Das Schildhorn, diese Landzunge, die in die Havel ragt, gehört zu meinen Lieblingsplätzen, seit ich das erste Mal dort war. Das war am 3. September 1987 gewesen: Ich war aus Wien eingetroffen, hatte mein Gepäck in der ‚Kempinski‘-Halle zurückgelassen und war mit Michael Zachow und seinem Freund, dem Architekten Jürgen Haug, herausgefahren aus der Stadt. Beide kannte ich durch Roland. Es war ein Abend wie Anfang August: Kähne in der Abendsonne, Lachen in der Luft. Junge Menschen, volle Tische, gutes Essen. Meine erste Reise seit Rolands Lungenoperation – der Anfang vom Ende. Vor zehn Wochen hatten wir, damals an meinem Geburtstag, auf dem Haveldampfer ‚Großer Kurfürst‘ Würstchen gegessen. Inzwischen war die Welt eingestürzt. Die Grenze zwischen Juli und August, zwischen Himmel und Hölle, zwischen friedliebendem DDR-Sacrow und ausbeuterischem West-Kladow. Nun ist Roland seit fast fünfundzwanzig Jahren tot, Michael und Jürgen sind seit vielen Jahren getrennt, aber ich wärme in einer gewissen Unerbittlichkeit immer wieder die Vergangenheit auf: Mit meinen schwedischen Freunden Bo und Ingrid war ich hier, für Giuseppe und Silke ist der Schauplatz auch nicht neu, nur Rafał kann ich noch beeindrucken, und Martin lässt einfach die Drohne fliegen, dann ist er glücklich.
Die Anlage besteht aus mehreren Gebäuden, alten und neuen, ein gläserner Pavillon, eine Jugendstil-Orangerie, hohe weiß gerahmte Fenster, ockergelbe Wände. Wir saßen am stillen Wasser auf dem Steg. Wenige Gäste, große Hitze. Einer noch krüppeliger als ich. Trägheit lag in der Luft. Das Essen kam nicht. Herrlich! Dann kam es doch. Schade.
Foto oben: Unbekannt/gemeinfrei
Foto links und rechts: Lienhard Schulz/Wikimedia Commons
Bei der Reiseplanung hatte ich die Ruhephasen fest eingeplant. Mir boten sie Gelegenheit, auf dem Hotelbett zu dösen, Silke, Zeit für sich zu haben, und Rafał, libellenartig durch die Gegend zu schwirren.
Foto: Privatarchiv H. R.
Zum ‚Einstein‘ fuhren wir mit der Taxe. Parkplätze sind rar in der Kurfürstenstraße, denn natürlich musste es das Stammhaus in Tiergartennähe sein, nicht die inzwischen bekanntere Dependance in Reichstagsnähe, wo CSU-Abgeordnete mit Umweltschützern Saftgulasch essen, wenn sie wollen, dass am nächsten Tag in der Zeitung steht: In München regiert bald Schwarz-Grün.
Foto: H. R. Privatarchiv
Das ‚Einstein‘-Stammhaus hatte sich Silke für ihr Geburtstagsessen gewünscht. Ich habe es Mitte der Siebzigerjahre durch Roland kennengelernt, und es gab kaum einen Berlin-Besuch, bei dem ich nicht im Garten oder in der ‚Bibliothek‘ dieses ‚Kaffeehauses‘ mit Freunden und Verwandten ein Essen arrangiert hätte, meistens mittags, selten abends, immer beschwingt und aufmerksam umsorgt. Anette saß schon am Zehnertisch im Hof, als wir gegen sieben eintrafen. Sie hatte den weiten Weg von Heiligensee, wo sie eine Freundin besuchte, auf sich genommen, um Silke zu gratulieren.
Fotos (2): H. R./Privatarchiv
Anette trug große Blumen im Kleid, Silke weihte ein Kleid mit üppigen Pflanzen ein, beide Kleider waren nicht kleinkariert ‚geblümt‘. Palmen in Kübeln, Linden in Reichweite. Kellner in Schwarz, Gäste in Hell, Silke in Blüten. Gediegen ist nicht langweilig, schrill ist nicht lustig. Wir sind ZDF, nicht RTL, unser Programm läuft fundiert und ohne Werbung. Michael kommt mit seinem neuen amerikanischen Ehemann Jacob, der jetzt unter seinem Pseudonym ‚Jakob‘ lebt und schreibt. Michael muss noch ein Jahr lang als Studienrat ausharren und Heranwachsende zur ‚Kunst‘ animieren, bevor er, unabhängig von Ferien und Banausen, seine Pension und seine Ehe genießen kann. Um acht kommt Silkes hübscher Neffe Fabian mit seiner hübschen Freundin Kathi und einem prachtvollen Strauß riesiger Hortensien. Ein schöner Auftritt, auch wenn ein solches Bouquet mehr für die Bühne als für die Durchreise ist. Silke, die an Dekorativem nichts auszusetzen hat, hat es mindestens so gefreut wie Gottschalks Biografie ‚Herbstblond‘, die ich ihr am Morgen beziehungsreich übergeben hatte. Nachdem von Martin genügend Beisammensein gefilmt worden war, wurde aus dem Zehner- ein Neuner-Tisch. Ich musste essen, Silke Geburtstag haben, Anette nach Heiligensee zurück, Rafał mit Giuseppe in den montäglichen Discorausch und Martin der Nacht ihre Zeitraffer abtrotzen. So ging der erste Tag zu Ende, und alle waren glücklich.
Herr Rinke, Ihnen allen beim lustvollen Würstchen-Essen zuzuschauen macht mir große Freude 😉
Habe ich auch sofort gedacht. Würstchen und Konfekt sind also die Geheimwaffen!
Schwarz-Grün in ganz Bayern… ich bin ja mal gespannt wielange das noch dauert. Die absolute Mehrheit scheint ja langsam aber sicher zu wackeln.
Das ist noch einige Jahre entfernt, wenn Sie mich fragen. Die Menschen ändern sich und ihre Sichtweisen wenn überhaupt nur langsam.
Und gerade eher nicht Richtung liberal. Aber ich lass mich gerne überraschen…
Wenn die CSU allerdings bei den momentanen 35% bleiben sollte… es wird sicherlich spannend Mitte Oktober.
Na, und nun gibt es das TV-Wahl-Duell zwischen CSU und Grünen. Das ist doch schon lange zwischen CDU und SPD das Vorgeplänkel zur Koalition gewesen!
Wird doch auch Zeit. Absolute Mehrheiten sind sicherlich nicht besonders Demokratie-förderlich.
Rund um‘s Einstein habe ich auch eine ganze Reihe gute Erinnerungen. Immer wieder gerne!
Das arme Essen kann doch nichts dafür Herr Rinke!
Ich liebe Essen. Ich krieg es nur so schwer runter. Unter Stress geht gar nichts. Beim Fernsehen alles: ein Konfekt nach dem anderen. Wie ich mich schäme!
Wenn man sich für eines nicht schämen muss, dann ist es essen.
Wenn man Fleisch von Schweinemastbetrieben isst, sehr fett oder Hannibal Lecter ist, dann darf man sich ruhig fürs Essen schämen.
Dürfen tut man alles, nur müssen muss man nicht 😉
Gottschalk‘s Biografie, oha! Ob das lesenswert ist?!
Liest man gerade nicht ausschließlich „Fear“?
Sollte man jedenfalls sicherlich. Anscheinend sind zum Verkaufsstart schon 750.000 Exemplare über die Theke gegangen.
„Man muss sie nicht lesen, aber man kann. Sogar mit Vergnügen. Dabei wird Gottschalk nicht mal prollig wie Bohlen oder peinlich wie Boris Becker „, schreibt ‚Die Welt‘.
Das Vorwort stammt immerhin von Botho Strauß.
Ich mochte Gottschalk immer. Wenigstens war er nicht so glattgebügelt wie die meisten Moderatoren heutzutage.
Wobei Böhmermann auch nicht gerade zum Mainstream gehört und trotzdem seine eigene ZDF Show bekommt.
Ah ist das so? Na endlich!
Der Programmdirektor sagt: Ich habe Jan Böhmermann gesagt, dass er bis tief in die Nacht senden darf, praktisch open-end, wenn die Sendung das hergibt. Da werde ich auf alle Fälle man einschalten.
Aufgewärmtes ist mir seit meiner Kindheit zuwieder. Und trotzdem prägt uns natürlich unsere Vergangenheit wie nichts anderes. Vollstes Verständnis für sentimentale Momente.
Frei übersetzt: Viele leben zu sehr in ihrer eigenen Vergangenheit. Die Vergangenheit soll ein Sprungbrett sein, kein Sofa.
Vor dem Sprung sollte man sich allerdings vergewissern, dass noch Wasser im See ist. Erfahrungen sind dann besonders badetauglich, wenn sich das Klima nicht verändert hat.