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Rundbriefe

Die Weihnachtsgeschichte

Liebe Leserinnen und Leser,

in Bethlehem sind für die kommende Woche mehr als 30 °C vorhergesagt. Wenn dort vor 2023 Jahren eine Frau ihr uneheliches Kind in einem Stall zur Welt gebracht haben sollte, wird es vermutlich auch nicht gefroren haben.

Wer glaubt diese Geschichte heute noch? – So direkt gefragt, wohl kaum jemand. Wir nehmen vieles hin und fragen nicht weiter. Oft wollen wir es gar nicht so genau wissen. Glauben ist schöner. Glauben verbinden wir mit Hoffnung. (Wobei: Zu glauben, dass ich auf ewig in der Hölle schmoren werde, wenn ich nicht brav war, das macht den Atheismus zu einer echten Alternative.)
Was vielen Menschen außerdem gefällt, ist die Idee, dass ein unschuldiges Kind geboren wird (selbst nach Tritten von innen gegen den Mutterbauch gilt jedes Kind bei seiner Geburt als unschuldig, aber na schön!), und dieses Kind nimmt den Menschen ihre Sünden.

(1) Warum soll ich mir von jemandem meine Sünden wegnehmen lassen?

(2) Welche Sünde ist überhaupt gemeint? Womöglich gar die auf mich übertragene Erbschuld, dass mein Urvater Erkenntnis gesucht hat, weil er es im Palmenhain zwischen turtelnden Hyänen und schäkernden Spinnen vor Langeweile nicht mehr aushielt? Oder was Persönlicheres?

(3) Als sich das Kind opferte, war es inzwischen über dreißig und offenbar immer noch sehr dickköpfig. Mal wird ihm unterstellt, sanft wie ein Lamm gewesen zu sein, mal soll es gesagt haben: 26„So jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern, dazu auch sein eigen Leben, der kann nicht mein Jünger sein.“1 – Eine etwas seltsame Einladung. Aber konsequent! Ohne seinen Märtyrertod wäre die Sache natürlich im Sande verlaufen. Andererseits: Wenn man dann anschließend zur Rechten Gottes sitzt, dann kann man da schon mal durch. Mir tut nur der arme Judas leid, der als Werkzeug missbraucht wurde.

Das klingt jetzt furchtbar blasphemisch, aber nur, weil man so etwas eben nicht fragen darf. Ich finde, man darf. Inzwischen. Was mich bloß stutzig macht: Wieso glauben intelligente Menschen diese Geschichte seit 2000 Jahren? Was übersehe ich da? Das Gleichnis? Das Wunder? Das Rätsel? – Man will es eben gar nicht so genau wissen, sondern sich eine schöne Geschichte erzählen, vom heiligen Baby, das nach beschwerdefreier Geburt ganz unprätentiös in einer Futterkrippe liegt, und dann ist mir das Christkind auch noch allemal lieber als dieser alte, weiße Mann in Rot, der immer Coca-Cola ausfährt.

Nutzen wir also die letzten Tage dieses ziemlich schrecklichen Jahres, um noch mal innezuhalten! Um dankbar dafür zu sein, wie gut es den meisten von uns doch trotz allem geht! Um zu versuchen, denjenigen, denen es weniger gut geht, etwas Aufmerksamkeit, Trost, womöglich Freude, zu schenken! Um unsere Gemeinsamkeiten zu erleben und zu vertiefen! Und, na klar, auch, um etwas Gutes zu essen!

Im Blog kommen wir jetzt zu meinem Lieblingsjahr. Das pralle Leben. Passt doch!

Noch etwas herzlicher als sonst!
Hanno Rinke



Quelle: 1 ‚Lutherbibel 1912‘ – Lukas 14,26
Cover mit Material von Shutterstock: Morphart Creation (Gehirn), MoreVector (Hand mit Glas) und aus Privatarchiv H. R. (7)

47 Kommentare zu “Die Weihnachtsgeschichte

  1. Ich glaube nicht daran und in einer aufgeklärten Welt wie dieser sind mir Gläubiger immer mehr suspekt. Zu was macht mich das?

    #froheweihnachten

  2. Meine Sünden bleiben meine Sünden. Damit muss man selbst umgehen. Auf Jesus möchte ich mich da nicht verlassen müssen.

    1. Wäre natürlich bequem. Man zerschlägt das Porzellan, und jemand anderes räumt die Scherben weg. Ein bisschen auch wie das Bildnis des Dorian Grey.

      1. Das ist doch das Problem. Eigenverantwortung ist mir deutlich lieber als die Möglichkeit zur Beichte und Sündenvergebung. Wobei … Beichten geht heute eh niemand mehr. Man verlässt sich eher darauf, dass die Sünden auch so vergeben werden.

      2. Also, ich habe mich vor der Beichte immer gefürchtet. Sonst nutzt es wohl auch nichts.

      3. Ich mich auch. Bei mir war es aber nur die Idee oder das Bild der beichte. Selber in den Beichtstuhl musste ich nie. Keine Ahnung ob es das in unserer Gemeinde schon nicht mehr gab oder ob meine Eltern dazu einfach zu unchristlich waren.

      4. Die Beichte war eine wunderbare Einrichtung, lange, bevor es die Psychoanalyse gab. Das Beichtgeheimnis ist eine Institution. Ich achte es. Ich brauche es nicht. Ich halte es für überholt.

  3. Seitdem ich zuhause bei meiner Familie bin, denke ich auch die ganze Zeit wie gut es uns hier geht. Wie anders sieht die Realität in der Ukraine und in Gaza aus! Und an so vielen Orten mehr…

    1. Da haben Sie ohne Frage recht. Mir bleibt die Sorge, dass diese ganzen Konflikte noch näher an uns heranrücken könnten. Aber momentan bin ich auch sehr dankbar dafür, wie ich hier in Deutschland leben kann.

      1. Ich fürchte, wir werden in Zukunft mehr dafür tun müssen, damit es in Deutschland so gut bleibt.

      2. So gern man über die Festtage nicht daran denken mag, ich fürchte Sie haben damit recht. Neulich sah ich die Sonntagsumfrage und die Werte der AfD in Deutschland. Man ist ja wirklich perplex. Dabei stimme ich dem oben gesagten zu, es geht uns doch wirklich gut.

      3. Es gibt ja noch andere Themen über die es sich Nachzudenken lohnt. Es muss nicht nonstop die Gefahr eines Weltkrieges sein.

  4. Ich denke ja, dass intelligente Menschen diese Geschichte nicht glauben, sondern die Widersprüche ignorieren. Die Bindung zur Kirche kommt wohl eher aus einem Gefühl der Zugehörigkeit oder aus dem Wunsch nach Leitung und Halt.

      1. Gerade bei Franziskus interessiert mich das tatsächlich auch. Er scheint ja zumindest der erste Papst zu sein, der realisiert, dass die Kirche in vielem rückständig ist.

      2. Das Rückständige bezieht sich auf gesellschaftliche Normen. Dass Jesus geboren wurde, um die Menschen durch seinen Tod am Kreuz zu erlösen, damit Gott ihnen die Erbsünde verzeiht – diese Grundidee des Christentums kann der Papst nicht antasten.

      3. Aber müssten nicht selbst solche grundlegenden Ideen auf die heutige Zeit übertragen werden anstatt sie Wort für Wort zu leben?

      4. Damit würde sich die Kirche selbst erledigen. Entweder man glaubt oder man glaubt nicht. Anders funktioniert Religion nicht.

      5. Ich bin auch gespannt wie sich die Kirche nach Franziskus Tod positionieren wird. Umstritten ist dieser Papst ja keineswegs. Ich wäre nicht überrascht wenn man bei dem ein oder anderen Thema wieder zurückrudert.

      6. Man kann vor- oder zurückrudern. Auf einen Gott, der seinen Sohn auf die Erde schickt, um die Menschen von der Erbsünde zu befreien, kann das Christentum nicht verzichten. Dabei ist diese Idee nicht sehr viel wahrscheinlicher als die Vorstellung, dass Zeus im Schwanenkostüm zu Leda kommt. Nur natürlich selbstloser.

  5. Die katholische Kirche hat nicht umsonst den Satz in ihrer Liturgie: Geheimnis des Glaubens.
    Ich bin ebenfalls der Ansicht, das es eine Zumutung ist zu erwarten, dass jemand all das einfach so glaubt. Wenn man aber gewillt ist, diese Berichterstattung im Kontext der Bildung, der naturwissenschaftlichen Erkenntnis und des persönlichen Gottesbildes der Berichterstatter dieser Zeit zu sehen, dann ist man schon gleich etwas milder gestimmt. Wenn dann noch eine (es gibt leider keine treffendere Bezeichnung) persönliche Gottesbegegnung hinzu kommt, ist das alles kein Problem mehr. Dann beginnen natürlich von Seiten aufgeklärter Zeitgenossen die Anfragen an die geistige Gesundheit, aber darüber kann man dann großzügig und gelassen hinwegsehen.
    In diesem Sinne, ein gesegnetes Weihnachtsfest.

    1. Hahaha! Tja, entweder ist es die geistige Gesundheit, an der es mangelt oder der Glaube wird quasi missbraucht, indem man wohl weiss, dass die Geschichten so nicht stimmen, man sich aber den Rest so zurecht biegt, wie er einem gerade passt. ist das besser?

    2. Einer persönlichen Gottesbegegnung ist nichts entgegenzusetzen. Da fehlen die Argumente. Im Gegensatz dazu bleiben dem Unbegegneten nur Demut, Zynismus oder Gleichgültigkeit.

      1. Wenn jemand ein Erlebnis hatte, welches ihn aus welchen Gründen auch immer an Gott bindet, dann kann man dem nichts entgegen setzen. Mir bleiben meine eigenen Zweifel, aber gut, das ist in dem Fall dann wohl auch egal.

      2. Das gute ist: man kann Weihnachten auch ganz ohne Glauben an Jesus Christus feiern. Z.b. in dem man einfach das zusammensein mit der Familie oder mit den engen Freunden genießt. Da stellt sich die Frage nach der unbefleckten Empfängnis dann unter Umständen gar nicht.

      3. Das geht dann aber am Sinn des Festes vorbei. Man kann auch an jedem Tag im Jahr bemalte Eier essen, ohne an Auferstehung oder Osterhasen zu glauben.

      4. Das ist ein guter Punkt. Aber das eigentliche Weihnachtsfest, also die Geburt Christi, feiert doch kaum noch jemand.

      1. ‚Alles‘ Gute wäre wohl zu viel verlangt, aber so ein bisschen Gelassenheit und Zuversicht wäre schon hübsch. Ich hoffe darauf.

  6. 30 Grad? Das scheint mir selbst bei nicht zu verleugnender Erderwärmung unwahrscheinlich. Meine Vorhersage meldet für Bethlehem nur knappe 18 Grad.

  7. Die erste Nachricht, die heute Morgen in meinem Newsfeed steht lautet „Israeli airstrikes kill dozens in one of war’s deadliest nights, Gaza officials say“ 😵‍💫 Frohe Weihnachten

    1. Wie fröhlich sind wir eigentlich noch? Und wie ‚fröhlich‘ möchten wir überhaupt sein? Ruhe ist schön. Anregungen sind schön. Floskeln sind nicht schön.

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