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Sonntagspredigten

Einsatz

Liebe Einzelne, liebe Gemeinde!

Das Leben erfordert vollen Einsatz. Ach, wirklich? Was das Leben erfordert, ist Nahrung, feste, aber vor allem flüssige: Wasser. Und die Natur, wenn man ihr eine Absicht unterstellen will, verlangt zusätzlich noch Fortpflanzung. Das war’s. Den meisten Lebewesen reicht das. Aber nicht allen.

Bereits höher entwickelte Tiere brauchen auch Zuwendung, wie Verhaltensforscher Harry Harlow in ethisch bedenklichen Versuchen deutlich gemacht hat. Dem Menschen ist aber selbst das nicht genug. Im Allgemeinen. Natürlich gibt es Menschen, die mit ihrer ganzen Kraft unermüdlich für das bedingungslose Grundeinkommen kämpfen, und nur geistig unterentwickelte Individuen können darin einen Kampf für den Sieg der Faulheit sehen. Im Gegenteil! Der Journalist Arno Widmann argumentiert dazu ganz einleuchtend, dass der Übergang von einer Gesellschaft, in der Arbeit durch wirtschaftliche Mittel erzwungen wird, zu einer Gesellschaft, in der Menschen einen Sinn in ihrem Schaffen sehen und vermehrt freiwillig arbeiten, erst die Arbeitsmotivation schaffe, die Voraussetzung für Leistungsbereitschaft sei.1

Der Kapitalismus brauchte zwar bisher bloß ein paar Leute mit Ideen und viele, viele Leute, die sie umsetzen: erfinden oder schuften. Erben oder verwalten konnte man allerdings auch, das war natürlich angenehmer. Wird die KI uns die Lästigkeiten mehr oder weniger abnehmen, und wir werden alle zu Erben? Im Gegensatz zu Kant kann ich mir das vorstellen (eine Frage meiner Zeit, nicht meiner Intelligenz). Aber solange ich lebe, werden wohl die Heinzelmännchen von Köln noch nicht ganz von ihren Berufsgenossen aus dem Silicon Valley verdrängt worden sein.

Im Kommunismus geschieht der Einsatz dagegen nicht für den materiellen Eigennutz, um sich als Fabrikant einen Rolls-Royce oder als Briefträger ein Fahrrad leisten zu können, sondern zum Wohl der Gemeinschaft. Auch da kann ja die KI nichts schaden, denn es finden sich gewiss noch idealistischere Einsätze für Menschen, als Siele zu reinigen und Steuern zu prüfen. Nur hat es den reinen Kommunismus nur als Theorie gegeben. Philosoph Hanno Sauer stellt klar: ‚Die sozialistische Avantgarde wurde zur Nomenklatura – schon in den 1930er Jahren stellten ihre Familien 1,5 Prozent der russischen Bevölkerung, so viel wie einst der Adel unter den Zaren. Die Strukturen der Ungleichheit verschwanden nie.‘2

Und der reine Kapitalismus hat auch nicht lange durchgehalten. Die, die ihn immer noch mögen, nennen ihn sowieso anders, nämlich: Marktwirtschaft.

Da sagen dann Liberale: Einsatz muss sich wieder lohnen. Das geht vor allem gegen die, die nicht arbeiten dürfen (Asyl) oder können (krank) oder wollen (träge), die aber trotzdem noch genug bekommen, um nicht zu verhungern, und die dafür – angeblich – von Geringverdienern beneidet werden, weil die ja Einsatz erbringen und trotzdem nicht sehr viel mehr Köstlichkeiten im Kühlschrank haben als die Nichtstuer.

Einsatz lohnt sich besonders für die, die eine gut bezahlte Leistung erbringen. Schönheitschirurgen, Börsenspekulanten, Pop-Stars, Weltklasse-Sportler fallen mir gerade ein, und so greife ich diese Berufsgruppen willkürlich aus dem großen Sortiment verhasster oder bewunderter Akteure heraus. Für Krankenpfleger und Kassiererinnen wird sich auch bei vollem Einsatz die Leistung leider nicht ganz so sehr lohnen. Warum, ist klar: Angebot und Nachfrage. Zwar werden vermutlich mehr Krankenpflegerinnen und Kassierer nachgefragt als Börsenspekulantinnen und Pop-Stars, doch das hat dann wieder mit dem Einsatz der – finanziellen – Mittel und dem Alleinstellungsmerkmal der Person zu tun. Aber die Erörterung zur Verteilung von Reichtum sparen wir uns für ein anderes Mal auf.

Einsatz hat oft mit Risiko zu tun. Im Finanziellen sowieso. Ein Sparbuch bringt fast nichts, es geht aber auch nichts verloren, wenn man es nicht im Bus liegen lässt. Mit einem neuen Produkt kann man reich werden oder pleitegehen.

Leonard Bernstein erzählte mir von seinem Vater, der als jüdischer Einwanderer in die USA gekommen war und eine kleine Kosmetikfirma gründete. Eines Tages kam jemand zu ihm und erzählte ihm, er habe etwas erfunden, wofür er Kapital brauche. Bernstein senior mochte dafür kein Geld hergeben, und so verdiente er nicht mit an Revlons Nagellackfirma (im Jahr 2020: 2,42 Mrd. US-Dollar3). Ein anderer Erfinder sagte meinem Vater, er habe einen Verbrennungsmotor für Krematorien erfunden, der ließe sich aber auch für anderen Müll einsetzen. Mein Vater glaubte ihm. Vom Verkauf der Anlage an eine Abfallverwertungsgesellschaft kann ich jetzt sehr viel besser leben, als wenn ich nur auf meine Firmenpension angewiesen wäre, von der staatlichen Rente – über die zurzeit so viel geredet wird – ganz zu schweigen.

Man kann aber ja nicht nur sein Geld einsetzen, sondern auch sein Leben, freiwillig oder gezwungenermaßen. Bei Soldaten ist das mal so, mal so. In dieser Woche geht es – wie in jeder anderen Woche auch – um Trump: zurzeit um seinen Friedensplan gegen die Ukraine. Er will partout den Nobelpreis, auch wenn durch sein Handeln die Welt in Autokratien erstarrt: Hauptsache, er verdient daran, nebenbei auch die Trophäe in Oslo.

Umso heißer wird die Frage diskutiert, wie es mit der Bundeswehr weiterzugehen hat. Meine ansonsten eher skeptische Mutter soll, als ich ihr blut- und schleimgereinigt ins Wochenbett gelegt wurde, zufrieden gesagt haben: „Mein Sohn wird nie Soldat werden müssen!“ Neun Jahre später kam die Bundeswehr, weitere sieben Jahre später kam Rudolf Augstein ins Gefängnis, weil im ‚Spiegel‘ gestanden hatte, dass die Bundeswehr nur ‚bedingt abwehrbereit‘4 sei. Heute sagt das jeder und hat Glück, wenn man ihn mit dieser Allerweltsaussage für so kompetent hält, dass man ihn in Talkshows einlädt. Bessere Chancen hat nur, wer behauptet, die Russen müssten sich gegen den aggressiven Westen zur Wehr setzen. Jede erfolgreiche Runde braucht schließlich jemanden, auf den die anderen Teilnehmer beherzt draufhauen können.

Meine Mutter behielt mit ihrer voreiligen Aussage dennoch recht. Seit meiner Geburt hatte ich einen Doppelschlag (im Fachbegriff: Extrasystole). Mein Herz schlug nicht bop-bop-bop, sondern bopbop-bopbop. Unser Hausarzt dokumentierte das gewissenhaft, empfahl mir noch, starken Kaffee zu trinken und sicherheitshalber die Musterungspassage aus ‚Felix Krull‘5 zu lesen. So gewappnet, fuhr ich zum Kreiswehrersatzamt und fiel wie gewünscht durch. Meine Eltern freuten sich fast mehr als nach meiner bestandenen Fahrprüfung. Zwar war mein Großvater noch Offizier gewesen, aber mein Vater versteckte sich bereits als Soldat lieber unter Panzern statt zu kämpfen, und ich bin nun vollends dekadent geworden, bediente also das Klavier kenntnisreicher als die Kanone. All das ist nachzulesen in meinem Buch ‚ÜBER LEBEN‘. Die hilfreiche Extrasystole verschwand übrigens im Jahr darauf. Eine größere Freude hat mir mein Körper – außer im Sexuellen – nie gemacht.

Im Jahr 2011 wurde die Wehrpflicht in Deutschland ausgesetzt, weil man nicht mehr so recht wusste, wie man die Eingezogenen tagsüber sinnvoll beschäftigen sollte. Inzwischen bietet der Krieg in der Ukraine durchaus Gelegenheit, sich über Verteidigung Gedanken zu machen. In Zukunft wird es vielleicht reichen, in einem Land die Infrastruktur mit Drohnen lahmzulegen, um dessen Bevölkerung auszurotten, ohne dass eigenes Soldatenblut fließen muss. ‚Dulce et decorum est pro patria mori‘6 wäre dann nur noch etwas für Humanisten. Bisher allerdings ist das Zukunftsmusik, halb Triumphmarsch, halb Requiem, und deshalb kam die Diskussion in Gange, welchen Einsatz wer erbringen soll. Gendergerechterweise betreffen die Überlegungen auch Mädels: die Kehrseite von #meToo. Die Jahrmarktsidee, per Los entscheiden zu lassen, wurde fallengelassen. Diese Lotterie gibt es nur im Internet für das bedingungslose Grundeinkommen mit dem Werbespruch:

Freiheit fängt mit Geld an.
Jetzt Grundeinkommen selbst erleben!

Staatlicherseits gibt es statt Los nun also einen Fragebogen, den 18-jährige Männer ausfüllen müssen und 18-jährige Frauen ausfüllen dürfen. Bei Transpersonen ist der bei den Meldebehörden hinterlegte Geschlechtseintrag ausschlaggebend.



Für die Jungen gilt: Besser gleich zum Militär als später sowieso keine Rente, wobei der Zusammenhang ausschließlich für Gefallene gilt. Zynismus beiseite: Dass es in Europa noch mal berechtigte Überlegungen darüber geben müsse, wie wir uns verteidigen können, das lag für mich vor zwanzig Jahren trotz Tschetschenien außerhalb meiner eigentlich recht blumigen Fantasie. Eine Mentalität wie Putins hielt ich unter verantwortungstragenden Menschen für überholt. Im Aussterben begriffen. Würde ich Gegenden nennen, für die mir solches Denken zu Beginn des neuen Jahrtausends noch realistisch erschien, so könnte mir das heute als rassistisch ausgelegt werden. Gaza, Sudan? Meinetwegen. Aber in Europa! Na ja, dass man Napoleon nicht im ‚Brockhaus‘ nachschlagen muss, sondern googeln kann, war für mich zu jener Zeit auch undenkbar, und viele ganz Linke und ganz Rechte halten auch heute noch die Gefahr eines Weltkriegs für übertrieben, solange wir uns nett benehmen. Wie nett?



Tapferkeit vor dem Freund? Vor dem Feind? In Europa gilt die Frage ärgerlicherweise derzeit in alle Richtungen. Wer die eigene Freiheit liebt und nicht völlig mutlos ist, der setzt sich für diese Freiheit ein, egal ob er ein verblendeter Psychopath ist, eine erleuchtete Revolutionärin oder umgekehrt. Ohne Fleiß kein Preis (außer bei Inflation). Es muss ja nicht der eigene Fleiß sein. Und so kann man einen hohen Einsatz für Frieden und Freiheit fordern, wenn man weiß, dass man das dadurch ausgelöste Geschehen später allenfalls am Bildschirm verfolgen wird. Wie laut die eigene Stimme und wie lauter die eigene Stimmungsmache in diesem Fall war, das muss sich jede(r) selber fragen. Ach, ein Satz zum Einsatz noch: Ich hätte gar nichts gegen den Sieg der Faulheit. Heimlich könnte ich ja weiterarbeiten.

Das war heute mal eine gottlose Predigt von meiner Kanzel. Nächstes Mal wird es wieder religiöser.

Euer Sonntagsredner
Hanno Rinke



Quellen:
1 Wikipedia/aus ‚Frankfurter Rundschau‘/fr.de vom 16.01.2020
2 ‚Neue Zürcher Zeitung‘ vom 23.11.2025, aus dem Interview mit Hanno Sauer
3 Wikipedia
4 ‚DER SPIEGEL‘, Ausgabe 42, vom 10.10.1962/via LeMo
5 Thomas Mann: ‚Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull‘, 1954 erschienen im S. Fischer Verlag
6 Aus dem Lateinischen übersetzt: ‚Süß und ehrenvoll ist es, fürs Vaterland zu sterben.‘

Grafik: Kl-generiert via Midjourney

78 Kommentare zu “Einsatz

    1. Da spielt dann sicher auch die Frage eine Rolle, ob man einen Job rein ausübt um Geld zu verdienen oder um sich und seine Interessen auszuleben.

      1. Das genau ist ja auch die Frage, wenn es um ein bedingungsloses Grundeinkommen geht. Die bisherigen Studien zeigen ja in der Regel auch, dass die Menschen größtenteils trotzdem weiter arbeiten.

      2. Neuigkeit: Nicht jede Freizeitbeschäftigung ist langweilig, und nicht jede Arbeit ist interessant.

      3. Wir sprechen so oft von „Work-Life-Balance“, als wären Arbeit und Leben zwei sauber getrennte Kisten, die man nur halbwegs gleichmäßig füllen muss, damit alles passt. In Wirklichkeit ist das längst durcheinandergeraten. Viele schleppen sich durch den Job, fühlen sich danach aber in der Freizeit genauso ausgepowert oder innerlich unruhig. Und gleichzeitig gibt es Tätigkeiten, die offiziell „Arbeit“ heißen, aber viel mehr Sinn machen als manches teure Hobby. Eigentlich zeigt das nur: Diese klare Trennung existiert mehr in unseren Köpfen als im echten Leben.

      4. Nach etwas mühseliger Ausbildungszeit hatte ich das Glück (oder Talent) Beruf und Privatleben auch im Freundeskreis immer verbinden zu können. Vielleicht wird uns dereinst die KI die meisten lästigen Arbeiten abnehmen. Bis dahin?
        Wahrscheinlich bin ich nicht nur alt, sondern auch altmodisch, aber es kommt mir so vor, als ob viele Menschen ihre Freizeit nicht sinnvoll nutzen: Nichtstun kann sinnvoll sein, Langeweile nicht.

      5. Es ist tatsächlich ein großes Geschenk, wenn sich Berufliches und Privates so selbstverständlich miteinander verbinden lassen; das gelingt nicht jedem, und vermutlich sagt es ebenso viel über Haltung und Leidenschaft aus wie über Glück oder Talent.

        Was die Rolle der KI betrifft: Vielleicht wird sie uns eines Tages tatsächlich viele lästige Arbeiten abnehmen. Der Sinn, den wir in unserer Zeit finden, bleibt jedoch ein zutiefst menschliches Anliegen. In diesem Punkt stimme ich Ihnen sehr zu: Nichtstun kann sinnvoll und sogar notwendig sein, weil es Raum schafft. Langeweile hingegen fühlt sich oft wie ein Zustand ohne Richtung an.

        Vielleicht geht es also weniger darum, jede freie Minute „sinnvoll“ zu nutzen, sondern vielmehr darum, bewusst zu leben, ob aktiv, kreativ oder ganz ruhig. Jede und jeder findet darin den eigenen Rhythmus.

      6. Beruf und Privatleben können sich glücklich verweben, aber Sinn bleibt etwas zutiefst Menschliches. KI mag Arbeit erleichtern, doch Richtung und Rhythmus unseres Lebens finden wir selbst, oft gerade in den stillen Momenten.

      7. Inspiration braucht Ruhephasen, um sich zu entfalten. Hektische Workoholics mögen das Faulheit nennen.

  1. Ich musste schmunzeln über das Bild der Heinzelmännchen, die noch nicht ganz von ihren Kollegen aus dem Silicon Valley verdrängt wurden. Diese Mischung aus Skepsis und Neugier gegenüber der KI ist mir persönlich sehr nachvollziehbar. Ich wundere mich immer wohin das führen wird.

    1. Diese Frage, wohin das führen wird, gab es wohl schon bei der Erfindung des Rades, des Buchdrucks und der Dampfmaschine. Die Folgen waren unabsehbar.

      1. Ich frage mich vor allem, wie wir die KI einsetzen. Nicht so sehr was ihre Möglichkeiten sind. Aber auch das ist ja bisher nicht abzusehen.

      2. Vorstellungen macht man sich ja trotzdem. Und die Urenkel können dann später darüber lachen, wie falsch man lag.

  2. Ich fand dieses Mal die rhetorische Wendung interessant, dass Freiheit mit Geld anfängt. Der Slogan wirkt platt, aber die dahinterliegende Frage ist tatsächlich kompliziert: Wieviel wirtschaftliche Sicherheit braucht Freiheit?

      1. Hmmm, ich frage mich oft, ob viel Geld das Leben wirklich einfacher macht. Natürlich nimmt finanzielle Sicherheit einiges an Druck. Aber gleichzeitig scheint mit dem Geld auch eine neue Art von Komplexität zu kommen, mehr Erwartungen, mehr Entscheidungen, manchmal sogar mehr Distanz zu anderen. Am Ende bleibt mein Eindruck: Geld erleichtert vieles im Alltag, aber das, was wirklich zählt, wird davon kaum berührt.

      2. In der Jugend ist Geld schön, aber nicht so wichtig. Wenn man im Alter pflegebedürftig ist, macht es schon ein Unterschied, ob man in einem komfortablen Senioren-Anwesen betreut wird oder in einer Bruchbude vegetiert.

  3. In diesem Fall ist es ja nur ein Werbeslogan. Merkwürdig allerdings, dass bei Geldmangel häufig nicht-liberale Parteien gewählt werden, die die Freiheit einschränken.

    1. Das wundert mich auch immer. Dass Menschen, die sowieso schon eingeschränkt leben müssen, so oft noch mehr Kontrolle, noch mehr Regeln, noch mehr Einschränkung, noch weniger Verantwortung und Freiheit wählen.

    2. Das wirkt auf den ersten Blick vielleicht widersprüchlich, ist aber doch eigentlich nachvollziehbar: In Situationen von Geldmangel rückt für viele Menschen nicht die abstrakte Idee von Freiheit in den Vordergrund, sondern das unmittelbare Bedürfnis nach Sicherheit und Stabilität. Parteien, die starke Kontrolle, klare Regeln oder schnelle Lösungen versprechen, wirken dann oft attraktiver als liberale Konzepte, die langfristiger und weniger greifbar erscheinen. Insofern ist es weniger Merkwürdigkeit als ein Ausdruck von Angst und Unsicherheit.

      1. Ist es eine ‚Typfrage‘, ob man lieber die Freiheit haben will, selbst zu agieren, oder ob man einen starken Macher haben will, der die Sache richtet? Wie immer spielen sicher auch dabei Genetik und Umwelt eine Rolle, also Elternhaus und Bildung.

  4. Ich dachte die Idee mit dem Los ist immer noch aktuell. Zumindest für die den hoffentlich immer noch unwahrscheinlichen Kriegsfall und die Situation, dass nicht genügend Freiwillige bereitstehen.

    1. „geplante Losverfahren ist aktuell nicht Teil des Wehrdienstgesetzes, soll aber eventuell zu einem späteren Zeitpunkt im Gesetzestext verankert werden.“ weiss Google.
      Ich fände das aber in der Tat äusserst seltsam. Da mustert man erstmal, dann wird eine Verweigerung akzeptiert, und dann bekommt man dank Glücksspiel auf einmal einen Brief zur Einberufung. Ob das wirklich rechtens wäre!?

      1. Darüber können dann wieder Gerichte brüten und Doktorarbeiten geschrieben werden.

  5. Den Schoko-Weihnachtsmann zum 1. Advent gönne ich mir trotz der gottlosen Predigt 😉 Schön von Ihnen zu lesen, Herr Rinke.

      1. Ohje! Die Predigt zum zweiten Advent wird schon wieder nicht von Religion handeln. Aber dafür schmeckt die Schokolade sogar ohne Aluminium-Verpackung mit Weihnachtsmann-Aufdruck. Zartbitter!

  6. Spannend finde ich ja, dass Sie sowohl Kapitalismus als auch Kommunismus als gescheiterte Ideale beschreiben und stattdessen immer wieder auf den Menschen zurückführen. Das wirkt zwar resigniert, aber auch erstaunlich pragmatisch.

    1. Sich nach dem Menschen auszurichten, finde ich zwar – im Gegensatz zu Ideologien und Religionen – pragmatisch, aber nicht resignativ.

      1. Momentan lese ich hauptsächlich über die mögliche Ausrichtung der Olympischen Spiele bzw. der Expo in Berlin. Geht es nicht ein wenig kleiner? Ich dachte im Haushalt fehlt Geld. Jedenfalls bekommen das unsere vielen Kulturreinrichtungen nach wie vor gesagt.

      2. Vorher kann man immer behaupten, das rechne sich alles. Nachher schweigt man.

  7. Der Abschnitt über die Drohnen hat mich besonders beschäftigt. Sie erwähnen das Szenario nur kurz, aber es wirkt nach: Die Vorstellung, dass künftige Kriege nicht mehr über Soldaten geführt werden, sondern über das präzise Ausschalten von Infrastruktur, ist erschreckend plausibel. Drohnen, die Stromnetze, Kommunikationswege oder Wasserversorgung lahmlegen, könnten ganze Gesellschaften handlungsunfähig machen, ohne dass auch nur ein einziger Mensch direkt angegriffen wird. Teilweise ist das ja sogar schon Realität. Dieser „entkörperlichte“ Krieg wirkt fast noch grausamer, weil er anonyme Verwüstung ermöglicht und gleichzeitig die Schwelle zum Angriff senkt. Ihre beiläufige Bemerkung entlarvt eine bittere Wahrheit: Die Technik entwickelt sich schneller als unsere politischen und moralischen Werkzeuge, um mit ihr umzugehen.

    1. Das war bei der Industrialisierung vor zweihundert Jahren nicht viel anders; in viel kleinerem Maßstab zwar, aber hat der einzelne die Umwälzung nicht ähnlich empfunden?

    2. Was mich an diesem Szenario besonders beschäftigt, ist weniger die technische Möglichkeit an sich – die ist längst Realität – sondern die Verschiebung der Verantwortung, die damit einhergeht. Wenn Krieg zunehmend über automatisierte Systeme geführt wird, verschwimmt die Linie zwischen Entscheidung und Ausführung: Wer trägt die Verantwortung für einen Angriff, wenn er von Algorithmen vorbereitet oder sogar ausgelöst wird? Und was bedeutet „Verteidigung“, wenn die Verwundbarkeit nicht mehr beim Menschen liegt, sondern in komplexen, oft privat betriebenen Infrastrukturen?

      Gleichzeitig entsteht ein paradoxes Bild: Je weniger unmittelbar Menschen betroffen sind, desto größer scheint die Versuchung, Risiken einzugehen. Die politische Schwelle sinkt also nicht nur, weil Drohnen effizienter sind, sondern weil sie die Illusion eines „sauberen“ Konflikts erzeugen. Diese Verschiebung, weg vom menschlichen Körper, hin zu abstrakten Systemen, macht den Krieg nicht nur technischer, sondern auch psychologisch enthemmter.

      Für mich liegt die eigentliche Gefahr daher nicht unbedingt allein in der Technologie, sondern in der mangelnden Vorstellungskraft der Politik: in der Unfähigkeit, die eigenen ethischen Instrumente an eine Realität anzupassen, die längst begonnen hat.

      1. Die Beherrschung ist immer schon schwierig gewesen, wenn neue Instrumente erfunden wurden. Nur dass die Auswirkungen immer katastrophaler werden können.

      2. Die eigentliche Bedrohung liegt weniger in der Technik als in der politischen Leerstelle, die sie offenlegt. Automatisierte Kriegsführung verschiebt Verantwortung, senkt Hemmschwellen und schafft die Illusion von Risikoferne. Genau darin entsteht ein gefährlicher Entscheidungsraum, den wir gesellschaftlich noch gar nicht begriffen haben.

      3. Leider traue ich einzelnen Machthabern durchaus zu, den Weltuntergang zu riskieren, wenn es um die Vernichtung ihrer ‚Feinde‘ geht. Wenn Hitler die Atombombe gehabt hätte …
        Muss mich nicht beschäftigen: Ich wäre nicht geboren worden.

      4. Ich frage mich immer, was die davon haben. Wie lange lebt Putin noch? Was will er mit einem von ihm zerstörten, feindseligen Land anfangen? Ich hielt dieses kolonialistische Denken für überholt. Ich habe mich geirrt.

      5. Tragisch ist, dass die Bevölkerung beider Länder den Preis für diesen Irrweg bezahlen werden.

      6. Bevölkerungen zahlen immer den Preis. Wenn sie ihr Schicksal sogar selbst gewählt haben, liegen ihnen Ausreden später näher als Einsichten.

  8. Die Frage nach Tapferkeit, egal in welche Richtung, trifft ziemlich gut die aktuelle Stimmung. Jeder ruft schnell nach Einsatz, aber meistens vom Sofa aus. Dass Sie den „Sieg der Faulheit“ ins Spiel bringen, wirkt da fast beruhigend. Ein bisschen Ehrlichkeit tut gut.

    1. Die Leute gehen doch auch wieder vermehrt auf dur Strasse. Noch deutlich präsenter ald in den vergangenen Jahren. Oder ist das nur mein Empfinden?

      1. Ihre Beobachtung, dass wieder mehr Menschen auf die Straße gehen, teile ich. Vielleicht liegt es an den vielen Krisen, vielleicht auch daran, dass wir sensibler geworden sind, aber die Präsenz von Protest fühlt sich deutlich stärker an als noch vor ein paar Jahren.

      2. Zumindest scheint es an den Menschen nicht vorbei zu gehen, dass die Zeiten schwierig sind. Das ist ja schon mal ein Anfang.

      3. So möchte ich das auch sehen. Allerdings: in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts wussten auch alle, dass es schwierige Zeiten sind. Viele zogen daraus jedoch Schlussfolgerungen, die in den Untergang führten.

      4. Wenn es dazu kommen sollte, dass sich der Krieg in der Ukraine ausweitet oder die Situation um Gaza weiter eskaliert und europäische Truppen involviert werden, dann braucht es die Schlussfolgerungen vielleicht gar nicht um zum Untergang zu führen. Man darf es sich nicht ausmalen.

  9. Richtig. Wer etwas wagt, kann gewinnen, aber auch verlieren. Gleichzeitig ist es spannend zu sehen, dass Risiko nicht nur finanziell oder körperlich sein muss: Manchmal steckt es im persönlichen Einsatz, in Entscheidungen, die Mut verlangen, oder im ehrlichen Gespräch, das alles verändern könnte. Ohne Risiko wäre vieles wohl deutlich langweiliger, und vermutlich auch weniger wertvoll.

      1. Wir wollen Versicherungen und wir wollen Abenteuer. Gleichzeitig ist das schwierig.

      2. dafür gibt es ja die vergnügungsparks. oder neuerdings das axtwerfen in der innenstadt.

      3. ‚Zwergenwerfen‘ ist für mich Sportbegeisterten immer noch das Schönste!

  10. Ich habe neulich zum ersten Mal Werbung für die Bundeswehr in meinem kleinen Programmkino gesehen. Wahrscheinlich macht das irgendwie Sinn; auch die Bundeswehr muss werben, wenn sie Leute begeistern will. Trotzdem hat es mich etwas erschreckt.

    1. Früher gab es überwiegend Zigaretten- und Alkohol-Reklame. Die gibt es nicht mehr, dafür kamen Banken und Versicherungen dazu. Nun schließt sich folgerichtig die Bundeswehr an: Alles, was gebraucht wird oder weg muss. In der DDR gab es die Werbung: „Nimm ein Ei mehr!“

      1. Im Gegenzug soll in Berlin Leuchtreklame komplett verboten werden 😳 Die Städte sind ja noch nicht grau genug.

      2. Für mich hat zu gelten: „Nachts sind alle Städte bunt!“ Aber ich darf ja, seit ich abends meistens Zuhause bleibe, eigentlich gar nicht mehr mitreden.

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