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Fast am Ziel

Singende Sirenen | #51

Montag, 1. August
Heute ist der erste Tag des Monats und gleichzeitig der erste Tag der Woche. Das befriedigt meinen Ordnungssinn. Es wäre doch wunderbar, wenn alle Monate 28 Tage hätten, so wie in drei aufeinanderfolgenden Jahren der Februar: Montag wäre immer der 1., der 8., der 15. und der 22.; Dienstag wäre der 2., der 9., der 16, der 23. Und so weiter. Kann man auswendig lernen wie das kleine Einmaleins.

Foto oben links: janez volmajer/Shutterstock | Foto oben rechts: Triff/Shutterstock | Foto unten: Pertusinas/Shutterstock

Ich weiß, die Erde kreist in 365 Tagen um die Sonne. Na und? Dann hätten alle Monate 28 Tage, und auf den Dezember würde noch ein Monat von 29 Tagen folgen, der könnte ja einfach nach mir benannt werden, wie der Juli nach Cäsar und der August nach seinem Großneffen. Dann wäre Heiligabend am 22. Hannober, Silvester am 29. und im Schaltjahr eben am 30. Auch Ostern wechselt ja immer das Datum.

Foto links: Privatarchiv H. R. | Foto rechts: Ruslan Gilmanshin/Fotolia

All diese Unstimmigkeiten sprechen dafür, dass es Gott nicht gibt; der hätte das mathematisch unkomplizierter hinbekommen. Was ich hier vorschlage, entspricht übrigens genau dem, was sich die Römer gedacht haben: Ihr Jahr begann am 1. März. Frühlingsanfang sollte am 21. März sein, Herbstanfang am 23. September, weil beide Male Tag und Nacht gleich lang sind. Der Februar als letzter Monat bekam halt so viele Tage, wie noch übrig waren; mit dem Hannober kann man es genauso machen. Die römischen Konsuln begannen in späterer (wenn auch immer noch ziemlich früher) Zeit ihre Amtsgeschäfte bereits am 1. Januar, und zwar genau seit 153 vor Christus, den sie verständlicherweise noch nicht kannten, sonst hätten sie vielleicht drei Jahre eher mit der Umstellung begonnen. Wäre doch hübsch gewesen, wenn Jesus in einem Jubiläumsjahr geboren worden wäre. Dann hätten wir endlich ein Jahr Null.

Ich höre schon die Mystiker raunen: Gottes Zählweise verschließt sich unserem armseligen Verstand. Ja, vielleicht hat er seinen Kosmos tatsächlich in Deusinen berechnet – und warum erlaubt er uns das nicht auch? Hilft wieder mal nur der Glaube, frei nach dem Lehrsatz: Halb gewusst ist doppelt geglaubt. – Doch Schluss mit Palaver, zurück nach Positano, genauer gesagt, nach Sorrent, das immer schon so beliebt bei den Deutschen war, dass sie dem Ort einen deutschen Namen gaben: Sie ließen einfach das ‚O‘ von Sorrento weg. Nicht besonders originell, kann man argumentieren. Na, ist die Italienisierung von Meran und Tirol in ‚Merano‘ und ‚Tirolo‘ einfallsreicher? Ursprünglich hatte ich Sorrent am Wegesrand mitnehmen wollen, morgen auf der Strecke nach Neapel. Aber dann erschien mir das doch zu gehetzt, wie dieses amerikanisch-asiatische Reiseprogramm: ‚Europe in fifteen hours, 欧洲日破晓‘. Wenn wir Sorrent und Umgebung einen eigenen Tag zubilligten, bliebe uns mehr Zeit für Neapel, dachte ich. Ich dachte verkehrt, aber erstmal fuhren wir die malerische, halsbrecherische Strecke zum deutschen Lieblingsort, wobei ich mich streng beherrschte, Rafał nicht auf die Schönheiten der Bucht aufmerksam zu machen, es hätte uns das Leben kosten können.

Fotos (2): PHOTONIKON/Fotolia | Foto: travelview/Shutterstock

Apropos: Der Name Sorrento geht auf den antiken Namen Surrentum und den Mythos der Sirenen zurück. Die sangen dermaßen herrlich auf ihrer Insel vor der Küste, dass die Seefahrer alle ins Wasser sprangen und umkamen. Die Loreley hat das am Rhein auch hingekriegt. Sie ist übrigens kein 
‚Märchen aus uralten Zeiten‘, sondern von Clemens von Brentano im Jahr 1800 in Jena geschrieben worden. Da sind die Sirenen aber älter. Homer beschreibt sie um 700 vor Christus. Nur Odysseus und seine Begleiter konnten den zauberhaften Stimmen trotzen. Orpheus spielte so wahnsinnig laut auf seiner Leier, dass er die Mädels überdröhnte. Odysseus war allerdings dermaßen neugierig, dass er sich das Gesinge doch anhören wollte. Seine gute Bekannte, die Zauberin Circe, riet ihm, beide Ohren mit geschmolzenem Wachs zu verschließen (mach’ ich jede Nacht, heißt Ohropax, fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker). Weil dreifach besser hält, ließ sich Odysseus außerdem an den Mast des Schiffes binden. Jetzt konnte er die Sirenen zwar hören, aber nur ein bisschen. War immer noch zu laut. Als er wie von Sinnen über Bord wollte, banden ihm die (offenbar empfindungslosen, womöglich schwulen?) Matrosen seine Seile noch strammer, bis das Schiff außer Hörweite war.

Hätte irgendwer von der Callas oder Adele derartig hingerissen sein können wie damals die Seefahrer von den Sirenen, deren Klänge heute eher Alarm und Unheil bedeuten? Natürlich kann man sagen: Bekloppt das Ganze, aber so sind Mythen nun mal. Wer hätte gedacht, dass es einen Gott gibt, der seinen Sohn festnageln lässt, um die Menschheit zu retten? Die Sirenen waren derart entgeistert über ihr Versagen in puncto Odysseus, dass sie sich in den Felsen Li Galli verwandelten. Da liegen sie nun zwischen Positano und Sorrent, und wir fuhren die Küstenstraße herab auf sie zu.

12 Kommentare zu “Singende Sirenen | #51

    1. Gottseidank gibt es wirklich genügend Musiker und Sänger in jeder denkbaren Geschmacksrichtung. Vom Felsen stürzen muss sich so zum Glück niemand.

  1. Gibt es dieses Reiseprogramm eigentlich wirklich? Europa in 15 Stunden erleben? Das wäre ja fürchterlich. Ich habe mich einmal dazu hinreissen lassen, eine organisierte Tour durch Irland zu machen. Aus reiner Bequemlichkeit. Nie wieder…

  2. Hatte nicht die Mannschaft die Ohren „verplombt‟ und schafften es so, zu entkommen? Odysseus wollte ja hören und ließ sich daher „nur‟ an den Mast fesseln. Aber wie es sich auch zutrug, damals, in jener anderen Welt: Sagen wie diese faszinieren bis heute und nähren unsere Fantasie. Da halte ich es gern mit Einstein : „Logik bringt dich von A nach B. Phantasie bringt dich überall hin.‟

    1. Auf den ersten Blick dachte ich Sie halten es gern mit Eisenstein 😉 Irgendwie schade, dass das nur ein Verleser war…

    2. Ich wundere mich aber auch gerade… Begingen die Sirenen nicht Selbstmord und stürzten sich ins Meer nachdem Sie im Gesangswettstreit mit den Musen den kürzeren zogen? Wahrscheinlich gibt es da einfach mal wieder einen unüberschaubaren Berg an abweichenden Überlieferungen.

    3. In Sorrent mussten die Sirenen zum Felsen vor der Küste werden; an anderen Schauplätzen hatten sie wohl andere Aufgaben. Ich geb’s zu: das hab ich mir – ausnahmsweise mal – nicht aus dem Gedächtnis gekramt, sondern wikipedia umformuliert.

    4. Hahaha, aber aber! Wenn das so weitergeht, müssen wir demnächst wohl ein ‚RinkePlag Wiki‘ gründen 😉 Aber Scherz beiseite, zum Thema Sirenen hätte ich zugegebenermaßen auch Wikipedia befragen müssen. Die griechischen Sagen sind einfach ein wenig zu umfassend.

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