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0901
Rundbriefe

Betrifft: Essen, Ficken, Glauben

Liebe Leserinnen und Leser,

nun ist es also wieder da! Das neue Jahr selbst ist immer zuverlässig. Es kommt nach wie vor pünktlich. Nur das, was es bringt, trotzt nach wie vor den früheren Erwartungen: Die CDU ist weg von der Regierungsbank, Corona ist noch überall da. Die Klima-Krise auch: Der Januar fing viel zu warm an. Und wir? Auch zu lau? Sollen wir die Dinge einfach weiterlaufen lassen oder sollen wir uns vornehmen, alles – na ja: vieles – besser zu machen? Wer die einfachsten Dinge immer noch nicht beherrscht, hat es leicht. Der kann gleich loslegen: Essen im Stehen – unkultiviert und ungesund. Pinkeln im Stehen – (putz)frauenverachtend und unhygienisch. Schlafen im Stehen – Aufwachen!

Wer Vorsätze nicht mag, sondern anstrengungslos glücklich sein will, der liest das hier gar nicht. Die Lektüre wäre bereits zu viel Aufwand. Glücklich zu sein, das heißt ja auch immer, blöd zu sein. Intelligente Menschen haben nicht glücklich zu sein. Die müssen doch merken, wie schwierig das Leben ist. Auch wie ungerecht es in der Welt zugeht, hindert mitdenkende Menschen daran, sich am eigenen Wohlstand zu freuen. Das Mindeste, was die Menschheit erwarten kann, ist, dass der Wohlhabende mit schlechtem Gewissen isst, und falls es ein Steak sein sollte, das er auf dem Teller hat, dann kann das auch die Kuh verlangen: Schämen Sie sich! Veganer dürfen zufriedener sein. Haben die trotzdem sowas Fleischliches wie Sex? Oder vermehren sie sich wie die Schwulen durch Nachwachsen? Für die, die weder keusch sein wollen noch in festen, aber fremden Händen sind, ist die Corona-Situation nicht nur im Restaurant umständlich. Das macht Betroffene betroffen:

Ich las, froh, nicht gemeint zu sein: „Prostitutionsangebote, die nach dem Prostituiertenschutzgesetz angemeldet und geprüft sind, dürfen unter dem 2G-Modell öffnen. Hierzu zählen unter anderem ein Alkoholverbot, eine vorherige Anmeldung sowie die medizinische Maskenpflicht.“1 Wie viel Spaß macht das denn?

Was mich etwas mehr betrifft, ist die Wortwahl. Ich schreibe ja viel und weiß gern, welche Anstandsregeln ich übertrete. Da habe ich Glück, nämlich Prof. Ulrike Lembke von der Berliner Humboldt-Universität. Dort lehrt sie Öffentliches Recht und Geschlechterstudien. Aus dem Grundgesetz ergäbe sich die Pflicht für staatliche Stellen, die „gendergerechte Sprache“2 zu verwenden, sagt sie. „Die Pflicht zur sprachlichen Nichtdiskriminierung besteht von Verfassung wegen und kann durch gesetzliche Regelungen oder durch Verwaltungsvorschriften, Erlasse und Weisungen konkretisiert werden“3, schreibt sie. Laut Lembke ist die Verwendung des Gendersternchens eine „(überfällige) Verwirklichung zentraler Anforderungen an verfassungskonformes Verwaltungshandeln.“4

Der Comic-Verlag Egmont hat schon reagiert – und der ‚Verein Deutsche Sprache‘ mit Bezug auf eine Petition von Dr. Susanne Luber daraufhin dann auch: „Aus dem dicken Fridolin Freudenfett wurde Fridolin Freundlich – adipöse Menschen könnten sich angegriffen fühlen.“5 – „Weiter geht es mit der Ausmerzung einzelner böser Wörter wie Indianer, Zwerg, Eingeborener oder Bleichgesicht“6, heißt es in der Petition. Diese Anpassung an den Zeitgeist zerstöre die hohe sprachliche Qualität der Comics: „Ohne jedes Verständnis für Komik, Ironie und tiefere Bedeutung legt der Egmont Ehapa Verlag die Zensurschere an“7, klagt der Petitionstext an. Was man an einem Comic alles verderben kann!

Andere Sorgen, dass sich etwas ändern könnte, hat Kardinal Müller. Oder genauer: Er hat sie nicht. Dass eine Frau niemals Priester werden dürfe, braucht er gar nicht selbst zu begründen. Es steht schon in der Bibel. Nicht gleich vorne, aber im 1. Timotheusbrief: „Eine Frau lerne in der Stille mit aller Unterordnung. Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre, auch nicht, dass sie über den Mann herrsche, sondern sie sei still. Denn Adam wurde zuerst gemacht, danach Eva. Und Adam wurde nicht verführt, die Frau aber wurde verführt und übertrat das Gebot.“8

Soweit ich weiß, wurde Adam auch verführt, zwar nicht gleich von der etwas argwohnerregenden Schlange, aber von Eva. Schlimm genug, dass sie ihn erst darauf bringen musste, vom Baum der Erkenntnis zu naschen, um aus diesem langweiligen Paradies zu entkommen und Mensch zu werden, aber dass sich studierte Wissenschaftler immer noch auf das Testament berufen, wo sich doch unter Menschen, die der tausendjährigen Glaubenskriege leid sind, die Einsicht durchgesetzt hat, dass nicht Gott den Menschen erschaffen hat, sondern der Mensch Gott – das erweckt in mir den Wunsch: In diesem Jahr mögen möglichst viele Ungläubige aus möglichst vielen Kirchen austreten. Make the world a better place!

Im Blog kommen wir jetzt dementsprechend in einem schönen Garten wirklich zu den ‚Ringelblumen‘ und zu der Frage, wie man sich in fremden Haushalten angemessen verhält.

Trotzdem Stehpinkler,
Hanno Rinke



Quellen: 1NDR/ndr.de, vom 05.01.2022 | 2–4Auszug aus der Studie von Prof. Dr. Ulrike Lembke zur ‚Geschlechtergerechten Amtssprache, Rechtsexpertise, 07–12/2021‘, beauftragt von der Stadt Hannover | 5Auszug aus Infobrief vom 12.12.2021 des VDS: ‚Hände weg von Donald Duck‘ | 6,7Auszug aus der Online-Petition von Dr. Susanne Luber, D.O.N.A.L.D., vom 18.11.2021, u. a. veröffentlicht auf change.org und UEPO.de | 8‚Die Bibel‘ – Lutherbibel 2017, 1. Timotheus 2, Verse 11–14
Cover mit Material von Julian Hochgesang/Unsplash (Auto) und Shutterstock: Rejean Bedard (Möwe), Alliance Images (Frau), stockyimages (Mann), Vereshchagin Dmitry (Kreuzfahrtschiff), steamroller_blues (Collie)

23 Kommentare zu “Betrifft: Essen, Ficken, Glauben

      1. Die sollen allerdings zumindest wenn es um Omikron nochmal deutlich weniger aussagekräftig sein als bei den bisherigen Varianten. Ob man das Risiko eingehen will?

  1. Hmmm die Zeiten ändern sich. Die Sprache tut es ohne Frage auch. Aber Texte (selbst Comics) im Nachhinein abzuändern finde ich absurd.

    1. Rassistische Motive zu entfernen ist das eine. Aber die Menschen vor allem zu schützen, das auch nur in irgendeiner Art falsch verstanden werden könnte, das schießt über das Ziel hinaus. Das erinnert ja fast an Sekten, wo die Mitglieder von allen Einflüssen von Außen ferngehalten werden.

      1. ‚Rassismus‘ ist wie ‚Faschismus‘ inzwischen eine Unterstellung, die oft der Grundlage entbehrt und nur noch der Verächtlichmachung des Gegenübers dient.

      2. Man schießt oft über das Ziel hinaus. Das ist keine Frage. Ich frage mich immer noch ob das nötig ist um Veränderungen zu bewirken, ob sich das bald wieder auf ein moderateres Maß zurück pendelt, oder ob das Thema mittlerweile tatsächlich schon komplett verfehlt ist.

  2. Make the world a better place! Am besten mit weniger religiösem Firlefanz, weniger Kleingeistigkeit, weniger Gegeneinander. Das wäre doch mal ein guter Vorsatz.

      1. Jedem der Firlefanz, der einem gefällt. Mir würde ja schonmal reichen, wenn Religion und Staat nicht mehr miteinander verknüpft wären. Das sollte 2022 doch drin sein.

      2. Dass der Staat wegen des Reichsdeputationshauptschlusses aus dem Jahr 1803 nach wie vor die Steuern für die Kirchen einsammelt, ist ein schwer erträglicher Anachronismus.

  3. Die CDU ist weg, aber noch spürt man nicht so richtig viel davon. Mit dem neuen Jahr ists ähnlich. Aber was sollte sich auch schlagartig ändern, nur weil der Kalender umspringt?!

    1. Die Impfpflicht scheint erstmal wieder weit zurück auf der Prioritätenliste. Der Mindestlohn von 12€ soll dagegen kommen. Mal schauen…

      1. Ein bisschen Zeit muss man der neuen Regierung sicherlich geben. Mit der Impfpflicht ist es natürlich eine schwierige Sache. Einerseits sollten meiner Meinung nach alle Menschen geimpft sein. Ob die Androhung von Geldstrafen aber wirklich ein effektives Mittel ist?

      2. Wären die Verantwortlichen nicht so dämlich gewesen, im vorigen Jahr eine Impfpflicht kategorisch auszuschließen, hätten wir jetzt nicht den Schlamassel. Wir Geimpften sind es leid, all die Maßnahmen bis in alle Ewigkeit hinnehmen zu müssen. Allmählich wird für uns ein schlimmstenfalls milder Verlauf nach dem Boostern attraktiver als die fortwährende Gängelei.

  4. Ist Müller nicht in letzter Zeit eh hauptsächlich damit beschäftigt sich durch die ganzen Corona-Verschwörungstheorien zu arbeiten?

  5. Neujahrs-Vorsätze werden ja eigentlich nie eingehalten, oder? Trotzdem kann und sollte man hin und wieder mal über sein Leben und seine Ansichten nachdenken. Das empfiehlt sich sogar häufiger als zum Jahreswechsel.

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