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#1 – Ein Anfang

PROLOG: Manchmal gab es abends bei uns etwas, das ‚strammer Max‘ hieß. Eingeweihte wissen, dass es sich dabei um nichts Sexuelles handelt, sondern um ein Setzei, auch ‚Spiegelei‘ genannt, das auf einem Bett von kleingehacktem rohen Schinken ruht, der seinerseits auf einer butterbestrichenen Graubrotscheibe verteilt worden ist.

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#2 – Ein Umzug

Als mein Vater sich beruflich verbesserte und wir 1953 nach Hamburg zogen, war meine Mutter froh. Ich nicht. Irene war ungern eingeschlossen in Westberlin, ich war wenig veränderungswütig. Half nichts. Von nun an bewohnten wir statt einer spannenden Ruine eine langweilige Doppelhaushälfte ...

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#3 – Ein Abschiedsbrief

So, und jetzt hole ich noch etwas weiter aus: Über die Weihnachtsfeierlichkeiten von 1970 am Klein Flottbeker Weg habe ich sehr ausführlich geschrieben. Es ist der einzige Bericht, den ich jemals über diese ‚alle Jahre wieder‘ aufwühlende, abstumpfende Zeit geschrieben habe.

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#4 – Der weiße Knopf

Zunächst einmal musste ich mit dem versteckten weißen Knopf am Briefkasten die Gartenpforte öffnen. Der Knopf war neu. Er stellte zweifellos ein Sicherheitsrisiko dar, aber da das Klingeln an der Pforte nicht zu hören ist, weder wenn es Guntram und Irene gilt, die sich in ihrem Schlafbereich bis zur Erschöpfung hin ausruhen, noch wenn an der anderen Pforte ich gemeint bin ...

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#5 – Was dann kommt

Die zwei Tennisplätze rechts deuten eine vornehme Villengegend an, links leben die Eltern des Delikatessen-Händlers Blohm aus Pöseldorf (‚Broders Delikatessen‘). Obwohl seine Waren als gut und teuer gelten, haben sich zwei ‚Grammophon‘-Sekretärinnen dort beim Mittagstisch über Fisch mit einer für sie inakzeptablen Fettschicht unter der blassen Haut entsetzt.

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#6 – Lasch statt fromm

Östlich unserer Vierstraßenkreuzung begann stadteinwärts der Othmarscher Kirchenweg. Er führte an der Christuskirche vorbei, die mit ihrem spitzen Glockenturm erhöht in einem kleinen Park liegt, zu den Bauernhöfen, die sich bis Ottensen erstreckten, wo es dann, am anderen Ende des kopfsteingepflasterten Othmarscher Kirchenweges, ernst wurde mit der Vorstadt ...

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#7 – Immer geradeaus

Der Taxusweg ist wirklich ein Phänomen, denn er verfügt neben seinem namenlosen Zugang zum jetzigen Halbmondsweg außerdem über einen Fußgänger-Durchgang zur Elbchaussee. Links vom Rosenplatz in seiner Mitte leistet er sich einen weiteren Zugang: zur Bernadottestraße.

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#8 – Maßnahmen

Nie werde ich vergessen, dass meine Mutter mich mit dem Liebermann-Ausspruch zur ‚Machtergreifung‘ beeindruckte: „Man kann gar nicht so viel essen, wie man kotzen möchte.“ Ich hatte sofort Verständnis dafür, dass jemand seinen mangelnden Appetit beklagte, denn das war ja auch mein Problem.

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#9 – Die Prachtstraße

Es ist ja so: Erst kommt die Elbe – Connaisseure genießen, dass sie von Osten nach Westen fließt –, dann kommt logischerweise die Elbchaussee, parallel dazu als Nächstes die Bernadottestraße, die zwar, nordsüdlich gesehen, nicht wesentlich später (örtlich gemeint) als die Elbchaussee anfängt, aber doch wesentlich eher aufgibt

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#10 – PLATZ 3: DIE SCHULE

Da, wo die Waitzstraße aufhört, Einkaufsstraße zu sein, steht ein Gebäudekomplex aus dem Jahr 1898, pompös mit Wandelhalle. Das war 1953, als wir nach Hamburg zogen, das ‚Bertha-Lyzeum‘, eine Höhere Mädchenschule. Eigentlich. Aber Raum war knapp, Kinder gab es reichlich.

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#11 – PLATZ 2: DIE KIRCHE a) Kommunion

Von unserer Haustür aus war es nach rechts noch näher zur Christuskirche als nach links zur Grundschule, nur hatte ich nichts davon. Ich war ja katholisch.

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#12 – PLATZ 2: DIE KIRCHE b) Beichte

Silvester wurden mir Lustigkeiten untersagt: Pietät. Raketen mochte ich sowieso nicht, aber das Tischfeuerwerk vermisste ich und den kleinen Zylinder, aus dem eine Riesenmenge graues Zeug wurstartig herausquoll, wenn man ihn anzündete. Manche nannten ihn ‚Kackhut‘.

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#13 – PLATZ 2: DIE KIRCHE c) Out of Othmarschen

Frau Wieman konnte es nicht ausstehen, wie der Pfarrer von St. Paulus-Augustinus von seiner Kanzel herabschimpfte. Ich fand Pastor Nebelings Tiraden immer sehr unterhaltsam, zumal ich sie mir nicht zu eigen machte.

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#14 – PLATZ 1: DAS KINO

In den frühen 70er-Jahren fuhren wir samstags oft in die Innenstadt und sahen die Filme in einem der ‚Erstaufführungstheater‘. Anschließend gingen wir essen – nach Möglichkeit passend zum Drehort des Films. Deshalb gab es oft Steak, immer mal wieder Froschschenkel oder Saltimbocca, aber nie Eisbein. Wir, das waren damals Harald, Silke, Esther und ich.

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#15 – Frühlingserwachen

Zurück in die letzte Märzwoche 2000: Guntram konnte sein samstägliches Tatar nicht mehr selber holen, und ich hatte mir am Freitagabend vor dem Schlafengehen in den Kopf gesetzt, ihn am nächsten Morgen in dem nagelneuen Rollstuhl an die Stätte seiner ehemaligen Einkäufe zu fahren.

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#16 – Etwas pikanter

Wir waren vor dem Fleischereibetrieb ‚Am Teich‘ angelangt. Dort, wo die Schlachtware teurer ist, aber der Meister grinsend behauptet: „Meine Rinder kenn’ ich beim Namen“, und er sagt es so, dass man nicht weiß, ob es ein Scherz, eine Lüge oder die Wahrheit ist.

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#17 – Nebenstraßen

Isabelle war, während sie studierte, ganz sicher gewesen, dass sie nie heiraten würde. Aber dann war Eduard so ganz anders gewesen als alle die, die sie nie in Betracht gezogen hatte: Er war zuverlässig, unnachgiebig und hinreißend. Wer kann dazu schon Nein sagen?

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#18 – Lebensversicherung

Wir überquerten die Bernadottestraße, ich schob Guntram in den Taxusweg. Von nun an würde der Rückweg wie der Hinweg verlaufen. Irene ging so schleppend, wie es das Schieben des Rollstuhls gebot, und dabei fühlte sie sich – vielleicht zum ersten Mal – so alt, wie sie war.

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#19 – Wie ich lebe

Es gibt so viele einmalige Augenblicke in meinem Leben, schade, dass es, als Ganzes gesehen, bisher so nichtssagend geblieben ist. Die radikalste Art, nicht zu leben, ist es, zu sterben.

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#20 – Am Küchentisch

Nudeln von gestern, tiefgefrorene ‚Chicken Wings‘, Dosen mit Serviervorschlägen auf dem Etikett – natürlich ist Spontaneität das Erstrebenswerteste, aber wie soll man die planen? Man will doch planen! Da sagt man sich: ‚Jetzt will ich geil sein!‘ ...

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#21 – Himbeerjogurt

Nun kommt die erste wirkliche Entscheidung des Tages: Was mache ich aus diesem Nachmittag meines Lebens? Zur Auswahl stehen: schreiben, an meinen alten Filmen arbeiten, schlafen, wegträumen, ‚Spiegel‘ lesen und telefonieren. Wie seit jeher.

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#22 – Abendprogramm

Wenn ich von meinem sogenannten Mittagsschlaf aufwache, ist es meist so gegen sechs. Ich habe also noch Zeit, in knapperer Form das zu tun, was ich sonst länger getan hätte: schreiben, lesen, telefonieren ...

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#23 – Abseits der Überholspur

Es kommt vor, dass ich nicht nur ein anderes Programm, sondern dass ich überhaupt nicht fernsehe. Was immer ich tue, habe ich dann getan. Unkorrigierbarkeit hat etwas Faszinierendes.

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#24 – Im Schauspielhaus

So oder so oder so, irgendwann gehe ich ins Bett, na ja, ich schwanke mehr. Da liege ich dann und denke meinen Gedanken hinterher. Ich will etwas, was ich nicht kann, oder ich kann etwas, was ich nicht will ...

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#25 – Nach vorn sehen und nach hinten

Inzwischen hatte ich Guntram auf unserem Weg vom Fleischer ‚Am Teich‘ das namenlose Straßenstück rechts vom Taxusweg entlanggerollt. Wo kein Briefkasten und keine Eingangspforte ist, da sind Namen überflüssig.

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#26 – Die Anrede

Guntram saß im Rollstuhl und sah die Pforte immer näherkommen; es war wie der Blick durch eine Kamera, die aus dramaturgischen Gründen auf einen in der Handlung bedeutsamen Gegenstand zufährt, auf einem Podest mit Rädern. „Ob ich noch jemals nach Meran kommen werde?“, fragte Guntram leise. „Bestimmt“, sagte Irene. Sie log.

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#27 – Am Teich

Herr Mohrenhaupt war Dekorateur, ein Beruf, der sich mir nicht sofort erschloss, obwohl ich meine Mutter gleich nach unserem Umzug zu ihm begleitet hatte, als sie sich darüber beschweren wollte, dass die Gardinen zu kurz waren.

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#28 – Film und Frau

Neben Bäcker Mielke befand sich etwas außerordentlich Interessantes. Dort drinnen roch es seltsam künstlich, und es sah dort noch unordentlicher aus als in meinen Schränken. An Silvester bekam Bernie, Kathrins größerer Bruder, etwas Geld, und dann kaufte er Raketen.

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#29 – Lügen

Ich öffne die Pforte, sie geht nach außen auf, ich muss Guntrams Rollstuhl wieder ein Stück zurückschieben, es gibt einen Ruck am Kantstein. „Ach, Gott, nein, Kinder“, schreit Guntram, „nun sagt doch mal selber: Muss das denn noch sein!“ Guntrams Erinnerungen decken sich nicht mit seiner Wirklichkeit.

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#30 – Epilog

Mehr als zwanzig Jahre ist es her, dass ich diesen Brief – damals wie üblich an meinen Freund Pali – geschrieben habe. Pali war es gewohnt, an meinen Briefen eine ganze Nacht lang zu lesen, zu lachen, zu weinen, pausenlos zu rauchen und sich aufbrausend über mich zu ärgern.

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Hanno Rinke

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