Triple-Edinburgher mit Ketchup
1. Kapitel: 1971
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Triple-Edinburgher mit Ketchup
#1.1 Abschiebehaft
Meine Freundin Anette Kanngießer mailte mir nach Meran, dass sie in der folgenden Woche nach Edinburgh fliegen werde. Ich mailte zurück, an Edinburgh habe ich auch ein paar Erinnerungen. „Schick sie mir doch“, schlug Anette vor, „dann kann ich mich auf dem Flug schon mal einlesen.“ Nun ist die ‚Mail‘ fertig, mit ein paar Monaten Verspätung: keine Einstimmung mehr, sondern ein Ausklang.
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Triple-Edinburgher mit Ketchup
#1.2 Misstrauen
Als ich das nächste Mal wegmusste aus Berlin, sollte es für immer sein, dieses Mal allerdings zusammen mit meinen inzwischen verheirateten Eltern, 1953. Mein Vater würde in Hamburg mehr Geld verdienen, meine Mutter fühlte sich in Westberlin sowieso eingekesselt, und ich weinte.
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Triple-Edinburgher mit Ketchup
#1.3 Unsere Epoche
Als ich zum dritten Mal wegsollte, war es meine Schuld – in gewisser Weise. Ich hatte bei der Prüfung zum ‚Industriekaufmann‘ so gut abgeschnitten, dass mir laut Statuten ein Auslandsjahr gewährt wurde. Nach den paar Semestern Jura und dem scheinbar berufshinderlichen Kompositionsstudium hatte ich bei der ‚Deutschen Grammophon‘ als Spätlehrling Unterschlupf gefunden.
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Triple-Edinburgher mit Ketchup
#1.4 Very hot
Später, als ich dann wieder zurück war in Hamburg, erschien es mir wie ein fast nahtloser Übergang. Aber das stimmte nicht. Neue Freundschaften, neuer Ehrgeiz – ich hatte mich gehäutet ...
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Triple-Edinburgher mit Ketchup
#1.5 Vom Grenzgänger zum Groupie
Meine Eltern waren auf den Bahamas, um sich dort eventuell ein Grundstück zuzulegen; Harald malte sicher gemütlich im Keller seiner Eltern; Tine fing an, sich für den Abend zu schminken. Oder meine Eltern waren über dem Atlantik abgestürzt, Harald die Kellertreppe runtergefallen, und Tine hatte sich am Lippenstift verschluckt.
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Triple-Edinburgher mit Ketchup
#1.6 Im Graben
Am Montagmorgen holte mich George Wishard ab, und dass ich seinen Namen nach siebenundvierzig Jahren immer noch, ohne nachzuschlagen, mühelos aus meinem Gedächtnis kramen kann, während ich überlegen muss, wie die deutsche Umweltministerin heißt oder der Schauspieler, der im vorletzten Tatort der Täter war, zeugt davon, welche durchgreifende Rolle George Wishard in meinem Leben gespielt hat.
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Triple-Edinburgher mit Ketchup
#1.7 Die große Welt
Am Dienstag musste ich mit dem Zug nach Glasgow, so dass mir Edinburgh auf Anhieb nachträglich hübsch vorkam, am Mittwoch und Donnerstag war ich, immer von meinem Hotel aus, anderweitig unterwegs. Aus St. Andrews, der Wiege des Golfs, brachte ich als vorausgeplante Weihnachtsüberraschung meinem Vater einen Stich von längst toten Spielern mit. Mehr konnte ich in dieser Hinsicht nicht für ihn tun.
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Triple-Edinburgher mit Ketchup
#1.8 In vollen Zügen
Am Sonntag war ich mit Jennipher, über die ich ausnahmsweise mal keine Lust habe, viel zu sagen, im Zoo; am Montag begann meine letzte Vertreterwoche, mit dem Mann für London, Brian. Er war so liebenswürdig, mich abends immer zu meiner Wohnung zu fahren, nur am Donnerstag nicht, weil er da eine Verabredung hatte.
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Triple-Edinburgher mit Ketchup
#1.9 Douglas
So lief das 1971 bei mir. Genauer: lief nicht. Trotzdem war ich verwegen genug, den Sommer über an den Samstagabenden über den Hampstead Heath zu steigen und den Pub ‚King George IV‘ anzusteuern. Allerdings nicht, ohne vorher als Mutmacher ein oder zwei Martinis getrunken zu haben.
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2. Kapitel: 1973
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Triple-Edinburgher mit Ketchup
#2.1 Pali
Wenn etwas schiefgegangen ist, gibt man auf oder versucht es nochmal. Beides erfordert Weisheit. Den Weltkrieg umzukehren, wie es mein Großvater nach dem Ersten beim ‚Stahlhelm‘ probiert hat oder einige SS-Offiziere nach dem Zweiten von Südamerika aus, das ist töricht. Nach gescheiterten Probeaufnahmen und blöden Werbespots weiter zu versuchen, Star zu werden, wie es James Dean und Marylin Monroe getan haben, kann sich auszahlen.
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Triple-Edinburgher mit Ketchup
#2.2 Erwischt
Meine Lehrzeit zwischen Fabrik, Lager und Buchhaltung, zwischen Praxis und Theorie also, plus all der ‚Siemens‘-Lehrgänge in Volkswirtschaft, Betriebswirtschaft und Jura hatten mich gegenüber unterschiedlichsten Fakten und Menschen gestählt, und meine paar Monate Großbritannien verliehen mir den Duft der großen, weiten Welt.
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Triple-Edinburgher mit Ketchup
#2.3 Gast ohne Einladung
Das Hotelzimmer, das ich am Samstag, dem 25. August, bezog, hob sich bereits ein wenig von meiner Unterkunft vor zwei Jahren ab. Jennipher kam gegen sechs mit ihrem Freund Robin zu mir in die Bar auf einen Scotch. Ihr Freund war Product Manager bei ‚CBS‘, und auf deren Ebene war eine solche Liaison wohl möglich. Die Präsidenten der beiden unterschiedlichen Schallplatten-Unternehmen hätten vermutlich kaum miteinander geschlafen.
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Triple-Edinburgher mit Ketchup
#2.4 Menschenblut
Am Sonntagvormittag holte mich Robert Leslie ab. Er unterhielt freiberuflich für die ‚Deutsche Grammophon‘ UK die Kontakte zu Künstlern und Journalisten. Robert war witzig, intrigant und so sehr ‚Tunte‘, dass ich dieses Wort ausnahmsweise benutzen muss. Angezogen war er immer grässlich, aber was er sagte und welches Gesicht er dazu machte, war doch aufsehenerregender als sein Textil-Geschmack.
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Triple-Edinburgher mit Ketchup
#2.5 Ganz in Rot
Am Dienstag hatte Peter Russel ein Treffen im ‚Forage & Chatter‘ mit den beiden wichtigsten Händlern vor Ort arrangiert, und ich fand, dass es für die Verträglichkeit der Schotten sprach, dass die Konkurrenten nicht gegeneinander kämpften, sondern miteinander speisten
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3. Kapitel: 1988
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Triple-Edinburgher mit Ketchup
#3.1 Die Reisemutter
Fünfzehn Jahre sind eine lange Zeit. Oder eine kurze. Heute kommt mir das Jahr 2003 gar nicht so weit weg vor. Zwischen 1973 und 1988 lagen Welten.
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Triple-Edinburgher mit Ketchup
#3.2 Die besten aller Welten
Das Schicksal ist, glaube ich, eine Institution, die sich rasch langweilt, und dann schlägt es zu und zeigt den Sterblichen, dass sie nicht zu ihrem Vergnügen durch den Irrgarten des Lebens laufen. Im Juni 1987, kurz nach der opulenten Feier meines einundvierzigsten Geburtstags, wurde bei Roland ein Lungentumor festgestellt und dass er HIV-positiv war. Ihm wurde die halbe Lunge entfernt, mir meine ganze Unbekümmertheit.
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Triple-Edinburgher mit Ketchup
#3.3 Wissenswertes über Edinburgh
Drei Jahre später: 1975, das Jahr, an dessen Ende ich Roland bekommen hatte, hatte ich zu Anfang eine Filmkamera bekommen. Meine Eltern konnten nicht ahnen, dass nun alljährlich ein Jahresfilm auf sie einstürmen würde, mit immer verstörenden Schnitten und Vertonungen.
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#1.1 Abschiebehaft
Meine Freundin Anette Kanngießer mailte mir nach Meran, dass sie in der folgenden Woche nach Edinburgh fliegen werde. Ich mailte zurück, an Edinburgh habe ich auch ein paar Erinnerungen. „Schick sie mir doch“, schlug Anette vor, „dann kann ich mich auf dem Flug schon mal einlesen.“ Nun ist die ‚Mail‘ fertig, mit ein paar Monaten Verspätung: keine Einstimmung mehr, sondern ein Ausklang.
weiterlesen#1.2 Misstrauen
Als ich das nächste Mal wegmusste aus Berlin, sollte es für immer sein, dieses Mal allerdings zusammen mit meinen inzwischen verheirateten Eltern, 1953. Mein Vater würde in Hamburg mehr Geld verdienen, meine Mutter fühlte sich in Westberlin sowieso eingekesselt, und ich weinte.
weiterlesen#1.3 Unsere Epoche
Als ich zum dritten Mal wegsollte, war es meine Schuld – in gewisser Weise. Ich hatte bei der Prüfung zum ‚Industriekaufmann‘ so gut abgeschnitten, dass mir laut Statuten ein Auslandsjahr gewährt wurde. Nach den paar Semestern Jura und dem scheinbar berufshinderlichen Kompositionsstudium hatte ich bei der ‚Deutschen Grammophon‘ als Spätlehrling Unterschlupf gefunden.
weiterlesen#1.4 Very hot
Später, als ich dann wieder zurück war in Hamburg, erschien es mir wie ein fast nahtloser Übergang. Aber das stimmte nicht. Neue Freundschaften, neuer Ehrgeiz – ich hatte mich gehäutet ...
weiterlesen#1.5 Vom Grenzgänger zum Groupie
Meine Eltern waren auf den Bahamas, um sich dort eventuell ein Grundstück zuzulegen; Harald malte sicher gemütlich im Keller seiner Eltern; Tine fing an, sich für den Abend zu schminken. Oder meine Eltern waren über dem Atlantik abgestürzt, Harald die Kellertreppe runtergefallen, und Tine hatte sich am Lippenstift verschluckt.
weiterlesen#1.6 Im Graben
Am Montagmorgen holte mich George Wishard ab, und dass ich seinen Namen nach siebenundvierzig Jahren immer noch, ohne nachzuschlagen, mühelos aus meinem Gedächtnis kramen kann, während ich überlegen muss, wie die deutsche Umweltministerin heißt oder der Schauspieler, der im vorletzten Tatort der Täter war, zeugt davon, welche durchgreifende Rolle George Wishard in meinem Leben gespielt hat.
weiterlesen#1.7 Die große Welt
Am Dienstag musste ich mit dem Zug nach Glasgow, so dass mir Edinburgh auf Anhieb nachträglich hübsch vorkam, am Mittwoch und Donnerstag war ich, immer von meinem Hotel aus, anderweitig unterwegs. Aus St. Andrews, der Wiege des Golfs, brachte ich als vorausgeplante Weihnachtsüberraschung meinem Vater einen Stich von längst toten Spielern mit. Mehr konnte ich in dieser Hinsicht nicht für ihn tun.
weiterlesen#1.8 In vollen Zügen
Am Sonntag war ich mit Jennipher, über die ich ausnahmsweise mal keine Lust habe, viel zu sagen, im Zoo; am Montag begann meine letzte Vertreterwoche, mit dem Mann für London, Brian. Er war so liebenswürdig, mich abends immer zu meiner Wohnung zu fahren, nur am Donnerstag nicht, weil er da eine Verabredung hatte.
weiterlesen#1.9 Douglas
So lief das 1971 bei mir. Genauer: lief nicht. Trotzdem war ich verwegen genug, den Sommer über an den Samstagabenden über den Hampstead Heath zu steigen und den Pub ‚King George IV‘ anzusteuern. Allerdings nicht, ohne vorher als Mutmacher ein oder zwei Martinis getrunken zu haben.
weiterlesen#2.1 Pali
Wenn etwas schiefgegangen ist, gibt man auf oder versucht es nochmal. Beides erfordert Weisheit. Den Weltkrieg umzukehren, wie es mein Großvater nach dem Ersten beim ‚Stahlhelm‘ probiert hat oder einige SS-Offiziere nach dem Zweiten von Südamerika aus, das ist töricht. Nach gescheiterten Probeaufnahmen und blöden Werbespots weiter zu versuchen, Star zu werden, wie es James Dean und Marylin Monroe getan haben, kann sich auszahlen.
weiterlesen#2.2 Erwischt
Meine Lehrzeit zwischen Fabrik, Lager und Buchhaltung, zwischen Praxis und Theorie also, plus all der ‚Siemens‘-Lehrgänge in Volkswirtschaft, Betriebswirtschaft und Jura hatten mich gegenüber unterschiedlichsten Fakten und Menschen gestählt, und meine paar Monate Großbritannien verliehen mir den Duft der großen, weiten Welt.
weiterlesen#2.3 Gast ohne Einladung
Das Hotelzimmer, das ich am Samstag, dem 25. August, bezog, hob sich bereits ein wenig von meiner Unterkunft vor zwei Jahren ab. Jennipher kam gegen sechs mit ihrem Freund Robin zu mir in die Bar auf einen Scotch. Ihr Freund war Product Manager bei ‚CBS‘, und auf deren Ebene war eine solche Liaison wohl möglich. Die Präsidenten der beiden unterschiedlichen Schallplatten-Unternehmen hätten vermutlich kaum miteinander geschlafen.
weiterlesen#2.4 Menschenblut
Am Sonntagvormittag holte mich Robert Leslie ab. Er unterhielt freiberuflich für die ‚Deutsche Grammophon‘ UK die Kontakte zu Künstlern und Journalisten. Robert war witzig, intrigant und so sehr ‚Tunte‘, dass ich dieses Wort ausnahmsweise benutzen muss. Angezogen war er immer grässlich, aber was er sagte und welches Gesicht er dazu machte, war doch aufsehenerregender als sein Textil-Geschmack.
weiterlesen#2.5 Ganz in Rot
Am Dienstag hatte Peter Russel ein Treffen im ‚Forage & Chatter‘ mit den beiden wichtigsten Händlern vor Ort arrangiert, und ich fand, dass es für die Verträglichkeit der Schotten sprach, dass die Konkurrenten nicht gegeneinander kämpften, sondern miteinander speisten
weiterlesen3. Kapitel: 1988
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Triple-Edinburgher mit Ketchup
#3.1 Die Reisemutter
Fünfzehn Jahre sind eine lange Zeit. Oder eine kurze. Heute kommt mir das Jahr 2003 gar nicht so weit weg vor. Zwischen 1973 und 1988 lagen Welten.
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Triple-Edinburgher mit Ketchup
#3.2 Die besten aller Welten
Das Schicksal ist, glaube ich, eine Institution, die sich rasch langweilt, und dann schlägt es zu und zeigt den Sterblichen, dass sie nicht zu ihrem Vergnügen durch den Irrgarten des Lebens laufen. Im Juni 1987, kurz nach der opulenten Feier meines einundvierzigsten Geburtstags, wurde bei Roland ein Lungentumor festgestellt und dass er HIV-positiv war. Ihm wurde die halbe Lunge entfernt, mir meine ganze Unbekümmertheit.
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Triple-Edinburgher mit Ketchup
#3.3 Wissenswertes über Edinburgh
Drei Jahre später: 1975, das Jahr, an dessen Ende ich Roland bekommen hatte, hatte ich zu Anfang eine Filmkamera bekommen. Meine Eltern konnten nicht ahnen, dass nun alljährlich ein Jahresfilm auf sie einstürmen würde, mit immer verstörenden Schnitten und Vertonungen.
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#3.1 Die Reisemutter
Fünfzehn Jahre sind eine lange Zeit. Oder eine kurze. Heute kommt mir das Jahr 2003 gar nicht so weit weg vor. Zwischen 1973 und 1988 lagen Welten.
weiterlesen#3.2 Die besten aller Welten
Das Schicksal ist, glaube ich, eine Institution, die sich rasch langweilt, und dann schlägt es zu und zeigt den Sterblichen, dass sie nicht zu ihrem Vergnügen durch den Irrgarten des Lebens laufen. Im Juni 1987, kurz nach der opulenten Feier meines einundvierzigsten Geburtstags, wurde bei Roland ein Lungentumor festgestellt und dass er HIV-positiv war. Ihm wurde die halbe Lunge entfernt, mir meine ganze Unbekümmertheit.
weiterlesen#3.3 Wissenswertes über Edinburgh
Drei Jahre später: 1975, das Jahr, an dessen Ende ich Roland bekommen hatte, hatte ich zu Anfang eine Filmkamera bekommen. Meine Eltern konnten nicht ahnen, dass nun alljährlich ein Jahresfilm auf sie einstürmen würde, mit immer verstörenden Schnitten und Vertonungen.
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