Liebe Leserinnen und Leser,
zwei Fragen sind es, denen wir uns stellen müssen, wenn uns die Möglichkeit abhandengekommen ist, an dem, was uns immer schon erzählt wurde, einfach weiter so rumzuglauben:
1. Gibt es noch einen anderen Grund dafür, dass ich, gerade ich, geboren wurde, außer dem Grund, dass ich die Wirkung der Ursache bin, dass meine Eltern (zum Spaß und/oder in Zeugungsabsicht) Sex miteinander hatten?
2. Ist es sinnvoll, etwas zu tun, das über mein eigenes Leben hinausweist oder reicht es aus, einfach nur ein guter Mensch zu sein? Anschlussfrage: Was ist ein guter Mensch? – Ein aufrechter Mann? Eine berufstätige Frau? Seine Feinde abzuschlachten, seine Kinder zum Gehorsam zu prügeln und die Hexen und Schwuchteln der Umgebung zu verbrennen, das ist ja heute keine Option mehr. Die Moral der Herrschenden – also bei uns die Moral westlicher Demokratie –, sie ist nun mal eine grundsätzlich andere (geworden).
Um ausnahmsweise von mir zu sprechen: Unmögliches möglich zu machen, Unvereinbares zu vereinbaren – nie habe ich einen anderen Grund gesehen, um zu leben. Wichtig dafür ist eine Aufgabe, meine Aufgabe, mit der ich mich identifizieren kann, und darum wird der eine zum Friedensnobelpreisträger (zum Beispiel aus Äthiopien) und die andere zur Killerin (zum Beispiel aus Hass).
Für die meisten von uns gilt: Schön fänden wir es, so ein bisschen radikal zu sein, ein ganz kleines bisschen extrem – fürs Selbstwertgefühl und für den Fortbestand der Menschheit. Aber das ist mit – auch nur ein bisschen – Verstand bereits als Lebenslüge leicht enttarnbar.
Das persönliche Ideal: Man muss ganz außer sich sein (Ekstase) oder man muss ganz in sich ruhen (Erleuchtung). Alles andere ist blöd, allerdings der Normalzustand. In den Talkshows sagt der Gegner bei dieser Gelegenheit immer: „Da bin ich ganz bei Ihnen, aber …“, und dann kommt, wie weit weg er von der neben ihm Sitzenden eigentlich ist. Weiß sie sowieso. Trotz angeblicher Cancel Culture darf man bei uns ja noch recht vieles tun und behaupten, wenn auch nicht in allen Kreisen oder Seminaren. Verbote müssen also sein. Dass ‚Neger‘-, ‚Zigeuner‘-, ‚Indianer‘-Sagen dazugehören soll, ist in meiner Sprachentwicklung nicht verankert, aber mir bewusst. Die angenehmste Situation ist die, wenn man das nicht darf, was man sowieso nicht will. Für die meisten von uns fällt in diese Kategorie: Kinderpornos verbreiten oder Politiker erschießen. Es gab ja Zeiten, in denen mehrheitsfähigen Massen die Weltrevolution oder die Eliminierung der Juden am Herzen lag. Das ist in unseren Gegenden Gott sei Dank vorbei. Nur: Wie viel Spaß macht es, gar nichts zu wollen? Überhaupt nichts? Keine Schokolade, keine Rom-Reise, keine Veränderung? – Trist! Vorstufe zur Depression. Angeblich soll Sport helfen, sich aus solcher Lethargie zu befreien, aber selbst das muss erst mal der Kopf steuern.
Der Geist weiß, dass er den Körper zwingen kann, Lust zu produzieren, und der Geist tut das auch, wenn er stark genug ist oder wenn die Widerstände gering genug sind. Aber gerade dadurch nimmt sich der Geist zurück oder löscht sich sogar aus. Im Rausch. Das erscheint ihm manchmal der einzige Ausweg: eine Erlösung.
Also, weiter möchte ich das Gedanken-Experiment an dieser Stelle nicht treiben. Die dritte Berlin-Reise geht im Blog zu Ende; die vierte und surrealste beginnt. Was man nicht sagen kann, muss man beschreiben.
So mach’ ich’s,
Hanno Rinke
Cover mit Material von: Marcus Lenk/Unsplash (Häuser, hinten mittig und links), C Dustin/Unsplash (Wolke) und Shutterstock: ANDRIY B (Buch), Jan Martin Will (Baum), Wondervisuals (Haus, hinten links), Anibal Trejo (Fernsehturm), gomolach (Kerzenflamme), Marti Bug Catcher (Brandenburger Tor)
Betrifft: UnverdünntBetrifft: Ein paar Mitteilungen über Autoren (m/w/d)
Die Frage ist doch oft auch: was heißt denn ein guter Mensch sein? Reicht das im Alltag und im direkten Umfeld oder müssen da weltveränderndere Aktionen her?
Das muss meiner Meinung nach einfach jeder tun wie er kann.
Das Thema behandle ich in dem Beitrag doch recht ausführlich.
Ziemlich genau so, steht es ja in der Tat oben. Das persönliche Ideal ist so verschieden wie die Menschen.
Hmmm, aber der Geist ist doch im Rausch auch immer dabei. Dass er ganz ausgeschaltet wäre und der Körper völlig isoliert in Ekstase gerät passiert doch nicht wirkjlich.
Da meine ich den in kauf genommenen, möglichen Drogentod.
Ein zum Glück doch nach wie vor relativ selten eingeschlagener Weg. Die meisten von uns sind ja doch froh, wenn sowohl Körper wie auch Geist nach der Ekstase noch normal funktionieren.
Ja. Aber manchen Wenigen ist das in manchen wenigen Situationen egal, und von denen handeln dann die Bücher und Filme.
Zum Glück gibt es solche Menschen ab und zu. Selbst wenn es nur dazu dient die anderen zu unterhalten lohnt sich das schon.
Wer gar nichts will, der schert sich immerhin auch nicht um die ‚Bedrohung‘ durch die Cancel Culture.
Antriebslosigkeit ist auch keine Lösung.
Wer nichts mehr will, hat ja mit dem Leben schon so gut wie abgeschlossen. Man kann seine Erwartungen natürlich etwas herunterschrauben, aber abschalten sollte man nicht so schnell.
Es sei denn, man wird selber abgeschaltet.
Ufff, harter Tobak!
Ich finde es geht gar nicht so sehr um die Frage warum ich geboren wurde. Jedenfalls interessiert mich das persönlich nicht sonderlich. Viel interessanter ist doch, was man aus seinem Leben macht. Warum soll man da zurückblicken? Daraus ergeben sich doch keine Perspektiven.