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DIE ELF  —   0. Vorwort

#0.1 | Kampfansage

19. Juni 2023: mein Geburtstag. Mein Gott! Siebenundsiebzig! Unser aller Gott. Niemandes Gott. Ein Masgottchen vielleicht. – Kalauer sind okay, aber abergläubig bin ich nicht. Um eine solche Verirrung vom wahren Glauben zu unterscheiden, heißt es ja auch abwertend ‚abergläubisch‘. Geistig – körperlich. Auf solche unfeinen Unterschiede achte ich und finde das sowohl altmodisch als auch unerlässlich. Ich fühle mich als Teil der letzten Generation, die sich nicht am Boden der Tatsachen festklebt, sondern einer differenzierten Sprache mehr traut als plakativen Bildern. Alle Tore stehen mir offen, allen anderen auch. Aufmerksamkeit, die neue Währung. Da muss ich wohl kämpfen. Etwas mühsam aus einer gedachten Mitte heraus. Radikal zu sein, macht solchen Spaß! Und was habe ich zu bieten? – 77. Ungesunden Menschenverstand und die Gewitztheit, mein Sendungsbewusstsein zu verstecken. Nicht zu abgehoben und auch nicht zu bodenständig. Schnapszahlen sind extrem volksnah: Algebra, sogar für Menschen, die mit dem Wort ‚Algebra‘ nichts anfangen können. Also schön. Nach dieser Selbstmutmache werde ich mal loslegen: mit sparsamen Bildern und ausufernden Texten. Alkohol stand mir nie ferner als Algebra. Avanti! Ein Leben in Schnaps-Zahlen.

Fotos (3): Privatarchiv H. R. | Covermotiv und Titelbild: Privatarchiv H. R. (7/3), Morphart Creation (Gehirn), MoreVector (Hand mit Glas)/beide Shutterstock

40 Kommentare zu “#0.1 | Kampfansage

  1. Ach ja, das Zeitalter der Aufmerksamkeit … vielleicht täte es uns allen sogar gut, wenn mehr 77jährige Aufmerksamkeit bekommen würden. In Amerika wird gerade diskutiert wie alt ein Präsident sein darf. Fair game. Aber eine Welt, die ausschließlich von der Letzten Generation gesteuert wird, naja, die klingt mir erstmal nicht erstrebenswert.

    1. Aufmerksamkeit sei heute eine Frage des Marketing, denkt man. Und dann wird plötzlich irgendein Katzenfoto hunterttausendfach geliket. Algorithmus?

      1. Tja, wahrscheinlich ist beides nicht zu unterschätzen. Und wer den Algorithmus entschlüsselt, gewinnt am Ende.

      2. Und wer gewinnt? Das ist die Person, die am klügsten ist oder die sich die Beschäftigung der meisten klugen Köpfe finanziell leisten kann. Ob das dann der weiseste oder der skrupelloseste Mensch sein wird, bleibt abzuwarten.

  2. Hahah, und ich dachte, ich wäre die Erste! So schön, wieder von Ihnen zu lesen. Ich habe sie im letzten Jahr vermisst 😉

  3. In Frankreich wurde doch gerade entschieden, dass offizielle Texte nicht mehr gegendert werden sollen. Das ist wirklich eine gute Frage, wie weit man eine Sprache „schützen“ oder erhalten will. Ich bin nach wie vor unentschieden….

      1. Menschen muss man schützen, Sprache muss sich entwickeln. Aber auch Verordnungen können Änderungen bewirken. Zum angeblich Guten wie zum angeblich Schlechten. Wer 1936 ‚Heil Hitler‘ sagte, tat das vielleicht vielleicht fanatisiert, vielleicht gedankenlos. Wer 2023 ‚Salam Aleikum‘ sagt, wünscht mir vielleicht Frieden, vielleicht den Tod.

  4. Was sich die letzte Generation alles leistet, ist unfassbar ignorant allen Anderen gegenüber. Danke, dass Sie dem plakativem Sprachgebrauch und dem Populismus die Stirn bieten. In meinen Augen funktioniert nur ein wohlinformierter und differenzierter Austausch zu nachhaltigen Ergebnissen.

      1. Einfach ist und war nichts. Schon im Mittelalter gab es ‚fake news‘, nicht im Internet, aber unter der Dorflinde. Hätte die dort versammelten Bürger doch sehr überrascht zu erfahren, dass nicht ‚derJude‘, sondern der Floh die Pest überträgt.

      2. Das ist ein interessanter Punkt. Allerdings ermöglicht das Internet, dass wir uns mehr und mehr allein mit Nachrichten auseinandersetzen. In der Dorfgemeinde gab es immerhin noch die Möglichkeit einer Gegenmeinung. Wer auf Facebook seinen Fake News Artikel konsumiert, merkt womöglich schwerer, dass da gelogen wird.

      3. Die Gruppendynamik unter der Dorflinde war sicher für abweichende Meinungen auch nicht sehr förderlich. Wer will schon Außenseiter sein? Heute nicht mehr nötig. Im Internet findet vom Ameisenfresser bis zum Zwergenwerfer jeder Gleichgesinnte zwischen Grönland und Feuerland.

    1. Das Argument der Letzten Generation ist eben, dass ein differenzierter Austausch zum Thema Klimawandel seit den 80ern versucht wird und sich trotzdem nichts verändert. Deshalb nun Plakativismus und viel orangene Farbe als letzter Hilferuf. Das muss man zwar nicht unbedingt gutheißen, verstehen tue ich es trotzdem.

      1. Dass sich gar nichts verändert, stimmt nicht. Aber schnell geht es leider nur in Autokratien, in Demokratien muss man überzeugen. Das schafft man nicht, indem man die Leute gegen sich aufbringt. Vielleicht hat China doch das effektivere System.

      2. Vielleicht hätte man dann mit der Regierung zusammen organisieren sollen, dass das Brandenburger Tor orange eingefärbt wird. Mit Farbe, die man später wieder abkriegt wohlgemerkt. So etwas könnte man dann langfristig als Warnsymbol nutzen. Sämtliche Wahrzeichen zu zerstören, oder den Leuten den Weg zu Arbeit oder ins Krankenhaus zu versauen, macht Feinde. Die Aktionen scheinen mir in der Tat dumm.

  5. Ich dachte immer im Alter relativiert sich der ‚ungesunde Menschenverstand‘?! Um das rauszufinden benötige ich aber noch eine menge Algebra und Schnaps – meinen 77. habe ich erst in 44 Jahren 😉

    1. Der ‚gesunde Menschenverstand‘ ist eine Erfindung von denen, die nicht nachdenken wollen. Das wird auch in 44 Jahren so sein, wenn das Denken womöglich einer gebildeten Elite vorbehalten bleibt.

      1. Ich wäre auch gar nicht so überrascht wenn in 44 Jahren die Friday for Future Generation zu den Denkern gehört. Auch wenn ich nicht immer einer Meinung bin, bin ich doch oft erstaunt wie engagiert die Jugendlichen im Gegensatz zu meiner eigenen Generation sind.

      2. Die Engagierten machen zu allen Zeiten von sich reden, und die anderen schweigen oder jubeln. Die Auseinandersetzungen im Bundestag zwischen Strauß (CSU) und Wehner (SPD) waren schon vor 60 Jahren heftig. Aber jetzt sieht es manchmal aus wie ein Zwist zwischen Regierung und Regierten. In Zeiten zunehmender Autokratisierung weltweit sehr gefährlich!

  6. Radikalität ermüdet mich schnell. Da muss schon jemand wirklich gute Ideen und Argumente haben um mich sofort zu überzeugen. Oft sind mir die Akteure dann einfach zu laut.

    1. Viele Demagogen wissen, dass leises Sprechen aufmerksamer macht. Und viele Zuhören fallen auf die Sprache mehr herein als auf die Worte.

      1. Es ist das größte Unglück, dass viele Populisten, Demagogen, Faschisten gute Sprecher sind.

      2. Noch schlimmer ist, dass viele hervorragende Denker und bemühte Politiker so lausige Redner sind.

  7. Das man präzise ist, also gerade wenn es um Sprache und um die eigene Wortwahl geht, das sollte doch eigentlich selbstverständlich sein. Nicht altmodisch. Da muss man sich auch mal anstrengen.

      1. Sich anstrengen? Es scheint mir das sind die wenigsten. Allerdings ist es dann auch immer etwas verwunderlich, wenn man sich anschließend missverstanden fühlt.

    1. Soll doch jeder glauben, was er will! Das Problem ist nur, dass unsere Entscheidungen weniger vom Denken als vom Fühlen bestimmt werden. Deshalb ist ‚Soll doch jeder fühlen, was er will!‘ in einer Demokratie so gefährlich. Solange es keinen Führerschein gibt, um die Wahlurne anzusteuern, kann ein Totalschaden nicht ausgeschlossen werden.

      1. Genau richtig. Gegen unterschiedliches Glauben habe ich wirklich nichts; genauso wenig wie gegen unterschiedliche Meinungen. Man sollte nur wirklich besser aufpassen, wie solche Meinungen zustande kommen. Jeder hat ja die Möglichkeit sich zu informieren. Wenn er (oder sie) denn eben will.

  8. „Nicht zu abgehoben und auch nicht zu bodenständig“ ist doch fast etwas tiefgestapelt. Der Blog ist ja alles andere als Mittelmaß. „Ausufernde Texte“ gefällt mir schon besser!

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