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Geschichte

Reise ohne Wiederkehr

Als ich Abitur machte, war ‚Elite‘ ein Schimpfwort. Elitär zu sein, war gesellschaftlich völlig daneben. Selbst wenn man sich heimlich als etwas Besseres fühlte, durfte man das keinesfalls aussprechen. Ein Professor, der behauptete, Begabung sei vererbbar, wurde damals von seinen Studenten nicht nur ausgepfiffen, sondern tätlich angegriffen. Man kann sich um Kopf und Kragen oder in den Bundestag reden. Sprache kann Karrieren befördern und vernichten. Wer als Dummschwätzer gilt, hat schon verloren. Wer wohlformulierten Blödsinn redet, kommt damit vielleicht sogar bis in die Chefetage. Was wir sagen oder schreiben, müssen wir vorher gedacht haben, und was wir nicht ausdrücken können, das können wir auch nicht gedacht haben. Die Diktatur braucht Untertanen. Die Demokratie braucht Bürger, die denken, abwägen und sich ein Urteil bilden können. Das bedeutet: Sprache begreifen und Sprache nicht nur benutzen, sondern sie auch nutzen – Ziele haben, ausdrücken und verwirklichen.

Foto: Public Domain/pixino

Stiftungen und andere Organisationen, die Menschen in Not helfen, sind unerlässlich. Die Stiftung, die ich ins Leben gerufen habe, setzt dabei nicht beim Sport oder bei den Naturwissenschaften an, sondern beim Wort, das ja, laut Bibel, ganz am Anfang war, also offenbar noch vor dem Urknall.

Foto: Public Domain/pixaby

Ich habe meine Geschichten früher mit der Schreibmaschine geschrieben. Fehler wurden ausge-ixt oder mit weißer Flüssigkeit übertüncht. Meistens waren meine Finger danach weißer als das Papier. Mein Vater brauchte, wenn er nicht mit der Hand schrieb, eine Sekretärin, der er diktierte. Aber sein Stil war makellos: treffende Wortwahl und geistreiche Formulierungen, die seine Persönlichkeit widerspiegelten: Eleganz und Witz.

Foto: H. R./Privatarchiv

Heute sind Sekretärinnen fast so überflüssig wie Rohrpostbeamtinnen. Jeder kann heute ein Smartphone oder ein Tablet bedienen. Der Unterschied zwischen Touchscreen-Mitteilung und handgeschriebenem Brief des 19. Jahrhunderts ist allerdings oft genauso groß wie der Unterschied zwischen einem Rembrandt und einem Handyfoto. Dennoch belegt diese moderne Form der Kommunikation sehr sinnfällig den herrschenden Zeitgeist. Zeitgeist und Lebensgefühl waren mir immer schon wichtig. Was wir anziehen und was wir essen, welche Musik wir hören und welche Fernsehserie wir sehen, das sagt über uns mindestens so viel aus wie das Personal, von dem wir uns regieren lassen.

Foto: Public Domain/pixaby

Seit Mitte der Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts habe ich in jedem Jahr einen Film erbastelt, in dem ich das Lebensgefühl unserer Clique und, so gut es ging, den Geist des ganzen Jahres einzufangen versucht habe. Ich bin sehr viel gereist damals. Aus dem neugierigen, aber oft auch getriebenen Wanderer der Goethezeit, war – fack ju, Göhte – der kosmopolitische Reisende des Jetsets geworden. Die einen sagen: „Seit es das Internet gibt, ist alles neu und nichts ist wie vorher.“ Die anderen sagen: „Die Menschen haben sich seit Cäsar und Kleopatra im Kern nicht geändert“, und vielleicht stimmt beides. Inzwischen darf man jedenfalls wieder ungestraft ‚Elite‘ sein wollen. Dafür muss man aber auch etwas tun, Begabung allein reicht nicht. Fleiß allein leider auch nicht. Anstrengungen bedeuten positiven Stress und sie zahlen sich aus: Man kann so gut wie alles unbeholfen ausdrücken – oder brillant. Eine treffende Formulierung ist mindestens so sexy wie ein Must-have-Sweatshirt und viel preiswerter.

Foto: Public Domain/Wikimedia Commons

Foto: Public Domain/pexels

(Auszug aus einer meiner Reden im Rahmen der Preisverleihung der GUNTRAM & IRENE RINKE STIFTUNG anlässlich des Schülerwettwerbs ‚Torgelow schreibt‘)

26 Kommentare zu “Reise ohne Wiederkehr

  1. Der größte Unterschied zwischen einer Touchscreen-Mitteilung und dem handgeschriebenem Brief des 19. Jahrhunderts ist doch die Geschwindigkeit. Man musste damals völlig anders kommunizieren, weil Zustellung und Antwort mitunter eine halbe Ewigkeit dauerten. Heute tauscht man innerhalb weniger Minuten eine Vielzahl von Nachrichten aus. Die schriftliche Kommunikation gleicht sich dadurch vielmehr dem Gespräch an.

    1. Das finde ich alles nicht so schlimm. Viel besorgniserregender ist doch, dass in der Schule kaum noch handschriftlich geschrieben wird. Dabei ist die Schreibschrift für den Lernprozess ungemein wichtig.

      1. Uns entgeht mit dem Verschwinden der Handschrift eine wichtige Möglichkeit der Charakterbildung und der Charakterdeutung. Aber man muss wohl schon froh sein, wenn Orthoraphie und Interpunktion halbwegs stimmen. Ist doch nicht so wichtig. Hauptsache ein guter Mensch! Na schön, dann seid mal gut, verzichtet auf Regeln und wartet, bis die fleißigen Chinese kommen.

      2. Dass China uns alle bald überholen wird ist sehr wahrscheinlich und trotzdem irgendwie nie richtig Thema.

      3. Sehr richtig. Während man sich hier zankt wie endlich die nötigen Voraussetzungen für 5G geschaffen werden sollen und wie flächendeckend Highspeed-Internet zu garantieren ist, stürmt man in China in die digitale Zukunft. Datenschutz ist natürlich überhäuft kein Thema, aber der Vorsprung wird nicht mehr einzuholen sein.

  2. Ich würde nicht übereinstimmen, dass Begabung vererbbar sei. Aber eine gute Erziehung und Bildung wird natürlich erst einmal von den Eltern weitergegeben.

    1. Dass Kinder aus guten Verhältnissen es einfacher haben, ist wohl allgemein bekannt. Mit Vererbung hat das dann wiederum nicht allzu viel zu tun.

    2. Dass gewisse Talente und Eigenheiten in bestimmten Familien häufiger vorkommen als in anderen, scheint mir sicher. Wenn äußerliche Merkmale zwischen Verwandten zu erkennen sind, wieso nicht auch in der Persönlichkeit? Dass darüber hinaus Erziehung prägt, ist selbstverständlich.

    1. Wer umsichtig mit seiner Sprache und seinen Äußerungen ist, bringt es sicherlich weiter im Leben. Von Karma mag man hier gar nicht reden.

  3. Ob eine Diktatur wirklich Untertanen braucht sei dahingestellt, aber unsere Demokratie braucht definitiv Bürger, die mitdenken und mitmachen. Man wünschte sich etwas mehr davon.

      1. Aber bleibt das wirklich die einzige Möglichkeit? Ich kann nicht glauben, dass die gesamte rechts-lehnende Wählerschaft rechts ist. Bei Trump ist ja beispielsweise mehr als offensichtlich, wie er seine Basis mit wilden Versprechen blendet.

  4. Mittlerweile glaube ich auch nicht mehr, dass sich die Menschheit viel verändert. Nicht mal im Angesicht des Global Warming und der Prognose, dass die Erde zerstört wird, wenn wir so weiter machen, schafft es der Großteil der Menschen sich zu ändern.

  5. Stiftungen, gerade Jugend-Förderung, sind so ungemein wichtig. Toll, dass Sie die Stiftung ihrer Eltern weiterhin persönlich betreuen.

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