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0302
Religion

Ein frommer Mann

Foto: El Greco – Fray Hortensio Félix Paravicino, 1609, Wikimedia Commons

14. September 1507
Mein Herr und mein Gott,

geheiligt werde Dein Name. Ich stamme, wie es Dein Wille war, aus einer einfachen Familie von Gerbern, aber Du hast mir in Deiner großen Weisheit und Güte einen anderen Weg gewiesen. Die Mönche im Dominikanerkloster, denen ich nur für Handreichungen beigeordnet war, haben die durch Deinen himmlischen Ratschluss erleuchtete Begabung in mir erkannt, sie sahen, Heiliger Vater, dass Du mich gesegnet hattest, und nun bin ich durch Deine Gnade aufgestiegen in unserem Orden an die Spitze des Klosters.

Du weißt, dass der Satan in ein junges Weib gefahren ist, um mich zu versuchen. Du allein, mein Gott, weißt, wie schwer es mir gefallen ist, diesen Versuchungen zu widerstehen. Der züchtig zu Boden geneigte Blick ihrer auch nach der Beichte immer noch glutvollen Augen und ihr straff zurückgekämmtes, schwarz schimmerndes Haar, wenn sie sich mit ihren Eltern, ach, wie so selten nur, in der Öffentlichkeit zeigte, sollten mich verunsichern, um die böse Hitze in mir heftiger zu entfachen. Ihre Anmut, ihr schwebender Gang haben das Teufelswerk fortgetrieben, während ich, durch stetiges Beten dennoch bestärkt, in meiner Zuversicht nicht nachließ, von dem bösen Dämon erlöst zu werden. Jedoch der Satan ließ nicht ab, mich zu peinigen, und so habe ich nach nächtelangem Ringen die Hexe bei Deinem heiligen Inquisitionsgericht angezeigt. Der Schmerz, den ich empfinde, sie nie wieder sehen zu dürfen, scheint mir groß, doch er ist gering gegenüber den Leiden, die Dein heiliger Sohn für uns Menschen als Opferlamm am Kreuz durchlitten hat.

Foto: Everett Historical/Shutterstock

Ich werde dem Autodafé morgen fernbleiben. Vergib mir, dass ich nicht dabei sein kann, wenn der Teufel sie in den Flammen fahren lassen muss, während ihre Seele gerettet werden wird um ihrer Seligkeit willen. Ich werde beten, die ganze Zeit lang werde ich beten. Für sie und dafür, dass ich nicht aufhören werde, mich Deinem ewigen Ratschluss, ohne ihn verstehen zu können, dennoch in Demut zu beugen, und dass ich Dein Diener bleiben werde, solange es Dir gefällt, mich auf Erden durch Satan prüfen zu lassen, bevor Du mich in Dein himmlisches Paradies aufnimmst, damit ich Dich lobpreise bis in alle Ewigkeit,

Dein zutiefst ergebener

Tomasio
Abt von Santiago di Compostella


Nun muss ich die Abendandacht abhalten. Ich bin dann mal weg …

Foto: Everett Historical/Shutterstock

24 Kommentare zu “Ein frommer Mann

    1. Dass es sich hier um ein historisches Zeugnis handelt, möchte ich bezweifeln 😉 Weniger schockierend wird der Inhalt dadurch aber auch nicht.

  1. Ich hatte Gänsehaut beim Lesen – wie schlimm es damals für Frauen gewesen sein muss, bleibt mir unvollstellbar. Dass vermeintlich fromme Männer, jedwede Frau wegen eines Blickes wegen in die Inquisition schicken konnten, ist doch einfach nur ekelig.

    1. Ohne auch nur in geringster Weise einen Vergleich zur Hexenverbrennung anstellen zu wollen – die Situation hat sich auch 500 Jahre später noch nicht normalisiert. Oder glaubt irgend jemand, dass Frauen tatsächlich als gleichwertige Menschen in der Gesellschaft gelten?!

      1. Die Quizfrage ‚Wie heißt Kalles Frau“ ist bei nur vier Möglichkeiten schwer zu beantworten:
        a) Alte
        b) holmalnbier!
        c) Mutti
        d) Edeltraut
        Etwas gehobener: Zu Beginn der Vorstandsitzung: „Ehe wir mit dem brainstorming anfangen – bringen uns doch erst mal Kaffee, Frau Doktor Eisenhut.
        Ich denke, solche Witze haben in den westlichen Demokratien ausgedient, aber leider nur dort.

      2. Man hat ja an der #MeToo-Debatte gesehen wie weit wir selbst in westlichen Ländern sind. Ich denke da gar nicht unbedingt an sexuelle Belästigung sondern an Machtmissbrauch im allgemeinen. Wieviele Frauen da „ich auch“ gesagt haben ist schon erschreckend.

  2. Mir fällt es schwer nach all den Gräueltaten der Kirche und all die im Namen Gottes getätigten Verbrechen und Kriege, überhaupt an der Institution Kirche festzuhalten. Auch wenn ich mich nicht als vollkommen ungläubig bezeichne, sehe ich es nicht ein an diesen verzahnten Apparat auch nur einen Cent Kirchensteuer zu zahlen. Zugegeben, wenn man das liest, merkt man aber, wie weit wir uns gesellschaftlich – vielleicht auch ‚Gott sei Dank‘ – hiervon abgewendet haben.

    1. Die Barmherzigkeit Gottes hat uns zu einer aufgeklärten und humanistischen Gesellschaft reifen lassen. Dennoch bleibt noch viel zu tun.

      1. Nicht die Barmherzigkeit Gottes, eher Forschung und Wissenschaft haben uns zu einer aufgeklärten Gesellschaft werden lassen. Ohne Religionswahn wären wir noch fortschrittlicher als wir es heute sind.

    1. Die Entscheidung mag ich gar nicht in Frage stellen. Aber sind die Hexenverbrennungen wirklich eine Neuigkeit für Sie?

    2. Wer keine Kirchensteuer zahlt, der drückt sich (zum Teil) vor seiner gesellschaftlichen Verantwortung. Zumindest wenn er sich dann nicht anderweitig für karitative Zwecke einsetzt. Die Kirche finanziert ja etliche Einrichtungen, wie Kindergärten, Schulen, Obdachlosenheime, Familienberatung, Seelsorge – allein der Leistungskatalog der Caritas und Diakonischen Werke sind immens und nahezu flächendeckend vertreten. Allein dafür lohnt es sich Kirchensteuer zu zahlen.

      1. Die Kirche könnte mit ihrem angehäuften Reichtum innerhalb kürzester Zeit dafür sorgen, dass es niemand auf dieser Welt hungern muss. Warum stattdessen mehr und mehr Geld her muss? Gute Frage…

      2. Entschuldigung, aber das ist doch völliger Blödsinn. Als ob man nur durch die Kirche gutes tun könnte. Diese Intoleranz gegenüber Andersdenkenden und Andersglaubenden ist doch gerade das, was uns weiter auseinander bringt.

      3. Ich frage mich immer wieder wie man diese Ignoranz anderen Menschen gegenüber begründet. Der Papst fliegt also in die Vereinigten Arabischen Emirate, sucht den Dialog mit Muslimen, aber der Bäcker in Amerika kann es nicht über sich bringen einem schwulen Paar eine Hochzeitstorte zu backen. Wo genau bleibt da das Miteinander und die Nächstenliebe?!

  3. Da sieht man mal wie gedanklich versklavt die Theologen oder gar alle Gläubigen überhaupt sind. Sein flehendes Gerede erinnert mich an submissive BDSM Spielereien aus meiner Blütezeit.

    1. Menschen auf den Scheiterhaufen zu werfen scheint mir auch für BDSM-Blütezeiten ein wenig übertrieben.

  4. Eine „Hexe“ wird dem Inquisitionsgericht gemeldet um durch Verbrennung ihres Körpers die Seele zu retten. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen. Und all das, damit sich der fromme Tomasio nicht mehr für seine Sexualität und seine Lust schämen muss.

    1. Genau wie die Verteufelung von Homosexualität wegen Schuldgefühlen aufgrund der eigenen sexuellen Neigungen…

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