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Tänzer außer der Reihe

Dialog 22: Per Anhalter

DER SPRINGER

(Der Fahrer: F; der Anhalter: A)

A: Fahren Sie nach Hollenau?

F: Ich weiß nicht. Ich will nach Schleswig.

A: Dann kommen Sie über Hollenau.

F: Also gut. Ich kenn’ mich hier nicht so aus. – Du kannst die Tür ruhig knallen, sie klemmt etwas. Fester!

A: So.

F: Wohnst du da, in Hollenau?

A: Nee, eigentlich nicht. Meine Eltern wohnen da.

F: Ach so. Und wo wohnst du?

A: Na ja, ich werd’ wohl wieder dahin zurückziehen, erst mal.

F: Warum?

A: Keine Arbeit mehr. Ich hab’ an der Ostsee gearbeitet, im Hotel. Aber das war nichts dies’ Jahr. Die Saison ist schon zu Ende. Sonst hatt’ ich immer so viel, dass es für den Winter gereicht hat, aber diesmal muss ich mir was anderes ausdenken, mal seh’n.

F: Was hast du denn da gemacht, im Hotel?

A: Alles. Drecksarbeit. Morgens meist Kartoffeln schälen. Stundenlang.

F: Ganz schön eintönig, was?

A: ‚Eintönig‘? Ja. – Was is’n das für ein Schlitten?

F: Das ist ein ganz alter Volvo, umgebaut. Interessierst du dich für Autos?

A: Ja, also ’n bisschen. Ich versteh’ nicht viel davon.

F: Ich hab’ ihn mir selbst zusammengebastelt, mit einem Freund, der ist Kraftfahrzeug-Ingenieur.

A: Da hätt’ ich auch Lust zu.

F: Na ja, du kannst doch eine Mechanikerlehre machen.

A: Ach, ich weiß nicht.

F: Doch keine Lust?

A: Ich bin technisch nicht besonders gut drauf.

F: Aber du kannst doch sicher noch mehr als Kartoffelnschälen.

A: Nicht viel. Da vorn müssen wir jetzt rechts.

F: Und was wirst du da machen, bei deinen Eltern?

A: Rumsitzen und mich vollstopfen lassen.

F: Mästen sie dich so?

A: Ja. Das ist so deren Abwehr, deren Art von Mitleid. Vorwürfe machen sie mir nicht. Eher machen sie sich selbst Vorwürfe, weil sie ja schuld dran sind, dass es mich gibt.

F: Na, so schlimm wird es doch nicht sein.

A: Doch. Ich bin ihr einziges Kind, und sie sind schon ziemlich alt.

F: Ist doch nicht gesagt, dass aus dir nicht noch was werden kann.

A: Also bisher ist jedenfalls nichts geworden.

F: Du traust dir, glaub’ ich, auch nichts zu.

A: Sie haben mir auch nie was zugetraut.

F: Meinst du, sie haben dich zum Versager programmiert?

A: Nicht absichtlich.

F: Oder hast du einfach keine Lust? Ich kenn’ das, man sieht nicht, wofür es gut sein soll, und dann lässt man es. Ich war auch nie ehrgeizig, aber dann, irgendwie, hab’ ich’s doch gepackt.

A: Bist du Lehrer?

F: Ja. Wie kommst du darauf?

A: Nur so.

F: Du könntest doch eine richtige Ausbildung machen.

A: Ich hab’ eine Ausbildung.

F: Ach ja? Als was denn?

A: Feinmechaniker. Meine Mutter wollte das. Sie hat wohl gedacht, dann könnte ich ihre Uhr immer reparieren. Sie lässt sie dauernd fallen. Mir war es egal. Ich hab’ sogar gedacht, es würde mir Spaß machen. Aber es war Krampf. Hat auch keine Zukunft.

F: Aber immer noch besser als Kartoffelnschälen.

A: Find’ ich nicht.

F: Nein?

A: Nein. Beim Kartoffelnschälen weiß ich: Das geht vorbei. Als Feinmechaniker – das ist dann ’ne Lebensaufgabe. Kartoffelnschälen, das ist Frauenarbeit, so wie Nähen oder Bügeln. Das zählt nicht. Damit kann man nichts falsch machen.

F: Frauenarbeit – Männerarbeit. Das gibt es doch gar nicht. Wichtig ist nur, dass man eine Aufgabe hat.

A: Frauen brauchen eine Aufgabe. Männer brauchen eine Idee.

F: Woher hast du denn das?

A: Mein Vater sagt das. Ich glaube, er hat recht.

F: Was ist dein Vater?

A: Landwirt, wie das so schön heißt. Bauer ist er.

F: Frauen brauchen auch eine Idee. Und Männer brauchen auch eine Aufgabe.

A: Magst du Frauen?

F: Wie meinst du das? So ganz allgemein?

A: Ja, ganz allgemein.

F: Also ganz allgemein: ja. Nicht alle natürlich. Aber ich mag auch nicht alle Männer. Frauen mag ich jedenfalls lieber. Und Sex, also das kann ich mir überhaupt nur mit einer Frau vorstellen. Und du?

A: Mir sind sie egal. Ich hab’ nichts gegen sie.

F: Das ist nicht viel.

A: Nein, viel ist das nicht.

F: Viele Frauen auf einem Haufen sind natürlich furchtbar. Viele Männer auf einem Haufen, das ist schon besser. Aber eine Frau braucht man doch.

A: Lebst du zusammen mit einer Frau?

F: Ja.

A: Wie lange?

F: Äh, vier Jahre.

A: Und seid ihr verheiratet?

F: Nein. Noch nicht. – Und du? Hast du eine Freundin?

A: Nein, ich will auch keine.

F: Warum nicht?

A: Ich hab’ doch schon gesagt, ich mach’ mir nichts aus Frauen.

F: So deutlich hast du das nicht gesagt. Meinst du, du bist schwul?

A: Nenn es, wie du willst.

F: Das ist doch nicht schlimm.

A: Nein, für dich nicht.

F: Wär’ es nicht besser, du würdest in eine Stadt ziehen?

A: Ja, wahrscheinlich.

F: Könntest du dir nicht einen Beruf vorstellen, der dir Spaß machen würde?

A: Fensterputzer wär’ ich gern.

F: Fensterputzer? Na ja. Das ist doch eine schöne Aufgabe. Wenn man so sieht, wie die Fenster wieder blank werden.

A: Hältst du mich für blöd? Fensterputzen ist wie Kartoffelnschälen.

F: Aber warum willst du das denn dann machen?

A: Ich will Fensterputzer werden an Hochhäusern.

F: Aha! Die Idee, nicht die Aufgabe. Bist du schwindelfrei?

A: Noch nicht. Ich üb’ noch.

F: Deine Eltern, sie verstehen dich nicht richtig?

A: Da gibt’s nicht viel zu verstehen. Außer, dass ich eben schwul bin.

F: Und verstehen sie das?

A: Als ich es meinem Vater gesagt hab, ist er ganz rot geworden. Ich dachte, er kriegt einen Wutanfall. Aber dann hab’ ich gemerkt, dass es Verlegenheit war. Ich hatte extra einen Augenblick abgepasst, als meine Mutter in der Küche war. Ich dachte, ihm könnte ich das noch eher sagen.

F: Musstest du es denn überhaupt sagen?

A: Ich hatte keine Lust, mir weiter dämliche Fragen stellen zu lassen. Ich fand’s auch nicht ehrlich.

F: Und?

A: Er hat mich gefragt, ob ich sicher bin. Und ich hab’ ja gesagt. Woher ich das wüsste, hat er mich gefragt, und ich hab’ gesagt: „Das merkt man doch, wenn man jahrelang Zeit dafür hat.“ Meine Mutter klapperte in der Küche. Aber es stimmte was nicht mit dem Klappern. Es klang irgendwie anders. Lieber ließ sie die Kartoffeln draußen kalt werden in der Schüssel, als dass sie die Schüssel reingetragen hätte. „Helga, komm doch endlich!“, rief mein Vater. – „Ich bin ja schon da“, sagte sie, „was ist denn?“ Sie hatte sich schnell noch die Hände nass gemacht, damit sie einen Grund hatte, die Hände an der Schürze zu reiben. Ich sah das alles genau. Es ging wie in Zeitlupe, und ich saß davor und wartete ab. „Helga“, sagte mein Vater, „Helga, der Junge ist krank.“ – „Mein Gott, was fehlt ihm denn?“ – „Nein, nicht so krank.“ – „Nicht wie krank?“ – „Also, Helga, lass doch jetzt die Spitzfindigkeiten!“ – „Ist Papa nicht wohl?“ – „Nein“, sagte ich, „nicht besonders. Ich hab’ ihm gerade gesagt, dass ich mir nichts aus Frauen mache.“ – „Was?“, fragte sie, „das ist doch Klöterkram, Junge! Du bist doch immer so gern bei Oma gewesen und bei Tante Elsi. Und mit der Gabi hast du doch auch immer so nett gespielt.“ – „Mutti“, sagte ich, „du weißt, was ich meine.“ – Da war sie still, und dann fing sie an zu heulen. Mein Vater ging raus mit dem Hund, und ich ging dann auch raus, und dann haben wir nie wieder davon gesprochen.

F: Du solltest wirklich in die Stadt ziehen. Da gibt es auch viel höhere Häuser. Ich könnte dir vielleicht behilflich sein, etwas zu finden, wenn du willst.

A: Ich werde springen eines Tages.

F: Wohin, ich meine, ... wieso?

A: Willst du Fallschirmspringer werden?

F: Daran hab’ ich auch schon gedacht, aber das ist nicht dasselbe. Das macht es so alltäglich.

A: Was dann? Stabhochsprung?

F: Das ist nicht hoch genug.

A: Dann versteh’ ich dich nicht.

F: Du bist wie meine Mutter.

A: Vor ein paar Jahren, als ich so alt war wie du, steckte ich in einer schweren Krise. Meine damalige Freundin hatte unser Kind abtreiben lassen, ohne dass ich es wusste. Am Tag danach sagte sie es mir. Irgendwann mal hatte sie die Pille ausgekotzt, weil sie zu viel getrunken hatte, und schon war’s passiert. – Ich wär’ so gern Vater geworden, damals. Genauer gesagt: Ich wär so gern Vater gewesen. Aber grad das hat sie mir nicht zugetraut, mir nicht und sich nicht. Da dachte ich, jetzt sei alles zu Ende: meine Jugend, meine ‚Unschuld‘, mein Glück. Jetzt kommt nur noch Alltag und Pflicht. Aber das war totaler Quatsch. Ich hatte alles noch vor mir. Alles, was wirklich schön und wichtig war, hatt’ ich noch vor mir.

F: Und?

A: So kann es bei dir auch sein.

F: Ja, das weiß ich.

A: Also dann …

F: Es wird einmalig sein. Wirklich einmalig! Ich wieg’ nicht viel, ich bin leicht. Ich werde langsam fallen, na ja, eine Zehntelsekunde langsamer vielleicht. Aber das ist doch viel, kurz vor der Ewigkeit.

A: Willst du berühmt werden dadurch?

F: Berühmt? Nein, warum? Das nutzt mir doch nichts mehr, wenn ich tot bin.

A: Aber warum dann?

F: Weil es das Großartigste sein wird, das ich erleben kann. Darum zöger’ ich es auch noch so hinaus. Wahrscheinlich ist der Augenblick unmittelbar vorm Sprung der schönste. So wie kurz bevor es einem kommt, das ist genauso.

A: Und wenn es das dann nicht wert war, diese eine Sekunde?

F: Das würde ich dann ja nicht mehr merken. Aber ich weiß, dass es toll sein wird. Es ist jetzt schon toll, dass ich es weiß. Das allein ist doch schon Grund genug.

A: Nein, das ist nicht Grund genug. Denk dir was anderes aus!

F: Ich möchte nicht, dass mein Tod so wird wie mein Leben.

A: Weißt du, du könntest vielleicht für den Anfang zu uns ziehen. Meiner Freundin würde das nichts ausmachen, wirklich nicht. So für die ersten Wochen, bis wir was für dich gefunden haben. Dann könnten wir über alles noch mal sprechen.

F: Das geht nicht.

A: Warum nicht?

F: Weil ich mich bei euch nicht wohlfühlen würde.

A: Das weißt du doch gar nicht.

F: Doch, das weiß ich. Ihr würdet versuchen, mich umzukrempeln. Meine Eltern lassen mich wenigstens in Ruhe.

A: Ich kann dich nicht zwingen.

F: Nein.

A: Ein Freund von mir hat seine Diplomarbeit geschrieben über die Eindämmung von Angst vor dem Fallschirmsprung durch autogenes Training.

F: Ich hab’ keine Angst.

A: Nein, du nicht. – Kann ich noch irgendwas für dich tun?

F: Ich glaube, nicht.

A: Wo ist denn überhaupt dieser Ort, in dem deine Eltern wohnen?

F: Wir sind schon durch. Du kannst mich hier irgendwo rauslassen. Ich tramp’ dann zurück.

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ERLÄUTERUNGEN

Sind Homos Männer? Also Frauen sind sie jedenfalls nicht.

Was macht den Mann aus? Dass er Frauen anziehend findet oder dass er sich ausgezogen deutlich von ihnen unterscheidet? Wenn man den Mann vom Körper her definiert, dann ist die Entscheidung klar (einschließlich der Mischformen): Mann bleibt Mann, Frau bleibt Frau, Mischform bleibt Mischform. Wenn man ihn vom Objekt seiner Begierden aus definiert, mag man streiten, wenn man will. Sinnvoll ist dieser Streit nicht. Aber ein herrliches Thema. Alles, was auf der Skala ‚durch und durch Kerl‘ und ‚durch und durch Weib‘ in der Mitte liegt, hat Partygäste und Wissenschaftler immer schon mehr beschäftigt als die festgelegten Außenposten.

Insofern sind ein schwuler Cowboy oder eine Nymphe in Jeans und Lederstiefeln sicher bemerkenswerter als ein schwuler Transvestit oder ein ganz normaler Cowboy als Retter einer glockenberockten Nymphe. Bis weit in die Achtzigerjahre hinein haben wir trotzdem dauernd schwule Transvestiten und ganz normale Cowboys auf Bühne und Leinwand zu sehen bekommen. Dass sich der Unterhaltungswert solcher Figuren allmählich erschöpfte, hat die schwule Bewegung sicher begünstigt. Gleichzeitig ist diese Entwicklung aber auch durch die beginnende schwule Bewegung begünstigt worden.

Damit brach eine Zeit an, in der man mehr mit den Schwulen als über sie gelacht hat. Männlichkeit hörte auf, interessant zu sein. ‚Unmännliche‘ Originalität war – auch kommerziell – erfolgreicher als plakative Männlichkeit. Na ja, bei wem? Ausufern durfte diese Tendenz fürs große Publikum nie. Sympathisch konnten Schwule mit ganz, ganz festem Freund jetzt schon mal sein – auf dem Bildschirm: gut gekämmt und nett gekleidet; als Serienhelden blieben sie ungeeignet. Gewiss, der Held mit Knacks bietet mehr als der bloß strahlende Held, nur muss der Knacks ja nicht ausgerechnet … Und da kam dann eine Generation und behauptete: ‚Das ist kein Knacks, das ist toll! Wir sind männlich und wir lieben die, die auch männlich sind.‘

Das war nicht neu, neu war nur das Selbstbewusstsein, mit dem das gedacht und formuliert wurde. Bisher hatten sich Schwule immer über das weibische Gehabe anderer Schwuler lustig gemacht, so als ob sie selbst dadurch männlicher würden. Doch nun gelang es allmählich den Schwulen, im Verhalten der Mitschwulen, in deren Gesten, Ausdrücken, selbst in deren Überdrehtheiten auch etwas Liebenswertes sehen zu können. Diese lockere Einstellung und die wachsende Freizügigkeit (= Gleichgültigkeit) veränderten das Klima. Schwule unterschiedlicher Ausrichtung begegneten einander mit nur leicht sarkastischer Toleranz. Welche Minderheit schafft das schon? In New York, San Francisco und all den anderen westlichen Großstädten mit den höchsten Aidsraten schien der Wunsch- und Albtraum eines selbstverständlichen Triebauslebens Wirklichkeit zu werden.

Was selbstverständlich wird, wird auch natürlich: Normale Männer wurden schicker, Schwule wurden lässiger – die kreischende Tunte wurde zur Rarität. (Käme wieder die Ausgrenzung der Schwulen, dann käme auch die Krawall-Schwuchtel zurück, um Trotz, Verzweiflung und Aberwitz aus sich herauszutölen. Aber das können wir uns in den westlichen Demokratien nicht mehr vorstellen.) Jüngere Männer haben denn auch nicht mehr die Berührungsängste wie ihre Väter und Urväter. Die Verachtung für die Schwulen hält sich in Grenzen und die Furcht, von ihnen begehrt zu werden, auch. Zu Unrecht, denn ein Hetero-Mann ist im Bett eines durchschnittlichen Schwulen das, was die Gans im Ofen einer durchschnittlichen Hausfrau ist: ein Ereignis. Knusprig und verlockend.

Viele Schwule bilden sich nun mal ein, Sex mit einem Hetero sei wie ein Bad in Drachenblut. Schlimmer noch: Die Befürchtung liegt nahe, dass Schwule glauben: ‚Ich bin eine miese schwule Sau, aber wenn ein Hetero mit mir schläft, dann werd’ ich zum Mann geadelt.‘ Die, die so empfinden, sind wahrhaft zu bedauern. Besser sind die dran, für die ein normaler Mann ein besonders schwer zu erlegendes Wild darstellt, das ihren Jagdinstinkt dementsprechend besonders reizt. Am feinsten raus sind die, die Schwule nicht trotz, sondern wegen ihrer Knackse, Posen, Andersheiten aufregend finden und die es sich nicht übel nehmen, schwule Gesellschaft in Bar und Bett zu schätzen.

Obwohl die Wahrscheinlichkeit, einen Hetero zu betören, gering ist (meist bleibt es bei einer verkappten, verheirateten Tunte, die sich auf den Bauch legt und abwartet) – die Auswahl ist natürlich größer.

Man kann wohl von mindestens neunzig Prozent frauenorientierter Männer ausgehen, und wer allein in diesen Tatsachen (der Menge und der Triebrichtung) etwas Verlockendes sieht, dem bleibt ein breites Betätigungsfeld, um sich unglücklich zu machen.

Dennoch ist nicht zu leugnen, dass Männer für Schwule nun mal reizvoller sind als Frauen. Das ist weder Verdienst noch Fehler, sondern einfach Tatsache. Während aber hübsche Heteros auf anerkennende Männerblicke berechtigtermaßen geschmeichelt reagieren, hört man hässliche Heteros schon mal hin und wieder sagen, wie widerlich ihnen eine männliche Annäherung wäre. Größenwahnsinnige Befürchtung. Gerade die, die so unattraktiv sind, dass nur Frauen das schlucken, wenn überhaupt! Schwule flüchten sich stattdessen doch lieber zu ihrer Leib- und Magenfreundin, zu den vielseitigen Gesprächen und den ausgedehnten Wanderungen mit ihr, die durch nichts zu ersetzen sind. Na ja. Durch fast nichts. Der Traum, einen normalen Mann rumzukriegen, bleibt, aber der muss dann natürlich fesch sein wie ein Schwuler.

Kein Zweifel: Schwule und Frauen verbindet die Liebe zum Mann. Was verbindet schwule und heterosexuelle Männer? Der Trieb, und der ist stärker.

Frauen lieben einen Mann. Männer lieben eine Gattung: die Idee von Frau oder die Idee von Mann. Das findet nie Erfüllung, aber immer wieder ein Objekt. Wäre, so gesehen, der treueste Mann der am wenigsten männliche und der am hektischsten jagende für sein Geschlecht am typischsten? – Vielleicht. Das ganze Theoretisieren ist ohnehin müßig. Jeder ist halt, wie er ist, und natürlich wäre es besser, jeden als einmalig zu betrachten, als ihn auf der Skala von Männlich- oder Weiblichkeit festzunageln. Jeder wäre dann so männlich oder weiblich, wie er sich fühlt: Willst du Mann sein, sei Mann! Willst du Frau sein, sei Frau! Und jede Abwandlung sei auch erlaubt. Das ist die heutige Gender-Doktrin. Doch wie weit ist das wirklich verinnerlicht? Dass man jetzt immer die weibliche Form mitsagen muss: Lastkraftwagenfahrer und Lastkraftwagenfahrerinnen, Serienkiller und Serienkillerinnen, Strolche und Strolchinnen – das macht Reden und Essays etwas ungelenk, aber vielleicht ändert es wirklich etwas im Bewusstsein der Sprecher und der Angesprochenen. Bis es so weit ist, wird weiterhin der Ruf nach Quoten gegen den Bundestag anschallen. Aber das benennt nur das eine Problem, das es zu lösen gilt.

Die Menschheit regt sich und ihre Umgebung dauernd damit an und auf, wer wie wirkt. Darf man so sein? Muss man so sein? Idealistisches Denken, sittliches Empfinden, Anstand, Empörung, Verklemmung, Gier, Eifersucht, Neid – von den Höhen bis in die Niederungen und oft alles gleichzeitig. Das wird nie aufhören, weil es viel zu viel Spaß macht.

Frauen spielen gern: mit Gedanken und mit Gefühlen. Ansonsten sind sie praktisch und erdverbunden. Ein Opernbesuch ist eine solide Möglichkeit, Kulturbedürfnis und Schwärmerei unter einen Hut zu bringen.

Männer lieben Spiele: mit Karten und mit Bällen. Ansonsten sind sie unpraktisch und erfinderisch. Ein Opernbesuch ist eine solide Möglichkeit, Kulturbedürfnis und Schwärmerei ihrer Frau unter einen Hut zu bringen.

Schwule lieben es, Spiele zu spielen: mit Gedanken und mit Gefühlen. Sie spielen Karten aus und Bälle zu. Ansonsten sind sie erdverbunden und erfinderisch: Sie versuchen, den Himmel herunterzuholen oder sich hochzukatapultieren (meist gelingt das nur durch Selbstmord). Ein Opernbesuch ist eine solidere Möglichkeit, um dasselbe Ziel zu erreichen.

Gibt es denn gar keine Gemeinsamkeiten? – Na ja. Frauen (falls es Hetero-Frauen sind) sind am liebsten bei ihrem (jeweiligen) Mann, andere Männer wollen sie nicht, dann sind sie schon lieber mit anderen Frauen zusammen.

Lesbische Frauen sind am liebsten bei ihrer Freundin. Männer wollen sie nicht, dann sind sie schon lieber mit anderen Frauen zusammen.

Männer (falls es Hetero-Männer sind) sind am liebsten untereinander, es sei denn, ihr Gemüt sucht gerade eine Frau oder hat gerade eine gefunden.

Schwule Männer sind auch am liebsten untereinander, aber dann gehen sie auch gern wieder zu ihrer schon erwähnten besten Freundin, die mehr wert ist als alle Kerle zusammen.

Fazit: Am zweitliebsten sind sie allesamt mit Frauen zusammen.

42 Kommentare zu “Dialog 22: Per Anhalter

  1. Mir fällt auf, dass ich wirklich noch nie im Leben als Anhalter mitgefahren bin. Ob man da mitunter wirklich so interessante Menschen trifft, wie man in Erzählungen und Filmen sieht?

      1. Man erzählt halt meistens nur von den Erlebnissen, wo es etwas zu erzählen gab. Von allen anderen Mitfahrten bleibt man zum Glück selbst im Small Talk verschont.

  2. Die kreischende Tunte wurde zur Rarität, die elegsnte Dragqueen gehört hingegen längst zum Mainstream. Jedenfalls kenne ich viele (Hetero-)Freunde, die sich am Abend Ru Paul’s Drag Race anschauen.

      1. Im Fernsehen oder live? Dragkämpfe im Schlamm könnte ich mir eigentlich ganz gut vorstellen.

    1. Der Eurovision Song Contest ist noch so ein ziemlich schwules Großevent, das es in den Mainstream geschafft hat. Aber wahrscheinlich haben die meisten Zuschauer erstmal gar nicht gemerkt was sie sich da anschauen und dann war es auf einmal zu spät.

      1. War das schön, als noch Lys Assia und Udo Jürgens gewannen! Die seelenlosen Effekte jetzt sind mir zu stromlinienförmig. Bin um 21.00 Uhr ins Bett gegangen. Der Gay Punk aus Italien reichte mir heute als Facebook-Frühstück und schafft es bestimmt nicht in meinen ‚Liedschatten‘.

      2. Kunst im Wettbewerb ist ja auch schon im Ansatz eine absurde Idee. Gerade weil es ja eben nicht um so etwas wie Gesangstechnik geht, sondern um … naja um was eigentlich? Jedenfalls hat uns der italienische Sänger gelehrt, dass man vor laufender Kamera koksen kann (oder doch nicht?) und dass Unterwäsche überbewertet ist. Hätte schlimmer kommen können.

      3. Es geht um den größten gemeinsamsten Mainstream-Nenner. Und um viel, manchmal wie im Kölner Karneval etwas verkrampfte, gute Laune. Manchmal macht das aber trotzdem Spaß.

  3. Normale Männer werden schicker und in den größeren Städten kann man den Durchschnittshetero auch kaum vom Durchschnittsschwulen unterscheiden.

      1. Zumindest wenn man ein weitergehendes Interesse hat scheint das eine naheliegende Vorgehensweise zu sein. Wer gerne flirtet ist auf jeden Fall im Vorteil.

  4. Ich glaube man kann schon von deutlich unter neunzig Prozent frauenorientierter Männer ausgehen. In Umfragen liegt man ja meistens um die 10% LGBTQ-Zugehörigkeit, aber da kann man doch sicher sein, dass solche Fragen nicht alle ehrlich beantworten.

    1. Das glaube ich auch. Also über die Anteile bin ich ehrlich gesagt nicht informiert, aber dass jeder in solchen Umfragen frei von der Leber Auskunft gibt denke ich eben auch nicht.

      1. Selbstbetrug, falsche Scham … Man denkt an die fürchterlich falschen Wahlumfragen in den USA 2016

  5. Was macht den Mann aus? Da wird es nach Corona nochmal eine gehörige Portion Genderitis geben, wo man dieser Frage nachgehen wird. Ich glaube allerdings nicht, dass man sich da wirklich einig wird.

      1. Biologisch gesehen sollte das recht eindeutig sein. Wenn es um andere Eigenschaften geht wird sich dann aber doch gerne über die Definition eines echten Mannes gestritten.

      2. Für viele Schwule muss ein Mann ja ebenfalls richtig machomäßig männlich sein. Masc4masc heißt das dann neudeutsch. Vorbild ist dann anscheinend doch wieder John Wayne.

  6. Hahaha, die Schwindel-Übungen beim jungen Fensterputzer würde ich gerne sehen! Wieder ein ziemlich gelungener Dialog. Ich mag diese Absurditäten doch sehr.

    1. Diese kulturbedürftigen Menschen lassen sich spätestens jetzt alle mit Astra impfen und sind spätestens bis zum Saisonstart immunisiert.

      1. Ob zumindest die Psychiater einen Aufschwung erleben? Oder ist das doch alles nur ein großes Jammern?

      2. Anderen Generationen hat das Schicksal auch schon mal ein freudloses Jugendjahr ins Füllhorn gelegt. Die wenigsten sind daran zugrunde gegangen. Manche haben davon profitiert.

  7. Es macht ja immer Spaß sich Leute anzuschauen, z.B. am Sonntag im Café. Das Aufregen gehört halt eben auch dazu – und macht vielen sicher auch genauso viel Spaß wie das Schauen.

    1. Nur ist das Beobachten von Passanten meistens ja ziemlich unschuldig. Die Aufregung über das Anderssein von Menschen, die einem fremd sind, kann hingegen schnell bösartige Züge annehmen.

      1. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es einfacher (und eben leider auch oft lustiger) ist übereinander als miteinander zu reden.

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