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‚Die Lehre der Auswahl und Anordnung erzählerischer Mittel zur Darstellung einer Geschichte‘
Liebe Leserinnen und Leser!
Wer nur Kurzinformationen absorbiert, kennt das gar nicht mehr. Wer seine Zeit aber auch mit Netflix verschönert, bekommt beiläufig oder aufmerksam das mit, was für mich ein bewusst gestaltetes Leben ausmacht: Dramaturgie (Definition des Filmlexikons: siehe Titel).
Ein bewusst gestaltetes Leben, das war für mich immer sowohl Zustand als auch Ziel. Negativ ausgedrückt: Ich habe immer manipuliert. Positiv ausgedrückt: Ich habe immer gestaltet. Jetzt genieße ich es, dass ein Tag wie der andere ist. Abwechslung bieten das Mittagessen, zu dem ich manchmal Vorschläge mache, und die ‚Tagesschau‘ mit Nachrichten, die ich mal zu kurz und mal zu lang finde. Bei den ‚Brennpunkten‘ stelle ich immer aus. Da stehen Korrespondenten rum, die erklären, dass die Lage unübersichtlich sei, oder dass man noch nicht wisse, warum jemand erschossen, abgesetzt oder festgenommen wurde. Das hat keine Dramaturgie.
Unvorbereitetes mag ich nicht so. Meine Schlagfertigkeit muss reichen. Alles andere ist geplant. Wie die meisten Menschen halte ich mich für schlauer als die meisten Menschen. Es ist besonders schlau, sich das nicht anmerken zu lassen, aber trotzdem auszustrahlen. Das Schlaueste an mir ist es, den Eindruck zu erwecken, dass ich schlauer sei als ich bin, und wenn ich das ausspreche, klingt es so schön ironisch-kokett – aber genug von mir. Kommen wir lieber zu Lessing! (Schlau, was?) 1769 veröffentlichte er seine ‚Hamburgische Dramaturgie‘ und veränderte damit das Theater. Nun sollten nicht mehr heroische Gestalten im Mittelpunkt und auf der Bühne stehen, sondern Menschen, in die sich das Publikum hineinversetzen konnte: mitfreuen, mitleiden. Auch wenn es inzwischen zum Teil anders gehandhabt wird, in einem Roman, in einem Film möchte ich eine Bezugsperson haben. Wenn mir die Leute egal sind, ist mir auch egal, was mit ihnen passiert. Das mag altmodisch sein, aber dann sind eben 90 Prozent der Leser und Zuschauerinnen altmodisch.
Die Form unserer Zeit ist die Serie. In zehn bis hundert Folgen kann ich Charaktere ganz anders entwickeln als in 90 Minuten. Das ist wie ein Roman in sprechenden Bildern, die man nicht im Kinosessel, sondern im Bett oder im Wohnzimmer erlebt. Der lange Atem bekommt der Handlung, vorausgesetzt, die Dramaturgie stimmt. Wie man so eine Serie aufbaut, kann man lernen, aber wie bei allem, nicht ohne Talent.
Für meine Schulaufsätze lernte ich: Erst schreibt man etwas über den Autor eines Werkes (Einleitung), dann fasst man seinen Stoff zusammen (Hauptteil) und dann nimmt man Stellung dazu (Schluss). So entstanden Millionen von Interpretationen: zu Dramen, Novellen, Gedichten – Shakespeare, Kleist, Brecht. Hoffentlich erhalten sich die Deutschlehrer über all die Berufsjahre hinweg ihren Enthusiasmus!
Komposition habe ich studiert wegen des Aufbaus von Musik, eigentlich wegen der Sonatenform. Der Kampf der Themen, wie ich ihn mir ausmalte, kam dabei in den Durchführungen selten wirklich so zur Geltung, dass ich damit zufrieden war; in Beethovens berühmter ‚Fünfter‘ schon gar nicht: Da ist im ersten Satz das zweite Thema völlig unbedeutend. In Schuberts Streichquartett ‚Der Tod und das Mädchen‘ werden im Mittelteil die beiden Themen wirklich krass gegeneinander ausgespielt und verändern sich dabei. So will ich es haben, und wegen dieses Anspruchs fand ich absolute Musik immer wesentlich spannender als Opern, bei denen das Publikum auf Singstimmen achtet und auf Melodien (ohne nach Richard Strauss noch recht fündig zu werden). Selbst in der Pop-Musik sind Melodien nicht mehr wichtig. Im Rap zählen der Beat und das Wort, auch wenn man es nicht versteht. Viel Aufbau erkenne ich da nicht, aber wenn es ein Star bis zu einem Film über sich gebracht hat, manchmal sogar zu seinen Lebzeiten, dann geht es nicht ohne Form, nicht mal bei Dokumentationen.
Biografien liefen im Kino und im Fernsehen immer chronologisch ab. Früher. Heute ja nicht mehr: zu langweilig. Gab es damals Zeitverschiebungen, dann wurden sie durch weiche Überblendungen vorbereitet: erst das Gesicht des Anti-Helden in Großaufnahme mit ‚sinister‘-sinnendem Blick, dann er als Kind, wie er sieht, dass der Vater die Mutter schlägt oder die Mutter den Vater, was den Zuschauenden erklärte, warum er jetzt Männer bzw. Frauen umbringt. Heute wird das ohne Überblendung reingeklatscht, und außerhalb der Altersheime versteht es jeder. Der Kommissar oder die Kommissarin lösen den Fall trotz Beziehungsproblemen oder Ärger mit der Tochter, die womöglich noch entführt wird, aber grundsätzlich freikommt, um mit einem abschließenden Augenaufschlag klarzumachen, dass sie nun versteht, warum sich ihre Erziehungsberechtigte mehr um Verbrecherjagd als um Elternabende kümmern muss.
Meistens ist es so: Erst ist alles gut. Zehn Minuten lang erleben wir Glück oder Alltäglichkeit. Dann passiert etwas: Tod oder Erdbeben oder die Entwendung der Kreditkarte, und sofort entsteht Chaos. Wie es nachher endet, das macht den Unterschied zwischen Drama und Komödie aus. Autoren oder Sender, die dem intakten Familienleben am Anfang misstrauen, fangen lieber gleich mit dem Mord an oder zeigen die Kommissarin beim Sex, den sie zum Missfallen ihres Partners (oft männlich) abbricht, weil das Telefon klingelt: die Leiche.
Auch Ruheständler, die sich selbst auf Drängen im Hubschrauber angereister Generäle keinesfalls vom Angeln in seichten Gewässern abbringen lassen wollen, fliegen dann doch nach Bangkok und retten die Welt.
Die Dramaturgie muss abwägen: Wann ist es opportuner, Erwartungen zu erfüllen, wann ist es besser, Überraschungen zu liefern. Wenn mein Ziel die Quote ist, schreibe ich natürlich anders, als wenn es mein Ziel ist, die Menschheit besser zu machen. Dieses Ziel hatten Goethe und Schiller wohl beide, aber Goethe schrieb lausige Theaterstücke, Schiller grandiose. Er hatte einfach den besseren Sinn für Dramaturgie, auch wenn Goethe der allumfassende Geist war. Heute sagen die einen „Fuck Ju Göhte!“, die anderen glauben immer noch an das, was in der noch viel älteren Bibel steht. Manchmal sind es sogar dieselben.
Unsere Sehgewohnheiten haben sich während der vergangenen hundert Jahre grundlegend geändert: Je schneller die Schnitte, desto moderner der Film, ist die Annahme seit spätestens 1960, und in Bayreuth traut sich auch kein Regisseur mehr, Wagner ohne aktuelle Verweise zu inszenieren. Das wichtigste Argument ist immer der Bezug zur Gegenwart. Was lernen wir aus der Schlachtung eines Mammuts vor 18 000 Jahren über die Zubereitung von Tofu-Knödeln in der modernen Küche?
Eigentlich brauchen wir uns um die Gegenwart nicht zu kümmern: Sie ist sowieso da. Die Vergangenheit müssen wir beackern, um uns selbst oder den anderen weiszumachen, wie sinnvoll, herrlich oder grässlich sie war. Deutungshoheit! Für die Zukunft müssen wir erst recht planen, damit sie so wird, dass wir anschließend unterhaltsam über sie erzählen können. Dann kommt das Alter. Es macht nicht glücklich, muss aber auch nicht traurig machen. Ohne das Alter würde mir etwas fehlen. Aus heutiger Perspektive. Aus welcher sonst? Ein Trost: Ich hätte es ja nicht mitbekommen, wenn es weggefallen wäre. Kleist brachte sich um mit 34; Mozart starb mit 35. ‚Frühvollendet‘ heißt es so schön. Gar nicht schön. 1979 lag ich mit Drüsenfieber im Krankenhaus. Ich male mir manchmal aus, was ich alles versäumt hätte, wenn ich damals gestorben wäre: ein aus jetziger Sicht unfertiges Leben. Wie ein Essen ohne Nachtisch. Er muss nicht süß sein, Käse geht auch, aber bloß Kaffee, das ist wie eine vorgezogene Beerdigung. Da fehlt dramaturgisch etwas.
Seit ich aufgehört habe, täglich mit Gott zu sprechen, weil mir das Gespräch zu einseitig wurde, ersetzt die Dramaturgie diese Lücke. Den Ablauf, die Steigerung, die Schlusspointe, das habe ich bei Veranstaltungen, Reisen, Schriften und Musiken immer akribisch vorherbestimmt: die Reden geschrieben, die Restaurants gebucht, die Effekte berücksichtigt. Spontanität kommt sowieso, die plane ich gleich mit ein. Es soll alles passen, stimmen und eigentlich soll es überwältigen.
Wenn Rigoletto denkt, er habe den Verführer seiner Tochter ermorden lassen und ihn plötzlich aus der Ferne seinen Gassenhauer singen hört: Das ist der Moment! Die Melodie bekommt auf einmal eine ganz andere Bedeutung. Rigoletto findet seine tote Tochter, und ich heule los.
Reicht das als Schlusspointe?
Euer Alleinunterhalter
Hanno Rinke
Grafik mit Material von: mit KI generiert über Discord mit Midjourney (Schuhe links und rechts), Freepik (li., Nikolausgeschenke, Süßigkeiten)
Die Dramaturgie im Jahre 2024 ist schon ein komisches Ding. Einerseits muss alles in wenigen Sekunden vermittelt werden können (TikTok), andererseits wird auf Netflix alles auf mindestens 8 Folgen Serienmaterial gestreckt. So richtig stimmt das alles nicht.
Der ‚Tatort‘ ist immer noch 90 Minuten lang, aber wenn man dessen heutigen Inhalt und Erzählstil mit den ersten ‚Tatort’en des Jahres 1970 vergleicht, erhält man einen Eindruck davon, wie sich Technik, Weltsicht und Lebenswirklichkeit in diesen 55 Jahren grundlegend verändert haben.
Schon interessant, wie das Format über Jahrzehnte immer wieder neu die Balance zwischen Tradition und Zeitgeist findet. Viele andere Reihen waren da weitaus weniger erfolgreich.
Was immer noch ‚Tatort‘ heißt, ist ja nicht viel mehr als eine eingebürgerte Überschrift. Von Klamauk bin Science Fiction spielt sich da jedes Genre ab. Nur ein bis vier Personen aus dem Polizeirevier müssen in die Handlung eingewoben werden. Oder umgekehrt: Die ausschlaggebende Befindlichkeit der Ermittler(innen) wird mit ein bisschen Mord unterfüttert.
Da haben Sie recht – manchmal frage ich mich, ob die Kommissare nicht bald mit Lichtschwertern ermitteln oder in einem Musical die Verdächtigen zum Geständnis singen lassen.
Interessant, wie die Dramaturgie nicht nur das Erzählen beeinflusst, sondern auch, wie wir Medien konsumieren. Gerade heute Abend zeigt der neue Tatort in „Stille Nacht“ aus Bremen, wie Familiendramen und Spannung dramaturgisch umgesetzt werden können. Passt ja thematisch schon einmal zum heutigen zweiten Advent. Ob es mehr Murks oder echte Spannung wird, bleibt abzuwarten.
Also, ich fand, mehr in Richtung Murks.
Herr Rinke, sie schaffen es, Alltägliches so zu erzählen, dass man sich wie in einem Theaterstück fühlt.
Begabung.
Ich mag Leute, denen die Dramaturgie der Dinge am Herzen liegt. Das zeigt doch nur, wie viel Liebe für die kleinen Details aufgewendet wird.
Na, was sagt es denn anders herum, wenn diese Dramaturgie bzw. Detailversessenheit fehlt? Ist das etwas subjektives oder mangelt es dann wirklich gleich an Interesse?
Hmmm, vielleicht fehlt nicht unbedingt das Interesse, sondern die Fähigkeit oder der Wille, Tiefe und Struktur wahrzunehmen. Dramaturgie gibt Sinn und Form – ohne sie bleibt vieles diffus. Ob das Mangel oder einfach eine andere Perspektive ist, hängt aber wohl vom Betrachtenden ab.
Wille und Fähigkeit sind schon sehr wichtig. Trump hat beides: Er erreicht seine Ziele und hat keinen noblen Charakter. Steinmeier ist womöglich ein guter Mensch und langweilt. Die Welt wird durch diese Diskrepanz nicht besser, aber unterhaltsamer.
Wobei Trump sein Depot an Unterhaltsamkeit ja mittlerweile aufgebraucht hat…
Ich finde Trump unterhaltsamer als eh und je. Er könnte mit Elon Musk eine Clownschule aufmachen.
Sieger Trump im Trio mit den bedrängten Anführern Macron und Selenskyj sorgt doch für mehr Unterhaltung als der ausgeschlossene, angezählte Olaf Scholz.
Ich frage mich nur immer ob Politik wirklich unterhaltsam sein muss. Ich habe die amerikanischen Nachrichten lange verfolgt. Es erinnert einen ja geradezu an eine klassische Seifenoper. Aber mittlerweile finde ich Trump und seine ganzen Spinnereien hauptsächlich ermüdend.
‚Ermüdend‘ habe ich lieber als ‚bedrohlich‘.
Aber genau das macht es doch so gefährlich. Donald Trump arbeitet schon jetzt aktiv daran, die Demokratie in den USA zu untergraben. Seine Skandale, Obszönitäten und Provokationen führen dazu, dass die Menschen allmählich abstumpfen und gar nicht merken, wie nach und nach Rechte verloren gehen.
Nur darf über die ‚Liebe für die kleinen Dinge‘ nie der Überblick verloren gehen. Sonst laufen auf einleuchtend dekorierer Bühne (etwa Fürstenhof oder Elendsviertel) Darsteller herum, die keine Regieanweisungen bekommen haben. Das gibt es ja sogar, und es gilt als Spitzenleistung des zu Ende gedachten Theaters.
Entscheidend ist ja immer, dass selbst hinter vermeintlicher Regielosigkeit eine klare künstlerische Absicht spürbar bleibt. Denn ohne solch eine Absicht wirkt die Inszenierung tatsächlich orientierungslos. Aber klar, ich habe auch schon schlimme Inszenierungen gesehen.
Ironischerweise wird oft gerade die Abwesenheit von Struktur als künstlerische Freiheit gepriesen. Ob der Kunstbegriff per se nur als Freiheitselement Sinn macht, müsst ihr sagen.
Das fragen sich die ganzen Theaterinstitutionen bei ihren gestrichenen Budgets gerade auch.
Der Kaisers neue Kleider bleiben immer modern, nur dass nackt inzwischen ohnhin Teil der Inszenierung ist.
@ Schani
Dass die Theater mit weniger Subventionen auskommen sollen, kann ich ja grundsätzlich verstehen. Gerade wenn es darum geht den Gesamthaushalt zu verkleinern. Aber wenn man diesen Sparplan mit einem Monat Vorlauf veröffentlicht und den Theatern gleichzeitig sagt, dass sie wirtschaftlich eben besser planen sollen – das grenzt nun schon an Unverschämtheit.
Der Zwiespalt zwischen Kreativität und Administration ist unauflöslich. Kreativität heißt: Grenzen zu verschieben. Administration heißt: sie einzuhalten.
Danke für diese vielseitigen Gedanken zur Dramaturgie! Sie erinnern mich daran, wie wichtig es ist, nicht nur Geschichten, sondern auch das eigene Leben bewusst zu gestalten – auch wenn die Überraschungen oft ungeplant bleiben 😉
Also der Gedanke, Spontanität einfach gleich mit einzuplanen, bringt einen ja tatsächlich zum Nachdenken – das Leben als durchdachte Inszenierung mit Raum für Unerwartetes. Super.
Wobei sich das leichter schreiben als leben lässt.
So ist es ja mit den meisten Ideen. Leider.
Aber bei mindestens der Hälfte der Ideen: ein Glück!
Hahaha, das ist auch wieder wahr.
Also: Die Gegenwart lebt von ihrer Unmittelbarkeit, die Vergangenheit von ihrer Deutung, und die Zukunft von ihrer Planung. Das kommt schon alles hin.
Täglich werden ja auch Versuche unternommen, die Gegenwart zu deuten. Im Allgemeinen werden diese Schlussfolgerungen in fünf, zehn oder spätestens hundert Jahren revidiert.
😆
Vielleicht liegt die wahre Kunst darin, die Zukunft so zu planen, dass sie retrospektiv perfekt erscheint.
Nur, dass niemand diese Kunst beherrscht.
ich finde, man sollte gar nicht zu sehr zurückblicken. natürlich, wenn man das Gefühl hat, einen großen fehler gemacht zu haben, sollte man die richtung korrigieren – aber man darf sich daran nicht festbeißen.
Ärgerlich, wenn Dinge, die man richtig gemacht hat, später als Fehler korrigiert werden. In der Politik geschieht das andauernd.
Besonders treffend finde ich das Bild vom unfertigen Leben als Essen ohne Nachtisch – ein einfacher, aber treffender Vergleich für das Bedürfnis nach Vollendung. Der Mensch will halt doch immer, dass alles seine Logik hat.
Ja, aber nicht jeder mag Nachtisch. Mein Mann isst z.B. überhaupt nichts Süßes. Da ist ein Abendessen also auch vorher schon komplett. Man darf nie vergessen, dass wir so etwas alle unterschiedlich empfinden. Man kann nur sein Bestes tun, indem man selbst liebevoll und sorgsam agiert. Der Rest bleibt immer Auslegungssache.
Ich sage ja: Käse geht auch. Aber unmittelbar nach dem Gänsebraten zum Abwasch zu kommen, finde ich stilistisch angreifbar.
Da fehlt nur, dass einem der Gastgeber gleich nach dem letzten Biss den Teller wegzieht.
Mein Vater war da sehr gut drin 🙄
Im Lokal habe ich das schon erlebt, in Privathaushalten eher nicht.
Ja genau – dass selbst ein Käse anstelle eines Nachtischs dramaturgisch befriedigen kann, zeigt die Vielfalt der Geschmäcker.
Nach der Peking-Ente kommt als Nachtisch ihre Suppe.
Was mich an diesen zeitlich ungeordneten Filmen ärgert, ist dass bei der Auflösung gegen Ende des Films dann doch nochmal die entsprechende Szene gegengeschnitten werden muss. Damit auch ja jeder Depp den Zusammenhang versteht. Es macht immer den Anschein als vertrauten die Regisseure ihren Tricks selbst nicht. Entweder man behält die zeitliche Logik bei, oder man bricht sie auf. Was soll denn dieses erklärende hin und her für die Dummen?
Na ja, der Regisseur erklärt so gut er kann, damit der Mainstream zufrieden ist. Schließlich geht es bei Netflix darum, wie viele Zuschauer wie lange zusehen. Wenn die Hälfte verwirrt abschaltet, sind die Produzenten eben nicht zufrieden.
Einleuchtend
Der Drehbuchautor ist der Übeltäter. Meistens. Aber manchmal ist auch die Drehbuchautorin die Übertäterin.
Sehe ich genauso! Entweder konsequent experimentieren oder die klassische Erzählweise nutzen – halbherzig wirkt es oft unentschlossen.
Früher fand ich das spannend. Mittlerweile wurde das alles so oft wiederholt, dass ich meistens eher genervt bin.
Zum Teil hat man den Eindruck, der Stoff erscheint den Machern nicht interessant genug, und deshalb müssen sie ihn mit etwas Verwirrung interessanter machen.
Da schwingt sicherlich auch eine gewisse Ernüchterung mit, nämlich die Erkenntnis, dass es immer etwas Besonderes sein muss, um im Überangebot überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Manche Regisseure verschlechtern ihren Film mit so einem unnötigen Twist, aus Angst, sonst komplett unterzugehen.
Immer noch schwingt die romantische Vorstellung mit, dass der Künstler unbeirrt das Werk schaffen muss, das er schaffen muss. Dabei dachte naürlich schon Mozart daran, was wohl gut ankommt. Das Notwendige lässt sich leichter verwirklichen, wenn das Gefällige bereits zu Anerkennung und finanzieller Absicherung geführt hat.
Ich finde, wer sein Publikum komplett ignoriert, der kann keine gute Kunst machen. Andersherum darf man sich natürlich auch nicht anbiedern. Spannend ist es immer dann wenn man sich selbst und seiner Vision treu bleibt und trotzdem genügend Punkte bietet, an denen der Zuschauer anknüpfen und sich wiederfinden kann.
So soll es sein, ist es aber nicht immer. In der Politik heißt es bei Veränderungen: „Man muss die Leute abholen.“ Das klingt immer etwas besserwesserisch. In der Kunst muss man die Menschen ‚aufrütteln‘. Auch das klingt naseweis.
Manchmal hat man aber auch das Gefühl, dass das Leben selbst so viel Dramaturgie bietet, dass man gar nichts mehr hinzufügen muss.
Ist man dann Darsteller oder Publikum?
Beides, oder?!
Immer abwechselnd.
Gerade in Zeiten von TikTok, Netflix und YouTube erscheint das richtige Maß an Dramaturgie wie eine verlorene Kunst. Gut, dass es noch sinnvolle Alternativen gibt.
Das haben die Menschen, als der Film erfunden wurde, auch schon gesagt.
Man darf ja nicht übersehen, dass ein Großteil des Publikums diese Netflix-Serien sehr genießt. Vieles hat ja auch wirklich hohe Qualität. Dass da nicht jedes Mal etwas bahnbrechendes gedreht wird, ist doch fast normal.
Schon zu Beethovens Zeiten waren die meisten Werke der meisten Komponisten Eintagsfliegen, und zu Rembrandts Zeiten wurde auch überwiegend belanglos gemalt.
Richtig, schon immer gab es vieles, das der Zeit nicht standhält – erst sie entscheidet, was auch in 50 Jahren noch relevant ist.
Vielleicht ist es schöner, zu Lebzeiten berühmt zu sein und anschließend vergessen zu werden, als umgekehrt. Bizet hat das Fiasko bei der Uraufführung seiner ‚Carmen‘ noch erlebt, bei ihrem Siegeszug rund um die Welt war er schon tot. Schade.
Tja, das stimmt wohl. Nach dem Tod ist der Ruhm nur ein Trost für die Nachwelt und, wenn vorhanden, etwas schönes für die Erben – für einen selbst ists eher wenig hilfreich.
Ich würde vermuten, dass es hier gar nicht so sehr um Ruhm geht, sondern um Gelder um den nächsten Film zu finanzieren. Schließlich sagt Netflix mittlerweile sogar Projekte mit Filmgrößen wie David Lynch ab.
Könnte passen. Dan Lin, Netflixs „Chief of Content“, sagt jedenfalls er interessiert sich “more about audience, and less about auteurs.”
Die Aussage passt eher zum CFO als zum CCO. Da ist dann sicher wieder die Frage, wo die Kunst aufhört und die Unterhaltung anfängt. Bzw. welche Gewichtung man den beiden geben möchte.
Ich halte das für eine Marketing-Aussage, um der Kundschaft zu schmeicheln.
Faust I finde ich aber nun wirklich nicht lausig!
Naja. Nicht so unspielbar wie Iphigenie oder Tasso. Der Anfang in der Studierstube ist genial, aber die Geschichte mit dem Gretchen ist doch ziemlich überholt. Bloß, dass das Mädel (schöne Fräulein) vierzehn Jahre alt ist, finde ich nach wie vor justiziabel