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Rundbriefe

Betrifft: Also, noch mal!

Liebe Leserinnen und Leser,

mein voriger Rundbrief hatte schon im Betreff die für den Menschen wichtigsten drei Komponenten erfasst: die Nahrung, den Sex und den Glauben. Aus dem Topf mit dieser unerschöpflichen Bedürfnissuppe schöpfe ich jetzt mal eine winzige Kelle voll heraus.

Boshaft gern klicke ich an, wenn sich mir in meiner Mailbox Essensratgeber andienen. Immer die gleiche Leier: kein ‚verarbeitetes Fleisch‘, keinen Alkohol, keinen Zucker. Danach schmeckt mir am Abend die Schinkenstulle nochmal so gut, und ich trinke gleich einen Schnaps zum Bier. Anschließend zartbitteres Konfekt – köstlich! Zu diesem Zeitpunkt – es ist jetzt nach acht – kann ich schon linear fernsehen: ‚Tagesschau‘ und so. Das hebt mein Gemeinschaftsgefühl, weil ich weiß, dass viele alte Leute genau gleichzeitig mit mir das angucken, was die Anstalten uns bieten. Ein schlechtes Gewissen bekomme ich bei all diesen Verrichtungen erst, wenn ich auf Netflix ausweichen muss: die arme Programmdirektion! Das Schwein vorher ist mir völlig egal. War ja schon tot und laut meinem Fleischer ‚bio‘, was immer das heißt. Damit sind wir bereits beim ‚Glauben‘.

Ist der Mensch ein Aasfresser oder eine selbst entscheidende Spezies? Ist Jesus geboren worden, um die Menschheit zu erlösen, und ist Novak Djokovic, wie dessen Vater es interpretiert, der von den Mächtigen geschundene Nachfolger Christi?1 Ist Boris Palmer ein Rassist, weil er einen (an sich erstrebenswert gemeinten) ‚Negerschwanz‘ thematisiert?2 Ist die Corona-Impfung Teil einer Verschwörung? Es wäre so gut, wenn der Glaube nicht als engstes Geschwister die Intoleranz hätte. Auch ich leide darunter: Atomkraft finde ich wie die Franzosen fabelhaft, vielleicht, weil ich so ein militanter Anti-Achtundsechziger bin. Die Atomkraftgegner möchte ich ein Jahr lang stromlos wegsperren. (Annalena Baerbock darf ihr Handy behalten; schließlich ist sie Außenministerin.) Aussterbende Rassen finde ich beneidenswert. Warum müssen die unbedingt existieren? Die Artenvielfalt wird sowieso über uns hinwegfegen. Da muss man nicht um jeden Wurm so ein Bohei machen.

Wer nicht meiner Meinung ist, dem zu widersprechen, habe ich erst mal keine Lust, sondern möchte ihm – ihr genauso – in unfreundlicher Absicht an die Wäsche gehen. Dann zügle ich mich natürlich und lege los mit meinen Argumenten: über Fleischkonsum, Jesus, Tennis, Ironie im Internet, Atomenergie und Evolutionstheorie.

Ein etwas schwierigeres Thema ist ‚Sex‘. Wegen seiner vielen Zwecke.
Die einen nutzen den Sex, um Spaß zu haben, die anderen, um sich in den Wahnsinn treiben zu lassen. Sex ist halt so irrsinnig vielseitig. Er dient dazu, eine unausweichliche Bedrohung darzustellen oder Selbsterniedrigung zu praktizieren; er dient der Selbstbestätigung; er dient als Ablenkung oder als Pflichterfüllung. Manchmal übrigens auch zum Kinderkriegen. Ich denke, ich könnte zu jeder dieser Spielarten eine einigermaßen fundierte Geschichte schreiben. Falls Sie das wollen, lassen Sie es mich wissen!

Auch im Blog spitzt es sich sexmäßig allmählich zu. Na ja, das war ja zu erwarten.

Als Autor immer etwas besserwisserischer als der Rest,
Hanno Rinke



1 Quelle: ‚Der Spiegel‘ vom 06.01.2022, ‚Vater von Djoković vergleicht Tennisstar mit Jesus‘ | 2 Diskussion zum Thema im ‚Cicero‘ vom 29.12.2021: ‚Morbus Palmer‘
Cover mit Material von Julian Hochgesang/Unsplash (Auto) und Shutterstock: Rejean Bedard (Möwe), Alliance Images (Frau), stockyimages (Mann), Vereshchagin Dmitry (Kreuzfahrtschiff), steamroller_blues (Collie)

24 Kommentare zu “Betrifft: Also, noch mal!

  1. Zu einer Geschichte über den Sex und das Kinderkriegen würde ich nicht nein sagen. Das klingt vielleicht erstmal gar nicht so spannend, aber Menschen bei denen er nur diesem einen Ziel dient, faszinieren mich tatsächlich schon.

    1. Sie meinen Menschen, die außer zum Kinderkriegen keinen Sex haben? Wirklich spannend hört sich das wirklich nicht an.

  2. Geht es bei Jesus nicht auch immer um Demut und Bescheidenheit? Da wäre Herr Djokovic ja nicht unbedingt der geeignete Nachfolger.

    1. Immer nicht. Jesus ist auch sehr fordernd. Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Einen Feigenbaum lässt er verdorren, weil der zur Unzeit keine Früchte trägt. Matthäus 21, 18ff.

  3. Die drei Themen sind ja immer aktuell. Da kann man noch viele Kellen von schöpfen ohne dass einem langweilig würde.

  4. Vor dem Internet meinte nicht jeder alles zu wissen, da konnte man besser diskutieren. Mittlerweile sind die Meinungen so festgefahren, da nützt der Dialog dann auch wenig.

      1. Dem stimme ich auch nicht zu. Der Unterschied zwischen fragender Intelligenz und besserwisserischer Blödheit ist noch nicht gänzlich abgeschafft.

    1. Ob der Dialog etwas nützt weiss man halt erst im Nachhinein. Versuchen muss man es trotzdem wenn man die Möglichkeit hat.

  5. Dass Thema Djokovic interessiert mich auch. Gleichermaßen beeindruckend wie er versucht sich an den Regeln vorbeizuschummeln und wie er von den Behörden ausgebremst wurde.

    1. Ich hätte ja erstmal gesagt, dass diese Posse keinen großen Einfluss auf seine Karriere haben würde, aber wenn man nun sieht, dass bspw. auch die French Open nachziehen und keine Ungeimpften spielen lassen wollen, dann wird sich der Gute noch umschauen müssen.

      1. Hahaha, ja ich muss sagen, ich finde das auch völlig richtig. Was sollten solche Ausnahmeregelungen für Sportler denn auch bitte?

  6. Ob Kernkraftwerke jetzt wirklich die neue klimafreundliche Zukunftsenergie ist, naja, darüber kann man streiten. Aber ich finde auch, dass man damals nicht so hastig alles abschalten hätte sollen. Schließlich verzögert sich dadurch der Kohleausstieg erheblich. Das war sicher nicht klug durchdacht.

      1. Der Satz: „Frankreich hat einen Atomstromanteil von 70 Prozent und ist CO₂-effizienter als Deutschland.“ hat mich beschäftigt.

  7. Mittlerweile sind das TV, die Werbung, die Sozialen Medien alle völlig übersexualisiert. Und trotzdem bleibt der eigentliche Sex ja noch seltsam tabu. Geredet wird jedenfalls immer noch wenig darüber.

    1. Es wird zumindest nicht offen und ehrlich darüber geredet. Sondern ja nach Sichtweise glattgebügelt, bagatellisiert oder verteufelt.

      1. Über Sex offen und ehrlich zu reden, das ist wie von Suppen zu erzählen, statt sie zu kochen und zu essen. Was gehen mich fremde Betten an, wenn ich nicht reinschlüpfen will?

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