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Rundbriefe

Betrifft: ‚Wenns‘ und ‚Abers‘

Liebe Leserinnen und Leser,

wenn im Fernsehen nicht von Corona-Impfung oder Klimawandel die Rede ist, dann gibt es Champions League. Fußball interessiert mich nur als soziologisches Phänomen. Wer nach einem Ball tritt oder über Impfangst plaudert, löst nichts in mir aus. Der Talkshow-Moderator behauptet, dass er sich über meine virtuelle Anwesenheit freut. „Schön, dass Sie dabei sind …“ Dabei bin ich höchstens Quotenvieh für den. Der aus seiner Landeshauptstadt – im Hintergrund ist sie zu sehen – zugeschaltete Ministerpräsident sagt: „Da bin ich ganz bei Ihnen, aber …“, und dann widerspricht er Karl Lauterbach total, gleich ob es um Inzidenzen oder Salzkonsum geht. In der Werbung der Öffentlich-Rechtlichen werde ich wenigstens noch gesiezt. Die Reklame der Privaten verlangt gleich plump: „Hol dir diesen Dreck!“ Unausstehlich das alles! Wenn ich nicht Netflix hätte und an meinem neuen Buch arbeitete, würde ich über Alkoholexzesse und Selbstmord nachdenken.

Dass Jüngere als ich auf die vielen wenig sozialen Medien und Baldur’s Gate ausweichen, ist für mich nachvollziehbar, obwohl diese Menschen von der anstehenden Klimakatastrophe womöglich sogar selbst betroffen sein werden. Darum machen die Vorausschauenden unter ihnen ja auch Rabatz in Glasgow. Ich dagegen wohne so hoch oberhalb der Elbe, dass mich eine Sturmflut nicht schrecken kann.

Wenn ich trotzdem aus Solidarität den Wasserstrahl meines Bidets drossle und bei meinen Stampfkartoffeln mit gelben Rüben auf die meine CO2-Bilanz versauende Sättigungsbeilage Rinderfilet verzichte, dann muss ich den deprimierenden Gedanken vermeiden, was das gegen die Umweltsünden Chinas und Indiens wohl auszurichten vermag. Um meine Motivation nicht einzubüßen, denke ich nur an mich und nicht an ganz Deutschland; denn wir alle zusammen sorgen ja bloß für 2 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes. „Vorreiter sein, nicht Nachzügler“, hätte mein Offiziersgroßvater gesagt und wäre in der Deckung geblieben.

Aber es gibt Grenzen. Um vier Monate hintereinander in meinem italienischen Heim zu unterschiedlichen Jahreszeiten verbringen zu können, brauche ich nun mal den SUV. Kleidung und Technik oder gar mich selbst mit der Bahn zu transportieren, ist mir nach meinem Schlaganfall nicht mehr möglich. Weiß Gott würde ich lieber Koffer schleppen, als am Krückstock zu humpeln. Fürs Fliegen ist die Strecke sowieso zu kurz. Schlappe 1 200 Kilometer in der Luft zurückzulegen, gehört sich einfach nicht mehr. Also: Kfz. Wenn der Fahrer dann auf der langweiligen Autobahn, da, wo weder Schilder noch Staus es ihm verbieten, ordentlich Gas gibt, freu’ ich mich wie ein Kind.

Geboostert, wie ich bin, erhebe ich mich tadelnd über all diejenigen, denen ihre eigene Gesundheit egal ist. Mir ist deren Gesundheit auch egal. Aber die Volksgesundheit! Statt sich zu schämen, Impfmuffel zu sein, gerieren sich diese Leute auch noch als Bedenkenträger. Der Ethikrat grübelt und grübelt. Zurück zu kostenlosen Tests, bezahlt aus Steuergeldern, oder Bratwurst, beschafft aus Bundeswehrbeständen bzw. Schweinebrät als Lockmittel? Erst das Geschrei über zu spät georderten Impfstoff: Wir kriegen nicht genug! Jetzt das Geschrei über das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Angst vor was? Verweichlichte Kreaturen. Eine Impfzwang-Diktatur wäre mein Schönstes! Und weil das in dekadenten Demokratien nicht geht, möchte ich zumindest, dass alle ungeimpften Covid-Kranken in einem zentralen Krankenhaus mit ungeimpften Pfleger*innen zusammengesperrt werden. Dass auf diese Weise bei möglichst vielen der daraus resultierenden Toten die Anzahl der Idioten durch natürliche Auslese abnimmt, ist allerdings nur eine vage Hoffnung: Sahra Wagenknecht und Richard David Precht zeichnen sich ja, jedenfalls auf ihren jeweiligen Fachgebieten, durch angenehm intelligente Äußerungen aus.

Wie man sich sonst noch so gedanklich austoben kann, während man ganz gemütlich am Schreibtisch sitzt, davon zeugten die vorigen Kapitel des ‚Eremiten‘. Nun schippern wir wieder in seichteres Fahrwasser, ohne dass ich mir eine kleine Untiefe am Schluss verkneifen will. Zu Schalotten am Saft sizilianischer Zitronen wähle ich übrigens als Sättigungsbeilage immer noch 125 Gramm Beluga-Kaviar.

Genusssüchtig,
Hanno Rinke

20 Kommentare zu “Betrifft: ‚Wenns‘ und ‚Abers‘

  1. Da sprechen Sie einen entscheidenden Punkt an: Wir können noch so sehr auf Plastikstrohhalme verzichten und öfters mit dem Fahrrad unterwegs sein … wenn die großen Klimasünder wie China nichts an ihrer Politik ändern, wird das sehr wenig ausrichten.

      1. Ich gebe nicht auf, aber ich mache mir auch nichts vor. Dass ich auf der Autobahn 120 fahre, wird die Welt nicht retten. Symbolische Maßnahmen haben ihren Sinn, das weiß ich als guter Katholik. Allerdings bin ich inzwischen ausgetreten.

      2. Der Grundsatz, nämlich dass alle an einem Strang ziehen müssen um etwas zu ändern, stimmt ja. Nur dass, sich die schlimmsten Umweltsünder eben aus der Verantwortung stehlen und ihren Teil nicht leisten…

      1. Oh das klingt wunderbar. Dann freue ich mich auf das kommende Jahr. Und gratuliere schon einmal vorab!

  2. Vielleicht treibt 2G noch den einen oder anderen Impfmuffel zum Hausarzt. Wie lange will man schließlich abgeschnitten von jeglichem gesellschaftlichen Leben ausharren?

      1. Ich empfinde den Gedanken, dass man momentan so wahnsinnig viel nicht darf, sowieso immer übertrieben. Ohne Maske in den Bus steigen wäre schon schön, na gut. Meine Freiheit tangiert das ehrlich gesagt nur wenig.

      2. Die Pandemie bringt schon ziemlich viele Einschränkungen mit sich. Das kann man doch nicht bestreiten. Ob man sich deswegen seiner Freiheit beraubt fühlt ist natürlich noch einmal eine ganz andere Frage.

      3. Räumlich und zeitlich gesehen leben wir jetzt in Europa freier, als es das je zuvor auf der Welt gab. Frauen, Minderheiten, Außenseiter werden gerechter behandelt als je zuvor. Besser werden kann es immer. Schlechter werden aber auch, mit oder ohne Pandemie.

      4. Das sage ich auch immer Freunden, die behaupten ‚das System‘ sei ungerecht und müsste neu gedacht werden. Besser geht halt immer. Aber wir leben, gerade hier im Westen, wohl in der besten Art und Weise, die bisher stattgefunden hat. 50 Jahre zurück möchte ich definitiv nicht. Und wenn man beachtet, dass in anderen Teilen der Welt Homosexuelle hingerichtet oder Frauen versklavt werden, dann sollte man nicht alles was man bereits erreicht hat über den Haufen werfen.

      1. Es gibt Menschen, die sich von RTL2 stimulieren lassen. Vom Rosenkranz über Soft Porno bis zu Hardcore gibt es da so allerlei.

    1. Das liegt nicht zu letzt wohl auch ein wenig daran, dass Hanno Rinkes Leben scheinbar nie wirklich seicht war. Entsprechend fallen dann auch die Geschichten aus.

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