Liebe Leserinnen und Leser,
jetzt bin ich wieder in Deutschland, und als Erstes habe ich mich zum dritten Mal impfen lassen, weil meine Zweitimpfung schon Ende März war. ‚Unter Leuten‘ bin ich selber ja kaum noch, aber die paar Menschen meiner Umgebung sind es, für mich und für sich: Damit ich etwas vom Supermarkt abbekomme und sie etwas vom Leben. Deshalb BioNTech zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten! Von inspirierenden Gedanken will ich mich anstecken lassen. Von Viren? – Nein, danke!
Dass ich 1968 mit meinen Kommilitonen nicht mitmarschiert bin, täuscht ein wenig darüber hinweg, wie militant ich war und immer noch bin: Wer sich nicht impfen lassen will, ohne triftigen medizinischen Grund, muss ausgesondert werden. Mein mütterlicher Großvater ist ermordet worden, weil er Jude war – ein furchtbarer Grund. Impfverweigerer zu eliminieren, finde ich dagegen eine nachvollziehbare Maßnahme: Sie sind die wahren ‚Volksschädlinge‘. Sie sind dumm genug, auf Propaganda hereinzufallen. Das Wahlrecht muss ihnen sofort entzogen werden. Sie auf eine Strafinsel zu verbannen, wäre das Mindeste. Da können sie dann gemeinschaftlich krepieren. Dann darf der Rest der Gesellschaft endlich die Maskerade beenden. Der Staatshaushalt und das Pflegepersonal wären entlastet. Muss sich die Gesellschaft wirklich von einer rücksichtslosen Minderheit terrorisieren lassen? Anreize? – Quatsch! Ab ins Straflager!
Im Frühjahr gab es ein Riesengeschrei, weil die EU nicht genügend Impfstoff geordert hatte. Jetzt gibt es Geschrei, weil es die Idiot*innen, die sich nicht impfen lassen, nach Meinung Megaliberaler als eine Art Impfzwang empfinden könnten, wenn man sie ohne Impfnachweis von Tanzvergnügungen und anderen Belustigungen ausschließt. Die Demokratie und ihre Bürgerrechte leuchten mir eigentlich ein. Aber so ein klein bisschen Diktatur macht uns doch manchmal in bösartigen Gedankenspielen auch Spaß, oder? Danach haben wir uns emotional ausgetobt und achten wieder scheinheilig unseren Rechtsstaat. Lieben tun wir ihn nicht immer.
Was man liebt, was man will, was man braucht – über solchen Fragen gerät währenddessen unser Blog-Held in immer größere Bedrängnis.
Mitfühlend,
Hanno Rinke
Bild mit Material von Shutterstock: Christian Mueller (Hintergrund), François-Guillaume Ménageot – ‚Das Martyrium des Hl. Sebastian‘/Wikimedia Commons/gemeinfrei/public domain
Betrifft: So etwas wie ‚Freiheit‘Betrifft: Von Männern, Frauen und mir
Haha, das Straflager muss es ja nicht unnedingt gleich sein, aber grundsätzlich stimme ich zu. Ich verstehe beim besten Willen diese ganze Anti-Impf-Stimmung nicht.
Der Aspekt, der mir nicht in den Kopf geht, ist das diese Impfung einem Gefühl von Freiheit entgegengestellt wird. Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Ist man nicht freier, wenn man sich nicht mehr um eine verheerende Krankheit sorgen muss?
Man ist eben auch frei zu sterben. Das klingt zynisch, aber es trifft wohl den querdenkenden Zeitgeist.
Na schön! Aber dann lieber mit einschläferdem Gifttrunk als auf der Intensivstation nach drei Wochen Fremdbeatmung.
Also was man alles unter Impfzwang versteht! Wie soll man die Pandemie denn sonst bitte unter Kontrolle bringen? Absurde Welt.
Die Politik hätte allerdings um einiges besser kommunizieren können. Das hätte sicherlich geholfen um noch ein paar Menschen auf ihre Seite zu holen.
Es gab tatsächlich keine allzu nachvollziehbare Message und sicherlich ein bisschen zu viel hin und her. Aber, dass deswegen so ein großer Teil der Bevölkerung auf einmal die Wirksamkeit von Impfungen in Frage stellt erklärt das noch nicht.
Ich weiß nicht, was es da zu kommunizieren gibt. Ein geprüfter Impstoff ist da. Heureka! Jeder, der bei Verstand ist, lässt sich impfen. Der Schutz ist Belohnung genug, weitere Anreize sollten überflüssig sein.
Ganz ihrer Meinung. Kommunikationsprobleme gab es ja eher zu Beginn, als nie ganz klar war warum gerade welche Maßnahmen gelten sollen. Dass die Lösung bei der Bekämpfung der Pandemie schlußendlich immer ein Impfstoff sein würde, das war doch von Anfang an klar.
Falls es diesen Winter noch einmal zu einem größeren Anstieg der Zahlen kommen sollte und erneut ernstere Maßnahmen (Lockdown?) nötig werden, dann wird es ein großes Geschreie geben. Gerade von den Ungeimpften.
An einen Lockdown glaube ich nicht mehr. Spahn und seine Nachfolger denken ja bereits über das Ende der Pandemie nach. Ein völliges 2G-Denken würde die Gesellschaft aber wahrscheinlich nur unnötig spalten.
Die Spaltung der Gesellschaft ist ein oft zitiertes Schlagwort. Arm, reich – rechts, links – gebildet, bildungsfern – elitäre Eliten, abgehängte Underdogs – junge schwarze Frauen, alte weiße Männer. Alles überhaupt nichts Neues. Medien lieben Extreme. Worauf sollten sie sonst hinweisen?
Ob sich et was spaltet kann ich nicht beurteilen. Aber eine 2G-Regel für die meisten öffentlichen Veranstaltungen und Aktivitäten ist doch unausweichlich. Man kann sich ja nicht auf Jahre weiter maskieren, Abstand halten und seine Bewegung tracken lassen, nur damit die paar Impfzweifler sich nicht benachteiligt fühlen.
Es geht aber ja nicht ausschließlich darum recht zu haben, sondern möglichst noch ein paar Menschen zu überzeugen.
Wer mit Querdenkern auf die Straße geht, den wird auch kein gutes Zureden mehr überzeugen.
Eigentlich liebe ich Diskussionen, aber die Idee, dass es diese Leute nicht mehr geben könnte, gefällt mir klammheimlich. Jemanden zu überzeugen, das Rauchen sein zu lassen, finde ich angemessen. Jemanden zu überzeugen, dass Eis kalt ist – die Zeit hab ich nicht.