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Sonntagspredigten

Betrifft: Kein Weihnachten

Liebe Leserinnen und Leser,

oh, diese Wehleidigkeit! Nicht auszuhalten! Oder ist es bereits wehleidig, sich über die Wehleidigkeit der Wehleidigen zu beklagen? Die Menschheit musste seit Adam, Eva und Lucy (noch älter: Ardi) anleben gegen Hunger und Feinde, gegen Krankheit und Krieg. Noch vor achtzig Jahren starb man an Typhus oder im Schützengraben, heute lässt man sich ungeimpft ins nächste Krankenhaus mit freien Betten zu dessen Intensivstation ausfliegen. Früher: Kränkungen des Meisters, Misshandlungen der Eltern mussten ertragen werden. Heute: Wer sich beleidigt fühlt, wurde beleidigt, ganz egal, was wirklich passiert ist. Mein Gott! Welcher Psychiater hat sich wohl um die Kinder im Dreißigjährigen Krieg oder die geschändeten Frauen 1945 geschert? Mir kommen einfach nicht die Tränen ob der komfortablen Situation in dieser schlimmen, aber erträglichen Zeit jetzt. Wenn nun sogar Karl Lauterbach zusätzlich zu seinem allabendlichen Talkshow-Platz den Ministersessel besetzt, dann sollten doch alle Bedenkenträger aufatmen – aber werden sie es auch?

Um es allen recht zu machen, können manche Mitleidende gar nicht weit genug gehen: Ein geplanter Sprachleitfaden der EU-Gleichstellungskommissarin Helena Dalli schlug vor, Wörter wie ‚Weihnachten‘ oder ‚Maria‘ nicht zu verwenden. Auch die Anrede ‚Damen und Herren‘ wurde in dem Dokument kritisiert, und es sollte nicht mehr von ‚Behinderten‘, sondern von ‚körperlich beeinträchtigten Menschen‘ gesprochen werden. Alles ‚im Sinne einer diskriminierungsfreien Sprache sowie einer achtsamen Kommunikation‘: So stand es im ‚Leitfaden für inklusive Sprache und Vielfalt‘. Den hat dann Ursula von der Leyen doch noch mal zur ‚Überarbeitung‘ zurückgereicht. Es stimmt schon: Sprache kann das Bewusstsein verändern. Sie kann aber auch genutzt werden, um Änderung vorzugaukeln und alles beim Alten zu belassen. Manches dagegen ist einschneidend.

In unserem Blog fangen die Roadmovie-Darsteller jetzt schon an, sich zu duzen. So geht das mit freundlich gemeinten kleinen Veränderungen los, und nachher vermeiden die achtsamen Weggefährten es, das für Muselmänner anstößige Wort ‚Weihnachten‘ zu benutzen. Wir schließen uns ihnen sogar an und werden bis Ende Dezember im Blog so tun, als wäre uns Gregor im sommerlichen Lugano wichtiger als Jesus im winterlichen Bethlehem.

Trotzdem in Feierlaune,
Hanno Rinke


Cover mit Material von Julian Hochgesang/Unsplash (Auto) und Shutterstock: Rejean Bedard (Möwe), Alliance Images (Frau), stockyimages (Mann), Vereshchagin Dmitry (Kreuzfahrtschiff), steamroller_blues (Collie)

23 Kommentare zu “Betrifft: Kein Weihnachten

  1. „Noch vor achtzig Jahren starb man an Typhus oder im Schützengraben, heute lässt man sich ungeimpft ins nächste Krankenhaus mit freien Betten zu dessen Intensivstation ausfliegen.“

    Wer heute noch ungeimpft ist, ist nicht nur unverantwortlich sich und allen anderen gegenüber, sondern auch einfach nur bescheuert!

    1. Ich finde es auch unglaublich, dass diese Leute nicht verstehen, dass es nicht nur um sie geht. Dieses Nichtimpfenwollen hat eben auch Auswirkungen auf das Umfeld. Gerade wenn man sieht wie viele von denen mit gefälschten QR-Codes unterwegs sind.

  2. Tja, ändert sich denn nun etwas? Wo wir doch wirklich vermehrt acht auf Inklusion und Gleichberechtigung geben. Oder ist das alles nur Schau? Ich bin nicht sicher.

    1. Es ändert sich ohne Frage einiges. Soviel Aufmerksamkeit haben all diese Themen doch noch nie bekommen. Dass gerade Unternehmen aber auch viel performativen Aktionismus zeigen, steht für mich eigentlich ebenso außer Frage.

      1. Es gibt einerseits zu viel Rücksichtnahme und andererseits immer noch zu viel Rücksichtslosigkeit. Ob sich das einpendelt? Ich bin mir nicht sicher.

      2. Interessante Beobachtung! Das heißt ja quasi es werden wieder die Extreme bespielt. Man trifft sich zu wenig in der Mitte. Hmm…

      1. Spätestens wenn wir Weihnachten im Lockdown sitzen kann man ja das Weihnachtsgeschichte-Lesen nachholen.

      2. Weihnachten feiert man doch eh im Familienkreis. Die meisten von uns tun das jedenfalls. Vielleicht macht ein Kurzlockdown über die Festtage wirklich Sinn. Man könnte mit relativ wenig ‚Schaden‘ möglicherweise viel erreichen.

      3. Vielleicht mischt man gleich noch ein wenig Pfizer in den Weihnachtspunsch…

      4. Keine schlechte Idee. Wobei laut Lauterbach ja anscheinend schon der Booster-Impfstoff knapp wird. Was für eine Komödie.

      5. Das habe ich heute morgen auch gelesen. Mir ist völlig unverständlich wie man so etwas falsch kalkulieren kann. Das ist doch keine schwere Rechnung. So wenig ich die Impfgegner verstehen kann … genauso wenig verstehe ich das Krisenmanagement der Regierung.

      6. Da kommen wir eben zur Frage zurück ob wir nun alle Aufatmen. Lauterbach kann natürlich nichts für die Impfstofflage. Mal schauen ob es unter ihm organisierter läuft. Qualifizierter als Spahn sollte er ja sein.

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