntagsbrunch 😉 Bis man sich überhaupt erstmal trifft, ist man langsam auch wach.

      1. Mein Sonntagsfrühstück ist in der Regel auch mit dem Mittagessen identisch. Ob es dann doch noch Pfannkuchen oder schon einen Braten gibt, hängt von der Laune ab.

  4. Meine Eltern waren beide keine besonders guten Köche. Da war der Sonntagnachmittagsspaziergang manchmal das kleinere Übel.

      1. Haha, ich wollte schon sagen – für solche Situationen lohnt es sich doch, wenn man einen guten Konditor in der Nähe hat. Da erspart man sich mitunter den faden Bohneneintopf.

  5. Wenn Väter ihren Söhnen nicht „verzeihen“ können, dass sie schwul sind … oh Mann, da ist ja schon soviel im argen …

    1. Das endet in der Regel unausweichlich darin, dass die entsprechenden Söhne ihren Vätern ebenfalls nicht verzeihen können.

      1. Zu recht. Dass Eltern manchmal überfordert sind, ist ohnr Frage nachvollziehbar. Aber dass man seinem Kind jegliche Liebe entsagt, dafür kann man kein Verständnis haben.

  6. Bei meinen Eltern (getrenntgeschlechtlich) war es lange Jahre Brauch sich Sonntags mit einigen guten Freunden durch den Tag zu essen. Mittlerweile lassen sie es altersbedingt zwar etwas ruhiger angehen, aber mir haben diese Tage selbst als Jugendlicher immer sehr viel Spaß gemacht.

    1. Unbegrenzt rumessen kann ich leider, oder Gott sei Dank, erst abends vor der Leinwand. Am nächsten Morgen bereue ich dann die Salznüsse, Kekse und Schokoladen. Abends gibt’s danach bloß ein Jogurt. Bis zum nächsten Mal …

      1. Ich finde Frühstück auch nicht sonderlich aufregend. Da halte ich es wie die Franzosen, ein Kaffee & ein Croissant, das muss reichen.

      2. Früher sagte ich immer: Frühstück ist doof – die einzige Mahlzeit ohne Alkohol. Jetzt ist das anders. Nicht, weil ich morgens schon zum Champager greife, sondern weil ich mittags auch nur Wasser trinke. Meistens.

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