„Am Montagmorgen gingen wir wieder nach Jerusalem. Am Abend vorher war die Lage schon bedrohlich geworden. Wir waren nur knapp davongekommen. Aber die Stadt zog Jesus an wie der Abgrund den Lebensmüden. Wir hatten nichts gegessen und waren hungrig. Jesus sprach nicht mit uns. Er hing seinen Gedanken nach. Die Stimmung war gedrückt. In der Biegung stand ein Feigenbaum. Geistesabwesend ging er auf den Baum zu und griff zwischen die Blätter. Natürlich fand er nichts, um diese Jahreszeit. Ein paar von uns lachten über seine Weltvergessenheit. Da fuhr er plötzlich auf aus seinen Träumen, starrte wütend auf den Baum und rief wie ein trotziges Kind: ‚Jetzt soll hier nie mehr eine Feige wachsen.‘
––Wir waren ganz erschrocken und noch stiller als vorher. Wie konnte ein Mann, den wir als beherrscht und ernsthaft gekannt hatten, immer häufiger außer sich geraten? Es waren wohl schon Ahnung und Angst. Jetzt sind auch mir beide vertraut. Wieder gingen wir zum Tempel, und wieder brachte er die Menge gegen sich auf. Anfangs hatte er sich noch in der Gewalt. Die Frage nach seinen Vollmachten beantwortete er ausweichend. Die Frage nach der Rechtmäßigkeit römischer Steueransprüche durchschaute er noch. Aber je mehr Menschen ihm zuhörten, desto mehr geriet er außer Kontrolle. Er redete sich in etwas hinein, das, während er es aussprach, Bekenntnis und Forderung wurde: Von der Auferstehung der Toten – das ging gegen die Sadduzäer, von Nächstenliebe und Demut – das ging gegen die Pharisäer, und schließlich steigerte er sich in solche Beschimpfungen aller führenden Gruppen, dass die Menge, die ihm erst noch Beifall geklatscht hatte, still und ratlos wurde. Es macht ja Freude, die Herren ein wenig zu verunglimpfen, aber dann muss auch wieder Schluss sein. Es war aber nicht Schluss. Es kam wirklich wie ein Rausch über ihn, und wenn ihm in diesen Stunden, in denen er eins wurde mit seiner Lehre, überhaupt noch etwas bewusst war, dann, dass er sich zu Tode redete, zu Tode reden musste. Für seine Überzeugung einzutreten, sogar mit dem Leben, ja. Aber es darauf abzuzielen, um seiner Überzeugung willen zu sterben, für diese Überzeugung, siegesgewiss – wann hätte es das jemals gegeben? Und was nutzt es noch, danach? Seine Bewegung war ihm entglitten, das ist die Wahrheit. Er hatte das Predigen auf den Dörfern satt, er ging in die Städte, und was dann geschah, geschah wohl mit zwanghafter Unerbittlichkeit. Und doch habe ich selbst darüber meine Zweifel. Geht er seinen Weg wirklich wie vorherbestimmt, ohnmächtig und unter Ängsten, oder geht er ihn unbeirrt, ohne den Tod zu fürchten? Wahrscheinlich weder noch. Er hat seine Überzeugung, sie ist seine Welt. Nichts anderes zählt für ihn. Ich zähle schon gar nicht. Mit Mühe zerrten ihn seine Freunde weg. Ich blieb zurück. Warum? War ich feige? Wollte ich nicht mit ihm zusammen, als einer aus seinem Kreis, gesehen werden? Das war es nicht allein. Ich hatte mir den Kampf so anders vorgestellt. Die Art seines Auftretens, seines ganzen Handelns war mir fremd. Das heißt, es war ja gar kein Handeln, es war ja wieder nur Reden. Bloß vor anderem Publikum. Er predigte zu den Hyänen. Dennoch: Er hatte es geschafft. Er war zu einer öffentlichen Gefahr geworden.
––‚Besser einer stirbt‘, sagten sich die Angegriffenen, ‚als wenn das ganze Volk verdorben wird. Ist es Aufstand gegen unsere Gesetze, so ist das schlimm. Ist es Aufstand gegen Gottes Gesetze, so ist das noch schlimmer. Er ist nicht zu bändigen. Er muss weg. Und sie setzten eine Summe aus für seine Ergreifung. Ich zitterte noch auf dem Rückweg, als ich mit klopfendem Herzen und trockenem Hals die staubige Straße entlanglief. Ich wusste, Flucht war kein Ausweg. Was also blieb? Das Ende war nah. Ich spürte wie nie zuvor, dass ich am Leben hing. In der Biegung fiel mein Blick auf den Feigenbaum. Er war verdorrt.“
––„War er herausgerissen?“
––„Was?“ Judas schrak auf. Er hatte Maria Magdalena nahezu vergessen.
––Sie hatte sich inzwischen auf den Stuhl gesetzt, kerzengerade, und sie strahlte etwas aus, das sie vorher nicht besessen hatte: Würde.
––Judas schüttelte unwillig den Kopf. „Ich weiß es nicht. Ich habe nicht nachgesehen. Ich fing an zu rennen, bis ich nicht mehr konnte, und als ich etwas zu Atem gekommen war, rannte ich weiter, immer weiter, bis zu Simons Haus.“
Titelgrafik mit Material von Shutterstock: rudall30
Bisher mein liebstes Titelbild 😉
Jerusalem zog Jesus an wie der Abgrund den Lebensmüden. Bei den Gläubigen ist es bis heute nicht anders. Kein anderer Ort wird so verbittert umkämpft.
Wollte Jared Kushner dieses kleine Problem nicht schnell lösen?
😂
Wie so vieles, was diese überhebliche / inkompetente Regierung verspricht…
Dieser Konflikt wird nie zu lösen sein. Jerusalem ist für Israelis wie Palästinenser viel zu wichtig. Wie soll da je eine Einigung stattfinden?
Seine Bewegung war ihm entglitten? In wiefern?
Was für ein erfüllendes Gefühl, wenn man spürt wie man am Leben hängt.
Da kann man sich nur anschließen. Diese Momente sind manchmal rar, aber sehr sehr wertvoll.
Er war zu einer öffentlichen Gefahr geworden, aber war das wirklich das Ziel? Eher eine unvermeidliche Begleiterscheinung.
Wenn man an Gottes Führung und Weisheit glaubt, kann man nur annehmen, dass auch dies Teil eines größeren Plans war. Wer weniger an Gott, sondern eher an die Grundsätze des christlichen Miteinanders glaubt, hat in der Geschichte mehr zu entwirren.
Es kommt wohl auch darauf an was man überhaupt betrachtet. Die historischen Hintergründe und exakten Begebenheiten oder die inhaltliche Lehre der Bibel.
Wusste Jesus, dass er bald sterben würde?
13 Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach: Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei? 14 Sie sprachen: Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten. 15 Er sprach zu ihnen: Wer sagt denn ihr, dass ich sei? 16 Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist der Christus, des lebendigen Gottes Sohn! 17 Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel. 18 Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. 19 Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein. 20 Da gebot er den Jüngern, niemandem zu sagen, dass er der Christus sei. 21 Seit der Zeit fing Jesus an, seinen Jüngern zu zeigen, dass er nach Jerusalem gehen und viel leiden müsse von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und am dritten Tage auferstehen. 22 Und Petrus nahm ihn beiseite und fuhr ihn an und sprach: Gott bewahre dich, Herr! Das widerfahre dir nur nicht! 23 Er aber wandte sich um und sprach zu Petrus: Geh weg von mir, Satan! Du bist mir ein Ärgernis; denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist. (MATTHÄUS 16)
So ist das überliefert. Wieviel davon die Wahrheit und wieviel Geschichtsschreibung ist wird man nach 2000 Jahren nicht mehr genauer erfahren.
Allein der Wikipedia-Beitrag „Kontroversen um die Bibel“ könnte ein halbes Buch füllen. Aber geht es am Ende darum was Fakt ist und was nicht? Religion ist doch etwas ganz anderes.
was denn?
Religion ist für jeden etwas anderes. Aber im Glauben geht es eben grundsätzlich mehr um Glauben als um Fakten. Die Lehre ist interessant, nicht die Hintergründe.
Religion / Glaube ist für mich hauptsächlich ein Leitfaden fürs Zusammenleben. Etwas das mir Halt gibt. Ich würde mich aber nicht als streng katholisch bezeichnen.
Dieses Experiment, die Geschichte Jesu mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten, gefällt mir ganz gut. Vor allem, weil der Fokus nicht auf Gott liegt. Mich interessiert das Christentum, aber trotzdem waren mir Religionen, die keinen Gott verehren, immer näher.
Dann müsste der Buddhismus ja ihrer Herangehensweise entsprechen…