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0711
Sonntagspredigten

Betrifft: Sturm und Flaute

Liebe Leserinnen und Leser,

revolutionär sein. Tollkühn sein. Ein Revolutionär sein. Ein Eroberer – davon habe ich immer geschwärmt. Selbst in meinem manischen Katholizismus sah ich allzeit den verwegenen Aufbruch, nicht die etablierte Institution. Märtyrer sein, nicht Betschwester; Anarchist, nicht Staatsdiener. Der bin ich auch nicht geworden, aber sonst?

Braver, angepasster als ich geht nicht. Nie bin ich gegen Atomkraftwerke marschiert, noch jetzt fände ich sie nützlich. Nie wollte ich den Kapitalismus abschaffen, lieber wollte ich von ihm profitieren. Mir ging es halt immer zu scheißgut, und ich habe mich nie aufraffen können, am Elend anderer so zu leiden, dass ich mich radikalisieren musste.

Mir fehlt auch die Angst vor Atomkrieg oder Klimawandel. Schlimm, aber für mich so fern wie Auschwitz für deutsche Juden 1933. Eine Gefahr, mit der man nicht rechnet: Sie fühlt sich nicht bedrohlich an, dabei ist sie vielleicht tödlich. Angst hatte ich zunächst vor Gott bzw. seiner Hölle, später vor eigenem Versagen oder Panikattacken. Deshalb habe ich womöglich versagt: Gutes zu tun, Ungerechtigkeiten zu bekämpfen, die Menschheit zu retten oder zumindest besser zu machen. Mein Quantum an Hitzigkeit habe ich hin und wieder real ausgelebt, aber weitaus mehr habe ich es in meine Musik gesteckt und – noch offensichtlicher – in mein Schreiben.

Die nächsten drei Kapitel des ‚Eremiten‘, obwohl schon gekürzt, legen davon Zeugnis ab und davon, wie man als Autor durch schieres Nachdenken über Religion und Sex alle Grenzen überschreiten kann. Nach außen hin bleibt man dabei so durchschnittlich, wie man im Grunde seines Herzens eben ist. Wer das auf mich bezogen für Ironie nimmt, schmeichelt mir.

Vielen Dank!
Hanno Rinke



Bild mit Material von Shutterstock: Christian Mueller (Hintergrund), François-Guillaume Ménageot – ‚Das Martyrium des Hl. Sebastian‘/Wikimedia Commons/gemeinfrei/public domain

24 Kommentare zu “Betrifft: Sturm und Flaute

      1. Das ist ja keine Frage. Aber ich fand die Abschaltung auch etwas übereilt. Solange man keine passenden Alternativen hat verlängert man ja nur den Kohleausstieg. Da ist also auch nicht viel gewonnen.

      2. Wäre bei unseren Wetter-Verhältnissen und unseren Standards auch nicht passiert. War eine rein populistische Entscheidung von Merkel. Nicht die Physikerin, sondern die Wahlkämpferin kam da zu Zuge.

      3. Das hat mich damals auch wirklich überrascht. Gerade weil sie ja sonst eher überlegt und umsichtig entschieden hat.

  1. Ich muss auch gestehen, dass ich nie für oder gegen etwas auf die Straße gegangen bin. Vielleicht geht es uns trotz allem noch zu gut hier?

  2. Jeder verarbeitet die Dinge so wie er kann oder wie es für richtig erscheint. Es braucht ohne Frage auch Menschen, die ihre Fragen/Sorgen/Verzweiflung in die Kunst stecken.

      1. Kunst kann ja vieles sein. Ohne Filme (Netflix!) wäre während des ersten Lockdowns halb Deutschland durchgedreht.

      2. Und nicht alle Kunst ist besonders kunstvoll. Aber ohne wäre eben zu langweilig. Selbst das Ärgern über schlechte Kunst unterhält ja gut.

      1. Da zahlt es sich aus wenn man Phantasie hat. Serienkillern soll die ja mitunter fehlen.

      2. Bei mancher Netflix-Dokumentation bin ich dann auch fassungslos wie weit die Phantasie einiger Menschen reicht. Zum Glück sind das große Ausnahmen. Oder jedenfalls hoffe ich das.

  3. Man merkt ja tatsächlich, dass sich das Klima ändert. Dass Deutschland irgendwann unbewohnbar sein könnte, ist für mich trotzdem kaum greifbar.

    1. Das werden auch nicht mal unsere Enkel erleben, und realistisch weiter zu denken, ist schwierig. Wer hat 1988 mit Mauerfall und Digitalisierung gerechnet? Wer mit Corona? Es ist interessant, sich die Zukunft vorzustellen. Anders wird sie sowieso.

      1. Na ja, beim Klimawandel gibt es immerhin wissenschaftliche Studien und Modelle. Es sind ja ziemlich eindeutige Trends erkenn- und ablesbar.

      2. Vor allem fällt mir bei dem Thema immer auf, wie weit die Interessen der kommenden Generation mit denen der regierenden auseinandergehen.

      3. Das lässt sich wohl auch nicht so richtig vermeiden. Schließlich würde ein 16-jähriger Bundeskanzler schlecht funktionieren und dass man sich als alternder Erwachsener mehr und mehr von der Jugend wegbewegt ist auch logisch.

      4. Das schlechte Gewissen würde ja auch gar nichts nützen. Dass unterschiedliche Generationen andere Schwerpunkte und Interessen haben ist ja ganz natürlich. Man sollte der Jugend trotzdem ein bisschen mehr zuhören.

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