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DIE ELF  —   3. Kapitel: PLUS ELF

#3.2 | Keine Asche-Wurst an Silvester

An meinem elften Geburtstag war ich in der sechsten Klasse: Mitschülerinnen, die meinem ‚Café zur schönen Aussicht‘ im Birnbaum gegenüber aufgeschlossen gewesen waren, hatte ich schon seit mehr als einem Jahr nicht mehr, stattdessen musste ich mich bolzenden Jungen anpassen, für die die Zahl Elf etwas mit Fußball zu tun hatte, und statt weiterhin den freundlichen Lehrerinnen aus der Grundschule gefallen zu dürfen, sollte ich mich an Nazi-Pauker gewöhnen, die Marschlieder singen ließen und ohrfeigten. Schon in der fünften Klasse war ich sicher gewesen, ich würde sitzen bleiben. Tat ich dann aber nicht. Diese Gefahr nahm von Jahr zu Jahr ab, und zum mündlichen Abitur brauchte ich später gar nicht erst anzutreten. Dabei war mein Mundwerk im Laufe der Jahre meine erfolgreichste Waffe geworden, das zählte künftig mehr als Fußballerbeine – 1957 aber noch nicht. Trotzdem lud ich ein und wurde eingeladen. Dass ich katholisch war, war ein Thema, es wurde erwähnt, ohne dass es mich ausschloss. Die Geburtstage verliefen alle nach demselben Muster: Alle kamen gern, aßen Torte und schossen den Ball ins Blumenbeet, während ich mich schon mal auf meine spätere Karriere im Eierlaufen und Sackhüpfen vorbereitete.

Bei toller-kindergeburtstag.de lese ich im Juli 2023:

‚Mit elf‘ (und ich war ja immer der Klassenjüngste) ‚passt ein klassischer Kindergeburtstag nicht mehr, schließlich ist Ihr Kind schon auf dem besten Wege dahin, ein kleiner erwachsener Mensch zu werden. Mit elf steht schon fast ein Teenager Geburtstag an.
Worauf kommt es überhaupt bei der Planung für die Party an und welche Ideen lassen sich leicht in die Tat umsetzen? Eignet sich das eigene Zuhause überhaupt noch als Partylocation oder ist es doch besser, an einem angesagten Veranstaltungsort zu feiern?‘
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1957 war das kein Thema, und meine Organisationswut, alles zum Ereignis hochzujazzen, war auch noch nicht entbrannt. Meine Mutter tat das damals Richtige: mit Kinkerlitzchen und Kartoffelsalat. Mein Vater war im Büro.

Fotos oben (2) und unten (1): Privatarchiv H. R. | Titelbild mit Material von Shutterstock: Babich Alexander (Bonbons), Bodor Tivadar (Ballon) und aus dem Privatarchiv H. R. (3)

Ein paar Wochen später, in den Sommerferien, fuhr mein Vater seine Mutter, seine Frau und seinen Sohn nach Kärnten. Dort waren sowieso alle katholisch und mein Sonderstatus dahin. Mein Großvater war Ende Dezember auf Weihnachtsbesuch bei uns in Hamburg gestorben. Seine Witwe trug es mit Fassung. Für mich war sein Tod insofern ärgerlich, als mir untersagt wurde, ein Tischfeuerwerk zu entzünden: aus Pietät. An die großen Raketen hätte ich mich sowieso nicht rangetraut, aber dieser kleine Zylinder, aus dem eine unendlich lange Asche-Wurst herausquoll – das war doch zu herrlich! Mit wenig Aufwand eine Riesenwirkung zu erzielen, so etwas hat mir immer schon imponiert. Der ‚Schlangenhut‘ trug dazu bei, dass ich eine ganz bestimmte Richtung einschlug – und dadurch womöglich mein Lebensziel verpasste.

Fortsetzung folgt am Freitag, 01.12.2023

37 Kommentare zu “#3.2 | Keine Asche-Wurst an Silvester

    1. Es gehört doch zu den Pflichten der Eltern, dass sie ihren Kindern grundlegende Werte mitgeben. Wer einem Teenager vorlebt, dass man nur etwas wert ist, wenn man vor seinen Mitschülern und Freunden mit einer „angesagten“ Feier angeben kann, der muss sich nicht wundern, wenn er später verzogenen und emotional schwachen Nachwuchs zu verantworten hat.

      1. Neulich lief mal eine Doku über ein Mädchen, dass mit der Unterstützung ihrer Eltern Influencerin werden wollte. Die beiden Eltern waren da quasi in Vollzeit in der Rolle der Manager und die Tochter musste ständig auf irgendwelche Events um sinnlose Produkte zu bewerben. Ich fand das alles unglaublich traurig. Und erschreckend.

      2. In Deutschland? Mir scheint immer, dass das hier nicht so ein Ding ist wie in Amerika.

      3. Drüben wollten laut der Vogue vor ein paar Jahren 86% der Jugendlichen Influencer werden. Als beruf wohlgemerkt. Das ist schon ziemlich abgefahren, nicht?

      4. Was ‚beeinflussen‘ Influencer eigentlich? Die Abkehr von dem, was auf der Welt vorgeht?

      5. Es gibt ja immer mehr Leute, die sogar ihre News aus den Sozialen Medien ziehen. Und da geht es scheinbar nicht nur um den CNN-Mitschnitt, der auf Twitter verlinkt wird, sondern z.B. um Instagram-Profile, die über die die Hergänge in Gaza „informieren“ usw. Nach dem Motto „What the mainstream media doesn’t tell you“. Und dann wundert man sich über krude Meinungen in der Bevölkerung.

      6. Meinungsmache funktioniert dort natürlich auch viel leichter. Es gibt ja keinen Faktencheck oder andersgerichtete Meinungen. Mir fällt da sofort der Hate Crime Hoax von Jussie Smollett ein. Und was sich Gil Ofarim auf seinem Kanal geleistet hat ist doch auch unglaublich.

    2. Es gab vor ein paar Wochen einen Artikel über ein noch deutlich jüngeres Geburtstagskind in Australien. Da haben sämtliche Freunde die Einladung zur Geburtstagsfeier abgesagt, weil der Schokokuchen vegan sein sollte. Man kann immer versuchen alles richtig zu machen. Sei es, wenn es um den angesagten Ort oder die politisch korrekte Torte geht. Letztendlich ist aber doch immer am wichtigsten, dass man dem Kind eine Freude macht. Und zwar eine echte.

      1. Wie echt die Freude ist, hängt wohl auch von den veganen oder hamburgerigen Erwartungen ab.

  1. Manchmal verpasst man ein Lebensziel um zu einem anderen hinzufinden. Sie scheinen mir ja nun keinen augenscheinlichen Grund zu haben, sich über das Erreichte zu beklagen. Nach wie vor ein toller Blog übrigens. Respekt!

    1. An aufgegebene Ziele zu denken, erscheint sinnlos. Trotzdem tut man es manchmal. Schön, dann zu dem Schluss zu kommen: Es ist gut, so wie es ist.

  2. Die großen Raketen fand ich als Kind nie spannend. Ich mochte alles, was auf dem Boden rumzischte oder durch die Luft schwebte. Funkeln und Glitzern hatte ich natürlich lieber als zu lautes Knallen.

    1. Ich würde mich wirklich freuen, wenn diese Knallerei endlich verboten würde. Wer braucht Raketen zum feiern?

      1. Ach so ein Silvesterverbot ist aber doch auch übertrieben. Man kann die Leute zumindest einmal im Jahr feiern lassen. Was habe ich verpasst, dass sich neuerdings alle darüber aufregen?

      2. Ich nehme mir immer etwas übel, wenn ich mich über Verbote freue: Ich bin so gern liberal.

      3. Verbote finde ich persönlich auch immer doof. Meist nützen sie auch gar nicht so viel. Aber in diesem Fall … Ich lebe in Berlin und bin das Chaos zum Jahreswechsel mittlerweile auch leid. Man hat mittlerweile fast keine andere Wahl mehr als Zuhause zu bleiben, wenn man nicht „abgeknallt“ werden will. Vielleicht geht es nicht anders als mit einem Böllerverbot.

    1. Oh, ich hoffe Sie haben nach der Assoziationskette von Kinkerlitzchen und Kartoffelsalat um Viertel vor fünf Uhr morgens noch ein wenig Schlaf gefunden 😉 Ein alter Freund (Musiker) sagte mir allerdings immer, ihm kämen nachts die besten Ideen.

      1. Ich konnte absolut nicht einschlafen. Halb fünf aufzuwachen ist ein anderer Zustand als um halb fünf noch wach zu sein. Nun habe ich bis mittags geschlafen und hoffe, mich aus dem Jetlag zu befreien.

      2. Das passiert mir in letzter Zeit auch öfters. Schlaflose Nächte sind wirklich nervig.

  3. „Dabei war mein Mundwerk im Laufe der Jahre meine erfolgreichste Waffe geworden …“ – Waren Sie mit elf bereits so unerschrocken und wortgewandt wie heute?

  4. Ich war in der Schule oft gelangweilt. Das wäre der einzige Grund gewesen sitzen zu bleiben. Zum Glück ists gut gegangen.

    1. Oha! Aus Faulheit sitzen zu bleiben ist immer besonders dumm. Kommt aber sicher öfters vor als man meinen würde.

    2. Es gab die Fächer, für die ich mich erst nach dem Abitur interessierte, die Fächer, bei denen ich unfähige Lehrer hatte, und die, für die ich untalentiert war. Aber die Fächer, mit denen ich klarkam, haben immer ausgereicht für die Versetzung.

      1. Ich hatte einen wirklich unfähigen und auch nicht (mehr) wirklich motivierten Lehrer in Geschichte. Das fand ich immer besonders ärgerlich, gerade weil mich das Fach eigentlich interessiert hätte.

      2. Im Fach Geschichte bin ich mir unsicher: War ich zu unreif oder waren die Lehrer zu dröge. Es ist eines der Fächer, in denen ich heute viel mehr weiß als damals.

      3. Bei mir war es ohne Frage dröge. Damit meine ich die Art und Weise wie unterrichtet wurde, nicht das Fach an sich. Es wurden hauptsächlich Jahreszahlen heruntergerasselt und abgefragt. Die jeweiligen Zusammenhänge gab es nur nebenbei. Dabei haben die mich viel mehr interessiert.

    1. Nein, nicht bei den Einladungen, sondern allgemein in der Schule, aber ohne Diskriminierung. In Berlin hatte ich mit katholischen Mitschülern einen anderen Religions-Unterricht als die evangelischen Kinder. Meine Eltern haben das zugelassen, weil es ihnen egal war. Getauft worden war ich in Schmakalden, wo ich in Obhut meiner streng katholischen Großmutter gewesen war. Mehr dazu im nächsten Blog-Beitrag.

      1. So war das bei uns auch. Man konnte zwischen katholischem und evangelischem Unterricht wählen bzw. sich aus Gewissensgründen (laut meinem Religionslehrer: gewissen Gründen) befreien lassen und sich stattdessen mit der Philosophie beschäftigen.

    2. Wie das heute wohl aussieht? Werden da Kinder ausgeladen, weil sie Muslim sind? Bei den ganzen Ressentiments würde mich das nicht wundern.

      1. In manchen Vierteln werden deutschsprachige Kinder gar nicht erst eingeladen, weil es keinen Bezug gibt.

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