Liebe Leserinnen und Leser!
‚Alles Mögliche zu versuchen, ist immer noch besser, als das gar nichts zu tun.‘ Geht auch, prägt sich aber weniger gut ein. Groß denken heißt: vermessen denken und Begriffe prägen, die unausgesprochen entweder selbstverständlich sind oder eigentlich sogar falsch, die aber irgendwie doch stimmen – so von der Stimmung her. Denn gerade die zählt. Und zahlt: mit Applaus. Andere verachten das: ‚Symbolpolitik‘. Ein Schimpfwort, das Untätigkeit bloßstellen soll. Intellektuelle Idiotie, dieses Rumgemäkel! Was denn sonst, wenn man im Wettstreit der Systeme bestehen will? Hitler, Stalin, aber auch besser beleumundete Herrscher haben auf Symbole gesetzt und damit Massen begeistert. Ohne Symbole scheint nichts zu funktionieren. Ohne Embleme, Parolen, Chiffren kriegen die Päpste, Generäle, Verkünder das Menschenvieh nicht dahin, wo sie es haben wollen. Also prangert nicht an, was genauso dringend gebraucht wird wie russisches Gas, sondern denkt nach! Vabanque oder Vorsicht? Alles auf eine Karte setzen oder diversifizieren, zumindest Plan B in der Schublade haben? Ideologen brauchen keine Ausflüchte, weil sie im Recht sind. Nie Zweifel zu haben, ist eine höchst überzeugende Form von Wahnsinn. Genug Grund für jeden Abgrund, den die Geschichte zum Stürzen oder zum Überwinden bereithält. Putin wird nicht aufgeben. Scholz wird nichts Unüberlegtes tun. Wer ‚Führung‘ bei ihm bestellt hat, muss sich auf Zaudern gefasst machen. Der Westen hat keine ernst zu nehmenden Hasardeure mehr. Das ist sehr fortschrittlich. Vielleicht ist es lebensrettend. Vielleicht ist es tödlich.
Im Blog ist es zu beobachten: Unsere Traditionen pflegen wir mit symbolischen Handlungen genauso sorgfältig wie unsere Körper mit Hautcreme. Vergangenheitsbewusst schreiten wir den wiedererstandenen Prachtboulevard ab:
‚Solang noch untern Linden
die alten Bäume blühn,
kann nichts uns überwinden.
Berlin bleibt doch Berlin! (…)‘,
hieß es in Walter Kollos Revue ‚Drunter und drüber‘. Das ‚doch‘ steht ja bereits für das Wissen: Es ist gelogen. Die alten Bäume sind sowieso längst abgeholzt, doch auch die neuen strecken wieder vertrauensvoll die Äste nacheinander aus.
Nicht gläubig, aber hoffend: Romantiker bleibt eben doch Romantiker,
Hanno Rinke
Cover mit Material von: Marcus Lenk/Unsplash (Häuser, hinten mittig und links), C Dustin/Unsplash (Wolke) und Shutterstock: ANDRIY B (Buch), Jan Martin Will (Baum), Wondervisuals (Haus, hinten links), Anibal Trejo (Fernsehturm), gomolach (Kerzenflamme), Marti Bug Catcher (Brandenburger Tor)
Betrifft: Zwischen Untergang und AuferstehungBetrifft: Gott, aber noch viel mehr
Hoffnung ist ja auch so viel sympathischer als strenger Glaube.
Oh noch keine Prognose zur Frankreich-Wahl? Das überrascht mich etwas.
Macron! Es war irgendwie zu erwarten und trotzdem bin ich erleichtert.
Dass trotzdem 42% für Marine Le Pen gestimmt haben, bleibt für mich eine Schande.
Das ist wirklich ein schlimmes Ergebnis. Gerade weil sie es nun schon zum dritten Mal in die Zweitwahl geschafft hat und sich ihre Ergebnisse stetig steigern.
Die Furcht vor Le Pen nach Brexit, Trump, Corona und Ukraine-Krieg hatte ich im vorletzten Rundbrief unter meinen ‚Eigentlichs‘ erwähnt. Ich wollte die Teufel*in nicht auch noch an die Wand malen. Die 42 % für sie zu beklagen, ist möglich, aber nicht hilfreich. Man muss Erleichterung auch mal genießen können, ohne gleich über jeden Tag in Freudentränen auszubrechen, an dem über unseren Köpfen noch immer kein Atomsprengkopf geplatzt ist.
Macron hat immerhin eingestanden, dass ein großer Teil der Wähler nicht für ihn, sondern gegen Le Pen gestimmt hat. Das ist sicher ein guter Anfang um die kommenden 5 Jahre mit ein wenig Demut anzugehen. Den Rest muss man nun einfach abwarten.
Mir ist ja das ganze französische Wahlsystem ein kleines Rätsel. Jetzt haben die Franzosen schon zweimal gewählt um ihren Präsidenten zu bestimmen und in eineinhalb Monaten müssen sie schon wieder an die Urnen um das Parlament zu bestimmen. Da wundert man sich nicht, dass die Wahlbeteiligung nicht besonders hoch ist.
Hin und wieder zur Wahl zu gehen, auch zweimal hintereinander, finde ich besser als keine zu haben.
Meine Meinung.
Das ist meine auch. Aber die Herausforderung in der Demokratie ist es ja auch all diejenigen an die Wahlurnen zu bekommen, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht teilnehmen. Bei uns finden die Wahlen wenigstens am Wochenende statt. Dass man sich in anderen Ländern tatsächlich frei nehmen muss oder spätabends nach der Arbeit noch zum Wahllokal muss, hilft da z.B. nicht.
Olaf Scholz wird anscheinend wirklich nichts Unüberlegtes tun, aber was heisst nach 60 Tagen Krieg noch unüberlegt?!
Mir ist ein bedachter, zögerlicher Kanzler lieber als jemand, der sich emotional in jede Schlacht wirft. Scholz wird schon alle Möglichkeiten gut abwägen. Ein Krieg mit Russland wäre ja das Letzte, was man erreichen wollen würde.
Zu unbedacht handeln, zu früh aufgeben – hinterher weiß jeder, der überlebt hat, ob die Entscheidung richtig war. Vorher ist Stammtischgeschwätz wohlfeil.
Was ist denn während eines Krieges eigentlich „Symbolpolitik“? Wahrscheinlich findet man darauf erst eine Antwort wenn alles bereits vorbei ist und man das Geschehen analysieren kann.
Das ganze Prinzip der Demokratie ist ja auch darauf aufgebaut, Politik unter Berücksichtigung der momentanen Stimmung zu machen. Wer gegen die Stimmung in der Bevölkerung agiert, der tut das zwar möglicherweise aus Notwendigkeit, wird aber bei der nächsten Wahl keine guten Chancen haben. Wer für längere Zeit im Amt bleiben will, der muss sich zwangsläufig nach den Interessen der Wähler richten.
Das ist die Schwierigkeit der Demokratie. Die Probleme des Absolutismus sind größer.
Das ist genau mein Argument. Demokratie ist nicht einfach und sie war es auch noch nie. Ein besseres System gibt es bis heute trotzdem nicht.