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Rundbriefe

Betrifft: Eine unsachliche Richtigstellung

Liebe Leserinnen und Leser,

die Natur – so hübsch sie auch stellenweise sein kann – im Ganzen betrachtet habe ich sie doch immer als feindselig empfunden. – Mein Irrtum. Wenn wir jetzt die menschengemachten Treibhausgase mindern wollen (Deutschland schafft das schon ein bisschen, China ein bisschen weniger), dann tun wir das nicht, um diese herrliche Natur zu schützen, sondern um uns vor ihrer Rache in Sicherheit zu bringen, denken wohl einige ewiggläubige Weltverschlimmerer. – Auch Quatsch. Die Natur will weder uns gefallen noch sich rächen. Sie ist da. Sonst nichts. Reicht ja auch. Sie kann Sturm und Windstille; Hagel, Donner; Hitze, Kälte. Sie ist genauso herzlos wie Gott, nur sichtbarer. Von Beginn an hat der Mensch versucht, sie zu besiegen: Dämme zu bauen, Gräben auszuheben – sie in Schach zu halten. Immer schon, aber besonders in letzter Zeit will er sie außerdem verherrlichen, misst ihr Weisheit zu und glaubt, demütig vor ihr auf die Knie fallen zu müssen wie vor den Eingeborenen, die ihre eroberten Feinde als Sklaven an die Weißen verkauft haben; aber jetzt tun diese Weißen so, als wäre Afrika vor dem Kolonialismus ein Paradies gewesen. ‚Der edle Wilde!‘ – Längst widerlegt.

Wenn der liberale Westen nicht aufhören wird, sich ständig mit seiner Schuld zu beschäftigen, wird er entweder seine Liberalität oder seine Daseinsberechtigung verlieren. Traurig, aber für die vermehrungssüchtige Natur unerheblich. Ihr einziger Sinn ist die Fortpflanzung. Sogar die meisten ‚höheren‘ Lebewesen fressen (müssen dementsprechend also kacken) und ficken. Das war’s. Es wäre ein im Ausmaß mit den militanten Atomkraftgegnern meiner Jugendzeit vergleichbarer Protest, wenn ich behauptete, genau deswegen hätte ich ausschließlich zeugungsunmöglichen Sex betrieben und, seit ich es bestimmen kann, Speisen nicht zum Sattwerden runtergeschluckt, sondern als Kunstwerke zubereitet und genossen. Kein larmoyanter Naturfreak sein, geboren, um zu beschützen und zu bewahren, nein, mich behaupten, das wollte ich immer! Gelingt ja doch nur für kurze Zeit. Auf lange Sicht siegt die Natur. Immer.

‚Natürlich‘ gefallen auch mir rekultivierte Wald- und Seenlandschaften besser als Braunkohlebagger in seelenlosen Kratern. Wo der Mensch eingreift, wird es selten schöner. Aber oft bequemer. Zumindest für die Eliten. Die nehmen dann die Verschandelung außerhalb ihrer dekorativ gestalteten Anwesen billigend in Kauf und fragen: ‚Was um alles in der Welt ist Natur?‘ – ‚Gestrüpp, wo Arbeitsplätze sein könnten!‘ Es gibt Wüsten und Meere, Berge und Täler – das zu dem Begriff Natur zusammenzufassen ist sinnvoll, aber eigentlich bleibt es ein Abstraktum. Eines, mit dem sich Geschäfte machen lässt: Sobald vor etwas ‚Bio-‘ steht, gilt es als großartig: Bio-Schwein, Bio-Schleim, Bio-Scheiße. Findet alles seine Abnehmer: wenn nicht als Nahrung, dann eben als Dünger – fürs schmachtende Herz oder für die murkligen Radieschen. Ach, ich schweife ab, wie immer. ‚Das ist – was soll ich machen? – nun mal meine Natur. Ich kann halt denken nur, und sonst gar nichts.‘

Im Blog gibt es deshalb auch in meinem Berlin-Bericht zurzeit mehr Betrachtung als Geschehen. Langweilig? Hoffentlich nicht.

Von Kopf bis Fuß auf Frieden eingestellt,
Hanno Rinke



Cover mit Material von: Marcus Lenk/Unsplash (Häuser, hinten mittig und links), C Dustin/Unsplash (Wolke) und Shutterstock: ANDRIY B (Buch), Jan Martin Will (Baum), Wondervisuals (Haus, hinten links), Anibal Trejo (Fernsehturm), gomolach (Kerzenflamme), Marti Bug Catcher (Brandenburger Tor)

15 Kommentare zu “Betrifft: Eine unsachliche Richtigstellung

  1. Die Natur will nichts … und sie straft auch sicher nicht. Aber sie reagiert eben. Oder lieber passiver ausgedrückt, das Tun des Menschen hat eben doch Folgen.

  2. Auf lange Sicht siegt die Natur. Nur kann man es noch als Sieg der Natur bezeichnen, wenn die Menschen in ein paar Hundert Jahren wieder ausgestorben sind und die Erde öde ist?

    1. Wenn die Menschen ausgestorben sind, bleibt die Natur nicht lange öde. Ob sie allerdings nochmal Wesen hervorbringen soll, die sich Götter erfinden, um die eigene Sterblichkeit auszuhalten, sollte sie sich gründlich überlegen…

  3. Mein Biomarkt hat ehrlich gesagt meistens ziemlich alt aussehendes Gemüse. Ich bin dort selten überzeugt.

      1. Besser ist das auf alle Fälle. Bei viel Auswahl braucht es dann obendrein noch genügend Vertrauen in die eigene Einschätzung. Dann macht einem die Werbung weniger vor.

  4. Man tut allerdings nicht nur so als wäre Afrika vor dem Kolonialismus ein Paradies, sondern auch als wäre der Westen damals einfach nur himmlisch gewesen.

    1. Man darf den Status Quo doch immer kritisch hinterfragen. Nur sollte man deshalb und dadurch nicht alle eigenen Ziele und Projekte sabotieren.

      1. Was für Ziele hat der Westen hinsichtlich seiner Kolonial-Vergangenheit denn? Besonders konkret ist da doch nichts.

      2. Die Bequemlichkeit (und der Wohlstand) der Elite. Da ist doch im Text bereits eines der Ziele treffend formuliert.

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