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Sonntagspredigten

Betrifft: Ein alter weißer Mann packt aus

Liebe Leserinnen und Leser,

als ich jung war, sagte man, wenn man vornehm war: „Der Herr Günther von gegenüber hat homophile Neigungen.“ War man weniger fein, sagte man: „Der Günther da drüben is’ ’n warmer Bruder.“ Jetzt las ich in einer Fachzeitschrift die Klage, dass die Verleihung des Deutschen Fernsehpreises, der ‚Lola‘, so ‚unqueer‘ gewesen sei.

Eine homosexuelle Frau fühlt sich beleidigt, wenn man sie als ‚schwule Sau‘ bezeichnet. Sie hat als gendergerechte Unterscheidung Anspruch darauf, ‚lesbische Sau‘ genannt zu werden. Im Zusammenhang mit Boris Palmer las ich häufig vom N****schwanz. Früher hätte das weibliche Pendant in seriösen Zeitschriften Negerv**** geheißen, heute nennt man es neutraler N****votze und diskutiert allenfalls, ob sich das mit ‚v‘ oder mit ‚f‘ schreibt.

Zur Kolonialzeit warnten Abendländler vor der ‚gelben Gefahr‘, obwohl Chinesen in blühenden Rapsfeldern durchaus zu erkennen sind. Auch Indianer sind bei der Mohnernte vom Heroin-Lieferanten gut zu unterscheiden. Das Kinderlexikon ‚Klexikon‘ informiert: ‚Indianer waren friedliche Menschen, die ein einfaches, aber gutes Leben führten. Sie respektierten die Natur und die Tiere.‘1 Als ich klein war, ging es mehr ums Skalpieren. Ich hatte ein Tomahawk, aber auch eine Pistole mit Platzpatronen, um gegebenenfalls lieber Cowboy zu sein und an den Marterpfahl gebunden zu werden. Die ‚Rothäute‘ soll man inzwischen besser indigene Völker nennen, um ‚Abgrenzungsbedürfnisse und Zuweisungen im Spannungsfeld zwischen Rassismus und kultureller Selbstbestimmung‘2 nicht außer Acht zu lassen.

‚Die Weißen‘ sind eigentlich auch erst als Leiche weiß, aber trotzdem gilt der Begriff nicht als Schimpfwort, obwohl sie doch alle durchgehend sportlich braun sein wollen. Viel komplizierter ist es bei den Schwarzen. Heute noch ‚Neger‘ zu sagen, ist schlimmer als im Restaurant zu rauchen. Als ich jung war, gab es damit keine Probleme. Später galt ‚Farbige‘ als freundlich, jetzt nicht mehr. Dabei finde ich es immer noch netter als ‚Schwarze‘, das klingt so düster, und ‚Afroamerikaner‘ kommt mir geziert vor, gilt auch nur für Leute aus der Neuen Welt. Sowieso sind viele von ihnen – obwohl ‚their life‘ natürlich ‚matters‘ – nicht ‚black‘, sondern umbra bis beige, also durchmischt. Dann darf man sie als ‚multiracial‘ bezeichnen: mehrrassig. Das klingt doch nun wirklich wie von Himmler erfunden. Schwarze Rapper dürfen sich übrigens gegenseitig ‚Nigger‘ nennen. – Kein Problem. Zwei Männern, die sich im Bett als ‚geile Schwuchteln‘ bezeichnen, würde man das wohl auch als Koseform durchgehen lassen.

Die Frau meines Chefs hatte ihn zu Bach-Aufnahmen nach München begleitet. Statt den Motetten zu lauschen, ging sie lustige Kleidung für die vier Kinder kaufen und präsentierte anschließend stolz den Inhalt ihrer Tüten. Er war unbeschreiblich. Nein, doch nicht – meine Münchner Kollegin fasste schlüssig zusammen: „Lieblingsfarbe Bunt!“ Obwohl ich finde, es sollte Menschen mit Durchschnittsgeschmack verboten werden, mehr als zwei Farben am Leib zu tragen, weisen die Regenbogenfarben gesellschaftlich in die richtige Richtung. Weiß, schwarz, gelb, rot, grün, links, rechts, Ampelmann, Hampelfrau, Trampelkind. Toleranz ohne Meinungslosigkeit – das wäre ein Traumziel, wohl mehr Traum als Ziel.

Auch im Blog befinden wir uns inzwischen auf einer weiten Reise. Oder vielleicht eher in einem bösen Traum?

Noch verrate ich nichts,
Hanno Rinke



Quellen: 1 Klexikon, 2 AnthroWiki
Cover mit Material von Julian Hochgesang/Unsplash (Auto) und Shutterstock: Rejean Bedard (Möwe), Alliance Images (Frau), stockyimages (Mann), Vereshchagin Dmitry (Kreuzfahrtschiff), steamroller_blues (Collie)

22 Kommentare zu “Betrifft: Ein alter weißer Mann packt aus

      1. Manchmal fragt man sich aber schon ob es wirklich in die richtige Richtung geht.

      2. Das tut es sicher. Dass die junge Generation dabei gegen die älteren Generationen aufbegehrt und neue Impulse setzen will ist doch unausweichlich.

    1. So ist es. Aber auch alte weisse Männer sollten da natürlich weiter eingeladen sein. Nicht von vornherein ausgemustert werden.

      1. Was in der westlichen Welt zwischen etwa 1750 und 2000 als Bestandteil des kulturellen Wissens galt, stirbt mit den alten, weißen Männern ab. Im 21.Jahrhundert sind diese Maßstäbe kaum noch Wiedererkennungsmerkmal, also nicht mehr gefragt.

  1. Warum People of Colour freundlicher ist als ‚Farbige‘ bleibt mir ein Rätsel. Schließlich wird hier ja lediglich verenglischt. Aber wenn man deshalb besser miteinander auskommt, soll mir das auch recht sein.

    1. Irgendwie ist das doch eine ausweglose Situation. Auf der einen Seite verstehe ich, dass die betroffenen Gruppen selbst die beste Autorität haben zu bestimmen welche Begrifflichkeiten sie angemessen finden und welche diskriminierend. Auf der anderen Seite läuft man so immer Gefahr, dass diese Entscheidungen mit sehr viel Emotion getroffen werden. Objektivität scheint dann kaum noch möglich.

      1. Vor allem geht es oft nur noch um die eigene Befindlichkeit. Sollten solche Sachen nicht viel nüchterner betrachtet werden?

      2. Da wäre dann ja die Frage wer das nüchtern beurteilen soll. Diejenigen, die involviert sind und die es betrifft, eignen sich ja eben selten dafür.

  2. Die PC-Polizei kann ab und an nerven. Aber was wäre die Alternative? Menschen weiterhin mit herabsetzenden bzw. so konnotierten Begriffen bezeichnen?

    1. Nun gut, Schwule necken sich untereinander ja auch schon mal als Schwu***el. Wenn mich ein Heterosexueller Mensch so ansprechen würde, würde ich das trotzdem ohne Frage als Aggression werten.

  3. Wenn die woken Liberalen ihre Agenda weiter so aggressiv vorantreiben, dann bleibt es vielleicht mehr Traum als reale Möglichkeit.

    1. Veränderung geht aber nur so. Da muss man auch in Kauf nehmen, dass sich manche auf den Schlips getreten fühlen und aufregen.

      1. Da wird sicher etwas ran sein. Grundsätzlich ändern sich Dinge ja nur, wenn die Menschen das auch wollen. Eine Art Sprachpolizei hilft da meiner Meinung nach herzlich wenig.

      2. Das wird aber auch alles immer sehr emotional und übertrieben dargestellt. Viele Unternehmen überarbeiten Produktnamen oder ihr Design oder ihre Werbung ja aus eigenem Antrieb. Nicht unbedingt weil die Sprachpolizei sie auf dem Kieker hat.

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