Liebe Leserinnen, liebe Leser,
na ja, tot sein will man auch nicht, das klingt gleich so resignativ. Aber nicht geboren zu werden – das wäre doch ideal! Gewesen. Zu spät. Körperlich gedacht: Die erfreulichen Orgasmen einmal pro Woche (auf den Lebensdurchschnitt runtergebrochen) entschädigen eigentlich nicht für die jahrelangen, immer wieder auftauchenden Kopf-, Bauch- oder sonstigen Schmerzen. Seelisch betrachtet (die Seele ist medizinisch nicht nachweisbar, aber die Lesenden wissen, was gemeint ist) sind die Glücksmomente ja auch viel seltener als die vielen langweiligen Stunden, die natürlich dennoch den Katastrophen vorzuziehen sind.
Merkwürdig, dass Gläubige immer fanden, Gott habe alles so fabelhaft eingerichtet und ‚die beste aller möglichen Welten‘ geschaffen, wie Leibniz es formulierte. Gleichzeitig aber möchten diese Gläubigen anschließend an das Hier doch ganz gern auch noch in den Himmel, wo es offenbar noch schöner ist. Da geht es einem nicht mehr anders als immer nur ‚gut‘, also bestens. Das haben Menschen aller Religionen immer schon gedacht. Tiere denken das nicht. Darum darf man sie auch essen. (Schweine haben eventuell Glück, wenn sie in der richtigen Gegend aufwachsen, aber das ist bei Menschen ja ähnlich.) Hatte Benedikt nun Glück, dass er sterben durfte oder hätte er eher welches gehabt, wenn er hätte weiterleben müssen? Und um was von beidem sollten die Katholiken Gott denn in den vergangenen Tagen auf Wunsch des amtierenden Papstes hin anbetteln? Sowieso in der vermessenen Annahme, dass Gott sich solche versuchte Einmischung in seinen weisen Ratschluss gern gefallen lässt. Wie auch immer: ‚Die Welt trauert‘, behauptete die FAZ gestern. Ein Unglück also, wenn ein Fünfundneunzigjähriger stirbt?
Über das Glück ist vieles, vielleicht alles gesagt. Was ich mich frage: Findet Glück im Körper statt oder im Kopf (womit ich natürlich nicht den Schädel meine, sondern wieder die nicht nachweisbare Seele)? Wie immer – also anders, als Leibniz meinte – ist es ganz ärgerlich: Wenn mich mein Körper in Ruhe lässt, also keine Schmerzen hat, bin ich nicht notgedrungen glücklich, vor allem dann nicht, wenn gerade Bomben fallen oder ein geliebter Mensch stirbt. Peinigt mich aber mein Körper, kann ich nicht mal glücklich sein, wenn ich vor dem Traualtar stehe oder dem Sarg meiner Erbtante. Das ist wohl alles eine Frage der Definition. Ich habe mir angewöhnt, mich ‚glücklich‘ zu nennen, wenn mir nichts wehtut, egal wie furchtbar ich am Zustand der Welt oder an meinen eigenen Unzulänglichkeiten leide. In diesem Sinne traue ich mich, ohne mir allzu verlogen vorzukommen, meinen Lesenden viel Glück für dieses Jahr 2023 zu wünschen. Den eigenen Zustand zu akzeptieren oder ihn zu ändern und dann Ja sagen zu dem, wofür man sich bewusst entschieden hat – mehr Glück geht nicht! Nicht hier.
In Gedanken an alle, die das lesen und eine Meinung dazu haben,
Hanno Rinke
Bild: Shutterstock/Paul Craft
Na ich dachte mir doch, dass Sie uns zum neuen Jahr wieder einen Gruß schicken…
In welcher Zeit oder ob man überhaupt lebt, kann man sich erst einmal nicht aussuchen. Ein gutes Neues Jahr wünsche ich aber trotzdem in die Runde.
Momentan sieht es noch so aus, als ob 2023 eine Zumutung würde. Aber ja, erstmal Frohes Neues…
Mit dem Gedanken möchte ich nicht ins neue Jahr starten. Man muss ja nicht blind dem Weltgeschehen über sein, aber ich will auch nicht depressiv werden.
Alles Gute für 2023, Herr Rinke!
Danke. ‚Alles‘ geht wohl nicht, aber mit mehr Gutem als Schlechtem muss man wohl auch zufrieden sein.
Alles wird sehr schwierig. Aber wünschen tue ich es Ihnen (und mir) trotzdem. Der Ukrainekrieg macht einem wieder bewusst, wie gut es uns hier geht. Trotz hoher Energiepreise. Frohes Neues, Herr Rinke!
Dass man zum Glück und zum Glücklichsein keine Meinung haben könnte, scheint mir fast unmöglich. Die Nachrichten machen mich in der Tat wenig glücklich, aber relativ gut geht es mir ja trotzdem. Glücklicher geht natürlich immer, aber man muss auch zufrieden sein können.
Zufriedenheit ist ein Talent. Weltverbesserer haben es selten.
Mich hat der Tod des Papstes seltsam unberührt gelassen. Vielleciht einfach, weil es in den Nachrichten zu viel Wichtigeres gibt…
Nun ja, die Tatsache, dass es der ehemalige Papst und nicht der amtierende war, macht sicher einen Unterschied. Zum anderen war Ratzinger 95 Jahre alt. Mehr kann man vom Leben wohl nicht erwarten.
Beim Tod der Queen war irgendwie mehr los.
Sie war auch um Einiges sympathischer. Auch wenn es ihr sicherlich ebenso wenig an Kritikern gemangelt hat. Die Zeit der Royals ist aber wohl eh langsam vorbei.
Sie sind doch ohnehin nur noch schmückendes Beiwerk, und keine(r) fühlt sich noch von Gott auf den Thron gesetzt, wie die meisten Hohenzollern es wirklich glauben. Dummheit ist kein Privileg der unteren Klassen.
Und prompt, als sich King Charles in seiner Neujahrsansprache bei den Ärzten und Pflegekräften für die Corona-Arbeit bedankt, gibt es Kritik er würde sich zu sehr einmischen. Hahaha. Absurd.
In einem Jahr, wo so viele Menschen wie noch nie aus der Kirche ausgetreten sind, wundert mich das ehrlich gesagt nicht.
Hmmm, wenn man über solche Denkspiele, wie gar nicht geboren worden zu sein, nachdenkt, dann kann man sich doch lieber ein völlig leidloses und glückliches Leben wünschen, nicht?
Nur, dass es das nicht gibt.
Das mit dem Nicht-geboren-worden-sein klappt im Nachhinein aber auch nicht mehr.
José Saramago sagte wohl „The world is so beautiful and I’m so sorry to die“ – es gibt also auch die komplett entgegengesetzte Sichtweise.
„What a wonderful world“ sagt schon Louis Amstrong 1967. Ich habe das Lied von Anfang an gehasst und stelle sofort um, wenn es gespielt wird. Meistens lebe ich gern und es geht mir gut. Aber Verlogenheit kann ich nicht ausstehen.
So in etwas würde ich das auch sehen. Ich lebe sogar ziemlich gerne. Aber dass wir in einer ganz wunderbaren Welt leben, klingt mir auch zu naiv … oder wenn man will eben zu verlogen.
Ich kann mir ja schon gut vorstellen, dass man nicht sterben will. Aber ob das daran liegt, dass die Welt so wunderschön ist, naja. Ist das ein Zitat aus dem Leben (oder dem Tod) oder kommt das aus einem seiner Bücher?
Das Zitat stammt aus seiner Nobelpreis-Lecture und es ging wohl nicht um ihn selbst, sondern um seine Großmutter.
Ich hatte mich schon so gefreut, dass es in 2023 wieder mehr zu lesen gibt. Die Nachrichten sind ja gerade wieder voll von Dingen, zu denen mich ihre Meinung interessieren würde. Nicht nur das zögerliche Agieren von Scholz bzgl. der Ukraine … auch diese ganzen gefundenen Geheimdokumente von Trump, Biden und Pence … oder Harry und Meghan.
Scholz hat mittlerweile endlich eine Entscheidung getroffen. Jetzt muss man wohl erstmal abwarten was daraus resultiert. Bis zum 3. Weltkrieg ist es hoffentlich noch ein großer Schritt.
Vor dem dritten Weltkrieg habe ich mich immer schon weniger gefürchtet als davor, dass mir mein Soufflé misslingt. Man sollte sich nur vor Dingen fürchten, die man beeinflussen kann. Furcht kann man steuern. Angst, die meine Begleiterin war, nicht.
So ähnlich geht es mir auch. Ich sorge mich zwar schon darum, wohin sich die Dinge gerade entwickeln … die Nachrichten am Morgen machen ja selten Spaß … aber trotzdem bleibt das alles auch noch seltsam weit entfernt.
Der Gedanke ist interessant. Trotzdem beobachte ich, dass ich mich vor allem fürchte, wenn ich die Dinge eben nicht beeinflussen kann. Da setzt dann meine Hilflosigkeit ein. Aber vielleicht kenne ich die Unterscheidung von Furcht und Angst in dem Sinne auch nicht.
Putin soll Scholz zumindest keinerlei Drohung oder ähnliches ausgesprochen haben. Vielleicht muss man damit erstmal zufrieden sein.