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Fast am Ziel

Nein, nein | #43

Freitag, 29. Juli
Ein Tag, der der Entspannung dienen sollte, was er bis zum Abend auch tat. Wir schlugen unser Hauptquartier am Pool auf; Silke aalte sich im grellen Licht: Ihr Ehrgeiz verlangt nach gleichmäßiger Bräunung sämtlicher Seiten, die sie hat. Rafał flitzte durchs Gelände und ‚plumpste‘ von Zeit zu Zeit; ich lag altherrenhaft im Schatten, las kurz Fremdgeschriebenes und dachte dann so vor mich hin, wobei der Blick wunderbar ausruhte, weil die Lider, wenn der Schauplatz erst ausreichend wahrgenommen wurde, zuklappen dürfen wie Rollos im Schlafzimmer. Kein Lärm beeinträchtigte die Ohren, nur ein flauer Wind flatterte träge von den alttestamentarischen Ölbaumzweigen herüber unter unseren neuzeitlichen Sonnenschirm, und so konnten die inneren Bilder entstehen und Raum greifen. Taten sie aber nicht. Ich dachte ins Leere, wenn auch engagiert wie immer.

Wo finde ich Nahrung? Das war immer die vordringlichste Aufgabenstellung. Da es jenseits des Pools einen hübschen Essplatz gab, blieb uns diese Neandertaler-Frage erspart: Wo finde ich einen Vermehrungspartner? Das haben Silke und ich hinter uns, erfolglos, und Rafał regelt die Beantwortung auf seine Weise. Zwei weitere Fragen bestimmen das Leben von Menschen, die mehr wollen als unsere Freunde, die Tiere: 2. Hört die Ungerechtigkeit jemals auf? 1. Wird es ein Weiterleben nach dem Tod geben? Antwort auf 1 – Nein. Antwort auf 2 – Nein.

Fotos (2): Privatarchiv H. R.

Wir brauchen die Philosophie aller Denker, um zu lernen, unser Leben erst zu ertragen und dann zu ändern. Wir brauchen aber auch die Kraft, uns gegen alle zu wehren, die behaupten, erst wenn wir tot sind, käme das wahre Glück. Dabei haben die Überzeugten in diesem Punkt womöglich ungewollt recht: ‚Gar nichts‘ ist vielleicht besser als jede noch so geile Hölle und jeder noch so coole Himmel – trotzdem kein Modell, das trägt. Der Frevler ist nicht der, der zweifelt. Der Frevler ist der, der glaubt. Wer glaubt, billigt, was im Namen seiner Heilslehre geschieht: Steinigungen, Hexenverbrennungen, Judenvergasungen. Alle Gläubigen aller Konfessionen und Ideologien möchte ich steinigen, verbrennen und vergasen, um allen Fanatismus auszurotten. Und dann? Nur noch Deppen oder Demokraten? Die zukunftsgewisse Linke und die vergangenheitsgläubige Rechte helfen auch nicht weiter. Kirchen- und weltliche Oberhäupter bis hin zu den Abgeordneten haben oft Schwierigkeiten damit zu unterscheiden: Was ist das Heil meines Landes, was ist das Heil der Menschheit und was ist mein eigenes. Vielleicht muss ich doch mit den Päpsten und anderen gewählten Oberhäuptern leben – und mit denen, die sie wählen.

Wenn Hunger und Durst wegfallen, dann geht erst das so richtig los, was uns von unseren Freunden, den Tieren, unterscheidet: „Wir glauben, wir hoffen, wir denken“, sang Zarah Leander in dem verlogenen Tschaikowsky-Film ‚Es war eine rauschende Ballnacht‘. Aber während wir das tun, hängen wir an Symbolen, nicht an Realitäten. Nicht der Penis, die Vagina oder der Papst sind uns wichtig, sondern, das, was sie repräsentieren. Wenn das Mannsglied, das Weibsloch und das Kirchenoberhaupt anmutig sind, bestärkt uns das in unserem Glauben, und das bedeutet: Wir fallen rein auf etwas – wahrscheinlich auf Äußerlichkeiten, aber natürlich machen wir uns vor, es seien Innerlichkeiten, und wir akzeptieren die entsprechenden Vorschriften, im Glauben sowieso. Der Gedanke, der hinter all den Regeln steckt, ist gar nicht ausschlaggebend. All diese Essens-, Kleidungs- und Betvorschriften sind Vorwand. Das darf man den Leuten aber nicht sagen, sonst bricht Chaos aus. Dann würden alle machen, was sie wollen und damit sich selbst und alle anderen unglücklich. Jede Vorschrift, jedes Ge- oder Verbot geht von einem pessimistischen, na, vielleicht realistischen, Menschenbild aus. Da wird dann Allah, der Barmherzige, erfunden und es werden ihm Forderungen in den nicht vorhandenen Mund gelegt, die zu missachten schlimme Strafen nach sich zieht. Wer bisher in Slums und Kneipen keinen Sinn gefunden hat und zu abgestumpft oder zu blöd war, an geeigneteren Plätzen zu suchen, dem bietet der IS eine reelle Chance, aber Islam allein reicht auch schon: Einen Gott, der sich dafür interessiert, wann ich was esse, was ich anziehe und ob ich etwas trinke, in dem Spuren von Alkohol enthalten sind, solch einen Gott, den will ich nicht. Gott sei Dank gibt es ihn auch nicht. Die drei abrahamitischen Religionen sind die schlimmste Geisel, die menschenverachtende Männer über eine Spezies gebracht haben, die es einfach nicht schafft, die Krone der Schöpfung zu werden.

Der Islam gehört natürlich nicht zu Deutschland, und weitere Moscheen dürfen nicht gebaut werden. Netterweise rotten sich ja Sunniten und Schiiten gegenseitig aus über der elementaren Frage, ob das Kalifat oder das Imamat die Welt beherrschen soll, so wie sich Katholiken und Protestanten jahrhundertelang dezimiert haben, um die Frage zu klären, ob wir bei der Kommunion Jesusfleisch essen oder beim Oblatenverzehr bloß seiner gedenken. Kirchen dürfen auch nicht mehr gebaut werden, gleiches Unrecht für alle! Dass das Christentum zu Deutschland gehört wie das Judentum zu Israel ist zwar bedauerlich, aber kurzfristig wohl nicht zu ändern. Es fällt Menschen halt sehr schwer, nicht zu glauben; Tieren fällt das wesentlich leichter, deshalb sind sie auch wesentlich weniger zimperlich mit dem, was sie essen. Der Mensch hat zwar ein Bewusstsein, das zeichnet ihn aber nicht aus, sondern es gibt ihm nur mehr Verantwortung: Man isst nur, was nicht leiden musste. Schade, dass Kieselsteine – selbst kräftig gesalzen – nicht wohlschmeckend sind. Dass man sie nicht verdauen kann, ist für wahrhaft Überzeugte das geringere Problem. Aber das führt nun doch wieder zurück zum Essen.

Foto: Tatiana Bralnina/Shutterstock

So sehr ich das Weglassen des Frühstücks schätze, so sehr schätze ich an normalen Tagen eine Mahlzeit um dreizehn Uhr dreißig. Meine Umgebung ist damit einverstanden, und so schritten wir, als es halb zwei wurde, zu einem Imbiss im Freien. Unsere Freunde, die Tiere standen in Form von Carpaccio und Lammkotelett auf der Speisekarte. Nachdem die mediterranen Köstlichkeiten verzehrt waren, aalte sich Silke, Rafał plumpste und ich dachte. Folgenlose Hirngespinste zu ersinnen, ist eine bewährte Methode, um den Mittagsschlaf einzuleiten oder zu vermeiden.

Foto: Privatarchiv H. R.

5 Kommentare zu “Nein, nein | #43

  1. @Herr Rinke: „Der Frevler ist nicht der, der zweifelt. Der Frevler ist der, der glaubt. Wer glaubt, billigt, was im Namen seiner Heilslehre geschieht.“ Wie recht sie haben! Ich wünschte mehr Menschen würden diesen Zusammenhang verstehen.

    1. Ich auch. Aber zu glauben ist ein schönes Gefühl, für das man gern mordet oder betet. Zu zweifeln scheint weniger aufbauend zu sein, ist aber die Quelle des Fortschritts.

    2. Herr Rinke, Herr Russ, Herr Herdesheim… Das kann man doch nun wirklich nicht so zugespitzt sagen! Religion und Spiritualität ist etwas so Privates und Intimes. Man kann doch nicht jeden Gläubigen für die Missetaten und Fehler seiner Mitmenschen verantwortlich machen. Mein Glaube hat nichts mit der Radikalität anderer Menschen zu tun. Wird die Welt ein besserer Ort wenn ich nicht mehr bete? Atheismus als Rettung der Menschheit?
      Mir ist völlig klar, dass Sie in ihren Texten ab und an gerne provozieren bzw. bewusst übertreiben um uns Leser zum Nachdenken anzuregen, aber ihre Aussage wundert mich doch sehr. Diese Idee am Rande zum Populismus hätte ich von Ihnen nicht erwartet. Meinen Sie wirklich, dass Religion grundsätzlich etwas Schlechtes bzw. ein Aufruf zu etwas schlechtem ist? Kann man nicht sogar als Gläubiger zweifeln?

  2. Jeder erst zu nehmende Gläubige zweifelt bisweilen. Ich war ein sehr gläubiger Katholik, vielleicht hat mich die Enttäuschung, es nicht mehr zu sein, so rigide gemacht. Die Menschen brauchen Religionen. Mich brauchen sie nicht.

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