So, da habe sie ihn wieder! Die Packer setzten ab.
––Der finstere Apriltag verfinsterte sich noch mehr.
––Der Frankfurter Schrank stand wieder vor dem Fenster. Ein gefräßiger Krake, der das Licht mit seinen Saugnäpfen verschlingt.
––Herr Friedemann kam aus dem Hinterzimmer. Nun sei der Holzwurm hoffentlich beseitigt. Die Gaskammer habe er wohl kaum überleben können. Man müsse den Verkäufer direkt haftbar machen. Aber da hieße es dann nur ‚gekauft wie besehen‘ – ein richtiges Gangstergewerbe. Dabei klang seine Stimme so stolz, als sei er selbst Al Capone. Gut, dass sie den Schaden gleich bemerkt habe.
––Sie starrte auf den Schrank und plötzlich dachte sie: Wir werden ihn nie los. Er wird immer hier bleiben, ein dumpfes Mahnmal, bedrückend, bedrohlich. Sie fühlte ein grundloses Grauen in sich hochquellen.
––Die Tür ging auf. Ein Mann kam auf sie zu. Er wolle ein Glas verschenken.
––Sie unterdrückte ihre Empfindungen gewaltsam. „Haben Sie an etwas Bestimmtes gedacht?“
––Biedermeier, sei ihm gesagt worden.
––„Ich kann Ihnen zwei außergewöhnliche Stücke zeigen.“ Sie ging zur Vitrine. „Dieses Lithyalinglas haben wir gerade erst aus einem Nachlass bekommen. Sehen Sie nur den Schliff!“
––Er drehte das Glas ratlos in der Hand.
––„Außerdem kann ich Ihnen noch ein Glas der Kothgasser-Schule zeigen, mit wunderschöner Transparentmalerei. Hier ist es.“
––Er glaube, das sei alles zu anspruchsvoll. So viel wolle er auch nicht anlegen.
––Erst jetzt sah sie ihn mit vollem Bewusstsein an und wunderte sich über sich selbst. „Biedermeier ist leider sehr teuer. Aber wenn es auch etwas anderes sein darf“, sie ging hinüber zur Tricoteuse. „Wir haben hier noch einige sehr hübsche Gläser, wenn Sie bitte mal schauen wollen.“
Sie hielt das Glas ins Licht. Ich rede wie eine Konfektionsverkäuferin, dachte sie, aber es war ihr unmöglich, sich zu bremsen. „Sehen Sie das Ornament? Das ist dann natürlich nur ein Ätzdekor, aber wunderhübsch. Und auch ganz originell, finden Sie nicht?“
Ihr Blick lief an den Arabesken entlang. Ein bisschen unruhig, aber nicht hässlich. Keine schlechte Tapete für ein Café. Es war überhaupt alles recht geschmackvoll. Nur die dumpfe Musik hing in der Luft wie ein aufdringliches Parfüm. „Geschmacklos“, sagte sie.
––Wirklich? Frau Fricke freute sich. Sie fühlte sich bestätigt. Wenigstens Sahne gehöre dazu. Ohne alles, das sei ihr zu nüchtern. Mit einer zögernden Nachdenklichkeit hielt Frau Fricke ihre Kuchengabel über dem Erdbeertortelett.
––Erdbeeren im April, dachte sie. Ist das ein Fortschritt? Wenn das, was früher selten war, jetzt jederzeit abrufbar ist, dann kann man sich auf nichts mehr freuen. Oder täglich neu auf alles. „So, jetzt müssen Sie mir aber endlich von Finnland erzählen! Ich bin schon so gespannt.“
––Also, die zwei Wochen seien ihr derart kurz vorgekommen, unglaublich. Dabei habe sie befürchtet, sie würde sich zu Tode langweilen. Aber sie wären eine so nette Gesellschaft gewesen, dass die Zeit wie im Fluge vergangen sei. Gott, hätten sie immer gelacht! In der Sauna sei sie natürlich auch gewesen. Wie gut das täte, könne man sich gar nicht vorstellen. Man fühle sich wie neu geboren, hinterher. Skilanglauf sei ja schrecklich anstrengend. So anstrengend habe sie das nicht erwartet. Aber für den Körper – einmalig! Sie fühle sich so richtig durch und durch gesund und erholt. Nun könne sie wieder mit ganz neuem Schwung an die Arbeit gehen. Es gebe da ein Präparat, das mache ihr Probleme. Ein Badezusatz, der sich einfach nicht verkaufe. Sie wisse nicht, ob es an der Duftnote läge oder an der Konsistenz. Es schäume auch nicht richtig. Sie habe in der Chefetage gleich gesagt, ein Bademittel, das nicht schäume, würden sie in Deutschland nicht los, die deutschen Spießer bräuchten ihr Schaumbad. Was anderes käme für die nicht infrage.
––„Und wie hat Ihnen Finnland gefallen?“
––Das Land sei ganz herrlich. Eine Weite! Also, eine Weite, sie könne sich gar keinen Begriff davon machen. Ob sie nicht auch mal Lust habe, nach Finnland zu fahren.
––„Nein, ich glaube nicht.“
––Na ja, sie, Elisabeth zöge es eben mehr in den Süden. Formentera zum Beispiel …
––„Ja, Formentera.“
––Ob sie noch Kontakt zu dem schönen Spanier habe.
––„Welchem Spanier?“
––Der, mit dem sie immer zusammen gewesen wäre, nachdem ihre Schwester eingetroffen sei.
––„Ach, das haben Sie mitbekommen?“
––Frau Fricke hob die Augenbrauen. So blöd sei sie ja nun auch wieder nicht.
––„Aber Sie haben nie einen Ton gesagt.“
––Wenn sie, Elisabeth, darüber hätte reden wollen, dann hätte sie es wohl getan.
––„Und ich fand mich so diskret …“ Sie lachte und merkte, dass es etwas verlegen klang. „Aber ich stehe dazu. Es war sehr schön.“ – Sollte sie das wirklich fragen?: „Warum haben Sie eigentlich nie wieder geheiratet?“
––Frau Fricke schien die Frage überhaupt nicht peinlich zu sein. Wenn ihr Mann sie verlassen hätte, wäre sie bestimmt eine neue Beziehung eingegangen, aber dass er plötzlich fort war, durch diesen Unfall, von einem Tag auf den anderen … – Sie habe keinen Abstand gewinnen können. Ihre Liebe sei eingefroren und bliebe es für immer.
––„Doris, ich werde Sie vielleicht wirklich mal besuchen kommen. Düsseldorf hat so viele Antiquitätengeschäfte.“
––Frau Fricke lächelte. Es gäbe durchaus noch mehr als alte Möbel in Düsseldorf.
––Sie lächelte zurück, erst fast gegen ihren Willen, aber dann so gelöst wie schon lange nicht mehr. „Wenn wir uns schon beim Vornamen nennen, dann sollten wir eigentlich auch ‚du‘ zueinander sagen.“
Titel- und Abschlussgrafik mit Bildmaterial von Shutterstock: Night flower (Tortelettes), Dean Drobot (Frau, sitzend), Kamenetskiy Konstantin (Frau, stehend), matike (Lampe), New Line (Tapete), Dmitriy Shamota (Stuhl), Roberto Santi (Fliesen), Anela T (Gabel), dencg (Ringe), itiir (Gläser)
„Ihre Liebe sei eingefroren“ … dieses Bild ist gleichermaßen traurig wie schön.
Das fand ich auch eine eindrucksvolle Stelle. Gerade weil ja eben nicht ihre Liebe zu einer bestimmten Person, sondern ihre Fähigkeit zu lieben im allgemeinen eingefroren ist.
Vielleicht kann Elisabeth das ja wieder ein wenig auftauen… Das wäre ja eine schöne Entwicklung der Geschichte.
Ach ja…!
Sind Schaumbäder spießig? Der Schaum ist doch ziemlich das einzige, das an einem Bad überhaupt Spaß macht.
Dabei werden doch gerade die Deutschen überall als die großen FKKler gesehen.
Wurden sie das damals auch schon?
Und werden sie das wirklich heute?
Mir ist das ‚Vorurteil‘ auf internationalen Reisen tatsächlich schon begegnet. Da wurde ich als Deutscher z.B. speziell auf das Vorhandensein eines Nacktbadestrandes hingewiesen.
Ich dachte, das galt nur für die DDR.
Ich glaube so genau können die Amerikaner (z.B.) das nicht auseinanderhalten 😂
Kalter Schaum in der Wadebanne ist unangenehm und trocknet die Haut aus. Ein gutes Öl erzeugt Wohlbefinden und macht die Haut seidig.
Bei sehr verspannten Muskeln oder einer sich anbahnenden Erkältung nehme ich auch schon mal ein Bad. Ansonsten finde ich lange Duschen aber auch weitaus befriedigender.
Die finnische Seenplatte ist wahnsinnig beeindruckend. Wer im Land außer Sauna und Skifahren mal etwas erleben und sehen möchte, sollte sich das nicht entgehen lassen.
Landschaftlich ist Finnland ja ohnehin beeindruckend. Und wer zusätzlich das Glück hat die Nordlichter zu sehen, der wird bestimmt schnell Finnland-Fan.
Ich hörte, im Sommer wird man verrückt vor Mücken und im finsteren Winter sind alle besoffen.
Es gibt ja eine Theorie, nach der man irgendwann immun wird, wenn man sich oft genug stechen lässt. Aus eigener Erfahrung und nach vielen juckenden Stichen kann ich das allerdings nicht selbst bestätigen.
Düsseldorf ist ja anscheinend ebenfalls unterschätzt 😉
In Ddorf ist neben der Kö jedenfalls das japanische Viertel in der Nähe des Hauptbahnhofs zu empfehlen. Wer sich die Reise nach Tokio sparen möchte, kann dort zumindest weitaus authentischer Essen als in den meisten anderen deutschen Städten.
Zu Olympia: Sashimi in Düsseldorf. Authentischer geht nicht!
Hahaha! Und man erspart sich die Quarantäne!
Nanu, bahnt sich da etwa eine Romanze an?
Das wäre jedenfalls ein überraschendes Ende. Aber unser eigenes Leben entwickelt sich ja auch oft unvorhersehbar.
Sie ist ja gerade in einer Phase, wo sie wahnsinnig viel Neues versucht. Warum also nicht auch das.
Qui vi·v·ra, ver·ra
Bis zum Ende der Erzählung werden wir hoffentlich alle noch überleben. Trotz Klimawandel und zunehmenden Flutkatastrophen.
Meiner unüberprüften Annahme nach sterben die meisten von uns bisher immer noch eher am Alter als an der Ahr oder an anderen natürlichen oder politischen Katastrophen.
Genauso könnte sich allerdings eine ‚Romanze‘ zwischen ihr und dem Biedermeier-Käufer anbahnen. Da scheint sie doch ebenfalls überwältigt zu sein. Ich glaube das ist nicht was auf uns zukommt, aber ich würde sagen, alle Türen sind noch offen.
Heute kommt doch bereits das Finale, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Wir werden es also sicher erfahren.
Ob Elisabeth zum Höhepunkt der Erzählung den alten Biedermeier und gleichzeitig ihr altes Leben hinter sich lassen wird?
*Biedermeier-Schrank
Nein, eher. Frühes 18.Jahrhundert.