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Religion

Gottesliebe

Bild: Albrecht Dürer/Wikimedia Commons

Immer wieder höre ich vom Glauben abgefallene Menschen sagen: „Gott hat Auschwitz zugelassen“, „Gott hat den Tod meines Sohnes zugelassen“, „Gott hat die Überschwemmung sonst wo nicht verhindert, nun glaube ich nicht mehr an ihn.“ – Warum nicht? Um Gott zu bestrafen oder wieso? Dass das kein ‚lieber Gott‘ ist, mit dem wir es zu tun haben, wissen wir doch spätestens seit der Sintflut.

Bild: Michelangelo di Lodovico Buonarroti Simoni/Wikimedia Commons

Gott hat uns nach seinem Ebenbild geschaffen. Weshalb eigentlich? Um sich oder um uns eine Freude damit zu machen? Er hat uns den freien Willen gegeben, sollten wir den aber dazu nutzen, vom Baum der Erkenntnis zu kosten oder mit unserem Fortpflanzungstrieb auch ohne Fortpflanzungsabsicht fantasievoll umzugehen, diesem Trieb, den er uns in die Wiege gelegt hat, dann regnet es schon mal dreihundert Tage lang am Stück oder – wie in Sodom – gleich Pech und Schwefel.

Bild: John Martin/Wikimedia Commons

Nun liebt Gott die Menschen andererseits doch so sehr, dass er ein Stück von sich seinen Sohn nennt und dieses Stück unter Zuhilfenahme einer Jungfrau geboren werden und ans Kreuz schlagen lässt, um durch diesen freundlichen Akt den Menschen ihre Fehltritte vergeben zu können. Lange hält es der Teil Gottes, den er seinen Sohn nennt, im Grab nicht aus: Er geistert noch ein bisschen durch Judäa, zeigt dem ungläubigen Thomas, der auf Beweisen besteht, sogar gutmütig die Einschläge der Nägel in seinen Händen, um dann endlich wieder zum Pater Noster in den Himmel auffahren zu dürfen. Etwas spät, gütiger Gott! Aber immerhin: Mission erfüllt. Gut gemacht, Jesus! Katholiken essen seither gern sein Fleisch, sein Blut trinkt nur der Geistliche. Unkannibalischerweise besteht die Mahlzeit Gott sei Dank nur aus Oblaten- und Wein-Verzehr (vorher unsichtbar gewandelt). Protestanten dürfen sich darauf beschränken, das Abendmahl in Jesu Angedenken einzunehmen. Doch auch sonst ist der Gott Abrahams lebhaft am Speisezettel der Menschen interessiert: Er will nicht, dass Juden Parmaschinken essen, verbietet Mohammedanern den Verdauungsschnaps, und Christen sollen freitags, streng genommen, auch bloß Hummer und Seezunge essen, auf Eisbein und Leberwurst aber verzichten. Sexualität ohne Kinderwunsch kann er ja sowieso nicht leiden, und in einigen Glaubensausrichtungen wirft er auch noch ein kritisches Auge auf die Textilien.

Bild: Frans Pourbus (II)/Wikimedia Commons

Christi Tod scheint nur rückwirkend verzeihende Funktion zu haben, denn den Nachgeborenen werden bei schuldhaftem Verhalten Fegefeuer und Hölle in Aussicht gestellt: Für deren Ausgestaltung brachten die Menschen immer schon viel Liebe zum Detail auf, während der Himmel nur aus Wolken (zum Hinsetzen) oder aus einem hübschen Garten (zum Lustwandeln) besteht. Allenfalls fallen dort über selbstzerfetzte Gotteskrieger Jungfrauen her. Wollen die wirklich alle Kinder, oder darf man nach dem Tod endlich das tun, was vorher verboten war? Gefahrlos sündigen, ohne dass es so heißt.

Bild: Jan van Eyck/Wikimedia Commons

Dafür heißt es, man träfe im Himmel seine Freunde und Verwandten wieder. Na, wenn da mal nicht einige in der Hölle gelandet sind! Speziell für Reiche wird es problematisch, denn die kommen nicht ganz so einfach in den Himmel wie ein Kamel durchs Nadelöhr. Spitzfindige behaupteten: Das ‚Nadelöhr‘ war der Name des engsten Stadttores von Jerusalem, was Begüterten doch noch gewisse Chancen eingeräumt hätte. Von dieser Deutung ist die Religionswissenschaft inzwischen wieder abgekommen. Das macht es völlig unverständlich, wieso es fromme Millionäre gibt.

Bild: Francesco Botticini/Wikimedia Commons

Wie eng die irdische Bindung gewesen sein muss, um sich dereinst im Jenseits wiederzutreffen, bleibt unklar. Wen will man denn überhaupt unter den veränderten Umständen noch sehen? Mit wem ist ein Gedanken- oder sonstiger Austausch wünschenswert? Womöglich liegt manchem doch mehr an seinem treuen Hund oder seinem niedlichen Goldhamster. Oder haben Tiere bloß Anspruch auf Verwesung? Und was, wenn ich jemanden wiedersehen will, der aber inzwischen schon lustigere Bekanntschaften gemacht hat? Besonders Enkeln wird gern erzählt, die ‚Omma‘ gucke nun von oben immer runter. Was für eine gruselige Idee für beide: Großmutter und Kind!

Dann heißt es wieder, die ganze Angelegenheit werde sowieso erst beim Jüngsten Gericht entschieden. Bis dahin verweilen Auserwählte komfortabel in ihrem Mausoleum, was einen Reichtum voraussetzt, der das Nadelöhr recht bedrohlich erscheinen lässt; weniger Begünstigte verharren derweil als Asche in ihren Urnen.

Bild: Lucas Cranach d. Ä./Wikimedia Commons

Alles viel zu menschlich gedacht! So pampig darf ich die Letzten Dinge nicht angehen. Ein Mysterium ist genauso ein Mysterium, wie eine Rose eine Rose ist. Na schön. Aber wieso verspricht dann der Stellvertreter des Stellvertreters Gottes auf Erden trauernden Hinterbliebenen, die Toten seien nur schon mal vorausgegangen, bald sähen sie die alle wieder. Können Päpste lügen? Na ja, wenn solch holde Einfalt den Trauernden hilft, dann sollen sie glauben, was ihren Schmerz lindert. Warum nicht. Tut ja keinem weh, seit man zum Glauben nicht mehr mittels Folter gezwungen wird. Trotzdem passt das alles nicht zusammen, wenn man sich selbst mal zwingt, nüchtern zu denken, statt beschwipst zu glauben. Wollen viele aber nicht. Zweifellos ist zu glauben schöner, solange man sich nicht schämt oder fürchtet: Gottes Liebe, Gottes Güte – aber dann: Gottes Vorhersehung, die doch schon alles weiß und trotzdem Unbotmäßiges bestraft – wo bleibt da der freie Wille, fragten sich bereits heimlich die ersten Freigeister, als das noch verboten war. Gott kann doch nicht überrascht gewesen sein von Adams Wunsch nach Erkenntnis (die Süßfrucht mal beiseitegelassen). Und wie sich Hiob und Abraham entscheiden würden, muss dem Allmächtigen auch klar gewesen sein, bevor er sie piesackte: Wozu Versuchskaninchen malträtieren, wenn ich das Ergebnis schon kenne?

Bild: Albrecht Dürer/Wikimedia Commons

Und mehr noch: Warum den Allwissenden damit überfordern, zu ihm zu beten? Soll er wirklich auf meine Gebete hin den Lauf der Dinge, wie er sie plant oder zumindest weiß, ändern? Und wenn ich nun um Sonne für meinen Meeresurlaub flehe, aber der Küstenbauer bettelt um Regen? Wie entscheidet er sich dann? Schon der deutsche Kaiser hat mit Gottes Hilfe, Pauken und Trompeten den Ersten Weltkrieg begonnen und verloren. Wir sind ja inzwischen zivilisierter als der Vegetarier Kain, der, als seine Gebete nicht erhört wurden, vor Wut gleich seinen Bruder, den Metzger Abel umbrachte. (Dann fragt Gott auch noch scheinheilig: „Kain, wo ist dein Bruder Abel?“, und schließt dennoch den neuen Bund mit dem Mörder.)

Bild: Tiziano Vecelli/Wikimedia Commons

„Gott ist tot“, rief Nietzsche ziemlich verzweifelt aus. Aber ich sage: „Gott kann nicht tot sein.“ Er kann nicht tot sein, weil er nie gelebt hat. Gott als ‚Lebewesen‘ zu bezeichnen, grenzt an Blasphemie. Es bedurfte eigentlich keines Kopernikus’ oder Darwins, um sich klar zu machen, dass all diese Geschichten überwiegend schaurige und teilweise nette Märchen sind. Nehmen wir das also alles symbolisch – was der Katholizismus ausdrücklich verbietet! –, dann bleibt manch Kluges und manch Tröstliches: die Hoffnung auf Vergebung, auf Auferstehung (aber bitte nicht des Fleisches), auf ewigen Frieden (wird das vielleicht etwas langweilig?). Gnade, diese liebenswerte Form von Willkür – sie möge uns Sündern allen zuteilwerden. Und Barmherzigkeit funktioniert sogar ohne Gott. Oder hat er sie (manchen von) uns eingepflanzt? Die Sehnsucht ist schon die Verheißung!

23 Kommentare zu “Gottesliebe

  1. Ich kann mit religiösen Feiertagen so wenig anfangen. Wenn die Menschen beim Eiersuchen Freude haben ist das natürlich wunderbar 😉

    1. Ostern ist immerhin der wichtigste aller christlichen Feiertage. Da darf und muss man schon einmal tolerant sein und die Gläubigen glauben lassen.

      1. Völlig wahr. Anders herum frage ich mich allerdings ab und an wie tolerant die Kirche gegenüber Andersgläubigen (oder Nichtgläubigen) ist.

      1. Den Papst jedenfalls gibt es. Und wenn er etwas sagt, dann wird das weltweit publiziert: ein Influenzer, der ganz ausgefallene Forderungen an die Menschheit stellt. Im allgemeinen laufen sie darauf hinaus, dass der Papst mahnt, seid nicht böse, sondern gut1Wenn sich trotzdem nichts ändert, hat Gott die weisen Worte seines Stellvertreters wohl genauso wenig beherzigt wie der Rest der Welt. Aber gut, dass er mal drüber gesprochen hat.

      2. Steht eigentlich irgendwo in der Bibel etwas von Päpsten? Oder hat sich die Menschheit selbst ausgedacht, dass ein Stellvertreter Gottes was Feines wäre?

      3. Ja, https://www.gotquestions.org/Deutsch/papst-papsttum.html ist lesenswert. Aber natürlich geht der Text wie bei allen Ideolgien davon aus, dass die Idee als solche richtig sei: die Bogia-Päpste, Marx, Hitler und Stalin haben das jeweils wundervolle System bloß durch ihr Handeln korrumpiert. Der Lehre schadet das nicht. Knabenschänderische Priester sind da sehr hilfreich: Sie zu verurteilen lenkt schön ab von der Frage, ob die ganze Institution überhaupt noch etwas taugt.
        Nach „Glauben“ kann man genauso süchtig werden wie nach Heroin. Allerdings finde ich einen Junkie besser einzuschätzen als einen Selbstmordattentäter.

    1. Gar keine so dumme Frage. Der unglaubliche Reichtum der Kirche gegenüber dem Leid und den hungernden Menschen in der Welt hat jede Nachvollziehbarkeit verloren. Von den Unmengen an Missbrauchsfällen will ich gar nicht erst reden.

    2. Beim Osterfest geht es allerdings um den Glauben. Under der basiert nunmal auf der Kreuzigung Christi und der Idee, dass Jesus für unser aller Sünden gestorben ist. Das ist erst einmal völlig unabhängig von der Institution Kirche.

      1. Die Idee, dass jemand anderes für meine „Sünden“ gestorben sei, ist sehr beruhigend. Schöner sogar als die Beichte, in der ich ja noch selber zu bereuen habe. Dass Gott die Reinwaschung sogar am eigenen Leib erledigt hat – mit Judas‘ Hilfe und mit der Opferbereitschaft des „Sohn“ genannten Teils von ihm – das ist doch bemerkenswert. Noch besser wäre es bloß gewesen, wenn Gott seine Kreaturen effektiver programmiert hätte, aber das schien ihm auf die Dauer wohl zu langweilig.

  2. Dass die Kirche eben nicht akzeptiert, dass diese Geschichten symbolisch gemeint sind, ist schon absurd. Man müsste eben nicht mehr gegen die Wischenschaft anglauben, sondern könnte sich auf die essentielle Botschaft der Liebe, des Für- und Miteinander konzentrieren.

  3. In dem Zusammenhang kommt mir auch gleich wieder die Frage um Notre Dame in den Sinn. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich finde es wunderbar, dass ein erstmal schlimmes Ereignis Menschen motivieren kann Gutes zu tun, Geld zu spenden etc. Aber was für eine Macht solch ein Symbol wie Notre Dame hat, ist schon beeindruckend.

  4. Der Absatz gefällt mir besonders: „Besonders Enkeln wird gern erzählt, die ‚Omma‘ gucke nun von oben immer runter. Was für eine gruselige Idee für beide: Großmutter und Kind!“ Aus der Sichtweise habe ich das ehrlich gesagt noch nicht gehört. Aber wie logisch!

  5. Ich habe nach wie vor ein Problem damit, dass eine Religion Liebe durch Furcht und Unterdrückung lehren will. Da passt doch etwas vorne und hinten nicht zusammen.

  6. „Gott hat Auschwitz zugelassen“ hieße dann als Rückschluss aber auch irgendwie, dass wir Menschen gar nicht verantwortlich sind. Nach dem Mott: Gott hätte es ja verhindern können, wenn’s wirklich so schlimm ist. So einfach ist das aber nicht.

  7. Noch absurder ist es doch fast, dass wir eigentlich ganz genau wissen wie wenig Logik in unserem Glauben mitspielt. Wer besonders vehement gegen die Logik anglaubt, bekommt Sonderpunkte.

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