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In der Blase  —   Süd nach Südwest

#44C – Durch Monreale und durch Müll

Zum Aperitif gingen wir drei wieder gemeinsam vor die Tür. Unter einer Plane konnten wir draußen sitzen, unter Einheimischen, die wie wir Gottes Ruhetag entgegentranken. Sonntage waren für mich lange Zeit nur noch Tage, an denen die Läden geschlossen hatten. Seit ich übers Internet bestelle, brauche ich mir die Wochentage überhaupt nicht mehr zu merken, tue es aber doch. Auf die Uhr sieht man auch, wenn man nichts vorhat. Wir hatten ja sogar etwas vor. Unser Gastwirt hatte uns ein anderes Restaurant als das von mir in Hamburg ausgesuchte empfohlen, und wir folgten seinem Rat. Die Theorie soll der Praxis weichen: Diese Flexibilität mag ich an mir genauso wie meine gelegentliche Prinzipientreue.

Foto: Privatarchiv H. R.

Glücklicherweise war das neue Lokal ganz in der Nähe. Kein Schleichmarsch für mich am Stock durch den Regen. Der erste Raum war anheimelnd voll. Wir wurden gleich in den zweiten geleitet, da saßen wir allein. Erst als wir beim Nachtisch waren, wurde ein zweiter Tisch besetzt. Da Leutegucken wichtiger ist als ein gefüllter Teller, kamen wir nicht recht auf unsere Kosten, obwohl der junge Mann, der sich um uns kümmerte, eine fabelhafte Figur und einen geschmeidigen Gang hatte, wie Silke auffiel.

Foto: Privatarchiv H. R.

Essen gut, Schlaf gut. Ruhe auf der Straße, Sonne am Himmel. Zufriedenheit bei der Abreise. Weiter!

Fotos (4): Privatarchiv H. R.

Fünf Minuten später reihten wir uns in den Stau ein. Massenhafter Sonntagsausflug? Der Stau blieb uns erhalten, bis wir die Küste verließen und die Route durchs Inland nahmen. Neben der Landschaft fiel besonders der Dreck auf. Überall an der Autobahn, nicht nur an den Parkplätzen, lag Unrat: Plastik, Schrott, Glas. Eine Fahrt durch Müll. Jetzt erst wurde uns bewusst, wie sauber Sardinien gewesen war. Ganz allmählich übersah ich den Unrat, wenn Rafał nicht gerade darauf aufmerksam machte.

Fotos (3): Privatarchiv H. R.

Zwischen Palermo und der Abfahrt, weg von der Küste liegt Bagheria. Einleuchtend, was Walter Mayr im ‚SPIEGEL‘ über den Ort schreibt:

Im Grunde hätte die Stadt Bagheria alles, was sie braucht: eine bezaubernde Küste und Restaurants, die Thunfischtatar, Austern und Seeigel auftischen. Trotzdem trägt man hier die ‚maglia nera‘, das schwarze Trikot, verliehen für den letzten Platz in der nationalen Beschäftigungsstatistik. Auch weil die Mafia die Bürger weiter im Würgegriff hält. Die Strände […] sind großenteils verdreckt. Der Stillstand hat Methode […]1

Natürlich kenne ich die Mafia wie wir alle bloß vom Film her, und da resümiere ich: Wenn Public Relations bedeutet, tue Gutes und rede darüber, dann gilt für die Mafia, tue Böses und schweige darüber.

Foto: esherez/Shutterstock

Auf halber Strecke liegt Enna. Die beiden vorigen Male war ich an der Stadt mit ihren 27 243 Einwohnern bloß vorbeigefahren. Nun sollte ‚der Nabel Siziliens‘ erobert werden. Das hatten vor uns schon Dionysios und Agathokles getan, im 4. Jahrhundert v. Chr. Wir waren nicht begeistert, und eine Speisewirtschaft fanden wir auch nicht. Nach einigem Hin- und Herfahren parkten wir, wo es nicht erlaubt war, und gingen in etwas, das drinnen zwar schlicht, aber nicht schlecht war. Ein paar Happen, ein paar Schlucke – reichte!

Fotos (3): Privatarchiv H. R.

Bei Catania kamen wir an die Ostküste und deren Autobahn. Rafał fuhr uns, wie von Frau Navi erwünscht, nach Norden und nahm die Ausfahrt ‚Giarre‘. – Ein ganz schrecklicher Ort! Als es ganz besonders scheußlich wurde, sagte die warme Frauenstimme: „Sie haben ihr Ziel erreicht.“ Die Dame konnte froh sein, dass sie digital war, ich hätte sie sonst zertrampelt. Wir waren am Ende einer Sackgasse, doch ich war noch genügend bei Sinnen, um das Schild an der Einfahrt in einer hellen Mauer zu entdecken: ‚Ramo d’Aria‘. Ein paar Worte in die Gegensprechanlage genügten, um jenseits des Tores in einen langen Garten mit zwei mattweißen Häusern zu gelangen. Sehr beruhigend. Der Ätna war in der Ferne zu sehen, spuckte aber nicht. Auch beruhigend. Fahrstuhl gab es nicht, nur eine lange, steile Außentreppe, die zu den Schlafzimmern führte. Rauf ging ja noch, aber runter würde ich mich wohl besser begleiten lassen. Erst mal musste das Gepäck nach oben. Dafür sind Fahrstühle noch wichtiger als für Personen, aber so ist das nun mal: Restaurants, die ich aussuche, liegen in Fußgängerzonen, und Hotels haben keine Fahrstühle. Das ist immer so. Ich habe es als Schicksal angenommen, zumal das für Rafał noch lästiger ist als für mich. Obwohl sich die Anlage in einer Gegend befand, die auf mich wie die Bronx von Sizilien wirkte, war diesseits der Mauer der Beiname ‚Country Hotel‘ durchaus gerechtfertigt. Die Mauer des Hotels selbst hatte ich aus Internetsicht als etwas ‚runtergekommen‘ in Erinnerung, vor Ort entschloss ich mich aber sofort, sie lieber als ‚unverfälscht‘ einzustufen.

Unten im Hauptraum war eine lange Tafel gedeckt, wir wurden zum Essen in den schmalen Seitenflügel gebeten, der geschäftigen Küche näher als dem erwarteten Festakt. Bei unserem zweiten Gang begannen wir, uns zu fragen, ob die Gastgeber vergessen hatten, Einladungen zu verschicken, aber gegen zehn trudelten Damen und Herren und viele Kinder allmählich ein. Wir tippten auf Erstkommunion und gingen schlafen.

Foto: salexcarvalho/Pixabay | Titelillustration mit Bildmaterial von Shutterstock: Alberto Masnovo (Ätna), LightField Studios (Müll)

35 Kommentare zu “#44C – Durch Monreale und durch Müll

  1. Verdreckte Strände kenne ich zwar nicht aus Sizilien, aber von zwei Besuchen in Indonesien. Es gibt nichts dümmeres und deprimierenderes als solch ein verdrecktes Paradies.

  2. Mit Catania verbinde ich schöne Erinnerungen. Ich war dort vor langer Zeit einmal für eine längere Geschäftsreise. Dieser Mix aus typisch italienischer Schönheit und dem Rohen Siziliens ist doch recht einmalig.

      1. Nein nein, Brioche mit Eis zum Frühstück. Das habe ich dort tatsächlich auch gesehen und probiert. Gewöhnungsbedürftig, aber bei 40 Grad im Sommer geht es.

    1. Und bei dem schön gedekcten Bild bekomme ich auch gleich Appetit. Ich muss mir auch ein Wochenend-Croissant suchen 🙂

  3. Ja das stimmt. Leutegucken macht doch den halben Restaurantbesuch aus. In einem leeren Lokal speisen macht wirklich nur halb soviel Freude.

      1. Zumindest dann, wenn man selbst gut kochen kann. Ansonsten empfiehlt sich auch der Restaurantbesuch ohne große Gesellschaft.

      2. Kenne ich bisher nur aus meiner Fantasie oder billigen Vorabendserien. Mein Lieferservice hat mir bisher niemand geschickt, den ich über Nacht dabehalten wollte. Hahaha.

      3. Besser als die attraktive Bringschaft für die Nacht – oder kürzer oder länger – gewollt zu haben und stattdessen neben Pizza auch noch eine Abfuhr zu bekommen.

      1. Weise. Es gibt ja Ausnahmen, die sich am Aufregen und Meckern begeistern können, aber für alle anderen ist das doch eine sinnvolle Richtlinie.

  4. Bei meiner letzten Kalabrienreise dachte ich auch, dass man vielleicht doch etwas von der ’Ndrangheta mitbekommt. Aber das läuft wohl wirklich nicht vor den Augen der Touristen ab.

      1. Von der Mafia betriebene Lokale halten sich sehr gut. Und wenn Marlon Brando als Pate in den Raum tritt, erwidert man höflich sein „Buona serata“.

    1. Silke mit gedecktem Frühstückstisch – ihr lächelndes Kopfschütteln ist reines Vergnügen! Gern mehr von solchen Verrückungen!

      1. Neulich habe ich eine Werbung für Hochfrequenz-Summton-Armbänder gesehen. Anscheinend der letzte Anti-Mücken-Schrei.

      2. Da wird man dann nicht ddurch den Juckreiz sondern durch das ständige Summen wahnsinnig?

      3. Der gute Ton ist wohl nur den Mücken hörbar. Ob das Ohr empfindlicher ist oder die Haut? Beim Hardrock-Open-Air mit Armen und Beinen in die Pommes-Maschine stolpern: dann weiß man’s.

    1. Biegsam wie kubanisches Zuckerrohr, standhaft wie die deutsche Eiche. Gläubig wie die papstgesegnete Nonne, ideologiefrei wie der gutmütige Atheist: der ideale Mensch. Leider ohne Vorfahen oder Nachkommen. Und ohne Geschlecht.

    2. Wer sich und seine Pläne nicht anpassen kann muss sich zumindest auf eine große Portion Frustration gefasst machen. Es kommt ja selten ganz genau so wie man es vorher erwartet, gewünscht, geplant hat.

      1. In dem Fall, dass es nicht läuft wie gewünscht, schiebt man die Schuld auf andere und regt sich dementsprechend auf. Mit Glück kommt dann jemand wie Trump und stellt einem sein glückliches Leben wieder her.

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