Teilen:

0805
Sonntagspredigten

Betrifft: Unerfüllbare Wünsche

Liebe Leserinnen und Leser,

was man will und was daraus wird, wenn man es tut: interessant. Ich bin vorsichtig. Ich umfahre einen Prellbock links und fahre dabei einen Radfahrer um, rechts. Aus Versehen. Hitler wollte aus Deutschland ein Weltreich machen und zerstörte es dadurch. Aus Versehen. Marx wollte das Proletariat zur herrschenden Klasse machen. Ging ebenfalls schief. Putin dachte: ‚Die Ukraine hab’ ich in drei Tagen‘; mal sehen, wie lange es mit Georgien dauert. Absicht und Wirkung – oft zweierlei. Die Geschichtsbetrachtung kann dann nachträglich analysieren, warum es gar nicht hatte klappen können.

Selbst wenn man die berühmten drei Wünsche frei hätte – würde man weise wählen? Wäre das, was man damit anrichtet, ein Gaumenschmaus oder ungenießbar? Mir gefiel schon als Kind die Geschichte aus dem ‚Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes‘1. Eine gute Fee gewährt einem wackeren Ehepaar drei Wünsche. Sie mahnt: „Wählt gut!“, und verschwindet. Am Abend rührt die Frau in der Pfanne mit Bratkartoffeln und sagt: „Ach, jetzt hätte ich doch gern ein Würstchen dazu!“ Schon liegt das Würstchen in der Pfanne. „Du dumme Kuh“, schreit der Mann, „so vertust du unsere Wünsche! Da soll dir doch gleich die Wurst an der Nase baumeln!“ Das tut das Würstchen dann auch, und so bleibt den beiden Beschenkten nichts anderes übrig, als sich für den dritten Wunsch zu erbitten, dass die Frau die Wurst an der Nase wieder loswird.

Ich will sechs Wünsche! Bei unerfüllbaren Bitten darf, ja, muss man unbescheiden sein, denn natürlich will ich lieber kein Schloss haben als keine Scheune. Drei Verbote und drei Gebote habe ich mir ausgedacht. (Bei den biblischen Zehn Geboten sind es sogar acht Verbote, so viele brauche ich gar nicht.)

1. Verbot:
Fußball. Sport ist gesund, also nötig. Aber Menschen bei dieser Verrichtung zuzugucken ist indiskret wie ein Blick in fremde Hosen. Im Fußball wird bestochen, betrogen, Geld gewaschen, zu Unsummen abgeworben, maßlos verdient und wenn der Schiedsrichter dem Verein Concordia X mit Spielern aus den Orten A, B und Y gegen die Eintracht Y mit Spielern aus C, D und X ein Abseits durchgehen lässt, prügeln sich alle krankenhausreif. X und Y liegen 30 Kilometer auseinander und haben ein gemeinsames Hospital. Zuschauerlose Spiele, nur noch für Werbeeinnahmen und Fernsehgebühren, waren dank Corona ein Anfang. – Vorbei. Vorerst. Doch wie geht es weiter? Für die Fußball-WM in Katar spricht nur, dass wir, um Moskau zu bestrafen, Öl vom Austragungsort Katar brauchen und die Wüstenscheichs bei Laune und Einnahmen halten wollen, um nicht frieren zu müssen. Schlimmer noch: Gleichzeitig ginge ohne Strom unser Industriestandort Deutschland baden. Ihn stattdessen zu verwüsten, das können genauso gut russische Bomben schaffen.

2. Verbot:
Musik. Erst wurden Kinderlieder an mich herangetragen, von fremden Frauen. Meine Mutter konnte nicht singen und las deshalb vor: Andersens Märchen. Ab acht begeisterte ich mich für Caterina Valente, ab 14 für Mozart, mit 18 kannte ich die ganze Klassik auswendig, was mein Abiturzeugnis um eine Eins in Musik bereicherte und mir später in der Schallplattenindustrie eine Laufbahn verschaffte, die mir ein sicheres Einkommen bot. Zwischendurch komponierte ich Orchesterwerke, Kammermusik und Chansons. Ich kannte mich in der Welt der Konzertsäle, Opernhäuser und Backstage aus. Die Hitparaden beherrschte ich zumindest für die Bundesrepublik, U. K. und USA. Für meine Filme nutzte ich eigene Werke und alles, was Pop und Klassik im Angebot hatten. Jetzt finde ich Musik überflüssig, meistens sogar störend. Seit meinem Schlaganfall spiele ich nicht mehr Klavier. Pop ist eintönig, und die Klassik habe ich jederzeit abrufbar in meinem Schädel. Unterwegs finde ich Musik eine Belästigung. In Hamburg bleibe ich verschont, aber in Meran höre ich am Wochenende das Gedudel der Nachbarn oder die Blaskapelle von der Promenade. – Ätzend! Ganz manchmal ziehe ich mir auf YouTube ein Tina-Turner-Video oder eine Beethoven-Sonate rein. Dann weine ich ein bisschen ab, und dann is’ wieder gut.

3. Verbot:
Versprechungen fürs nächste Leben. Was so verheißungsvoll klingt, ist fatal. Es hat zu Krieg, Folter, Mord geführt und den Einzelnen daran gehindert, sein Hiersein sinnvoll zu gestalten und zu genießen. Es hat Rivalitäten erzeugt, Konflikte geschürt – nein, die positiven Aspekte gleichen diesen Wahnsinn nicht aus. Sollte nach dem Tod noch etwas kommen, dann bin ich gern bereit, mit den mir neu zur Verfügung gestellten physischen und geistigen Mitteln darauf zu reagieren.

1. Gebot:
Bessere ökonomische Verhältnisse! Genug zu essen. Wasser, Wohnraum, Wärme für alle. (Schloss statt Scheune meiner unerfüllbaren Wünsche, also wohlfeil.)

2. Gebot:
Einsicht! Keinen Quatsch glauben. Keine Kinder in die Welt setzen, die man nicht ernähren kann. Keine unerfüllbaren Wünsche haben. (Das ist jetzt kein Schloss mehr, sondern ein Traumtänzer-Palast.)

3. Gebot:
Weltuntergang! Nicht gleich, aber, wenn ich sterbe. Die Menschheit hat so viel erreicht. Was noch? Schluss mit allem! Keinen Nachwuchs mehr in die Welt setzen und aussterben – haben andere Arten doch auch geschafft! Müssen wir wirklich warten, bis der CO2-Ausstoß es richtet? Selbst ist – vor allem – der Mann! Putin ist schon unterwegs. Es ist inzwischen durchaus möglich, die endgültige Antwort darauf zu geben, welches das mächtigere Gesellschaftssystem war. Wer übrig bleibt, hat eventuell nicht mehr viel davon. Für mich wäre es ja beruhigend zu wissen, dass es nach meinem Tod ohne mich nicht weitergeht. Das Ende der Geschichte. Dafür nähme ich sogar das ewige Leben in Kauf. Aber ob Putin riskieren wird, dass es gar keine Geschichtsbücher mehr gibt, in denen er stehen könnte? Dazu ist er wohl zu eitel. Das beruhigt mich – oder ich mich damit.

Falls dieser Text zynisch auf Sie gewirkt haben sollte, dann freuen Sie sich bitte auf die nahezu ironielose Beschreibung der Berliner Idylle, die jetzt in meinem Blog zu genießen ist.

Mit den besten Absichten,

Hanno Rinke



Quelle: 1 Von Johann Peter Hebel, erstmals ersch. 1811 bei Cotta, Stuttgart
Cover mit Material von: Marcus Lenk/Unsplash (Häuser, hinten mittig und links), C Dustin/Unsplash (Wolke) und Shutterstock: ANDRIY B (Buch), Jan Martin Will (Baum), Wondervisuals (Haus, hinten links), Anibal Trejo (Fernsehturm), gomolach (Kerzenflamme), Marti Bug Catcher (Brandenburger Tor)

18 Kommentare zu “Betrifft: Unerfüllbare Wünsche

  1. Hahaha, das Märchen hatte ich gar nicht mehr im Kopf. Was für eine lustige Erinnerung! Ich habe doch noch einmal sehr gelacht.

      1. Und die Spielenden? Wäre der Sport trotzdem der Lieblingssport so vieler Menschen?

      2. Nach einem Ball zu schlagen, ist genauso schön, wie nach ihm zu treten, aber das Gemeinschaftsgefühl des Mannschaftssports ist für viele Menschen besonders befriedigend.

  2. Die Idee, dass Putin Europa wegbombt, ist grausam. Aber wenn man bedenkt, dass die USA als NATO-Partner dann wohl zurückschlagen würden, dann hätte Putin wohl wirklich keine Geschichtsbücher mehr. Oder die Geschichtsbücher keinen Putin.

  3. Gegen Gebot Nummer 1 ist ja nun wirklich gar nichts zu sagen. Warum hat Elon Musk eigentlich noch nicht DAFÜR gesorgt!?

    1. Weil das für ihn persönlich eben weniger interessant ist als Meinungsmache auf Twitter. Er ist ein ungemein erfolgreicher Unternehmer, kein Gutmensch. Leider.

      1. Das Gebot „Keinen Quatsch glauben“ wird durch seine Pläne zur Meinungsfreiheit wahrscheinlich nicht einfacher. Aber mal schauen, was er wirklich vorhat.

      2. Der Wunsch ‚Ich will, dass es allen Menschen gut geht‘ bedeutet meistens: ‚Ich will, dass alle Menschen so leben, wie ich es für richtig halte.‘

      3. Der Aufschrei unter den Angestellten über ihren künftigen Chef und nicht zuletzt die Kommentare auf Twitter selbst lassen ja schon erahnen, dass nicht alle damit einverstanden sein werden.

  4. Was nach meinem Tod geschieht, also nicht mit mir, sondern mit der Welt … aus dem Blickwinkel habe ich darüber noch nicht nachgedacht. Aber ich glaube mir wäre das egal, was da noch kommt. Also nicht, dass ich gerne sterben würde, aber ich wäre auch nicht auf die Überlebenden neidisch.

  5. Musik ist fantastisch, aber natürlich nicht, wenn sie aufgezwungen wird. Der Straßenmusiker, der die Unterhaltung stört, ist genauso irritierend, wie die Musik in manchem Laden.

Schreiben Sie einen Kommentar!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

elf − 2 =