Teilen:

0104
Religion

Ostern: zwischen glauben und suchen

Foto links: Privatarchiv H. R. | Foto rechts: Wikimedia Commons/gemeinfrei

Also, als ich sechs war, da feierte ich mit allen anderen Katholiken, dass Jesus zwar gestorben war, aber nicht so ganz. Dass er, obwohl er tot war, nach drei Tagen wieder aufstehen konnte, hielt ich nicht der Medizin zugute, sondern seinem Vater, der sich auf diese Weise wohl dafür entschuldigen wollte, dass er ihn zu jenen Schreckensgeschöpfen runterbeordert hatte, die er durch Strafmaßnahmen wie Paradiesvertreibung, Sintflut und Schwefelregen auf Sodom immer noch nicht zur Raison gebracht hatte. Statt denen schon damals Hitler und KZs zu schicken, versuchte er es erst mal mit … – was oder wem eigentlich? – … Maria wird es schon wissen.

Foto: Wikimedia Commons/gemeinfrei

Aber dass der Vater ihn dann nicht gleich nach Hause gelassen hat, sondern erst mal noch – wenn auch verklärt – durch die palästinensische Gegend laufen ließ, fand ich etwas unbarmherzig: so, als hätte er ihn vor der Himmelfahrt auf dem Jahrmarkt ausgestellt, damit Thomas und die anderen Schaulustigen wieder was zum Betatschen und danach zum Glauben hätten. Stimmt, ganz so weit dachte ich damals vielleicht noch nicht. Mit sechs denkt man schon, aber nicht nach. Komisch kam mir das Ganze trotzdem vor. Aber es gab ja Gott sei Dank noch mehr …

… Osternester zum Beispiel. Wir hatten einen schönen, steil abschüssigen Garten zum Koenigssee hin, Berlin-Grunewald. Verstecken, suchen, finden, das mochte ich. Ärgerlich, dass ich Süßigkeiten nicht mochte: Die Weihnachtsmänner und Osterhasen der diversen Jahre blieben im Antiquariat meines Kinderzimmerschrankes verwahrt. Ganz schlimm waren die Fondant-Eier, die mir meine Großmutter aus der Ostzone schickte: ein Stückchen davon im Mund, und man wollte sechs Wochen lang keinen Nachtisch mehr essen. Aber auch die kleinen Eier in buntem Stanniolpapier fand ich blöd, und am schrecklichsten waren Eier, die mit ‚Knickebein‘ gefüllt waren. Wer reinbiss, bekleckerte seine Osterbluse unweigerlich mit der grässlichen Pampe. All solches Zeug sammelte ich, statt es zu essen. Mit sechzehn würde ich ein Museum eröffnen können. Aber dann musste ich die überständigen Objekte auf Befehl meiner strengen Mutter doch schon eher entsorgen.

Finden, bloß um zu finden, ohne das Gefundene zu wollen, das hat mich Abstrahieren gelehrt, und so begann ich, allmählich auch Jesus etwas abstrakter zu sehen als zwischen Krippe und Kreuz. Inzwischen ist mir Gott sogar so abstrakt geworden, dass ich ihn für nicht viel wahrscheinlicher halte als den Osterhasen. Georg Franck von Franckenau erwähnte ihn 1682 Jahre nach Jesus zum ersten Mal schriftlich: In der Pfalz, im Elsass und in Westfalen versteckte der Osterhase die Eier in Gärten, wo sie – da ist sich Wikipedia sicher – ‚zur Freude und Belustigung der Erwachsenen von den Kindern gesucht würden …‘ – O-Ton Franck: „… eine Fabel, die man Simpeln und Kindern aufbindet.“ Als genauso eine Fabel sah ich dann auch Jesu Leben und Tod.

Aber selbst wo der Glaube an die Botschaft fehlt, bleibt doch der Ritus, lehrt Goethes Osterspaziergang. Weiß ich aber – fack ju Göhte – auch selber. Als ich klein war, tauchten meine Mutter und ich hartgekochte Eier in Näpfchen mit Farbe. Die Schweinerei war groß. Anschließend wurden die Eier mit Speckschwarte eingerieben, damit sie schön glänzten. Einige Eier waren geplatzt, die mussten Ostersonntag immer als Erstes gegessen werden, damit sie weg waren. Wenn man sie auspellte, war das Eiweiß an der Bruchstelle rot, grün, blau oder gar lila. Ich aß es tapfer. Harte Eier mit viel Salz und einem Klecks Butter mochte ich. Selbst wenn das Eigelb nach ein paar Tagen an den Rändern grün geworden war, war ich von der Patina beeindruckt, aber nicht abgestoßen.

Foto: miramalee/Shutterstock

Während der nur von unserem Pfarrer Nebeling auf der Kanzel ernst genommenen Fastenzeit bliesen wir rohe Eier aus: Oben und unten wurde mit einer Nähnadel ein Loch in die Schale gestoßen, manchmal zerbrach mir dabei ein Ei – jedenfalls gab es an diesen Tagen abends immer reichlich Rührei. Mit viel Tomate und Schnittlauch. Die Bemalung mit Deckfarbe und Tuschpinsel gelang meiner Mutter deutlich besser als mir. Sie konnte sogar Gesichter, die womöglich noch Hüte oder Kopftücher bekamen und dann in hohen Vasen auf Zweige gehängt wurden, von denen man hoffte, dass sie bis Ostern ergrünen würden. Meine Mutter war eben von Beruf ‚Hausfrau‘, eigentlich ‚Dame‘, aber so nannte man das nicht.

Später gab es Abweichungen. Die bequemste: Wir gingen nicht mehr in die Kirche. Die umständlichste: Die Eier wurden nicht einfach hart verzehrt, sie wurden verarbeitet. Das Eigelb wurde zerstampft, mit Senf, Kapern, Olivenöl, Pfeffer und Hühnerbrühe von ‚Knorr‘ geadelt und dann wieder als Hügelchen in die Eiweißvertiefung gestopft. Herrliche Tradition. Inzwischen verfeinere ich noch mit Sardellenpaste oder – für noch Mutigere wie mich – mit kleingeschnittener echter Sardelle.

Am Ostermorgen blieb es beim unpräparierten Ei. Vater, Mutter, Kind teilten ihr Ei in zwei Hälften. Wir standen auf vom Tisch, umarmten einander und sagten: „Frohe Ostern!“. Dabei gab man seine Hälfte ab und bekam die des Geküssten. Hatte man sich also bescheiden das murkeligste Ei aus der Schale gegriffen, so konnte man sich bei diesem Akt der Nächstenliebe nur verbessern.

Foto: Privatarchiv H. R.

Das Frühstück wurde zum Brunch, und statt gekochten Schinkens gab es Lachs. Wir feierten mehr einander als die Auferstehung, doch von der schwelgerischen Ausgelassenheit einer russischen Ostertafel waren wir weit entfernt. Aber: Es blieb eine Bestätigung – zumindest von Zugehörigkeit – und auch ein Bewusstsein abendländischer Kultur. Hier als Beweis für Thomas und andere Ungläubige „Ostern 1983“:

Natürlich hatte das leidige Eierfärben in bunten Näpfchen längst aufgehört. Meine Mutter warf die ausreichende Menge von Eiern in kochendes Wasser mit viel Zwiebelschale. Die Eier wurden herrlich. Goldgelb die weißen, die braunen Eier wie Bronze, und alle ohne diesen Fleck an der Stelle, auf der das Ei im Farbbad gelegen hatte. Warum nicht gleich so? Küchen-Erleichterungen sind eigentlich mehr die Berufstätigen-Variante. Hausfrauen und Kinder muss man beschäftigen. Da wurde halt gebacken, gepflanzt, gefärbt. Jetzt ist das wohl alles anders.

Ich habe keinen Anteil an den Gepflogenheiten anderer Sippen, nicht mal an den Gebräuchen meiner Cousinen. Die Restaurants für die beiden Feiertage im Jahr 2018 sind gebucht. Dieselben Menschen wie zu Weihnachten werden um mich sein. Den christlichen Gedanken werde ich nicht aus den Augen verlieren, und auch beim Verzehr des Osterlamms werde ich daran denken, dass zu viel geschlachtet wird. Reicht das? Bloß ‚bio‘ zu essen, ist kein besonders weitreichender Einsatz für die Menschheit. Aber Kinder in die Welt zu setzen, die man nicht ernähren kann, ist eine viel bedrohlichere Unachtsamkeit. Der Mangel an Abtreibungen in Afrika wird der nächsten Generation genauso zu schaffen machen wie die Notwendigkeit, in Europa Millionen von Rentnern durch eine zu geringe Zahl von Arbeitenden durchfüttern zu müssen. Noch ist ja Zeit. Zu allen Themen wird nach einem Blick in die Umfragewerte die GroKo, um keinen Shitstorm zu riskieren, die alternativloseste aller Entscheidungen fällen. Vertrauen ist gut. Kontrolle klappt nicht immer.

Foto links: dietwalther/Fotolia | Foto rechts: Kostas Koufogiorgos/Fotolia

Uns allen wünsche ich zu Ostern große Freude und ein bisschen besinnliche Einkehr: Was tut uns gut, was tut der Welt gut? Dass wir es nicht wissen, heißt nicht, dass wir gedankenlos darüber hinweggehen dürfen.

Was legen eigentlich Veganer ihren Kindern in die Nester? ‚Glutenfreie Schokolade auf Basis von Sojaprotein.‘ Aha. In Abwandlung der Börsenabsage: Ich wünsche Ihnen allen schöne Tage, was auch immer Sie in den Mund nehmen.

Herzlich
Hanno Rinke

14 Kommentare zu “Ostern: zwischen glauben und suchen

  1. Ich bin selbst zwar auch gar kein großer Schokoladenfan, aber meine Kinder lieben die morgendliche Suche nach ihren Osterhasen und- eiern einfach zu sehr 🙂 Frohes Osterfest allerseits.

  2. …und trotzdem ist’s interessant (und wahrscheinlich auch richtig so!), dass sich das wichtigste Fest der Katholiken hauptsächlich um Schokoladeneier dreht.

  3. Ein bischen Ruhe und Einkehr würde uns wohl allen gut tun. Politiker, Fake-News-Schreier und Despoten eingeschlossen.

  4. Lieber Hanno,
    wir sitzen hier österlich in Berlin. Essen können wir wegen einer Magenverstimmung leider gar nichts, nicht mal ein leichtes Rührei.
    Aber was soll’s: Dein Blog vertreibt auf beste Weise die trübe Stimmung.

    Danke und Dir ein schönes Fest wünscht Heidi

  5. „Bloß Bio zu essen, ist kein besonders weitreichender Einsatz für die Menschheit.“ Endlich sagt es jemand. Manchmal verschlägt es mir nämlich vor lauter Naivität die Sprache. Ja, man sollte auf den Strohhalm verzichten. Nein, es muss nicht jeden Tag Fleisch sein. Aber ein wenig mehr Reflexion und Engagement darf es schon sein.

  6. Heute Morgen einen Schneemann gebaut, jetzt abends beinahe im Hochwasser ertrunken. Den Osterspaziergang trocken im Auto erledigt. Den lieben Gott einen solchen sein gelassen. Den Hasen als Karnickel schon gestern beim Italiener vertilgt und mich vorher versichert, dass es sich nicht um einen Unfalltoten handelt. Immer wieder schön an der Ostsee. Wenigstens des durchschlagenden Erfolgs von urbi et orbi können wir sicher sein. In diesem Sinn: Fröhliche Ostern.

    1. Ich dachte immer, dass Unfalltote beseitigt und nur Geschlachtete gegessen werden. Aber ob Lammkeule, Marzipanhasen oder Tofueier – Hauptsache, es schmeckt: dem Gaumen und dem Gewissen.

  7. Was fängt man als Nicht-Gläubiger denn nun mit diesen Feiertagen an, wenn man nicht Ostern, Pessach oder Newroz feiert? Genügend freie Zeit zum Nachdenken hat man während diesem langen Wochenende ja wirklich. Wiederauferstehung, Befreiung, Neubeginn…die Gemeinsamkeit ist vielleicht einfach die Feier des Lebens an sich. Ob in der Kirche, im Berghain oder im Süßigkeitenladen kann dann jeder selbst entscheiden.

    1. Was ist eigentlich „feiern“? An der Bar abhängen, bei Whisky/Cola chillen, dummes Zeug quatschen, sich totlachen, zur Kommunion gehen, die Nacht durchtanzen, in der Masse grölen, Rotkäppchen und Buttercreme??? Ich bin wohl nicht sehr feierlich.

    2. Wenn feiern Party machen heisst, dann geht’s wohl oft um dummes Zeug labern und Rotkäppchen trinken. Im Zusammenhang oben dachte ich eher an feiern = das Leben als solches anerkennen, ehren, genießen, das Positive sehen, tun was einem und anderen Freude macht. Ein Fest braucht man dafür wahrlich nicht. Aber wenn schonmal eines da ist…

Schreiben Sie einen Kommentar!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

1 × 3 =