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Rundbriefe

Betrifft: Gott, aber noch viel mehr

Liebe Leserinnen und Leser,

wie lange es noch ein Leben vor dem Tode geben wird, das ist für mich – in meinem Alter – wie auch für ganz Europa und die umliegenden Kontinente – nach Putins massiven Drohungen – eine durchaus interessante Frage. Sie wird durch die Ereignisse oder deren Ausbleiben beantwortet werden. Das Leben nach dem Tode bedarf dagegen eines Gottes oder, um als Zukunftsaussicht zu gelten, zumindest eines Glaubens an ihn oder – o Gott, ja! – an sie (Die ‚Göttin der Vernunft‘ – am Sonntag, dem 10. November 1793, in Notre-Dame erstmals vor Publikum gesichtet – hat ja statt Madame Le Pen auch am vorigen Sonntag in Paris Einzug gehalten.)

So fromm ich zwischen fünf und fünfzehn war, so wenig kann ich mich heute in jemanden hineinversetzen, der tatsächlich denkt, da gäbe es jemanden, der ständig beobachtet, was ich da im Einzelnen so tue, der aber nicht eingreift, sondern mir meinen freien Willen lässt. Eigentlich. Wenn ich aber ansprechend genug bete, entscheidet er vielleicht doch mal etwas zu meinen Gunsten. Im Krieg ist das wichtig. Im Frieden manchmal auch. So jemand waltet ständig, schaltet kaum, schickt jedoch in seltenen Fällen seinen Sohn oder seine Engel, wobei auffällt, wie oft er das nicht tut. Wer sich mit Gottes ewigem Ratschluss und seiner Allwissenheit begnügen kann, hat es leichter, ist aber um seine Einfalt nicht zu beneiden. Wenn mal etwas nicht schiefgeht, dann war es Gottes Gnade, ist es hingegen das übliche Schlamassel, war es die Unzulänglichkeit der Bevölkerung. Ob Priester mal kleinen Jungen an die Hose gefasst haben, ist demgegenüber völlig unerheblich. Frauen machen im Krieg Schlimmeres durch, ohne dass Gott einschreitet. Klar, der unkeusche Geistliche muss zur Rechenschaft gezogen werden, aber mit der Existenz Gottes hat das nichts zu tun, kann also einen bestehenden Glauben nicht mehr erschüttern, als ein wenig Nachdenken das täte.

Befremdend ist für jemanden, der all diesen Gottesirrglauben nicht mehr verstehen mag, für mich also, was sich junge Leute so ausdenken, um an einer Art Gott festzuhalten, aber nicht zu fest: Die KjG (das ist die Katholische junge Gemeinde) nimmt eine Idee der Katholischen Studierenden Jugend (KSJ) auf und erklärt in einer Pressemitteilung, dass sich immer mehr Gläubige von einem patriarchalischen, weißen Gott ‚befremdet‘ fühlen. Deshalb wird sie von nun an die geschlechtsneutrale Bezeichnung ‚Gott+‘ verwenden. Der, die, das oder viele Gott plus? Schließlich müssen auch alle deren an den Kreuzen gestorbenen und aus den Gräbern auferstandenen Töchter eingeplusst werden.

Es ist wahr: ‚Die Vorstellung von Gott+ als altem, weißem Mann mit Bart greift theologisch zu kurz‘1 (an dieser Stelle finde ich das ‚+‘ unlogisch), aber, dass das vielen jungen Menschen den Zugang zu Gott erschwert – wie doof muss man denn sein, um die Abstraktion weg vom Fantasiebild hin zum allmächtigen Schöpfer nicht nachvollziehen zu können? Der woke Westen wird immer kleinkarierter. Wie viel besser hat es da Patriarch Kyrill der Erste. Seine Schafe habe ich am russischen Ostersonntag in der ‚Tagesschau‘ Putins vom Oberhaupt ‚K 1‘ unterstützten Angriffskrieg loben gehört: Vertrauen in einen alten, weißen Mann mit Zottelbart, unangefochten in seiner Gemeinde. Wenn er demnächst Putins Atombomben segnen wird, kann er sicher sein, dass die Waffen überwiegend Katholiken und Protestanten treffen werden und noch überwiegender Opfer fordern, die bereits vor ihrem Tod wussten, dass die Religion mit dem Zustand, in dem unsere Welt sich befindet, viel zu tun hat – aber nicht, weil es Gott gibt, sondern weil es die Menschen gibt.

Im Blog feiern wir jetzt in einen Sonntag hinein, an dem Gott wohl etwas zu kurz kommt (also eher ein ‚Gott minus‘), ohne dass die Göttin der Vernunft viel davon hätte.

Weder reuig noch bußfertig,
Hanno Rinke



Quelle: 1 Aus dem Beschluss der Bundeskonferenz 2022 der KjG
Cover mit Material von: Marcus Lenk/Unsplash (Häuser, hinten mittig und links), C Dustin/Unsplash (Wolke) und Shutterstock: ANDRIY B (Buch), Jan Martin Will (Baum), Wondervisuals (Haus, hinten links), Anibal Trejo (Fernsehturm), gomolach (Kerzenflamme), Marti Bug Catcher (Brandenburger Tor)

20 Kommentare zu “Betrifft: Gott, aber noch viel mehr

    1. Das klingt für mich trotzdem interessanter als weiterhin so zu tun, als ob sich in den letzten 50 Jahren nichts geändert hätte.

      1. Es ist vielleicht ein kleines Hoffnungszeichen dafür, dass die Kirche sich ein wenig öffnet und modernisiert. Reichen wird sowas nie im Leben.

  1. Ich glaube ja trotzdem nicht, dass Putin den Schritt der Atomwaffen wirklich gehen würde. Er würde doch nicht wirklich etwas gewinnen.

    1. Vladimir Putin ist so unberechenbar – ich glaube wer behauptet er wüsste, was in diesem Krieg noch alles passieren wird, der überschätzt sein eigenes Wissen.

      1. Mir geht es ähnlich. Man weiss gar nicht was man sich wünschen soll. Ein Sieg oder zumindest ein Scheitern Putins in der jetzigen Lage wäre für die Menschen in der Ukraine riesig. Aber was das mit Putins Ego machen würde, darüber darf man gar nicht nachdenken.

      2. Man hört ja auch immer wieder in Berichten, dass Putin möglicherweise an Krebs und Parkinson leidet. Das sind bestimmt auch Faktoren, die sein Handeln beeinflussen.

  2. Und wenn Putin tatsächlich den Schritt gehen sollte Atomwaffen zu benutzen…? Wird es dann noch Menschen geben, die sagen, dass Das Gottes Wille wäre?

  3. Die Tochter hätte ihrem Vater einen Vogel gezeigt, wäre er mit der Idee des Sünden-Wegnehmens gekommen. Sie hätte den Richter zum Tee eingeladen und ihn geschickt von ihrem Standpunkt überzeugt, statt sich nackt ans Kreuz nageln zu lassen.

    1. Da hätte ja schon Maria dem Verkündigungsengel den Vogel zeigen können und sagen: „Ich will Spaß beim Sex und kein Gottesimplantat.“ So emanzipiert waren die Frauen damals aber nicht, nicht mal die Göttinnen.

    1. Meine väterlichen Großeltern waren borniert fromm, meine Eltern nicht, aber sehr gerührt, wie brav und gottesfürchtig ihr Kind war. Zum Kommunionsunterricht schickten sie mich trotzdem erst zwei Jahre später als üblich: Ich sollte beurteilen können, was mir da erzählt wurde.

      1. Das klingt ja eigentlich recht durchdacht. Wann Kinder so etwas wirklich entscheiden können, bleibt die Frage. Aber ich finde es auch immer vermessen, wenn die Eltern einfach über den Kopf der Kinder hinweg entscheiden.

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