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Rundbriefe

Betrifft: Utopien und Traumschlösser

Liebe Leserinnen und Leser,

vielleicht hatte Hitler recht:
Nur der, die, das Durchsetzungsmächtigste überlebt. Seine Ideen gehörten jedenfalls nicht dazu. Er irrte gewaltig, als er mit überkippender Stimme dröhnte: „[…] dass diese Zukunft restlos uns gehört! […]“1 Seine Taten allerdings, ja, die sind im Gedächtnis der Menschheit verankert. Als entsetzlich zwar, aber: Unsterblichkeit ist Unsterblichkeit. Werden Frauen- und Gay-Power überleben? Wird die klimabedrohte Menschheit es schaffen? Die CDU? Laschet eher nicht. Die DDR hat nicht überlebt und ihr Palast der Republik auch nicht. Dass dieses schreckliche Gebäude wegmusste, war für mich als West-Berliner ein Triumph: dank Asbest. Sonst hätte das doch nie geklappt. Dass da nun wieder eine Art Schloss steht, ist ein noch größerer Triumph: Ätsch, Ulbricht! Adel schlägt Politbüro! Auf etwas Bedeutenderes, als es diese braungläserne Mehrzweckhalle war, muss die Prachtstraße ‚Unter den Linden‘ doch hinauslaufen.

Schlüters Stadtschloss war ein Hauptwerk des deutschen Barocks. Die Plattenbauten als Hauptwerke des deutschen Sozialismus sind noch in ausreichender Menge überall im Land zu besichtigen. Etwas eindrucksvoll Modernes wie in Montpellier oder Bilbao errichten zu lassen war dem Bundestag offenbar nicht möglich, und eine Fortsetzung des Leipziger Platzes ohne Oktogon – das musste wirklich nicht sein. Mir gefällt das Schloss. Die zeitgemäße Spreeseite (ausgerechnet, die armen Boots-Touristen!) noch am wenigsten: so ein plumpes ‚Wir könn’ auch anders!‘ Im Sommer bin ich durch den Innenhof gelaufen. War lustig. Unseren Urenkeln in ihrer CO2-freien Welt wird das Gebäude bloß alt vorkommen, ob hundert oder vierhundert Jahre ist denen und der herrschenden chinesischen Elite dann egal.

Die Debatte um Raubkunst im Humboldt Forum geht mich nichts an. Am besten alles zurückgeben und von Islamisten, Kriegswirren und Beutejägern zerstören lassen. Dann war mal nicht der Westen schuld. Um sich gegenseitig abzuschlachten, hat Afrika nie Hilfe von außen gebraucht. Um sich (un)ordentlich zu vermehren, auch nicht. Aber in diesen Zeiten des Umbruchs sind solche negativen, rückwärts gerichteten Behauptungen völlig unangemessen. Die Medien schreien jetzt nach all den Visionen, die Merkel nie geliefert hat. Jamaika oder eher noch Ampel sollen sie nachreichen. Utopien begeistern jede Generation aufs Neue, nicht nur freitags, und was dabei das ‚Durchsetzungsmächtigste‘ war – das weiß man dann hinterher, wenn man tot ist.

Im Blog geht es gerade um ein Berlin, das noch weniger festgelegt war, als es das heutige ist, und um einen Helden, der sich nicht festlegen lässt. Noch nicht. Aber bald.

Hoffnungsvoll, jedenfalls ein bisschen,
Hanno Rinke



(1Quelle: Auszug aus Parteitagsrede Adolf Hitlers, 1934)
Bild mit Material von Shutterstock: Christian Mueller (Hintergrund), François-Guillaume Ménageot – ‚Das Martyrium des Hl. Sebastian‘/Wikimedia Commons/gemeinfrei/public domain

11 Kommentare zu “Betrifft: Utopien und Traumschlösser

    1. Laut Zeitungsberichten zweifeln die Grünen mittlerweile selbst daran, wieviel Klimapolitik in der neuen Koalition gemacht werden kann. Wenn die Wählerschaft dermaßen enttäuscht werden sollte, dass sie die Grünen beim nächsten Mal erst gar nicht wieder wählen, dann schafft die klimabedrohte Gesellschaft eh weniger.

  1. Beim Humboldtforum kann man darüber streiten ob solche Raubkunst noch zeitgemäß ist – man kann sich auch einfach darauf beschränken wie bieder und provinziell dieses Bauwerk außen wie innen anmutet.

    1. Ach! Der Palast der Republik war Mid 70s. Das Humboldforum mixt Disney mit Avantgarde der 90er. Ein deutlicher Fortschritt. Post-Neobarock. In 100 Jahren der Renner.

      1. Mich stört der Bau nicht unbedingt. Spannend ist er allerdings auch keineswegs. Aber es gibt ja genügend andere Orte. Wenigstens haben die Touristen wieder etwas zum Anschauen.

      2. Gegenüber der Alternative Marx-Engels-Platz ist diese Nachbildung glorreicher Zeiten ein Fortschritt, besonders von Weitem betrachtet: ein stimmiges Ensemble. Meckern wird immer jemand. Es hätte schlimmer werden können.

  2. Die einzigen, die eine Art Vision für das Land hatten, schienen mir die grünen zu sein. Ob es eine richtige gewesen wäre, man wird es nicht so richtig wissen. Bei allen anderen Parteien klang mir der Wahlkampf eher nach Stimmenfangerei und Machtgehabe.

    1. Das ist bei den Grünen nicht viel anders. Auch sie wollten an die Macht, nur eben mit anderen, möglicherweise zeitgemäßeren Themen. In den Diskussionen mit SPD und FDP wird man aber bereits absehen können wie visionär ihre Regierungsbeteiligung am Ende sein wird.

      1. Helmut Schmidt wollte ja Menschen mit Visionen zum Arzt schicken. Ob Pragmatiker oder Visionäre eine Regierung besser führen, ist ein Streitpunkt. Ich finde, Visionäre gehören in die Philosophie, nicht in die Politik. Merkel war besser als Mao.

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