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Sonntagspredigten

Betrifft: Zwischen Untergang und Auferstehung

Liebe Gläubige, liebe Ungläubige!

Eigentlich sollte Olaf Scholz nach der unfreundlichen Ausladung des deutschen Bundespräsidenten nicht nach Kiew kriechen. Außer warmen Worten hat er bisher sowieso wenig geboten. Eigentlich sollte Deutschland Putin zuvorkommen: die russischen Energieimporte stoppen und die sicherer gewordene, umweltfreundliche Atomkraft wie Frankreich und andere vernünftige Länder entschieden ausbauen. Eigentlich sollten die (doch nicht so vernünftigen?) Franzosen dem Europa-Freund Macron in der Stichwahl ihre Stimme geben und nicht Madame Le Pen. Meine ‚Eigentlichs‘. Andere denken anders oder hoffen bloß: auf himmlische Mächte oder irdische Einsicht.
Diese furchtbaren Massaker in der Ukraine – und der Moskauer Metropolit Kyrill segnet die ‚Verteidiger des Vaterlandes‘ im Namen des Herrn. – Für mich unbegreiflich. Und wie findet Gott selber das? Er hat Bernd nicht verhindert, dieses Tiefdruckgebiet mit verheerenden Überschwemmungen im vergangenen Juli, und dem teuflischen Coronavirus hat er auch immer noch nicht Einhalt geboten. Grässlich! Der CO2-Ausstoß nimmt nach wie vor weltweit zu. Das zu reduzieren wird teuer. Und wir zahlen sowieso schon immer mehr für alles. Schlimme Zeiten. Krieg, Umweltkatastrophen, Inflation. Wie soll das bloß weitergehen?, fragen wir uns. Die einen flüchten sich ins Gebet – mir unverständlich. Andere fallen ab vom Glauben – mir noch unverständlicher. Was dachten die denn vorher? Dass das kein ‚lieber Gott‘ ist, mit dem wir es zu tun haben, wissen wir doch spätestens seit der Sintflut.

Gott hat uns nach seinem Ebenbild geschaffen. Weshalb eigentlich? Um sich oder um uns eine Freude damit zu machen? Aliens sehen vielleicht auch nett aus. Gott hat uns den freien Willen gegeben, sollten wir den aber dazu nutzen, vom Baum der Erkenntnis zu kosten oder mit unserem Fortpflanzungstrieb auch ohne Fortpflanzungsabsicht fantasievoll umzugehen, diesem Trieb, den er uns in die Wiege gelegt hat, dann regnet es schon mal dreihundert Tage lang am Stück oder – wie in Sodom – gleich Pech und Schwefel.

Nun liebt Gott die Menschen andererseits doch so sehr, dass er ein Stück von sich seinen Sohn nennt und dieses Stück unter Zuhilfenahme einer Jungfrau geboren werden und ans Kreuz schlagen lässt, um durch diesen freundlichen Akt den Menschen ihre durch Gott definierten Fehltritte vergeben zu können. Lange hält es der Teil Gottes, den er seinen Sohn nennt, im Grab nicht aus: Er geistert noch ein bisschen durch Judäa, zeigt dem ungläubigen Thomas, der auf Beweisen besteht, sogar gutmütig die Einschläge der Nägel in seinen Händen, um dann endlich wieder zum Paternoster in den Himmel auffahren zu dürfen. Mission erfüllt. Gut gemacht, Jesus! Katholiken essen seither gern sein Fleisch, sein Blut trinkt nur der Geistliche. Unkanibalischerweise besteht die Mahlzeit Gott sei Dank nur aus Oblaten- und Wein-Verzehr (vorher unsichtbar gewandelt). Protestanten dürfen sich darauf beschränken, das Abendmahl in Jesu Angedenken einzunehmen. Doch auch sonst ist der Gott Abrahams lebhaft am Speisezettel der Menschen interessiert: Er will nicht, dass Juden Parmaschinken essen, verbietet Muslimen den Verdauungsschnaps, und Christen sollen freitags, streng genommen, auch bloß Hummer und Seezunge essen, auf Eisbein und Leberwurst aber verzichten. Sexualität ohne Kinderwunsch kann er ja sowieso nicht leiden, und in einigen Glaubensausrichtungen wirft er auch noch ein kritisches Auge auf die Textilien.

Christi Tod scheint nur rückwirkend verzeihende Funktion zu haben, denn den Nachgeborenen werden bei schuldhaftem Verhalten Fegefeuer und Hölle in Aussicht gestellt: Für deren Ausgestaltung brachten die Menschen immer schon viel Liebe zum Detail auf, während der Himmel nur aus Wolken (zum Hinsetzen) oder aus einem hübschen Garten (zum Lustwandeln) besteht. Allenfalls fallen dort über selbstzerfetzte Gotteskrieger Jungfrauen her. Wollen die wirklich alle Kinder, oder darf man nach dem Tod endlich das tun, was vorher verboten war? Gefahrlos sündigen, ohne dass es so heißt.

Dafür heißt es, man träfe im Himmel seine Freunde und Verwandten wieder. Na, wenn da mal nicht einige in der Hölle gelandet sind! Speziell für Reiche wird es problematisch, denn die kommen nicht ganz so einfach in den Himmel wie ein Kamel durchs Nadelöhr. Spitzfindige behaupteten, das ‚Nadelöhr‘ sei der Name des engsten Stadttores von Jerusalem gewesen, was Begüterten doch noch gewisse Chancen eingeräumt hätte. Von dieser Deutung ist die Religionswissenschaft inzwischen wieder abgekommen. Das macht es völlig unverständlich, wieso es fromme Millionäre gibt.

Wie eng die irdische Bindung gewesen sein muss, um sich dereinst im Jenseits wieder zu treffen, bleibt unklar. Wen will man denn überhaupt unter den veränderten Umständen noch sehen? Mit wem ist ein Gedanken- oder sonstiger Austausch wünschenswert? Womöglich liegt manchem doch mehr an seinem treuen Hund oder seinem niedlichen Goldhamster. Oder haben Tiere bloß Anspruch auf Verwesung? Und was, wenn ich jemanden wiedersehen will, der aber inzwischen schon lustigere Bekanntschaften gemacht hat? Besonders Enkeln wird gern erzählt, die Omma gucke nun von oben immer runter. Was für eine gruselige Idee für beide: Großmutter und Kind!
Dann heißt es wieder, die ganze Angelegenheit werde sowieso erst beim Jüngsten Gericht entschieden. Bis dahin verweilen Auserwählte komfortabel in ihrem Mausoleum, was einen Reichtum voraussetzt, der das Nadelöhr recht bedrohlich erscheinen lässt; weniger Begünstigte verharren derweil als Asche in ihren Urnen.

Alles viel zu menschlich gedacht! So pampig darf ich die letzten Dinge nicht angehen. Ein Mysterium ist genauso ein Mysterium, wie eine Rose eine Rose ist. – Na schön. Aber wieso verspricht dann der Stellvertreter des Stellvertreters Gottes auf Erden trauernden Hinterbliebenen, die Toten seien nur schon mal vorausgegangen, bald sähen sie die alle wieder. Können Päpste lügen? Na ja, wenn solch holde Einfalt den Trauernden hilft, dann sollen sie glauben, was ihren Schmerz lindert. Warum nicht. Tut ja keinem weh, seit man zum Glauben nicht mehr mittels Folter gezwungen wird. Trotzdem passt das alles nicht zusammen, wenn man sich selbst mal zwingt, nüchtern zu denken, statt beschwipst zu glauben. Wollen viele aber nicht. Zweifellos ist zu glauben schöner, solange man sich nicht schämt oder fürchtet: Gottes Liebe, Gottes Güte – doch dann: Gottes Vorhersehung, die doch schon alles weiß und trotzdem Unbotmäßiges bestraft. – Wo bleibt da der freie Wille?, fragten sich bereits heimlich die ersten Freigeister, als das noch verboten war. Gott kann doch nicht überrascht gewesen sein von Adams Wunsch nach Erkenntnis (die Süßfrucht mal beiseitegelassen). Und wie sich Hiob und Abraham entscheiden würden, muss dem Allmächtigen auch klar gewesen sein, bevor er sie piesackte: Wozu Versuchskaninchen malträtieren, wenn ich das Ergebnis schon kenne?

Und mehr noch: Warum den Allwissenden damit überfordern, zu ihm zu beten? Soll er wirklich auf meine Gebete hin den Lauf der Dinge, wie er sie plant oder zumindest weiß, ändern? Und wenn ich nun um Sonne für meinen Meeresurlaub flehe, aber der Küstenbauer bettelt um Regen? Wie entscheidet er sich dann? Schon der deutsche Kaiser hat mit Gottes Hilfe, Pauken und Trompeten den Ersten Weltkrieg begonnen und verloren. Ob Gott wohl mehr zu Putin, Xi Jinping und Kyrill hält oder zu Selenskyj, dem ukrainischen Metropoliten Epiphanius und dem Westen? Gewinnen kann Gott dabei sowieso nicht. Eine Seite wird er verärgern. Aber die wird sich die Niederlage schon irgendwie schönreden, ohne Gott die Schuld zuzuschieben. Wir globalisierten Kosmopoliten sind ja inzwischen zivilisierter als der Grüne Kain es war. Der brachte vor Wut gleich seinen Bruder, den Metzger Abel, um, als Gott dessen Fleischspeisen gnädiger annahm als Abels vegetarische Kost. (Dann fragt Gott auch noch scheinheilig: „Kain, wo ist dein Bruder Abel?“, und schließt dennoch den Neuen Bund mit dem ackernden Mörder.)

Gott kann nicht tot sein, auch wenn Nietzsche das Gegenteil ziemlich verzweifelt ausrief. Er kann nicht tot sein, weil er nie gelebt hat. Gott als ‚Lebewesen‘ zu bezeichnen, grenzt an Blasphemie. Es bedurfte eigentlich keines Kopernikus oder Darwins, um sich klarzumachen, dass all diese Geschichten überwiegend schaurige und teilweise nette Märchen sind. Nehmen wir das also alles symbolisch – was der Katholizismus ausdrücklich verbietet! –, dann bleibt manch Kluges und manch Tröstliches: die Hoffnung auf Vergebung, auf Auferstehung (aber bitte nicht des Fleisches), auf ewigen Frieden (wird das vielleicht etwas langweilig?). Gnade, diese liebenswerte Form von Willkür – sie möge uns Sündern allen zuteilwerden. Und Barmherzigkeit funktioniert sogar ohne Gott. Oder hat er sie (manchen von) uns eingepflanzt? – Soll jeder glauben, was er will! Schade, dass die Religion dort, wo sie die Macht hat, so intolerant ist. Seien wir also froh, dass bei uns niemand (mehr) gezwungen wird, irgendein Bekenntnis abzulegen! Abgelegt haben wir stattdessen diese Zwangsjacke. Das ist doch schon Grund genug, zuversichtlich zu feiern. So erheben wir uns und unser Glas auf den freien Willen, glauben, zweifeln und hoffen zu dürfen: ganz, wie es uns entspricht.

Resurgemus!
Hanno Rinke

Credits/v. o. n. u.: Albin Egger-Lienz/Wikimedia Commons/gemeinfrei/public domain | Francis Danby – ‚The Deluge‘/Wikimedia Commons/gemeinfrei/public domain | John Martin – ‚Sodom and Gomorrah‘/Wikimedia Commons, gemeinfrei | Gioacchino Assereto – ‚Cain and Abel‘/Wikimedia Commons/gemeinfrei/public domain | ‚Expulsion from paradise‘/Wikimedia Commons/gemeinfrei | Francesco Solimena – ‚Auferstehung Christi‘/Wikimedia Commons/gemeinfrei

21 Kommentare zu “Betrifft: Zwischen Untergang und Auferstehung

    1. Le Pen ist stolze Französin, was ist falsch daran? Ich finde sie hat verdient den Zuspruch der Franzosen erhalten.

      1. Noch hat sie gar nichts erhalten. Die zweite Wahlrunde findet erst am 24. statt.

    2. Also ob Gott unsere Wahlen beeinflusst … das klingt schon ziemlich übertrieben. Aber Nationalismus ist sicher das Letzte, was wir in dieser Zeit brauchen @Meissner. Die großen Probleme wie COVID und den Klimawandel bekommen wir so nicht gelöst.

    3. Le Pen als Präsidentin wäre ein deutliches Zeichen des Himmels. Als Gegenbeweis von Gottes Existenz würde es verbohrten Evolutionsleugnern vermutlich immer noch nicht ausreichen.

      1. Gerade erst lese ich, dass Marine le Pen anscheinend EU-Gelder veruntreut haben soll. Das wäre schon sehr scheinheilig.

  1. Wenn Olaf Scholz gedenken sollte nach Kiew zu reisen, dann bitte doch nur unter einer Bedingung, dass Bundespräsident Steinmeier seine Begleitung ist.

    1. Was für ein Quatsch. Während eines Krieges stellt man keine Bedingungen. Dass Zelensky so verschnupft reagiert ist sicherlich übertrieben, aber deshalb muss man nicht ähnlich übertrieben antworten.

      1. Meistens kommt das allerdings von den involvierten Parteien. Scholz ist bisher ja eher Außenstehender.

      2. Ich hatte mir auch mehr von dieser Regierung erhofft. Ich finde gar nicht, dass es bisher riesige Versäumnisse gibt, aber es gibt eben auch keine besonders eindrückliche Handschrift.

  2. So richtig passt das alles natürlich nicht zusammen, aber für viele ist der Glauben ja auch eher etwas, das nicht unbedingt wörtlich genommen werden muss. Da geht es dann vielmehr um moralische Leitlinien und ein besseres Miteinander.

      1. Ich würde auch eher die Empfehlung aus dem Text aufgreifen. Ich nehmen die Dinge, die mich interessieren, eher symbolisch und pfeife auf den Katholizismus.

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