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0808
Rundbriefe

Betrifft: Was nottut

Liebe Leserinnen und Leser,

Gendern war gestern: elitärer Yuppie-Quatsch, lt. einer Forsa-Umfrage für RTL von 82 Prozent der Bevölkerung abgelehnt. Zustimmung geht anders. Was also tun? Gerechtigkeit muss trotzdem oberstes Gebot bleiben! Dann eben ohne Sternchen und Gender-Gap, aber akzeptabel für Straighte und Queere, Unter- und Intersexuelle. Dabei geht es nicht nur ums Geld. Ihr habt ja recht, Diverslinge: Bereits die Sprache steht der Chancengleichheit im Wege. Inklusion unserer bildungs- und intelligenzfernen Mitbürger darf sich nicht auf Teilhabe am Bruttosozialprodukt beschränken. Gerade der snobistische Smalltalk stellt oftmals die Weichen für Ansehen und Fortkommen. Deshalb sollten als erste Maßnahme die komplizierten unregelmäßigen Verben (Tuwörter) endlich ihren regelmäßigen Kollegen (Genossen) angepasst werden. Besonders wichtig ist diese demokratiefördernde Änderung im Zusammenhang mit Komposita (Wortzusammensetzungen) des Umgangssprechs:

wegschmeißen, wegschmeißte, weggeschmeißt;
anscheißen, anscheißte, angescheißt.

Mit Personalpronomen (persönlichem Fürwort) lautet das:

Was man aus Not tut; was man aus Not tute; was man aus Not getutet hat – besser: hat getutet.
Ich zukreuzkrieche, ich zukreuzkriechte, ich bin zukreuzgekriecht.

Noch besser ist es, auch den „Unterscheid“ von ‚sein‘ und ‚haben‘ auszumerzen:

Ich habe entschließt, alle Regeln neu zu schreiben (schreibte, geschreibt). Dabei habe ich auf die Schnauze gefallt.

Leichte Spreche nimmt bloß die überflüssige Schönheit weg. Die übernächste Generation wird es gar nicht mehr merken und sich vorurteilsfrei verständigen: endlich Gerechtigkeit! Allerdings – was für die Börse geltet, geltet auch für die Spreche. Siebzig Jahre Sozialismus in Europa haben beweist: Die Armut kann man nicht abschaffen, den Reichtum schon.

Im Blog führt uns ein reicher ‚alter weißer Mann‘ zu Anfang der Geschichte vor, was 1979 in einer Ansprache noch möglich war. Heute würde er dafür von progressiven Zuhörern vorgeführt.

Ich, unverbesserlich,
Hanno Rinke

12 Kommentare zu “Betrifft: Was nottut

  1. Darüber musste ich tatsächlich eine ganze Weile nachdenken: Die Armut kann man nicht abschaffen, den Reichtum schon. Das ist kein uninteressanter Gedanke.

  2. Die deutsche Sprache ändert sich. Keine Frage. Die Diskussion ums Gendern macht mir allerdings weniger sorgen als einige Auswüchse der damaligen Rechtschreibreform.

    1. Im Nachhinein muss man sich da allerdings keine Sorgen mehr machen. Jetzt mitzudiskutieren ist sicherlich interessanter.

      1. Die damalige Reform sollte Bildungsfernen den Zugang zum korrekten Schreiben erleichtern und dadurch Chancengleichheit fördern. Ein sozialer Akt. Die jetzigen Forderungen sollen helfen, Kränkungen zu vermeiden und Chancengleichheit zu unterstützen. Alles nobel, gewiss! Aber vielleicht etwas übergriffig?

      2. Wenn wir dadurch in einer besseren Welt leben würden und auf einmal alle miteinander auskommen würde … gerne. Ich bin dabei. Ich bezweifle allerdings, dass Rechtschreibreform und gendergerechte Sprache dazu geeignet sind.

      3. Und für ein weiteres Auseinanderdriften der Gesellschaft. Noch mehr Polarität und Populismus.

  3. Die überflüssige Schönheit leidet tatsächlich oft als erstes. Aber hat man sich vor 200 Jahren um Schönheit gekümmert? Oder war die Sprache damals trotzdem funktionell ausgelegt?

    1. Das ‚überflüssige‘ ist ja ironisch gemeint. Die ‚Dichter und Denker‘ des 19.Jahrhunderts achteten sehr wohl auf eine Sprache, die nicht von reiner Zweckmäßigkeit bestimmt war.

      1. Mich würde ja schon interessieren was es vor 200 Jahren für Bewegungen bzgl. der deutschen Sprache gab. Die Dichter legten selbstverständlich schon immer Wert auf Schönheit. Aber ich würde argumentieren, dass ja auch im 21. Jahrhundert nicht die Schriftsteller Vorreiter im gendern sind.

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