Am Dienstag musste ich mit dem Zug nach Glasgow, so dass mir Edinburgh auf Anhieb nachträglich hübsch vorkam, am Mittwoch und Donnerstag war ich, immer von meinem Hotel aus, anderweitig unterwegs. Aus St. Andrews, der Wiege des Golfs, brachte ich als vorausgeplante Weihnachtsüberraschung meinem Vater einen Stich von längst toten Spielern mit. Mehr konnte ich in dieser Hinsicht nicht für ihn tun. Seine Club-Partner würden sich heterosexuellere Partien für ihre Töchter einfallen lassen müssen. Die Töchter sind inzwischen verschrumpelte Großmütter, der Stich hängt immer noch, nur wenig ausgebleicht, in der Diele des Hauses, das inzwischen mir gehört.

Fotos (2): Privatarchiv H. R.

Am Donnerstag kramte ich meinen aus London mitgebrachten ‚Spiegel‘ raus und begab mich zum Lesen in den dem Hotel angegliederten Pub. Dort wurde ich von einem Schotten angesprochen, der ziemlich alt und der Meinung war, England hinge ganz und gar von Schottland ab, ohne dieses lästige Anhängsel würde es Schottland viel besser gehen.

Während der Eiferer im gents room sein Bier abließ, äußerte sich mein Nachbar zur anderen Seite: ‚Drunken Scots are terrible!‘ Um meine Ruhe zu haben und zu lesen, verwickelte ich beide in ein Gespräch, so dass sie über meinen Kopf hinweg weiterstreiten konnten, bis der alte Schotte, der mit den dreckigsten Händen, die ich je gesehen habe, ausgestattet war, zu Weib und Enkeln musste.

Der etwa dreißigjährige Engländer wandte sich nun wieder mir zu und erzählte mir ausführlich von seinem deutschen Freund Klaus, mit dem er ‚a gorgeous time‘ in Monte Carlo verbracht hatte. Ich hörte geduldig zu, war aber doch so einsilbig, dass er kurz nach neun verschwand.

Dafür erschien ein rasantes Paar auf der Bildfläche, ihr Kleid raffiniert, sein Anzug nach Maß. Sie setzte sich an der Bar neben mich, sah, dass ich im ‚Spiegel‘ las und fragte mich, ob ich Deutscher sei. Wir kamen ins Gespräch. Sie wollte nach Wien gehen und hatte schon einen recht beachtlichen Wortschatz. Freunde von ihnen kamen dazu. Ich wurde bekanntgemacht und aufgefordert, mich ihnen anzuschließen. So landete ich in einem imposant aufgemachten Nachtclub, wo ich mit Abendessen und jeder Menge Whisky versorgt wurde. Andere Freunde von ihnen kamen an unseren Tisch, und schon waren wir mitten in der Martini-Gesellschaft, die ich in der Werbung immer so sehr bewundere und wie sie Harald und mir als nur halbwegs ironisiertes Ideal vorschwebte.

Im Laufe des Abends wurde ich eingeladen, das Wochenende mit ihnen zu verbringen, was ich aber instinktiv ablehnte. Martini-Gesellschaften sind gut für einen ausgelassenen Abend, aber auf die Dauer lässt man sie besser aus. Denn, so schön es war, es ist kein Handlungsfaden zurückgeblieben, den man weiterspinnen und zu einem Netz weben müsste, …

… schrieb ich altklug in mein Tagebuch, schließe aber versöhnlich: …

… Am Ende von Edinburgh steht die große Welt.

Am Freitag kehrte ich zurück nach London, ohne im tieferen Sinne zu irgendetwas zurückzukehren. Eine eigenartige Verschiebung von Relationen, die mir die Freude am Wiedersehen nahm, mich verwirrte. Alles war wie im Traum, im Nebel.

Fotos (2): Privatarchiv H. R.

Am Sonnabend streifte ich dann aber doch – nicht direkt abenteuerlustig, aber doch -empfänglich – durch Chelsea und Kensington, kaufte ein paar ‚Klamotten‘, wie man heute sagt; mir war Kleidung inzwischen genauso wichtig wie Musik. Mich zur Geltung bringen und dann verweigern – mein Schönstes! Ich glaube, das habe ich von meiner Mutter. Am Abend sprach mich in einem Pub in der Earls Court Road auch wirklich jemand an:

Fotos (3): Privatarchiv H. R.

Er sah nicht schlecht aus, aber so ein bisschen gemein, und ich wusste nicht recht, ob es die Gemeinheit war, die man gern hat. Nach einer Weile fragte er, wo ich wohne. Ich log: gleich um die Ecke, deshalb sei ich hier, ich sei erst vergangene Woche eingezogen, dies sei das erste Lokal, das ich beträte. Er besaß die Unverschämtheit, mich zu fragen, ob wir nicht zu mir gehen wollten und anschließend! hier ‚a nice drink‘ haben würden.

Wie Shirley Bassey sagte ich: ‚It’s impossible.‘ Sein impertinentes ‚Why?‘ beantwortete ich mit der Mitteilung, dass ich die Wohnung ‚with my girl friend‘ teile, und ‚she is writing an important report‘. Dann nahm ich meine Tüten und die District Line bis Embankment und fuhr zufrieden (?) mit der Northern Line zu meiner kleinen Wohnung in netter Gegend zurück.

Foto: Claudio Divizia/Shutterstock

21 Kommentare zu “#1.7 Die große Welt

  1. Ahhh begehrt werden! Ist man zufrieden mit einem Flirt, der einem nichts bedeutet? Freut man sich, dass man lästige Verehrer abwimmelt? Grämt man sich weil selbst die, die einen nicht interessieren gleichgültig scheinen? Kompliziert…

  2. Nichts gegen Glasgow, da habe ich drei ziemlich spannende Jahre meiner Jugend verbracht. Die Stadt hat wirklich Charme wenn man sich mal eingewöhnt hat.

  3. Wenn man sich diesen Brexit-Albtraum anschaut, würde es den Schotten ohne England wohl tatsächlich etwas besser gehen.

  4. „…so schön es war, es ist kein Handlungsfaden zurückgeblieben, den man weiterspinnen und zu einem Netz weben müsste,…“ Gar nicht altklug, sondern auf den Punkt formuliert, wie ich finde. Wie viele andere Passagen in diesem Text. Das Zurückkehren wollen in tieferem Sinne zum Beispiel. Ich fühle mir aus der Seele geschrieben!

  5. 1971 warst Du schon in der großen Welt – während ich noch, studentenbewegt, in Hamburg im Studium steckte und darüber nachdachte, ob sich „heterosexuell“ steigern läßt…Erste erfolgreiche Versuche, mich zur Geltung zu bringen. Warum verweigern, wenn sich die Türen öffnen?

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