Liebe Leserinnen und Leser,
wer an Götter glaubt, muss dumm sein, glaubte ich immer. Ob es sich dabei um viele Dreiviertelmächtige mit unterschiedlichen Zuständigkeiten handelt wie etwa in der Antike, um eine merkwürdige Dreier-Konstruktion wie im Christentum oder bloß um einen einzigen, aber mit neunundneunzig Namen ausgeschmückten Gott wie Allah – das ist doch alles gegen jede Vernunft. Wer glaubt denn so was? Kinder vielleicht, denen man mit Knecht Ruprechts Rute drohen kann, damit sie brav sind, aber erwachsene, denkende Menschen?
Bis zum real existierenden Sozialismus gab es nie eine Zivilisation ohne Götter, aber den gescheiterten Marxismus will ja nicht mal Putin zurück, und seine Oligarchen schon gar nicht. Die chinesische Staatsführung lässt jetzt offiziell – anders als während der Kulturrevolution – Religionen zu, auch wenn Tibeter und Uiguren nicht viel davon merken. Der Buddhismus schafft es ohne Gott, alle anderen wollen ihn offenbar dringend haben. Wie kommt das? Schon die Nominalisten des Spätmittelalters wussten: Gott kann nur geglaubt, nicht begriffen werden. Aber wozu sollte man ihn glauben wollen?
Die ersten Menschen, die sich vor zwei Millionen Jahren Blitz und Donner nicht erklären konnten, bemühten dafür höhere Mächte, die den Irdischen Angst machen wollten. Und auch der Pestausbruch im 14. Jahrhundert war wahlweise Gottesstrafe oder Judenfrevel. Aber heute? Gewitter lassen sich inzwischen genauso schlüssig erklären wie die Übertragungsweise des Bakteriums Yersinia pestis. Wer braucht Gott? – Die Seele offenbar, selbst wenn auch ihre Existenz nicht mehr als sicher gilt. Der Wunsch zu glauben, gebiert den Glauben. Dass sich Menschen einbilden, da oben gibt es jemanden, der eigentlich bestimmt, was hier unten passiert, aber wenn ich brav bete, dann macht der Herrscher es so, wie ich es will, und nicht etwa so, wie mein Feind es möchte – ich fasse es nicht! Und je mieser es ihnen geht, desto eifriger beten sie, statt ihren erfundenen Gott zum Teufel zu jagen. Trost findet man offenbar da, wo man ihn sucht. Und Wunder gibt es immer wieder, wie Bibel und Schlager behaupten – man muss bloß dran glauben: wollen. Reicht das?
Na ja. Religion ist für die Herrschenden sehr hilfreich: Sie diszipliniert und macht gefügig.
Was der Fürst zu glauben vorgab, das hatten auch die Untertanen zu glauben, gottes- und sowieso …fürchtig. Andererseits sind Religionen – besonders die christliche – für Krieg, Kolonisation, Folter und Mord verantwortlich. Alles im Namen Gottes. Das sind nur Verfehlungen der schlimmen Kirche. Daran hat der liebe Gott selbst weniger Schuld als Trump am Sturm aufs Kapitol. Ausreden, die Gott reinwaschen, gehören zum Handwerkszeug der Glaubenserklärer. Bereits die Auguren lächelten einander zu über ihre Deutungen. Trotzdem: Die große Mehrheit der Menschheit ist ‚irgendwie‘ gläubig, teilweise ganz unreflektiert, weil es sich so gehört, damit man dazugehört. Teilweise, weil eine so großartige Schöpfung wie das Universum doch von einem ordnenden Geist hervorgebracht sein muss. (All die Millionen Fehlversuche allein auf Erden mal beiseite gelassen. Zeit steht ja unendlich viel zur Verfügung.) Teilweise, weil ein himmlischer Vater die Geborgenheit ausstrahlt, die es ermöglicht, das Leben auszuhalten. Was hilft, hilft. Und da in unserem schuldbeladenen westlichen Kulturkreis die institutionalisierte Religion nicht mehr die Macht hat, sich so intolerant zu gebärden, wie sie das im globalen Süden überwiegend noch darf, soll es doch jeder mit der Ewigkeit so halten, wie es ihm passt. Wegen Priesterverfehlungen sind in letzter Zeit viele Menschen aus der Kirche ausgetreten. Das ist so, als verlasse ich einen Zug, weil das Klo dreckig ist, und bemerke überhaupt nicht, dass es da vorn gar keine Lokomotive gibt. Geschenkt! Keine Aufklärung und keine Katastrophe hat den Wunsch nach Gott je zum Erliegen gebracht. Wer glaubt, lebt länger und lieber als Spötter und Zweifler. Das ist statistisch erwiesen. Wer weiß, vielleicht bin ja ich der Dumme.
Im Blog versuche ich jedenfalls gerade, mir das möglichst wenig anmerken zu lassen und stattdessen Bildung und Einsicht abzustrahlen.
Gewitzt,
Hanno Rinke
Cover mit Material von: Marcus Lenk/Unsplash (Häuser, hinten mittig und links), C Dustin/Unsplash (Wolke) und Shutterstock: ANDRIY B (Buch), Jan Martin Will (Baum), Wondervisuals (Haus, hinten links), Anibal Trejo (Fernsehturm), gomolach (Kerzenflamme), Marti Bug Catcher (Brandenburger Tor)
Vielleicht nicht dumm aber orientierungslos oder verzweifelt.
Die wenigsten Gläubigen sind – Gott sei Dank! – orientierungslos oder verzweifelt. Im Gegenteil: sie finden Trost und Halt. Beneidenswert.
Ja manchmal ist Naivität beneidenswert…
Naja, aus der Kirche austreten heisst ja nicht unbedingt auch aus der Religion austreten. Der Zugvergleich hinkt daher.
Überhaupt nicht. Wenn es keinen Lokführer/Gott gibt, braucht mich doch der Schaffner/Priester nicht zu interessieren.
Finde ich auch. Woran sollte man sich denn sonst auch orientieren?
Der Punkt war doch auch eher, dass es vorne keine Lokomotive gibt. Dass also der eigentlich wichtigere Grund aus der Kirche auszutreten völlig übersehen oder ignoriert wird.
Gott kann nicht begriffen werden … die Gläubigen ebenso wenig.
Das Leben kann ebenso wenig begriffen werden. Nicht zuletzt deshalb gibt es die Gläubigen. Das ist halt ein Weg mit diesem Fakt umzugehen.
Man sollte das doch gar nicht alles so belächeln. Die einen suchen ihren Frieden in der Religion, die anderen in der Meditation, die dritten im Nachtclub, im Alkohol, in der Kunst…. Für die jeweils Außenstehenden macht das manchmal keinen Sinn, aber wir sind eben unterschiedlich.
Alles, was niemand anderen beeinträchtigt oder gar zwingen will, ist erlaubt, auch wenn es unverständlich ist wie Wallfahrt oder Extremsport.
Das ist ein schöner Kommentar 🙂
Dabei bezeichnen sich mittlerweile nur noch rund 38% als gläubig. Dazugehörigkeit zählt also eigentlich nicht mehr.
Wie kommen Sie denn an diese Zahl?
Ich dachte es sind zumindest immer noch knapp 50% der Deutschen Mitglied in der Kirche. Eine Mehrheit ist zwar auch das nicht, aber das passt doch trotzdem nicht zusammen.
Wer von den Katholiken, die sonntags in deutsche Kirchen gehen, teilt denn noch das Weltbild des Papstes und glaubt, dass er während der Kommunion Jesu Fleisch runterschluckt?
Ich erwarte nicht, dass die Leute meiner Religion zustimmen. Aber grundsätzlich kommt man nicht darum herum: Wenn es eine Welt gibt, sollte man annehmen, dass es mindestens einen Gott gibt. Auch wenn Anhänger der verschiedenen Religionen möglicherweise komisches Zeug im Kopf haben: Kein Gott ist auch keine Lösung.
Weil jede Wirkung eine Ursache haben muss? Aber muss diese Ursache ‚Gott‘ heißen?
Beim Urknall stimmt der Begriff Ursache nicht mehr. Da Raum und Zeit noch nicht existierten, gab es auch kein „davor“. Wir dürfen hier nicht im Sinne von Kausalität linear denken. Aktion/Reaktion war in diesem Moment noch nicht. Also auch kein Gott, der mit den Fingern geschnippst hätte.
es gibt (einen oder mehrere) Götter. Das bestätigt ja nicht nur die Bibel, sondern unzählige Myten, Sagen und Geschichten vieler Völker weltweit. Und nicht zuletzt auch wissenschaftlich, denn der überwiegende Teil der Welt hat ein „inteligentes Design“ – muß also von einer Intelligenz geschaffen worden sein und nicht durch einen Zufall. Ob man diese schaffende Person nun Gott oder sonstwie nennt, ist dabei unerheblich…! und sie muß auch nicht allwissend, allgegenwärtig oder allmächtig sein. Das Wissen um die Vorgänge, wie man Leben erschafft und reproduzieren kann, reicht dafür ja schon aus. Für den ganzen Rest ist die Menschheit nun selbst verantwortlich. Und, ob Gott nun mal wieder erscheint oder nicht und alle bestraft, die nicht an ihn / sie glauben, ist wissen eben nur die / der Gott/er…
„Die große Mehrheit der Menschheit ist ‚irgendwie‘ gläubig, teilweise ganz unreflektiert “ -Ich, als Gläubiger, würde sogar behaupten „vorwiegend unreflektiert.“ Aber das ist immer „die Masse“. Auch Atheisten sind das. Es gibt nur wenige Menschen, die wirklich etwas wissen wollen.
Die Wissenschaftsgläubigkeit der heutigen Zeit ist auch nur ein Glaube. Er umfasst nicht alles, was es gibt, sondern nur den Teil der Realität, der mess- und wägbar ist. Derjenige, der diesen Teil für das Ganze nimmt, ist einem Wissenschaftsaberglauben verfallen (Jaspers).
Heute ist unser Wissen so umfassend, dass das Immateriell – Ewige als Ursprung aller Dinge, also auch der materiellen Welt, nicht mehr geleugnet werden kann.
Atheismus ist deshalb eine überwundene Denk- und Vorstellungsweise: https://www.academia.edu/47776276/Ursprung_und_Ziel_Wie_die_Evolution_weitergeht_
Ein sehr langer, aber lesenswerter Essay.
Wie ich einem Kommentar entnehme, werden Gottgläubige, welcher Art und Färbung sie auch sein mögen, immer noch für naiv gehalten. Schon fast rührend zu sehen, dass es also immer noch Menschen gibt, die glauben, dass alles, was sie nicht irgendwie wahrnehmen und beweisen können, nicht existieren kann und darf.
Um mal Werner Heisenberg zu zitieren, der wohl kaum im Verdacht steht, sonderlich naiv zu sein:
„Die Wirklichkeit, von der wir sprechen können, ist nie die Wirklichkeit an sich, sondern […] eine von uns gestaltete Wirklichkeit.“
Das gilt für Gottgläubige in gleichem Maße, wie für Wissenschaftsgläubige. Beides, Wissenschaft ebenso wie Religion, wurde und wird übrigens von Menschen gemacht.
Die Ansicht, dass es keinen Gott gibt, ist genau so ein Glaube, wie der Glaube an Gott.