Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Nicht bloß zum Zeitvertreib, ich schreibe an gegen die Einsamkeit, gegen meine eigene und vielleicht, hoffentlich, auch gegen die meiner – darf ich ‚Gemeinde‘ sagen? Das Schlimme ist, dass die Anwesenheit vieler Menschen die Einsamkeit nicht zwangsläufig aufhebt, sondern sie sogar verstärken kann. Umgekehrt, wenn ich mich alleingelassen fühle, helfen viele Likes auf meinem X-Account auch nur begrenzt weiter. Flucht ins Vergnügen oder ins Altersheim? Vielleicht klappt’s. Unter Leuten Über Leben. Sich verstanden zu fühlen und selbst zu verstehen – das hilft immer. Darum sind mir die Kommentare auf meine Texte so wichtig, und darum versuche ich, auf diese Kommentare so einfühlsam wie möglich einzugehen. Meistens weiß ich ja, wovon ich spreche bzw. schreibe. Und auf Gemeinplätze falle ich selten herein. Zum Beispiel, dass das Leben schön sei, das stimmt einfach nicht. Das lasse ich mir nicht einreden.
Da aber niemand davor bewahrt werden kann, geboren zu werden – je ungebildeter und ärmer die Eltern, desto häufiger verweigern sie der Leibesfrucht das Recht, nicht geboren werden zu müssen –, sollte diese Ungerechtigkeit zumindest dadurch abgemildert werden, dass man jedem, der nicht mehr leben will, unbürokratisch gestattet zu sterben. Leute in den Krieg zu hetzen gilt vielen als legitim; ihnen das friedliche Abtreten zu erlauben, wird gleich mit dem Nazi-Schreckgespenst ‚Vernichtung unwerten Lebens‘ verteufelt. Wenn aber nun das werte Leben von dem, dessen Eigentum es ist, nicht mehr als fortführenswert eingestuft wird? Wenn man seinen Schmuck verkaufen, verschenken oder auf den Müll werfen darf, warum nicht sein Leben? – Na schön, materielles und immaterielles Gut.
Was war mehr wert: Hitlers Tantiemen für ‚Mein Kampf‘ oder sein Leben? Was wäre der materielle Wert eines Fotos seiner Leiche? Schon für seine gefälschten Tagebücher wurden in damals noch analogen Zeiten Millionen gezahlt, in der Annahme, das gezahlte Honorar würde sich durch die erhoffte Auflage wohl erwirtschaften lassen. Hitler – die Geldmaschine. Wie verurteilenswert wäre seine Mutter wohl aus heutiger Sicht, wenn sie im Gefängnis gesessen hätte, weil sie Adolf in der dreizehnten Schwangerschaftswoche abgetrieben hat? – Der Rechtsprechung nach immer noch schuldig. Es hätte ja auch Einstein aus ihm werden können. Nicht mal den jüdischen Juroren der Wiener Kunstakademie kann man heute noch sagen: Hättet Ihr den mittelmäßig talentierten Künstler damals nicht durchfallen lassen, dann wäret ihr nachher nicht vergast worden, ihr Idioten. War euer Maßstab, was Kunst ist, das wert? Egon Schiele habt ihr auch nicht gemocht, und nachdem ihr tot ward, ihr Banausen, hat eine Zeichnung von ihm mehr eingebracht, als ihr in eurem erbärmlichen Leben verdient habt! Das habt ihr nun davon.
Klingt irgendwie antisemitisch, nicht? Ist auch nicht meine Denkweise. Ich würde eher ‚From the River to the Sea‘ die Palästinenser ins Meer treiben als die Israelis. Warum? Yahya Sinwar, strategischer Kopf der Terrormiliz Hamas, sprach im Oktober 2023 zu den Juden Israels: ‚Verlasst unser Land. Geht uns aus den Augen‘, sagte er. ‚Ihr seid Fremde auf diesem reinen und gesegneten Stück Erde. Für euch gibt es keinen Ort und keine Sicherheit.‘ Rein und gesegnet – ist mir damals nicht aufgefallen, als ich dort entlangfuhr. Hamas-intern soll es geheißen haben, dass die Toten aus der eigenen Zivilbevölkerung ‚notwendige Opfer‘ seien und ‚Leben in die Adern dieser Nation fließen lassen‘1 würden. Der Anführer wurde zwischenzeitlich von Israelis ermordet. Gefällt mir. Vom Selbstmord über die Abtreibung zum Völker- und gleich noch zum Tyrannenmord. Kecke Volte.
Aber jetzt wieder zurück: Nach deutschem Recht wird man bei missglücktem Selbstmord ja nicht bestraft, sondern bloß psychologisch ‚betreut‘. Sich aus einer Laune heraus umzubringen oder unter Drogen, das ist vielleicht Pech. Wie viele Erfolge, Kränkungen, Lachanfälle und Tränenbäche denen, die ihr Leben weggeworfen haben, erspart geblieben oder verwehrt worden sind, das ist nicht zu bewerten. Verurteilen will ich die Abgetretenen nicht, aber auch nicht bedauern. Bloß etwas unsportlich finde ich sie. Wo allerdings wilder Schmerz oder tiefste Depression die Ursache für den Suizid ist, da verstummt meine Schnoddrigkeit.
Wer nach diesem Leben keine Fortsetzung zu erwarten hat, der muss sich zwar ganz genau überlegen, ob wirklich Schluss sein soll mit all den Freuden und all den Leiden hier, aber wem nach seinem Tod noch etwas Weiteres blüht, dem droht die Kirche ja erst recht mit Ungemach, wenn er selbst Schluss macht, statt das dem Schicksal, also Gott, zu überlassen.
Wie komme ich überhaupt zu meiner – ist es eine Ansicht, eine Feststellung, eine Verblendung? Mir sind durch eigenes Zutun und durch segensreiche Umstände mehr physische und psychische Glückserlebnisse beschieden gewesen als den meisten anderen Menschen in ihrem Leben. Also besteht meine Kränkung nicht darin, zurückgewiesen worden zu sein – dann wäre es so unerheblich privat, den Beleidigten zu spielen, dass das niemanden etwas anginge –, sondern die Kränkung besteht darin, existieren zu müssen, und das betrifft ja nun mal jeden. Die einen wollen nur halbwegs unbeschadet über die Runden kommen, die anderen etwas Großartiges aus sich und ihrem Hiersein machen. Das Äußerste zu wollen, kann zum Normalzustand werden, das Äußerste zu erreichen, klappt nur selten. Wenn doch, dann macht es stolz (Siegertreppchen, Oscar und Ähnliches) oder es führt zum Tod (Pech gehabt, aber genossen?).
Was mich stört: Wer den frühen Heldentod nicht schafft, den ruhmreichen Schlussakkord seiner Karriere, für den bilden die letzten Lebensjahre ein dramaturgisch unbefriedigendes Abflachen der Kurve – Schluss mit Höhepunkten! Die sprachsensiblen ‚Woker*innen‘, die uns schon das Gendern beigebracht haben, wollen uns Altgewordene nun zumindest vor der verbalen Verunglimpfung durch Jüngere schützen. Die Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman will die Altersdiskriminierung als Verbot im Grundgesetz verankern. Hoffentlich hilft’s.
Ein anderer Ansatz: ‚Wenn es das allergrößte Glück ist, nicht geboren zu werden, so halte ich es für das nächstgrößte, nach einem überstandenen kurzen Leben schnell in den früheren unangefochtenen Zustand zurückversetzt zu werden‘,2 war Senecas Meinung, und so kam er Neros Befehl, sich umzubringen, auch ohne zu zögern nach. Da es für jeden, der ähnlich wie Seneca denkt, für die Nichtgeburt schon zu spät ist, muss man, bis man das Zweitbeste, den Tod, erreicht, das Beste aus den Gegebenheiten machen: das Richtigste, das Wichtigste, das Schönste, das Aufregendste auf dieser Reise ohne Rückfahrkarte. Ich möchte gern dabei helfen, aus Einsamkeit Gemeinsamkeit zu machen. Da ich das nicht auf der Tribüne schaffe, versuche ich es eben mit Schreiben.
Bemüht (aber man soll es nicht merken),
Euer abschweifseliger
Hanno Rinke
Quellen:
1 ‚Neue Zürcher Zeitung‘ vom 10.10.2024
2 Lucius Annaeus Seneca: ‚Trostschriften‘: ‚Trostschrift an Marcia‘, XXII: (1.)
Grafik mit Material der mdv Mitteldeutscher Verlag GmbH
Der frühe Heldentod hilft einem ja auch gar nicht so recht weiter. Zumindest hat man selbst nichts davon. Erstmal ist vorab noch gar nicht klar, ob der Tod überhaupt als sonderlich heldenhaft eingestuft werden wird. Zweitens, jedenfalls wenn man unreligiös davon ausgeht, dass nach dem Tod nichts mehr kommt, bekommt man selbst von seinem Ruhm nichts mit. Ich würde abraten.
Für manche reicht der Ausblick auf den späteren Ruhm schon aus.
Der Ausblick auf Ruhm ist wie der Ausblick auf ein nettes Jenseits sicher hilfreich, um die Gegenwart zu bewältigen,
auch wenn beides nicht verbrieft ist.
Im besten Fall treibt es einen vor dem Tod zu Höchstleistungen an. Jeder findet seinen Motor eben woanders.
Gut, seinen Motor überhaupt zu finden, und wenn er umweltverträglich läuft: um so besser!
„aus Einsamkeit Gemeinsamkeit zu machen“
Dieses Prinzip ist sicher ein entscheidender Punkt, warum dieser Literaturblog so einzigartig ist. Es gibt natürlich auch eine ganze Reihe von Lesezirkeln online, aber das hier entstehende Gefühl von Community zwischen Autor und Lesern kenne ich sonst nicht. Danke.
Ohne Frage. Ihre Kommentare bzw. Antworten sind in der Regel ähnlich spannend und unterhaltsam wie der eigentliche Blogtext.
Ja, ich gebe mir Mühe. Wenn die mit Talent gepaart ist, klappt’s. (Sonst leider nicht.)
Man merkt’s. Ungewöhnlich und wirksam – da bin ich dabei. Lese Ihre Kommentare auch gern. Der durchdachte Text und die spontanen Reaktionen haben eben ihren jeweils eigenen Charme.
Wobei meine Antworten wirklich ganz spontan kommen. Da muss man natürlich aufpassen. Unbedachte Kommentare und Likes auf X haben schon manche Karriere angeknaxt.
Schreiben gegen die Einsamkeit – ein schönes Bild. Dass viele Menschen um einen herum nicht automatisch Nähe bedeuten, trifft ins Mark. Umso wichtiger, Wege zu finden, sich verstanden zu fühlen – sei es durch Worte, Begegnungen oder einfach das Wissen, dass jemand zuhört.
Dabei wird es auch im „Digitalen Zeitalter“ nicht unbedingt einfacher andere Menschen zu erreichen. Schön, dass es hier zu klappen scheint.
Danke! Da kommt noch einiges auf Sie zu.
Wunderbar
Ein Thema, das mir aus diesem Text besonders auffällt, ist die Auseinandersetzung mit der Einsamkeit und dem Wunsch nach Gemeinschaft. Sie beschreiben, wie die physische Anwesenheit von Menschen die Einsamkeit nicht immer aufhebt und dass Online-Kommunikation, wie Likes und Kommentare, nur bedingt eine Lösung bieten können. Es scheint, wie bei uns allen, eine tiefe Sehnsucht nach echter Verbindung zu geben, die über oberflächliche soziale Interaktionen hinausgeht.
Man muss sich auch fragen, wie gesellschaftliche Strukturen und moderne Technologien diese Einsamkeit beeinflussen und welche Rolle echte, zwischenmenschliche Kommunikation und Verständnis in der Bekämpfung von Isolation spielen.
Mein Problem: Viele Weggefährten sind schon tot. Die Gesprächspartner werden weniger. Mein Eindruck: Die Menschen leben jetzt isolierter als in meiner Jugend. Aber auf einer Demo ‚gegen rechts‘ erscheinen dann doch Hundertausend. Vielleicht weil sie einsam sind?
Ich merke, dass meine Freunde immer weniger Zeit haben. Wir sind zwar vernetzter, auch mit denen, die sehr weit weg leben, aber mehr Kontakt haben wir deshalb nicht.
Sich ’nur mal so‘ zu treffen, ist wohl weniger geworden als früher. Das Handy taktet. Unliebsame und willkommende Überraschungen bleiben aus.
Und wann hat zuletzt jemand mal unangekündigt an der Tür geklingelt?
Haha, ich treffe mich jederzeit gerne mit meinen Freunden, aber einfach so in die Wohnung laufen müssen die deswegen auch nicht gleich 😉
Wenn jemand unangemeldet vor der Haustür steht und klingelt, dann ist es nach meinen Erfahrungen der letzten Jahre immer ein Tatort-Kommissar. Oder eine Kommissarin.
Oder die Zeugen Jehovas. Aber selbst die haben sich lange nicht blicken lassen.
Einmal habe ich die reingelassen und sie mit meinen ziemlich guten Bibelkenntnisse konfrontiert. Die kommen nie wieder. (War ja etwas gemein von mir.)
Haben Sie den Film „Heretic“ mit Hugh Grant gesehen? 😉
Nein, noch nicht, obwohl ich mich an ein ähnliches Konzept erinnere. Zum Streamen wird es mit dem Film wohl nichts vor dem Sommer. Bis dahin muss ich mir meinen Grusel selbst kreieren. (Schaff ich leicht!)
Die Prämisse ist erstmal ähnlich. Nur, dass es anstatt der Zeugen Jehovas 2 junge Mormoninnen sind.
Glauben ist Glauben. Das haben Satanisten mit Presbyterianern gemeinsam und unterscheidet sie von Atheisten.
Ich finde tatsächlich, dass das Leben als solches schön ist. Die Umstände sind es sicherlich nicht immer. Einzelne Schicksale auch nicht. Aber das meint man mit dem Satz in der Regel bestimmt auch nicht.
Vielleicht spitze ich es beim Schreiben etwas zu. Mein Leben war – und ist – lebenswert, aber der Begriff ’schön‘ ist einfach zu flach. Er trifft es nicht.
Wenn Politiker Sozialleistungen streichen, sagen sie gern: „Das Leben ist kein Wunschkonzert.“ Da ich beim Wort ‚Wunschkonzert‘ immer an ‚Heinzelmännchens Wachtparade‘ denken muss, klingt diese Erklärung für mich akzeptabel.
Ich denke beim Wunschkonzert immer an Max Schautzer und freue mich, dass mein Leben wenig damit zu tun hat.
Man sollte sich überhaupt mehr über das freuen, was einem erspart bleibt, als ständig zu bemeckern, was man hinnehmen muss. Aber natürlich kann ich nicht nach jedem Gang die Treppe herunter juchzen: „Herrlich, wieder nicht hingefallen!“
Grundsätzlich geht freuen doch über meckern!
Manche Menschen freuen sich, wenn sie meckern können.
Die Frage nach dem Wert von Hitlers Leben oder den Tantiemen zu „Mein Kampf“ ist provokant, aber sie lenkt ab von den eigentlichen moralischen und historischen Aspekten. Ein Leben kann nicht nur in materiellen oder finanziellen Kategorien bemessen werden, vor allem nicht das eines Diktators, dessen Handlungen unermessliches Leid verursacht haben. Es ist mir zu einfach, solche Überlegungen anzustellen, ohne die Verantwortung für die Taten zu reflektieren, die mit diesen Leben verbunden sind.
Stimmt. Aber darüber sind so viele Bücher und Doktorarbeiten geschrieben worden, dass ich das in meinem Blog nicht aufzugreifen brauche. Das wäre auch vermessen.
Kanye West schafft das in einer Nacht auf X 😉 Über den Erfolg lässt sich allerdings streiten.
Ich habe über die nächtliche Tirade gestern gelesen. Aber das ging nicht weit über „Ich bin ein Nazi“ hinaus, oder?!
k. west is bipolar. der kann und muss einem nur leid tun.
Leider habe ich nicht die Zeit dazu, alle bipolaren oder sonstigen Idioten zu bemitleiden. Bin ich kaltherzig?
Fair enough
Das Thema „Einsamkeit trotz vieler Menschen“ spricht mich irgendwie besonders an. Die bloße Anwesenheit von anderen kann halt nicht zwangsläufig die Einsamkeit vertreiben – im Gegenteil, sie kann sie manchmal sogar verstärken. In einer Welt, die von sozialen Netzwerken und ständiger Vernetzung geprägt ist, wirkt es fast paradox, dass wir uns oft mehr allein fühlen, obwohl wir nie physisch wirklich alleine sind. Ob sich diese Richtung noch einmal umkehren lässt? Oder wird sich das nur weiter verschlimmern?
Physisch sind wir ja allein am Computer, die sozialen Medien bedienen bloß das Gemüt.
Entweder wird es wieder besser, oder die Menschheit gewöhnt sich daran.
Die KI kann ja das Management unserer sozialen Medien übernehmen. Dann haben wir auch wieder mehr Zeit zum Leben.
Das kommt auf die Vorgaben an. Auch aus dem KI-Wald schallt es nur so heraus, wie man hineinschreit.
Aber ich dachte die KI wird den Menschen unterwerfen und künftig allein regieren?
Nicht, wenn es ihr nicht befohlen wird. Allerdings kann das aus Versehen passieren, wie das Büroklammern-KI-Beispiel zeigt (problemlos zu googlen).
Sie haben mein Interesse geweckt … Ich google …
Die Büroklammern-Mahnung stimmt den Leser nicht sehr optimistisch, aber die Wirklichkeit ist für Menschen, die an die liberalen Errungenschaften des Westen glauben, auch wenn sie sich für dessen – zugegebenermaßen großen – Fehler ständig entschuldigen zu müssen glauben, auch nicht viel lustiger. Künstliche oder machtversessen Intelligenz – vielleicht sind wir an dem Punkt, an dem das beinahe egal ist.
Wären doch wenigstens die Machtversessenen intelligenter!
Ich weiss gar nicht, ob ich so eine ewige Fortsetzung des Lebens toll fände. Irgendwann ist es doch auch mal genug. Jede Freude hat ja ihre Halbwertzeit.
Selbst wenn die Ewigkeit paradiesisch wäre? Ganz Ohne Langeweile?
Ich kann es mir ehrlich gesagt nicht vorstellen
Ein permanentes Glücksgefühl lässt sich chemisch sicher erzeugen. Gott dürfte damit keine Schwierigkeiten haben. Die Langeweile bleibt dabei ausgeschaltet. Und glücklich ist glücklich. Das kann man nicht objektiv von außen beurteilen, sondern nur subjektiv als Betroffener.
Ich frage mich trotzdem: wofür das Ganze?
Um da zu sein!
Ich glaube nicht daran, dass es ein Glück wäre nicht geboren zu sein und auch nicht daran, dass das eine verbreitete Ansicht wäre. Die wenigsten würden das wohl so einschätzen. Selbst die Menschen in Gaza kämpfen um ihr Land und um ihr Leben. Die Menschen in der Ukraine ebenso.
Aber sind sie glücklich?
Nein, aber sie wollen leben. Das ist normal. „Wär′ oh wär‘ ich nie geboren“, singt Orpheus bei Gluck auf der Bühne, im Publikum denkt man sicher anders.
Seit Kaos auf Netflix weiss man ja, dass die Götter ähnliche Sorgen haben wie die Menschen. Aber ich sage mir da lieber „Mehr Leben, weniger Drama!“
Viele von uns wissen ja inzwischen, dass nicht Gott die Menschen geschaffen hat, sondern die Menschen sich die Götter geschaffen haben. Allerdings: Ohne Dramen wäre das Leben den meisten von uns zu langweilig. Abspielen sollen sich die Dramen dann aber doch lieber fern ab zum wohligen Grusel als vor der eigenen Haustür.
Besser ist das. Und unterhaltsamer sowieso.
Der Unterhaltungswert wird unterschiedlich erlebt: Die einen wollen dringend dabei sein, die anderen wollen dringend nichts als zugucken.
Wenn Trump dort seine Riviera baut und die Palästinenser nach Jordanien und Ägypten umsiedelt, wie gerade wieder in der Pressekonferenz mit König Abdullah bekräftigt, dann sind wahrscheinlich weder Israelis noch Palästinenser glücklich.
„We’re moving them to a beautiful location where they can have new homes, where they can live safely, where they can have doctors and medical and all of those things“ – Seit wann „moven“ die USA eigentlich Menschen hin und her?
Jordaniens König schien während der Veranstaltung jedenfalls sehr unbehaglich zu sein. Aber das sind wahrscheinlich die meisten Politiker neben Donald Trump.
Was soll er auch sagen? Die USA sitzen am längeren Hebel. Selbst wenn Trump mit den absurdesten Vorschlägen kommt. Ich glaube nach wie vor nicht, dass sich 2.000.000 Palästinenser einfach umsiedeln lassen. Donald Trump sagt zwar, die wissen gar nicht wie schön und friedlich es außerhalb des Gazastreifens ist und dass alle völlig begeistert sein werden endlich woanders leben zu können, aber nun ja, wer’s glaubt.
😆
Die Idee einer Gaza-Riviera mit imposanter Skyline gefällt mir. Wer kann denn diesen Schrotthaufen da noch ‚Heimat‘ nennen. Welcher Königsberger würde sich heute in Kaliningrad wohlfühlen? Wer weg will, soll gehen. Wer bleiben will, kann bleiben und sich als Dienstleister für den Tourismus schulen lassen. Nachts kommen dann im Backroom-Club ‚Hamas‘ alle Feriengäste auf ihre Kosten, die tagsüber wegen Flaute nicht surfen konnten. Problem gelöst.
Grundsätzlich richtig. Aber DT sagt eben nicht „wer bleiben will, kann bleiben“, sondern „alle müssen weg“. Da hakt das Ganze.
Das wäre aber – theoretisch – die einzige Möglichkeit, wie es funktionieren könnte. Wie Burka-Frauen mit Bikini-Mädels zurechtkommen ist eine andere Frage, aber wie immer und überall sind die eingebildeten, ungebildeten Männer das größte Problem.
Na ja, ein so großes Gebiet komplett wieder aufzubauen und neu zu organisieren geht wahrscheinlich nicht, während 2 Millionen Menschen dort leben. Aber diese gegen ihren Willen umzusiedeln, bleibt dann trotzdem irgendwie ethnische Säuberung. Da kann man nicht einfach sagen „trust me, they’ll love it“.
Weder die Ukraine noch Gaza kann den Wiederaufbau ohne fremde Hilfe schaffen. Aber aus reiner Gutherzigkeit wird in der Politik selten etwas entschieden. Zurzeit weniger denn je.
Wenn die Ukraine, wie von Präsident Trump gewünscht, all ihre Gebiete an Russland abtritt, wird sie ja nicht viel aufzubauen haben…
… dafür wir umso mehr Asylanten-Wohnheime.
Also, sollte es tatsächlich dazu kommen, dass die Ukraine Gebiete an Russland abtreten muss, wird das natürlich nicht nur geopolitische Folgen haben, sondern auch humanitäre. Millionen Ukrainer könnten in der Tat gezwungen sein, ihre Heimat zu verlassen – und viele würden Schutz in Europa suchen, auch in Deutschland.
Angesichts so einer Entwicklung braucht es eine realistische und zugleich solidarische Migrationspolitik. Deutschland kann und wird nicht alle aufnehmen, aber es muss sich seiner Verantwortung bewusst sein – gerade als Land, das sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzt. Gleichzeitig wäre es naiv, die Herausforderungen zu unterschätzen. Eine geordnete Verteilung innerhalb der EU und klare Integrationsstrategien wären unerlässlich, um sowohl den Geflüchteten als auch der Aufnahmegesellschaft gerecht zu werden.
Aber vielleicht ist auch erst einmal das Ziel die Ukraine an den Verhandlungstisch zu holen und nicht über ihren Kopf hinweg Zugeständnisse zu machen.
Ich kann mich da nur schwer zum Optimismus zwingen.