„Allah verlangt von uns im Vers 180 der 7. Sura, dass wir Ihn mit Seinen ‚Schönsten Namen‘ (Al-Asma’u-l-husna) anrufen. Es ist daher ratsam, dass wir in unseren Bittgebeten Seine Schönsten Namen in Verbindung mit unserem Anliegen bringen.“ (Muhammad Ibn Ahmad Ibn Rassoul)
Seine „Schönsten Namen“, na schön. Allmächtig und allgegenwärtig, falls überhaupt etwas, ist er ganz sicher; allbarmherzig (ar-rahim) sicher nicht. ‚Gleichgültig‘ oder ‚experimentierfreudig‘ wären wohl angemessenere Worte, um ihn aus wissenschaftlicher Sicht zu beschreiben, und so habe ich Gott, als ich noch eifriger an ihn glaubte, auch immer gesehen: als jemanden, der mich auf die Achterbahn schickt und zusieht, wie ich zurechtkomme. Kann ja nichts schiefgehen: stirbt man eben zwischendurch kurz mal und fängt wieder von vorn an – dann wird es lustiger oder grusliger, je nachdem, wie man sich beim vorigen Mal angestellt hat. Aber so funktioniert Religion natürlich nicht. Religion soll trösten (dass es nach dem Ableben besser wird als jetzt, weil man alles richtig gemacht hat; dass die Bösen ordentlich bestraft werden und dass man nach dem Tod seine Mutter, seine Jugendfreundin, seinen Nachbarn wiedersieht) und Religion soll drohen (dass es nach dem Ableben schlimmer wird als jetzt, weil man falsch geliebt oder gegessen hat; dass man dafür büßen muss, indem man nach dem Tod seine Mutter, seine Jugendfreundin, seinen Nachbarn wiedersieht). Die Doppelfunktion der Religion, die Individuen zu besänftigen und zu beängstigen, kann durch Ausnutzung des Gemeinschaftsgefühls der Gläubigen leicht dazu genutzt werden, aufzustacheln gegen alles, was nicht in die Gemeinschaft passt.
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Eigentlich hoffte man diese Bewusstseinsstufe der Menschheit nach den Kreuzzügen, nach der Kolonialisierung, nach dem Faschismus, nach dem Untergang des Kommunismus und auch sonst immer wieder mal überwunden. Man mag sich ja auch nicht vorstellen, dass es im 21. Jahrhundert noch Menschen gibt, die glauben, dass schwarze Katzen Unglück bringen oder dass Gott einen Teil von sich auf dem Planeten Erde materialisiert, um ihn aus Menschenliebe ans Kreuz knallen zu lassen. Aber nicht nur bildungsferne Schichten in den Anden und in den Problemzonen Bayerns rechnen nach ihrem Tod mit gutem Essen und viel Sex. Dass es später mal besser würde, muss für viele Menschen immer noch übersetzt werden in „Urlaub all inclusive“ mit der ganzen Familie oder ganz und gar ohne sie. Das Jenseits als bloße Gottesnähe schätzen zu können, ist bereits ein Schritt in die Abstraktion, den nur aufgeklärte Geister zu gehen vermögen.
Den Gott, der mit Moses, Mohammed und Matthäus in Worten gesprochen hat, ihn gibt es wohl nur in der Schrift. Das helle Licht am Ende des Tunnels, das viele Nahtodberichte erwähnen, endet vermutlich im Erlöschen. Es mag eine quälende Vorstellung sein, dass die Persönlichkeit beim Sterben vergeht, aber will man wirklich alle Seiten seines Charakters in die Ewigkeit hineinschleppen? Nein, natürlich nur die guten – nicht die Ängste, die Süchte, die Zweifel. Man will genauso wenig seine Fehler behalten, wie man mit Geisterstimme „O du fröhliche“ im Chor singen will. Doch was bliebe dann noch von uns selbst und unserem Charakter nach solch einer End-Erlösung? Also Himmel ade! Wahrscheinlich müssen wir uns damit begnügen, dass die Energie, die unser Wesen entfacht, bereichert und beendet hat, zurückfließt zu der Energie, von der sie kam und in der sie fortwirkt.
Das Leben besteht höchstens zu fünf Prozent aus Glück. Wen in den übrigen 95 Prozent die Hoffnung nicht verlässt, der hat Glück. Und für die Hoffnung ist Religion sehr hilfreich. Deshalb kann sie auch nicht anerkennen, dass unterm Strich diejenigen das größte Glück hatten, die rechtzeitig abgetrieben wurden, weil ungefragt geboren zu werden die bei weitem größere Zumutung ist, mit der die meisten Menschen bis an ihr Ende nicht zurechtkommen. Das gibt aber kaum jemand zu, am wenigsten vor sich selbst. Man arrangiert sich, kämpft, siegt, verliert, und so vergeht dann das Leben mehr oder weniger abwechslungsreich und am besten: fest – im Glauben oder im Unglauben, das kann beides eine Hilfe sein. Der Glaube versetzt Berge und die Heiden in Schrecken, aber erst das Bewusstsein, sich keiner anderen als der eigenen Macht verantworten zu müssen, hat den Schurken der Geschichte ihre Kraft und ihre Überzeugungskraft verliehen. Ob die monotheistischen Religionen mehr genutzt oder mehr geschadet haben, das ist umstritten und wegen der Seelenqual und des Seelenheils jedes Einzelnen auch schwieriger zu entscheiden als die Schuld einer untreuen österreichischen Majorsgattin am Ersten Weltkrieg.
Wenn sich aber, wie 2012 geschehen, der amerikanische Präsident demütig dafür entschuldigt, dass „aus Versehen“ ein paar Korane verbrannt worden sind und die fanatisierten Horden dennoch weitertoben, dann weist das wieder auf das längst Bewiesene hin, darauf nämlich, wie wenig das westliche Modell persönlicher Freiheit und Verantwortung innerhalb einer Demokratie in Ländern auf Verständnis stößt, in denen die Religion oder die Partei herrscht. Wo Bildungsferne Prinzip ist, liegt Einsicht in weiter Ferne.
Alle Korane einsammeln und verbrennen und dann Afghanistan endgültig verlassen! Alle amerikanischen Bibeln verbrennen und abwarten, welcher Republikaner am lautesten kreischt. Alle Kernkraftwerke weltweit abschalten und zusehen, wie der CO2-Ausstoß die Pole zum Schmelzen bringt und als Nächstes die islamistischen Malediven im Meer versinken. Erst Syrien wegbombardieren, dann den Iran, oder umgekehrt. Als Gegengewicht in Jerusalem den Eisbeinzwang einführen. Über Nordkorea eine Coca-Cola-Fabrik abwerfen, mitten in die Atomanlagen. Trump eine zweite Amtszeit geben, deutsche Touristen auf die Krim schicken, die Türkei zum EU-Mitglied machen. Die Welt bricht auseinander. Macht doch nichts! Dann schickt Gott mich eben auf die nächste Achterbahn.
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Wenn man tatsächlich glaubte, diese simplifizierende Bewusstseinsstufe der Menschheit hätten wir ein für alle Male hinter uns gelassen, wurde man spätestens am Wochenende mit den Nachrichten aus Charlottesville wieder zurück in die Realität geholt. Dumme, engstirnige, gestrige Menschen wird es wohl leider Gottes(!) immer und immer wieder geben. Ob die Welt auseinander bricht weiss ich nicht; viel besser wird’s jedenfalls auch nicht mehr werden.
Bibel, Koran, Tora und Talmud, das Daodejing, alle Ausgaben vom Wachturm, alle Bücher von Herrn Hubbard… es gehört alles verbrannt! Wir haben’s Jahrhunderte lang mit Religion versucht. Vielleicht geben wir endlich mal dem Atheismus seine lange verdiente Chance. Ein Versuch wäre es wohl wert.
Ich bin zwar auch überhaupt kein Anhänger von Religion (über Extremismus, Fanatismus und Terror brauch man natürlich gar nicht erst diskutieren), allerdings sollte man in Zeiten von ISIS und auch von fanatischen Bible Belt Evangelikalen vielleicht eher versuchen deeskalierend zu argumentieren, anstatt weiter gegeneinander zu reden. Wenn jeder den anderen in Ruhe lassen würde, wäre uns ja allen geholfen. Aber vielleicht kann man sich im Angesicht der auseinanderbrechenden Welt und der anhaltenden Trumpisierung wirklich nur noch auf den guten alten Sarkasmus verlassen. Hmmmm…
Bücherverbrennung stört mich etwas; hat so ein bisschen was von Ketzer-Verbrennung oder Hitler-Seligkeit. Ich bekomme Angst, dass, was verbrannt wird, ewig lebt.
Lieber Hanno,
dein „Rundumschlag“ gefällt mir sehr gut. Diesmal ganz Ironie. Oder habe ich sie überlesen, weil deine Meinung sehr nahe an meine heranreicht? Religion ist eine Bewegung, die von weisen Männern oder von Ich-will-Macht-Habenden gegen die ständig wechselnden Könige, Kaiser, Kanzler, Kalife ins Leben gerufen wird. Menschen wollen einem Leiter und Lenker folgen, seine Weisungen für gut und richtig halten und immer glauben. Sie wollen nicht ständig von der Politik in wechselnde Richtungen geschickt werden. Derzeitig machen es sich viele einfach, die keiner Religion folgen. Sie folgen Trump, Erdogan, Putin und sind von der Bewegung dieser Machthabenden enttäuscht. Sie haben keine Lust sich selbst mit Politik zu befassen und Verantwortung für ihr Handeln und ihre Meinung zu übernehmen. Lieber meckern sie und suchen Schuldige für ihr eigenes Elend bei anderen. Wir leben in einer Demokratie, die hart erarbeitet werden musste. Sie ist kein Ruhekissen. Sie bedarf der Aufmerksamkeit, Pflege und Fortsetzung.
Das abschliessende Fazit kann man wohl nur unterstreichen. Wer (weiterhin) in einer Demokratie leben will, muss dafür kämpfen, dass demokratische Werte und Ansichten erhalten bleiben. Wer sich zu lange zurücklehnt erlebt mitunter böse Überraschungen.
Allerdings sind die Trump-, Erdogan und Putin-Anhänger doch gerade die, die einer Religion angehören. Nicht anders herum. Die streng konservativen Evangelikalen waren doch eine bedeutende Wählerschaft von Herrn Trump, weil sie dachten, dass er zu viel Liberalismus und Multikulti verhindern bzw. umkehren könnte. Erdogan tritt als erster hochrangiger Politiker seit langem als öffentlich gläubiger Muslim auf. Die russisch-orthodoxe Kirche und der Kreml sind untrennbar verbunden. Ich würde also eher sagen, dass streng gläubige Menschen, die ihr ganzes Leben nichts anderes kennengelernt haben als blind zu folgen, diejenigen sind, die lieber meckern und Schuldige für ihr eigenes Leid bei anderen suchen. Oder liege ich hier völlig falsch?
Ja, und nicht alle Gesellschaften sind reif dafür. Mein Misstrauen ist genauso groß wie meine Hoffnungen.
Korrektur des 2. Satzes: Diesmal ganz OHNE Ironie.
Wie konnte das passieren?
Siegmund Freud sich.
Komisch. Das „Ohne“ habe ich mitgelesen. Dass es da nicht stand, habe ich erst durch Deine Korrektur bemerkt. Clara Bernauer hat recht. Bei mir ist wohl ein bisschen Sarkasmus im Spiel. Will ich gar nicht; kommt halt so …