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Religion

Pfingsten

Das Pfingstereignis, ‚Pentekoste – der fünfzigste Tag nach Pessach‘ gilt als Entstehungsdatum der christlichen Kirche. Da sorgt keine Geburt, kein Tod, keine Brotvermehrung für Schlagzeilen. Da saßen einfach fromme Juden aus Jesu Umfeld zusammen, um das Schawuot-Fest zu feiern – und plötzlich ‚hielt der Heilige Geist Einkehr in ihren Seelen‘. Man muss ihn sich ja nicht unbedingt wie eine Taube auf dem jetzt menschenleeren Markusplatz vorstellen. Jedenfalls: ‚Sie sprachen mit einer Zunge‘.

Gott nahm also an diesem Tag seine babylonische Sprachverwirrung wieder zurück. Ein hübscher Gedanke. Leider währte das Glück nur kurze Zeit. Inzwischen verstehen sich Trump und Xi Jinping auch mit Dolmetscher nicht. Aber die Bevölkerungen sind nicht viel besser.

Medienumfragen zufolge tragen die Schlangesteher/-innen vor den wieder geöffneten Läden zwar Masken, sie wissen Bescheid über die ein Meter fünfzig Abstand zu ihrem Nächsten und dessen Frau, aber den arbeitsfreien Montag schieben sie wie alles andere Corona in die Schuhe. Da werden dann die Leute nicht in ihr Homeoffice gehen, und ihre Kinder nicht in die Kitas, aber keiner weiß, warum nicht. Der Heilige Geist will sie beflügeln und sucht emsig nach Zugang zu ihren Köpfen, in denen noch der Krankheitserreger oder schon die Gegenmaßnahmen für Unheil sorgen. Wir brauchen die Zuversicht, eine bessere Zukunft durchsetzen zu können. Friedenstaube gegen Unglücksrabe. Mutbürger contra Wutbürger. Der deutsche Blut- und Tobenbürger hat zwanzig Rollen Klopapier im Keller. Oben in der Guten Stube wettern er und sie gegen Merkels Eingriff in ihr Leben und Bill Gates’ Chip in ihrem Hirn. Die vom Heiligen Geist Erleuchteteren glauben an die Chance, die Menschheit endlich wecken zu können: Achtet eure Umwelt wie euch selbst!

Bis vor Kurzem verharrte der Heilige Geist still im Taubenschlag, draußen redete jeder, wie ihm der Schnabel gewachsen war. Dann kam die Zeit der Sprachlosigkeit. Ihr folgte eine Zeit täglich wechselnder Einsichten: Die Sprachverwirrung war perfekt. Und jetzt? Mit einer Zunge werden wir nie sprechen, das ist in einer Demokratie auch nicht wünschenswert, aber lernen aus unseren Erfahrungen und unsere Zukunft gestalten: Das wollen wir. Ärmer sind wir jetzt wahrscheinlich, aber sind wir auch klüger? Hoffentlich. Flieg, Taube, flieg!

Illustration: Schmidsi/Pixabay | Titelillustration: Agnes Avagyan/www.Live-Karikaturen.ch, CC BY-SA 4.0

26 Kommentare zu “Pfingsten

  1. Die Läden sind größtenteils wieder geöffnet, und man beschwert sich alternativ über die, die es noch nicht sind, oder über die, die so verantwortungslos sind sich tatsächlich im Rahmen der Bundesleitlinien zu bewegen und mit ihrer Wiederöffnung hunderte Menschen gefährden. Abstruse Welt.

      1. Tut sie doch auch. Wobei die Meckerer behaupten ja es wäre gar keine Demokratie mehr.

  2. Daran, wie wenig Menschen sich wirklich noch um Pfingsten kümmern, sieht man doch, wie unwichtig Religion eigentlich bei uns geworden ist.

    1. Ostern gibt es Schoko-Eier und Weihnachten Geschenke. Da kann man sich nicht wundern, dass Pfingsten nicht den gleichen Stellenwert hat.

      1. In Böhmen gibt es immerhin die Pfingstbrezel, die Kindern über Nacht vor die Haustür gelegt wird. Die Allgäuer Brotvögel, die man origineller Weise durch das Kirchendach in die Kirche wirft, wurden 1803 als „geistlose und zweckwidrige Zeremonie“ zwar verboten, aber ab und an findet man sie schon noch beim Bäcker. Vielleicht könnte man sich die Bedeutung des Fests besser merken, wenn es überall solch kleine Besonderheiten gäbe?

    1. Die Kontrollfunktion lässt sich doch nicht durch den Kontrollieren kontrollieren! Wir tun gar nichts mehr und Big Brother guckt uns in seinem Wohnzimmer dabei zu: spannend wie Bibel TV nach Mitternacht.

      1. Das Traurige ist, es guckt ja nicht mal jemand zu. Da kommen unsere Daten in eine schöne Excel-Tabelle nur für den Fall, dass Bill abends auf dem Sofa mal nachlesen möchte wo man gerade so war.

      2. Das ist ja ein Mysterium, dass sich nie erschließen lässt. Bill Gates und Hillary Clinton wollen die Weltherrschaft an sich reißen, zur Not auch durch Implantate, Gehirnwäsche, Umprogrammierung unserer Nervenbahnen. Aber Donald Trump ist der Retter, der die Wahrheiten endlich ganz klar ausspricht.

  3. Mein Klopapier geht nach zwei Monaten Lockdown langsam zu Neige. Aber man traut sich ja fast nicht mehr mit einem Paket vom Supermarkt nach Hause zu laufen 😉

  4. Kümmert man sich überhaupt darum warum man einen arbeitsfreien Montag hat? Über Pfingsten habe ich jedenfalls noch niemand meckern hören.

    1. Religiöse Feiertage sind ja eh irgendwie schräg. Aber klar, den zusätzlichen freien Tag nimmt man gerne mit.

      1. Dann möchte ich aber gerne mal den Tag sehen, an dem Weihnachten abgeschafft wird. Es käme wahrscheinlich zu Straßenkämpfen wie noch nie gesehen.

      2. Ich muss immer daran denken, wie es ein Thema wurde, dass man in den USA angeblich das Wort „Weihnachten“ nicht mehr benutzen dürfe. Dort wäre ein weihnachtsloses Jahr jedenfalls skandalöser als es momentan George Floyd ist. Sehr traurig, aber leider wahr.

    2. Die Inititoren eines jeden Feiertages wären sicher bestürzt zu erfahren: die Leute machen einfach blau und kümmern sich nicht um den hehren Ursprung ihrer Arbeitslosigkeit. Früher war Feiern Beten und Loben, heute ist es Saufen und Toben. Dekadent!

      1. Ich musste zugegebener Maßen gerade sogar nochmal googeln warum der 8.Mai dieses Jahr einmaliger Feiertag war. Peinlich. Was kann man machen.

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