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Religion

Die letzten Dinge (1)

Ich kann nicht länger schweigen! Obwohl ich es mir auferlegt habe: Ein Gelübde auf Zeit, doch die ist jetzt um. Zu viel hat sich inzwischen neben Cholesterin in meinem Inneren aufgestaut, und, so unterschiedlich die Todesmöglichkeiten auch waren, die ich mir mit wohligem Schaudern immer wieder mal für mich zurechtfantasiert habe, (Sterben, das mich aus Lustlosigkeit meines unwilligen Leibes oder aus Märtyrerlust meiner unsterblichen Seele erwischt hätte zum Beispiel), aber an meinen ungeäußerten Gedanken zu ersticken, das passte noch nie ins Schema. Deshalb nun Folgendes:

Foto oben links: Andreas Praefcke/Public Domain/Wikimedia Commons | Foto oben rechts: Web Gallery of Art/Public Domain/Wikimedia Commons | Foto unten: de:Lothar Brieger/Public Domain, Wikimedia Commons

Jüdische Beschneidung, damit Gott die kleinen Buben mag, muss überall strengstens unter Strafe gestellt werden. Islamische Beschneidung für Allah ebenfalls. Ja, ich weiß, Jehova droht Moses im 1. Buch Mose, Kapitel 17: „Und wo ein Mannsbild nicht wird beschnitten an der Vorhaut seines Fleisches, des Seele soll ausgerottet werden …“, da kenne er kein Pardon. Glaube ich das? Eher nicht, und deshalb lasse ich das Pochen auf Tradition gar nicht erst gelten, denn sonst hätten wir womöglich immer noch Spießrutenlaufen und Prügelstrafe in Preußen und reihten Mädchenbeschneidungen unter „Folklore“ ein; doch auch so brauchen wir uns die Irrwege anderer Kulturen nicht aufzuhalsen. Allerdings bin ich dafür, Beschneidungen aus hygienischen Gründen gleich nach der Geburt an Männerbabys weltweit im Krankenhaus durchzuführen: Der Herr hat dem Mann die Vorhaut gegeben, der Arzt nimmt sie ihm wieder weg. Bei Heimgeburten erledigt das der quotenbedingte Hebammerich.

Foto: eim_Ran/Shutterstock

Jedes halbwegs skandalträchtige Thema wie dieses wird heute so lange dramatisch zugespitzt, bis sich prominente Zeitzeugen öffentlich fragen, ob sie überhaupt noch da leben wollen, wo sie leben. In Deutschland nämlich. Das ist dann natürlich als Drohung gemeint. Charlotte Knobloch, die bei evangelischem Stammbaum „Zwiebel“ hieße und ihre Kinder mit Jesu Kreuzigung erschrecken würde, statt dessen jedoch Vorsitzende des Zentralrats der Juden war, sieht, schreibt sie, ihre „religiösen Fundamente in den Dreck gezogen“. Die Ehre der Frau befand sich jahrhundertelang als Häutchen am Scheideneingang. Die Gottgefälligkeit des Mannes besteht offenbar für viele noch immer in der freigelegten Eichel.

Foto: DIRECTMEDIA Publishing GmbH/Public Domain, Wikimedia Commons

Will ich noch in Deutschland leben, wenn rechtsradikale Schläger eine reale Bedrohung werden? Nein. Wenn der Staat mir vorschreibt, wo ich was rauchen, trinken, essen, anziehen, sagen und denken soll? Nein. Wenn ich 75 Prozent Steuern zahlen soll? Nein, dann rede ich aber nicht lange, sondern gehe weg, so wie reiche Griechen, wenn ihnen angedroht wird, dass ihr Staat anfangen will, seine Aufgaben wahrzunehmen.

Foto: Public Domain/pxhere

Die Menschen hören gar nicht mehr zu, aber sie regen sich schnell auf. Allerdings auch schnell wieder ab und nehmen hin, was vergeudet oder beschlossen wurde. Dann wird halt im Lokal und im Zug nicht mehr geraucht. Ist schön für mich Nichtraucher, wenn ich jetzt, während ich ein nettes Kalbsfilet esse, nicht mehr den Qualm der Zigarren vom Nachbartisch aufsaugen muss, weil die soignierten Herren da bereits beim Mokka sitzen. Wenn mir aber Wein, Schwein und Shorts verboten werden, die normalerweise nicht qualmen, ist der Eingriff schon krasser. Wein darf in der Kirche nur der Priester trinken, finde ich in Ordnung, Shorts darf dort niemand tragen, das sollte gesetzlich verankert und auch außerhalb der Gotteshäuser Vorschrift werden. Erlaubnis wird nach figürlicher Betrachtung des Antragstellers für Badeanstalten und Urlaubsorte bei Eignung gewährt, allerdings bei Tragen von beigen Socken in Sandalen widerrufen. Drogen müssen grundsätzlich erlaubt werden. Die Lebens- und Beerdigungskosten Süchtiggewordener kann die Allgemeinheit eher verkraften als die weltweite Macht der Mafia und Kartelle. Schweinswürste dürfen im Freien nur gegrillt werden, wenn der Gestank niemanden belästigt, also gar nicht, das gilt auch für Lamm-, Rind-, Fisch- und Menschenfleisch und für das Geräusch spielender Kinder mit Ausnahme der eigenen.

Foto: EinDao/Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International, Wikimedia Commons

Verbote beflügeln. Wenn ich, am Gestade weilend, über einem Damenschnürschuh bloß den Knöchel sehe, kann ich bei entsprechend ausgerichtetem Sexualtrieb die ganze Nacht lang davon träumen, was oberhalb kommt. Blicke ich am Strand einen Tag lang auf blanke Brüste, träume ich nachts bloß von Aktienkurven.

Ohne Verbote wäre ein Zusammenleben nicht möglich. Erstaunlich, wo es bei den Tieren doch auch ohne geht. Wohl, weil sie keine Neigung haben, vom Baum der Erkenntnis zu naschen, und man ihnen deshalb keine Strafen androhen muss für den Fall, dass sie gern Zusammenhänge begreifen oder Spaß haben wollen. Platzhirsche sehen das ähnlich. Menschen dagegen wollen fressen, ficken und Fußball gucken. Also muss man ihnen erläutern, wie ungesund Nahrung ist, die ihnen schmeckt, wie krank Gruppensex ist oder macht und Millionen für Übertragungsrechte von Spielen ausgeben, deren Stadien und hochbezahlte Akteure mit Reklame zugepflastert sind. Wenn dann ein Stürmer aus Nigeria, der für Schalke schießt, einen Torwart aus Ghana, der für Borussia hätte halten sollen, beim Elfmeter überlistet, dann prügelt sich anschließend das halbe Ruhrgebiet, und dabei geht es dann weder um Afrika noch um Gelsenkirchen oder Dortmund, sondern um Sein oder Nichtsein. Wer schon selbst nichts zu Sieg oder Niederlage – außer durch Pfiffe – beigetragen hat, der kann hinterher durch Schlagen oder Schimpfen sein Schicksal doch noch in die Hand oder in den Mund nehmen.

Foto: Public Domain/pxhere

In der Politik ist es genauso, und dann beschimpfen alle, die es noch viel schlechter gemacht hätten, die, die ihr Bestes getan haben. Das Beste ist eben nicht immer gut genug. Um Gott zu sein, braucht man mehr: Politikern gelingt das nur in religionsähnlichen totalitären Systemen, Sportlern nur bei Siegen. Sport und Religion haben viel gemeinsam. Die Gläubigkeit, die Begeisterung, die Verdummung. Spitzensportler eignen sich wie Götter nicht zum Nacheifern, sondern nur zum Anbeten. Warum ein Stürmer oder ein Weitspringer größere Massen beflügelt als Bach, versteht besonders gut ein Rockstar mit seinen vier Typen, weil er ja auch eindrucksvollere Ansammlungen zustande bringt als die Kunst der Fuge für Streichquartett und Cembalo. Er selbst verdient zwar sowieso eine Menge, aber das Spezialpublikum muss für Ausgefalleneres als ihn ein paar Scheine dazulegen: in Salzburg, beim Sex und beim Essen. Ungerecht ist, dass, wer gern Hummer isst, mehr Geld zum Leben braucht als der, dessen Lieblingsessen Matjesburger sind. Wie kann demokratische Politik das ausgleichen? Nur, indem sie allen reichlich Matjesburger verspricht und nach der Wahl zusieht, was an Hummern für die Bedürftigen und Parteispender übrigbleibt.

Foto oben links: Public Domain/Wikimedia Commons | Foto oben rechts: Public Domain/pxhere | Foto unten: Public Domain/pexels

24 Kommentare zu “Die letzten Dinge (1)

  1. Beschneidungen aus hygienischen Gründen … im aufgeklärten Westen wo am liebsten dreimal am Tag geduscht wird … was für ein ausgemachter Schwachsinn.

    1. Was ist denn das wieder für eine seltsame politisch korrekte Diskussion? Mittlerweile sollte anscheinend alles verboten werden.

    2. Diskussion hin oder her, dass das bischen Haut zu den religiösen Fundamenten gehört zeigt doch schon, wie lächerlich das alles ist.

  2. Es braucht Verbote. Ohne geht es nicht. Schauen Sie doch einmal Richtung USA, wo über alles und jeden selbst entschieden werden soll. Da streitet man sich dann jahrzehntelang ob eine Krankenversicherung dieses Recht beschneidet. Oder ob das Recht ein Maschinengewehr zu besitzen weggenommen werden darf. So möchte man ebenso wenig leben.

  3. Alles, was niemand anderem, sondern nur mir selbst schadet, sollte im Grundsatz Erwachsenen erlaubt sein, denke ich. Aber dann denke ich an die Folgen für die Gesellschaft und sehe: das geht wohl doch nicht.

    1. Eine Welt ohne Verbote würde im Chaos enden. Die Menschen sind nicht für das Miteinanderleben gemacht. Traurig aber wahr.

  4. Will ich noch in Deutschland leben wenn die AfD salonfähig wird habe ich mich auch schon gefragt. Momentan sehe ich allerdings auch keine wirkliche Alternative.

  5. Es ist so wahnsinnig befriedigend sich aufzuregen. Je unbedeutender der Anlass desto mehr Spaß bringt es natürlich.

      1. Das Internet und das riesige Angebot von informationen hat so viele Vorteile, aber leider geht damit auch eine Oberflächlichkeit einher. Man hat oder nimmt sich einfach kaum noch die Zeit sich mit einem Thema lange genug auseinanderzusetzen um eine fundierte Meinung zu haben.

  6. Mich würde allerdings schon interessieren welche Publikumsmassen ein Bach-Konzert anlocken würde, würde der gute Mann noch einmal für ein kurzes Gastspiel auf die Erde zurückkehren 😉

    1. Nur noch eine Frage der Vermarktung: Jeden Abend Werbung unmittelbar vor der Tagesschau und Gastauftritt bei Helene Fischer. Dann braucht Johann Sebastian nicht mal mehr ins Dschungelcamp.

      1. Hahaha, ser Plan klingt gut. Ich wahr neulich sehr geschockt, als ich hörte, dass Helene Fischer im letzten Jahr mehr verdient hat als Céline Dion. Komische Welt.

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