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0210
Rundbriefe

Betrifft: Ein paar Mitteilungen über Autoren (m/w/d)

Liebe Leserinnen und Leser,

jeder Autor denkt: „Was ich da geschrieben habe, ist total überflüssig!“ Und: „Was ich da geschrieben habe, bringt die Menschheit weiter … würde sie weiterbringen, falls sie meine Stimme wahrnähme. Aber: weder hört sie, was ich sage, noch versteht sie es. Mangelnde Intelligenz, mangelnde Einsicht, mangelnde Kenntnis der Sprache, in der ich schreibe.“

Alles nicht so schlimm. Aber mangelndes Marketing – das tötet jeden Anspruch auf Ruhm. Wer laut genug herausschreit, wie schlecht er ist, der/die ist aufmerksamkeitstechnisch auf dem richtigen Weg. Es ist einer der möglichen Schritte zur vorübergehenden Unsterblichkeit. Sonst bleibt der/die/das Kunstschaffende im Abseits, wohl- oder misswollend auch ‚Elfenbeinturm‘ genannt. In den kucken nachher manchmal die Enkel, dann wird daraus mit Glück ein Lichtspiel, bei dem die Rückblenden den eigentlichen Film ausmachen, oder es guckt ein Geisteswissenschaftler, dann wird es mit noch viel mehr Glück zur Sensation. Für einen Tag. Am nächsten ist schon wieder interessanter, ob Bayern München seinen Platz in der Tabelle hält. Über Augenblickliches zu schreiben, bringt mehr Hashtags, über Allgemeingültiges zu schreiben, ist nachhaltiger oder verhallt ungehört. Das Verdrießende ist, dass man sich Bestätigung nicht selber machen kann. Man ist in dieser Hinsicht weder Koch noch Kellner, sondern muss als sein eigener Gast das essen, was man für die anderen angerichtet hat. Oder was Helfer, Neider und Gönner mit dem Werk angerichtet haben. Da gibt es ja Autoren, die Erfolge mehr schätzen als Erkenntnisse. Am beliebtesten ist die Mischung aus beidem.

Als Könner gilt der, der alles Nebensächliche weglässt: nicht auf Facebook, da nicht, aber in der Architektur und der Literatur. Um allerdings so konsequent vorgehen zu können, muss man vorher erst mal alles, alles durchforstet haben, vom Warzenschirmling bis zum Wipfel: Nur Haare, die man hat, kann man abschneiden. Feuilleton-Schreiber kringeln zwar auch auf Glatzen noch eine Locke, doch selbstverliebte Formulierungen gelten als unseriös. Der ernsthafte Autor möchte manchmal schreien, manchmal möchte er flüstern. Gehört werden will er in beiden Fällen. Er hat so grandiose Ideen. Aber hat diesen Satz wirklich noch niemand gedacht oder hat ihn bloß noch niemand aufgeschrieben? Oder ist er gar nicht so großartig? ‚Du sublime au ridicule il n’y a qu’un pas‘,1 wusste schon Napoleon. Vom Geistesblitz zum Gemeinplatz ist der Schritt auch nicht viel länger. Ach, immer diese Zweifel! – Macht nichts, die sind doch gut. Gewissheit ist Stillstand. Nur der Zweifel führt weiter. So entsteht Bewegung. Die asiatische und die afrikanische Musik blieben immer gleich. Hör dir dagegen mal die europäische Musik vom 16. bis zum 20. Jahrhundert an! Eine grandiose Entwicklung! Bis zum Schluss? – Nee, lieber nicht. Um Zwölfton-Werke zu schätzen, muss man schon sehr unmusikalisch sein. Aber ständige Weiterentwicklung, ja, die findet statt. Dabei entsteht Form nur durch Wiederholung. Wiederholung gibt Sicherheit, beim Koran, beim Rosenkranz. Aufgeweckte Menschen entdecken in der Wiederholung allerdings noch etwas anderes: Langeweile. Sie gilt, wo sie erkannt wird – also besonders im ruhelosen Abendland –, als Stimmungskiller. Die Wiederholung braucht die Abwechslung, und so kam in der Kunst das Zitat auf, mal wörtlich (der Zusammenhang macht den Unterschied), mal nicht: Statt mir einfach drei gleiche Früchte hinzuknallen, kredenzt mir der Ober ‚Variationen von der Birne‘. Da kann ich sie mir mit Schokoladentunke Helene, mit Williams-Schnaps und mit Gruyère überbacken schmecken lassen. Die Abwandlung, die Variation, sie ist die muntere Schwester der Wiederholung. In der Prosa kommt sie thematisch vor, im Gedicht als Versmaß oder als Reim. Ganz zünftige Poeten behaupten, irgendwas Geschriebenes sei ein Gedicht, wenn sie bloß an irgendeiner Stelle willkürlich einen Zeilenumbruch einfügen, und mancher Kritiker glaubt ihnen das auch noch: Des Kaisers neue Kleider bleiben immer modern.

Da, wo Musik und Malerei nicht gleich blieben, sondern von der Mehrstimmigkeit und der Perspektive in Atonalität und Abstraktion führten, in diesem, unserem Kulturkreis musste sich natürlich auch das geschriebene Wort immer weiterentwickeln. Einleuchtendes, das noch unbekannt ist, zu vermitteln, ist lobenswert. Aber schon wieder diese grässliche Frage: Wird es auch gehört? Da erliegt der Autor leicht dem Charme der Provokation. Was empört, wird gehört. Ganz einfach! Dagegen steht die Mahnung, religiöse Gefühle nicht zu verletzen, sonst droht schon mal die Fatwa. Was sind ‚religiöse‘ Gefühle? Gibt es politische oder historische Gefühle? – Nein. Es gibt religiöse und politische Ansichten, und wenn die nicht geteilt werden, ist das ärgerlich. Da reicht die Reaktion vom Gegenargument bis zum Totschlag. Ein einigermaßen bedeutender Autor lebt ein bisschen gefährlich: Nicht nur als Verfasser ‚satanischer Verse‘, auch die Märchen-Erzählerin Rowling erhielt Morddrohungen, weil sie Menschen, die menstruieren, gern ‚Frauen‘ nennen wollte. Die einen möchten so gern in die Öffentlichkeit und schaffen es nicht, die anderen möchten gern raus und schaffen es auch nicht. Das verletzt meine ‚Gerechtigkeitsgefühle‘ – wie im Augenblick so vieles.

Aber wen interessiert’s? Der Autor neigt dazu, alles auf sich zu beziehen: die politischen Verhältnisse, den Erfolg seiner Konkurrenten, das Wetter. Sich zur Welt in Bezug zu setzen, ist sinnvoll, aber dabei die Proportionen im Auge zu behalten, ist schwierig. Auch wenn er sich mit der Vergangenheit kritisch auseinandersetzt, sollte der Autor versuchen, objektiv zu bleiben. Klar, die Frage ist erlaubt: Was will ich Schreibender von mir und von den angepeilten Lesenden denn? Heute, morgen – und überhaupt? Und wie trennt der Autor da sein Wissen von seinem Wollen? Es gehörte nie zu den von der Natur vorgegebenen Aufgaben der Banane, von DDR-Bürgern begehrt zu werden, selbst wenn es damals so war. Zyniker unterstellen Politikern: Sag nicht, was du denkst, und fang vor allem nicht an, das zu denken, was du sagst. Die Wirkung in der Öffentlichkeit muss sein: vorsichtig Aufsehen zu erregen.

Wenn mein letzter Berlin-Text ‚WACHS! IV‘ in diesem Zusammenhang nun nicht als nachdenklich, sondern als sensationslüstern eingestuft wird, dann habe ich selber schuld.

Ich steh’ dazu!
Hanno Rinke



Quellen: 1 Napoleon Bonaparte (Dt.: Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist es nur ein Schritt), aus Heinrich Heine: ‚Ideen. Das Buch Le Grand‘, 1827
Cover mit Material von: Marcus Lenk/Unsplash (Häuser, hinten mittig und links), C Dustin/Unsplash (Wolke) und Shutterstock: ANDRIY B (Buch), Jan Martin Will (Baum), Wondervisuals (Haus, hinten links), Anibal Trejo (Fernsehturm), gomolach (Kerzenflamme), Marti Bug Catcher (Brandenburger Tor)

11 Kommentare zu “Betrifft: Ein paar Mitteilungen über Autoren (m/w/d)

  1. Wie schön, wenn man auf Facebook doch auch das Nebensächliche weglassen würde. Oder man lässt Facebook eben auch weg.

    1. Auch Bunte-Leser(innen) interessiert das Nebensächliche sehr viel mehr als das, ‚was die Welt im Innersten zusammenhält‘, wie der vom Schulunterricht suspendierte Faust es formulierte.

      1. Das ist leider ein gutes Argument. Gerade wenn man im Alltag schon genügend Stress und viele Sorgen hat, liest man ja eher solche Artikel, die einem Ablenkung verschaffen. Da sind der Tod der Queen und die Intrigen im Königshaus interessanter als die Rolle der Briten im Kolonialismus.

  2. Mittlerweile gibt es ja so eine Menge an Büchern und anderen Veröffentlichungen, da rückt die Frage „Wer liest das eigentlich?“ oder „Werde ich überhaupt gehört?“ immer mehr in den Mittelpunkt. Man würde ja meinen, dass sich Qualität nach wie vor durchsetzt. Aber ob das stimmt…..

    1. Wenn der Text von keinem gelesen wird, dann merkt mitunter auch niemand, dass da Qualität vorhanden wäre. So einfach ist es also nicht.

  3. Der Politiker darf natürlich gerne sagen was er denkt, solange das mit dem übereinstimmt, was die Leute hören wollen. Wird die Lücke zu groß, wird es problematischer.

      1. Sonst muss man sich vielleicht auch fragen, ob Diktatoren überhaupt noch Politiker sind.

      2. Na auch Faschismus ist eine politische Bewegung. Was einem in vielen Ländern Angst machen muss, ist wie gut die Parteien ihre extremen Positionen verstecken oder zumindest aufhübschen. Siehe Le Pen in Frankreich oder die Schwedendemokraten bei der Parlamentswahl neulich.

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