Das Datum ist fiktiv, aber die Volkszählung hat unter Augustus tatsächlich stattgefunden. Es werden also Menschen, auch Schwangere, notgedrungen von hier nach da und von Nazareth nach Bethlehem unterwegs gewesen sein. Luthers epochale, phänomenale Bibel-Übersetzung „… und sie … wickelte ihn in Windeln …“* (woher hatte sie die?, aber der Stabreim ist so schön) und die niederknienden Hirten zunächst mal beiseitegelassen: Eine Jungfrau gebiert den Sohn Gottes. Auf dieser Unglaublichkeit beruhen das Christentum und die abendländische Kultur. Wir haben es auf so vielen Bildern gesehen und dabei im Stall zwar keine Hebamme, aber Kuh und Esel betrachtet, und wir fragen uns: Ist das Quatsch, Mythos oder Poesie? Nein, wir fragen meistens gar nicht, sondern nehmen es als so selbstverständlich hin wie Nahverkehr und Fernbedienung.
(*Luther-Bibel, Lukas 2:7)
Eigentlich müssten wir uns eingestehen, dass der doofe Weihnachtsmann viel greifbarer und sogar ehrlicher ist in seinem Wunsch, unser Konsumbedürfnis anzukitzeln, als dieses Baby im Stroh. Und doch – welchen Informationswert hat immer noch ein Papstwort: Es wird während der Nachrichten noch vor den Siegern im Skispringen gesendet und weltweit zur Kenntnis genommen. Messiasse sind so drängend herbeigesehnt. Glaubenwollen hat eine solche Macht! Glauben können sei eine Gnade, sagte meine Großmutter immer und schmetterte damit all meine bangen Fragen ab. Was glaubt Pastorentochter Angela Merkel, Parteichefin der Christlichen Union in ihrem Herzen? Auf Jamaika gibt es 61 Prozent Protestanten und 4 Prozent Katholiken. Was unterscheidet die wohl da?
Die ersten Christen kamen vor die Löwen – weil sie glaubten. Später kamen die auf den Scheiterhaufen, die nicht glaubten. Gnade, so eine schöne Idee: Dem, der gefehlt hat, vergeben, statt strafen zu wollen. Der Gerechtigkeitssinn vieler Menschen findet dagegen, Rache sei eine angemessenere Reaktion. Das Christentum ist verkommen. Der Islam ist verkommen, inzwischen sogar der als friedlich eingestufte Buddhismus in Myanmar.
Weihnachten ist verhunzt. Dass da ein Kind geboren wurde, das die Menschheit erlösen kann von all den Qualen und Widersprüchen, den bösen Gedanken und den schlimmen Taten, ist ein zauberhafter Gedanke: Das Kind, „… das die Sünde der Welt hinwegnimmt.“** Wie schön das klingt! Und wie praktisch. Wir müssen gar nichts verändern. Das Kind wird’s schon richten. Dass dieses Heil nun dadurch zustande kommen muss, dass der erwachsene Mann dann später ans Kreuz genagelt wird, vergällt einem die Weihnachtsfreude allerdings ein wenig. Aber wer denkt heute noch daran, während er seine liebevoll ausgesuchten oder peinlich hingerotzten Geschenke auspackt? Ich. Und Sie vielleicht auch. Trotzdem: Wir wollen feiern, dass es uns gibt, dass es uns materiell gutgeht und dass unser Hirn und unser Geschmackssinn leidlich funktionieren. Sollte mein Blog Anstoß erregt haben oder den Anstoß zu weiterem Nachdenken, dann stoße ich mit Ihnen darauf an, dass das 2018 so bleibt, aber sich vieles andere verändert!
(** Johannes 1,29)
Foto: William Hogarth/gemeinfrei | Foto in Titelillustration: Privatarchiv H. R.
Ganz herzlich,
Ein Kind, dass die Sünde der Welt hingwegnimmt. Wie praktisch. Genau deshalb glauben wahrscheinlich auch so viele Menschen. Es ist einfach immer wieder einfacher nicht selbst die Arbeit und Verantwortung zu haben. Da nimmt man auch die Religion in Kauf.
Die Weihnachtsgeschichte ist mir wurscht. Geburt Jesu, bla bla bla… Ein bischen freie Zeit mit meiner Familie und Zeit über das vergangene Jahr nachzudenken ist trotzdem nett. Geschenke natürlich auch.
Weeeeiiiiiiihnnnnaaaaaachhhhhteeeeen!!!!!! Endlich Zeit für langweilige Familienaufenthalte, unnötige Geschenke und endlose Fressereien, woohooo 🙂
Wir haben immer leckeren Braten. Wie’s in der Bibel steht 😉 Oder wie es bei uns Tradition ist. Um die Geburt Jesu schert sich allerdings zugegebener Maßen kaum jemand in der Familie. Schön ist’s trotzdem. Froher Weihnachten allerseits!
Dass sich vieles ändert, wünsche ich auch. Stillstand ist nie gut. In diesem Sinne…
Stimme Dir in vollem Umfang zu…
Da gibt‘s nicht viel hinzuzufügen. Frohe Weihnachten.
Frohe Weihnachten allerseits. Immer noch aktuell:
„Morgen, Kinder, wird’s nichts geben!
Nur wer hat, kriegt noch geschenkt.
Mutter schenkte euch das Leben.
Das genügt, wenn man’s bedenkt.
Einmal kommt auch Eure Zeit.
Morgen ist’s noch nicht so weit.
Doch ihr dürft nicht traurig werden,
Reiche haben Armut gern.
Gänsebraten macht Beschwerden,
Puppen sind nicht mehr modern.
Morgen kommt der Weihnachtsmann.
Allerdings nur nebenan.
Lauft ein bisschen durch die Straßen!
Dort gibt’s Weihnachtsfest genug.
Christentum, vom Turm geblasen,
macht die kleinsten Kinder klug.
Kopf gut schütteln vor Gebrauch!
Ohne Christbaum geht es auch.
Tannengrün mit Osrambirnen –
lernt drauf pfeifen! Werdet stolz!
Reißt die Bretter von den Stirnen,
denn im Ofen fehlt’s an Holz!
Stille Nacht und heilge Nacht –
Weint, wenn’s geht, nicht! Sondern lacht!
Morgen, Kinder, wird’s nichts geben!
Wer nichts kriegt, der kriegt Geduld!
Morgen, Kinder, lernt fürs Leben!
Gott ist nicht allein dran schuld.
Gottes Güte reicht so weit . . .
Ach, du liebe Weihnachtszeit!“
(von Erich Kästner)
Kästner hat natürlich immer recht. Und gleich mit gutem Vorsatz für’s neue Jahr 2018: Reißt die Bretter von den Stirnen! Yes we can!
Und um gleich mit Kästner auf den guten Vorsatz zu antworten: Auch morgen, Kinder, wird das nichts geben.
Gottseidank geht es uns hierzulande immer noch mehr als gut. Das vergisst man tatsächlich viel zu schnell. Auf dass sich 2018 wieder etwas entspannt, die Sorgen abnehmen, die Toleranz zunimmt und das Miteinander stärker wird. Frohe Feiertage und einen guten, schwungvollen Rutsch!
Das sind hochgesteckte Ziele für 2018, aber völlig richtig. Wollen wir das Beste hoffen.
Ich liebe Kästner, aber dass Reiche Armut „gern“ haben, nur weil es sich auf „modern“ reimt, stimmt einfach nicht. Schlimmstenfalls ist sie ihnen egal, bestenfalls sind sie fürsorgliche Mäzenaten. Nur weil sie nicht durch ein Nadelöhr passen, müssen nicht alle gleich wie die Geißens sein. Und dass alle „Armen“ so liebenswert sind, dass ihrer das Himmelreich ist, kommt mir auch übertrieben vor. Armur schändet nicht, macht aber keinen Spaß. Sonst müsste man ja viel größere Angst vor Lottogewinnen haben.
Na dann hoffen wir, dass der ein oder andere zwischen dem Geschenke-Umtausch-Stress ein wenig zum Nachdenken kommt. Guten Rutsch verehrter Herr Rinke, und liebe Blog-Mitleser.
Hallo Hanno, rührend das Eingangsbild! Ich erkenne den kleinen Hanno vor Krippe und Kreuz, mit wachen Augen und skeptischem süßen Lächeln, hinter einem Wall aus Weihnachtspäckchen — interessieren die ihn?
Haben Sie meinen „Weihnachtsartikel“ gelesen (FAS, 24.12., unter dem seltsamen Titel „Cheilig Chanukka“?
Herzlich
Judith Klein
Die Weihnachtstage sind erstmal rum, der Bauch ist voll, der Kopf ist leer. Auf viele neue Ideen im Neuen Jahr. Danke für die interessanten Meinungen Herr Rinke. Guten Rutsch!
Danke! Neues Jahr, neues Glück. „Wer hat noch nicht, wer will nochmal?“ Ich hatte schon reichlich, habe aber immer noch nicht genug. Am 2. Januar beginnt der nächste, viele Kapitel umfassende Bericht.