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Religion

Von Katzen und Käuzen

Jeden Mittag besuchte uns in Meran auf unserer Essterrasse eine Katze, uneingeladen, aber willkommen. Sie will rumliegen, fressen und, nur wenn sie rollig ist, obendrein Sex. Wäre sie eine Frau, dann wäre sie ständig rollig und wäre außerdem noch an ihrer – salopp „Klamotten“ genannten – Garderobe interessiert, sowieso leckt sie sich dauernd das Fell. Wäre sie männlich, käme als weiteres Element der Fußball hinzu. Was noch? Na ja, den meisten reicht das. Ich liebe Klischees! So wie es keinen Rauch ohne Feuer gibt, gibt es kein Klischee ohne Wahrheit, und dass nachts alle Katzen grau sind, leugnet nur ein Farbenblinder.

Foto links: ID1974/Shutterstock | Foto rechts: Jörg Lantelme/Fotolia | Foto unten: gpointstudio/Shutterstock

Immer, wenn mich die tagsüber braungescheckte Katze anbettelt (wie blöd sie ist, ich esse doch gerade bloß Valerianella locusta [Feld- oder Vogerlsalat] und nachher Himbeermousse, für das ihr die Geschmacksknospen fehlen, weshalb Katzenzungen niemals Süßes wegschlucken), dann sage ich zu ihr: „Lies doch lieber mal ein gutes Buch!“ Aber sie hat eben überhaupt keinen Geschmack. Gebe ich ihr ein Fitzelchen San-Daniele- oder Parmaschinken, schlingt sie den weg, als käme er von einem ammoniakstinkenden, alten Mastschwein und will nichts als mehr. Von Tieren lernen, heißt, Ungenügsamkeit lernen. Bescheidenheit geht anders.

Foto oben: Dora Zett/Shutterstock | Foto unten: Sergey Zaykov/Shutterstock

In der ersten Liga habe ich nie gespielt. Meinen Abstieg von der dritten in die Krüppelliga habe ich mit Gleichmut getragen, nicht wirklich, aber dem Anschein nach – ist das sportlich? Immer habe ich mich als unsportlich eingestuft, schon weil mich fremder Leute Wettkämpfe, aus denen ich nichts lernen kann, nie besonders interessiert haben. Und „live“ war für mich auch nicht automatisch ein Prädikat, allenfalls: besonders wertlos. Vorfreude, Nachfreude zählen.

Foto oben: nullplus/Shutterstock | Foto unten links: ra2studio/Shutterstock | Foto unten rechts: ADDICTIVE STOCK/Fotolia

Dramaturgie schaffen, Gott spielen. Lieber lausche ich meinen Kopfhörern als jemandem, der mich von der Bühne her ansingt. Gemeinschaftsgefühl entsteht bei mir selten, wohl aufgrund meiner Herkunft. Ich kann das bedauern, aber nicht ändern. Obwohl: Wenn ein Moderator betont, dass er live sendet, dann hat das was für mich. Dann fehlen nur Gäste, die unrausschneidbar sagen: „Lass doch die Afrikaner, die sowieso zu viele sind, einander umbringen in Machtkämpfen, dann kommen sie wenigstens nicht übers Mittelmeer, um uns zu belästigen.“ Oder: „Putin hat doch völlig recht, das russische Reich muss so schnell wie möglich wieder zu den Grenzen der Sowjetunion zurückkehren, um als ‚Global Player‘ anerkannt zu werden.“ Oder: „Mir imponieren diese Islamisten. Die haben noch den Furor, der dem Abendland nach den Kreuzzügen verlorengegangen ist.“ Oder: „Erbschaftssteuer 100 Prozent! Was nicht selbst erarbeitet ist, gehört dem Volk der Steuerzahler.“

Foto: C. Schüßler/Fotolia

Aber wenn es gepflegt zugeht, dann ist die ausgeklügelte Inszenierung unterhaltsamer als die Direktübertragung. Und wenn jeder alles nach Belieben abrufen kann, dann gehen auch noch der Termin für den ersten Biss ins Abendbrot zur Fanfare der ‚Tagesschau‘ und die Selbstverständlichkeit, ab 20.15 Uhr während des Tatorts kein Telefongespräch mehr anzunehmen, verloren.

Welche Möglichkeiten der Zeiteinteilung, um die Mythos schaffende Unerreichbarkeit immer mal wieder zu gewährleisten, bleiben? Sie soll ja nicht mutwillig, sondern bedacht wirken. Wenn ich aber jederzeit alles abrufen kann, dann kann ich auch nichts verpassen, und meine Ausrede ist futsch. Außerdem war das mein eigentliches Live-Erlebnis: „Jetzt sucht mit mir halb Deutschland nach dem Täter.“ Wenn ich um feste Sendeplätze gebracht werde, ist mir das einfach zu modern. Kein Time-Shifting, bitte. Da bin ich ein altmodischer Kauz.

Foto: Alexander Kirch/Shutterstock

Der maßlose Wunsch, ich selbst – und nur ich selbst – zu sein, widerspricht allen religiösen und sozial(istisch)en Idealen der Vergangenheit, ist aber das Ideal des Zeitalters, das durch die Gleichzeitigkeit vom Verlust anderer Ideale und dem Gewinn des Internets geprägt ist.  Ärgerlich, dass aber die Unerträglichkeit des Seins nur mit Einfalt, Drogen oder Ideen zu überbrücken ist: „Ich finde alles so schön, weil alles so schön ist.“ „Ich finde alles so schön, weil ich mich in den Zustand versetzt habe, alles so schön zu finden.“ „Ich finde alles so schön, weil ich die Mutter gesunder Kinder bin, die gesunde Kinder zur Welt bringen, und wir alle in den Himmel kommen beziehungsweise kämpferisch auf dem richtigen Weg für die Menschheit sind, und ein behindertes Kind ist auch ein Gottesgeschenk, und gar keins auch eins: braucht es halt nicht zu leben.“

Foto: AboutLife/Shutterstock

Die Religionen halten die Menschen zusammen und treiben sie gegeneinander. Sie schaden deutlich mehr als sie nützen, aber sie werden nun mal gebraucht. Sie führen zu Massenmord und ins Paradies. Die orthodoxe Kirche war stärker als der Kommunismus, und Gott hat noch keine Menschheit geschaffen, die ihn nicht braucht, weil Wesen, die wissen, dass ihnen unweigerlich der Tod bevorsteht, sich etwas ausdenken müssen, um das durchzustehen, und da sind halt Moses, Christus, Buddha – von Mohammed ganz und gar nicht zu schweigen – irgendwie eindrucksvoller mit ihren  Lehren als die banale, aber eine Auswahl voraussetzende Frage, was man heute isst und was man morgen anzieht, wobei ja allen vier Religionsstiftern zu Mahlzeiten und Garderobe ziemlich ausgeprägte Vorstellungen nachgesagt werden.

Religionen bestehen aus Verboten und Verheißungen. Es wäre der Himmel auf Erden, ohne beides auskommen zu können, wie schon John Lennon sang. Aber das wird wohl erst den uns übergeordneten Wesen gelingen, denen die Schöpfung dann etwas Besseres mitgegeben haben wird als das, was wir ironielos als Verstand bezeichnen. Keine Ahnung, ob oder wie man mit oder ohne Einfältigkeit(en) oder mit oder ohne Droge(n) glücklich wird, aber ohne Idee(n) bleibt man unglücklich.

Der Gläubige ist dem Ungläubigen überlegen: weil er glaubt. Wer nicht glaubt, braucht ein Ziel, weil ihm die Aussicht, in den Himmel zu kommen, weder wahrscheinlich noch erstrebenswert erscheint. Ewig glücklich sein – wer will das schon?

Foto oben: Jag_cz/Shutterstock | Foto unten: stockphoto-graf/Shutterstock

14 Kommentare zu “Von Katzen und Käuzen

  1. Das Problem von Klischees und Verallgemeinerungen ist, dass heutzutage immer weniger Menschen wahrnehmen, dass es sich eben um Klischees und Verallgemeinerungen handelt. Was auch immer man auf einem Blog, auf Facebook, in einem Zeitungsartikel liest, MUSS wahr sein. Und zwar wortwörtlich. Schreie ich deswegen empört „Fake News“? Nein. Verblödet die Menschheit mehr und mehr? Ich weiss es nicht. Irgendwie fehlt mir aber oft die nötige Reflexion oder der Ansporn noch einen zweiten Artikel zum selben Thema zu lesen.

    1. Da fällt mir diese Studie ein, in welcher man Facebook-Nutzer gebeten hat Nachrichtenartikel, gesponserte Beiträge und private Posts zu unterscheiden. Das Ergebnis war ja sehr erschreckend.

    2. Den Artikel über diese Studie habe ich auch gelesen. Und dass die Rechtspopulisten, allen voran Trump, nun andauernd FAKE NEWS! deklarieren macht die Sache natürlich nicht besser.

  2. Der Stempel „live“ im Fernsehen ist wohl genauso bedeutungslos wie das Bio-Siegel im Supermarktregal. Mittlerweile ist auch das Mineralwasser „Bio“, der Joghurt „glutenfrei“, die Konzertübertragung „live“… jeglicher Wert oder Aussagekraft schon längst verloren.

    1. …und „live“ meint heute in der Regel ja auch gar nicht mehr wirklich live, sondern mit ein paar Sekunden Verzögerung. Da kann man im Zweifel doch noch abbrechen, ausblenden oder schneiden falls mal etwas nicht nach Drehbuch geschieht.

    2. Früher war alles besser hat auch früher schon nicht geholfen. Was natürlich stimmt, ist, dass es durch neue Technologien, die neuen Medien und grundsätzlich bessere Vernetzung ein Überangebot gibt. Das Spezielle, Seltene, Besondere ist immer schwerer zu finden. Man darf trotzdem nicht vergessen, dass es nicht nur ein Mehr an Mist gibt. Die Anzahl von Qualitätsprodukten wird zwar nicht unbedingt größer, aber man kann sie immerhin leichter bekommen. Ich muss nicht jedes Bioprodukt kaufen, ich habe aber die Möglichkeit hochwertige Lebensmittel zu finden. Ich muss nicht alles sehen was live gesendet wird, es gibt aber das Angebot. Ich kann ein Konzert streamen wenn ich mir die Eintrittskarte nicht leisten kann. Alles hat zwei Seiten.

  3. John Lennon’s Wunsch wird leider wohl nie in Erfüllung gehen. Keine Religionen, keine Kriege, keine Machtmenschen? Ich kann es mir nicht vorstellen.

    1. Und selbstverständlich: Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüth einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks. (Karl Marx)

  4. Es gibt kein Klischee ohne Wahrheit, aber es gibt eine Wahrheit ohne Klischees. Hoffe ich zumindest. Immer noch.

    1. Der Mensch braucht Klischees um sich im Leben zurecht zu finden. Genau wie er Religion oder politische Führung braucht. Ansonsten müsste er ja selbst nachdenken.

  5. „Ich finde alles so schön, weil ich die Mutter gesunder Kinder bin, die gesunde Kinder zur Welt bringen, und wir alle in den Himmel kommen beziehungsweise kämpferisch auf dem richtigen Weg für die Menschheit sind, und ein behindertes Kind ist auch ein Gottesgeschenk, und gar keins auch eins: braucht es halt nicht zu leben.“ Ich habe das Gefühl, den Satz könnte man bei mir um die Ecke wortwörtlich im Café hören…

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