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Europa im Kopf  —   8. Kapitel: Trentino/Alto Adige

#8.6 Porsche für Südtirol

Von da an lief alles nach Plan, also nicht erzählenswert.

Wir liefen mit Silke den Tappeinerweg entlang und aßen im Garten von ‚Schloss Labers‘, mit Blick auf Meran.

Foto links: Wikimedia Commons/gemeinfrei | Foto rechts: Noclador, Creative-Commons-Lizenz/Wikimedia Commons

Wir machten einen Ausflug zu Mary, die gegenüber den Harald-Zeiten nur noch ein ausgemergelter Schatten ihrer Selbst ist – geschrumpfte Vergangenheit.

Fotos (2): Privatarchiv H. R.

Wir fuhren zu Giuseppe und mit ihm nach Asolo. Wir tranken Grappa an der alten Holzbrücke von Bassano. Bevor wir zum Abendessen aufbrachen, rief zweimal die Tata an, Giuseppe schützte Geschäftliches vor. Als wir vom Lokal zurückkamen, hörten wir das Telefon schon von der Garage aus. Giuseppe hastete in die Diele, schrie „Si tata, vengo!“ in den Hörer, knallte uns eine Flasche auf den Tisch und brauste davon.

Foto: Pavel Rezac/Shutterstock

Für Silke war das und auch die Merkwürdigkeit des ‚Psycho‘-Hauses genauso neu wie am nächsten Tag die Innenstadt von Vicenza. Schaufenster interessieren sie womöglich mehr als Basiliken, aber Vicenza bietet ja – Gott und ‚Armani‘ sei Dank! – beides.

Foto links: Javen/Shutterstock | Foto rechts: Archaeodontosaurus, Creative-Commons-Lizenz/Wikimedia Commons

Der anderthalbstündige Umweg nach Sirmione bescherte uns das einzige Regenwetter während Silkes Aufenthalt. Es waren aber nicht weniger Touristen da als damals, als wir dort im Sonnenschein saßen, sie hatten bloß alle grün-lila Regenschirme aufgespannt, so dass man die schön gestrichenen Fassaden nicht so recht sehen konnte, und waren ihrerseits in Regenhäute verpackt, irgendwas zwischen Kondom und Hack aus der Feinkosttruhe, so boten sie sich dar.

Foto oben: wentus/Shutterstock | Foto links: structuresxx/Shutterstock | Foto rechts: begun1983/Shutterstock

Natürlich ging ich mit Silke auch ins selbe Lokal wie mit dir, bloß dass wir heute nicht wie damals am Gardasee saßen, sondern von einem großen Husumer Fenster aus aufs verhangene Wattenmeer blickten.

Foto links: travelpeter/Shutterstock | Foto rechts: Raiko – Bild in motion/Shutterstock

Als wir, wieder von Meran aus, den schönen Gang vom ‚Schloss Thurnstein‘ zum Schloss Tirol machten, war das Wetter wieder ganz prächtig, wir konnten aber nicht allzu lange verweilen, denn Guntram hatte bei Mary seinen Hut vergessen, und so musste der Vortagesausflug, gewissermaßen im Zeitraffer, noch mal gemacht werden, bevor wir bei ‚Förstler‘ unsere Rast einlegen konnten.

Die Tage vergingen wie im Fluge, und schon saß ich mit Silke in Bozens bestem Lokal ‚Kaiserkron‘ und spülte meine Appetitlosigkeit mit Rotwein weg.

Zuvor hatte ich ihr noch den Garten des Laurin gezeigt, in dem zu meiner großen Überraschung Betrieb war. Es wurde aber nicht getafelt, sondern das neue Porsche-Modell der interessierten Südtiroler Öffentlichkeit vorgestellt. Silkes leuchtenden Augen und vielen anschließenden Worten zufolge muss das für sie der Höhepunkt der Reise gewesen sein. Während des Martinis an der Hotelbar blätterte sie ganz begeistert in dem mitgenommenen Katalog und erzählte vom Porsche ihres Schwagers, vom Mercedes ihrer Schwester und von beider Mühle im Emsland. Sie ist mir so vertraut.

Fotos (2): H. R./Privatarchiv

Als ich sie an den verspäteten Zug brachte, musste ich mich so stark darauf konzentrieren, mir nicht in die Hosen zu machen, dass ich vergaß, sie nicht zum Abschied zu küssen, und so hatte ich am nächsten Tag ihre Erkältung, die sie sich geholt hatte, als sie – wider alle unsere Ermahnungen – aus modischen Gründen ärmellos einen kleinen, schattigen Gebirgssee in der Nähe unseres Lieblingsrestaurants umrundet hatte.

Fotos (2): H. R./Privatarchiv

Das Essen dort war diesmal übrigens eine Enttäuschung. Der Rehrücken sah aus wie vom Elch und war zäh und trocken, da half es auch nichts, dass es als Beilagen völlig gleich schmeckende Kartoffelzipfel, Kroketten, Spätzle und Pommes frites gab.

Fotos (2): H. R./Privatarchiv

Meine Erkältung beschäftigte mich die ganze Woche, weil Irene so gute Mittel hatte, um sie zu unterdrücken, dass sie nie richtig rauskam. Ich las aber trotzdem abends tapfer Hölderlin vor, bevor wir im TV Räuber und Gendarm sahen und während der Werbepausen erfuhren, wie begeistert die anderen Verschnupften von ‚Tempo‘-Taschentüchern sind.

Fotos (2): H. R./Privatarchiv

Auch im ‚Austernkeller‘ in München ging es mir nur mittelprächtig. Irene fühlte sich etwas fehl am Platz, weil sie für die Rückreise nicht die angebrachte Garderobe, sondern Hosen und Perücke trug, aber in unserer Nische fiel das nicht weiter auf. Ich fand die Austern trotzdem gut, Guntrams erste schmeckte gleich ‚gemein‘, dennoch fanden meine Eltern die Tiere zu klein.

Fotos (2): H. R./Privatarchiv

Irene sagte: „Ich komme mir ganz albern und altmodisch vor, wenn ich es schon wieder sage, aber alles wird immer schlechter.“

So weit der Text von 1997.

Foto: H. R./Privatarchiv

24 Kommentare zu “#8.6 Porsche für Südtirol

    1. Ich schließe mich an. Und gleich eine Frage im Anschluss: Waren Männer in den 70ern modisch grundsätzlich schon mal mutiger als heutzutage?

      1. Waren wir in den 70ern nicht generell schon einmal mutiger, freier, weiter als wir es heute sind?

  1. Was nach Plan läuft ist nicht erzählenswert. Wie wahr das ist. Die spannendsten Geschichten sind tatsächlichen immer diejenigen, über die man sich während des erlebten Moments am meisten aufregt.

    1. In furchtbaren Situationen ermahne ich mich deshalb immer: Halt durch! Halt durch! Es wird hinterher ganz herrlich zu erzählen sein – und im Gegensatz zu Relotius sogar wahr.

      1. Hahaha, perfekte Einstellung. Denk einfach daran, was du später erzählen kannst 😉

  2. Haha ich wünschte mir würde zumindest jedesmal eine Flasche auf den Tisch geknallt wenn ich irgendwo zurückgelassen werde 😉 Ein guter Wein macht doch alles ein wenig erträglicher.

  3. Wenn es um Erkältungsmittel geht, habe ich mittlerweile aufgegeben. Wie war das… mit Arznei verschwindet die Erkältung innerhalb einer Woche, ohne Arznei dauert sie sieben Tage.

    1. Ich schwöre trotz allem auf Ingwer und frisch gepresste Zitrone. Sein Immunsystem zu stärken kann ja eh nie schaden.

    2. Meine Großmutter sagte immer über den Schnupfen: „Drei Tage kommt er, drei Tage steht er, drei Tage geht er.“ Sie plante also zwei Tage mehr als Sie. Aber die Digitalisierung heute macht eben alles schneller …

    3. Erkältungen aus modischen Gründen kenne ich auch sehr gut, haha! Manchmal sollte man halt doch lieber eine warme Jacke drüber ziehen.

      1. Es kommt sehr darauf an, was man unter „Moral“ versteht: Keinen Sex vor der Ehe zu haben oder keine Ausländer zusammenzuschlagen. Unsere westlichen Moralvorstellungen halte ich wirklich für Errungenschaften, aber Mädchenbeschneider und Selbstmordattentäter finden ihre Sichtweise auch großartig.

      2. Das ist das große Dilemma, nicht wahr? (Fast) jeder tut ja, was er für richtig hält. Die wenigsten Menschen handeln entgegen ihrer moralischen Vorstellungen.

  4. Was für eine unglaubliche Aussicht. Im Schloss Thurnstein lässt es sich bestimmt ziemlich gut aushalten. Vielleicht sollte ich meine eigenen Urlaubspläne doch noch mal überdenken.

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