Gleichzeitig mit dem Regen kam die Sonne. Durch ein Wolkenloch hindurch zeigte plötzlich dieser böse, besserwisserische Finger und strahlte einen Augenblick lang schulmeisterlich kaltes Licht auf zaghaft blühende Akazien und angeschmuddelte Mietshäuser. Eine kurze Zurechtweisung, dann lag die Straße wieder trüb. Der Asphalt begann zu glänzen. Schirme spannten sich.
––„Wann geht denn Ihr Flugzeug?“
––Robert wandte den Blick vom Seitenfenster und sah nach vorn. „Um fünf.“
––„Hoffen ma’s Beste“, sagte der Taxifahrer. Und während Robert gerade anfangen wollte zu überlegen, was man wohl anderes als das Beste hoffen könnte, erklärte der Mann am Steuer schon: „Wann’s am Freitagnachmittag zum Regnen anfangt, dann können S’ in wenigen Minuten das schönste Chaos erleben. Und jetzt vor Pfingsten ist ja eh alles unterwegs, was Räder hat.“
––Der Tonfall erinnerte Robert daran, was man auch hoffen kann: das Schlimmste. „Ich hab’ nur Handgepäck“, sagte er gleichmütig.
––„Wo wollen S’ denn hin?“
––„Nach Berlin.“
––„San S’ von Berlin?“
––„Eigentlich ja. Aber ich leb’ hier schon seit vierzehn Jahren.“
––„Ah, da san S’ ja längst a richtiger Bayer.“ – Das klang befriedigt.
––Robert mochte nicht widersprechen, erst recht nicht zustimmen, und die Frage ließ ihn gänzlich unbekümmert. Er freute sich auf Berlin. Auf das Hotel, sogar auf das Gespräch mit Bielendorf. Und natürlich auf den weiteren Verlauf des Abends: ‚Incognito‘. Ohne die ortsansässige Familie, ohne die ortsansässigen Freunde. Auf der ewigen Entdeckungsreise – durch die Heimat. My Island in the Moon. ‚Incognito‘, der Name einer plüschigen Bar aus verblichenen Zeiten. Gibt es irgendein Produkt, zu dem dieser Name passt? Etwas, das mit Geheimnissen zu tun hat, die nur der Käufer kennt, aber nicht seine Partner? – Unterwäsche? Kondome? Pferdewurst? In-cog-ni-to. Schöner Klang. – Pralinen?
Seine Arbeit haben und seinen Spaß und in beidem gut sein. Sein Leben planen, aber die Pläne selbst über den Haufen werfen, wenn man einen besseren Einfall hat. Während er so vor sich hin sann, war ihm seine aktive Munterkeit nicht sonderlich sympathisch. Aufpassen! Zufriedenheit ist wie eine Krankheit: Wenn man genug dagegen tut, verschwindet sie genauso schnell, wie sie gekommen ist.
––Die Taxe hielt vor einer Ampel. Der Regen hatte die Menschen von der Straße gespült. An der Mauer klebte ein überlebensgroßer Mann in Jeans, die nackten Füße im Gras, die Zigarette in der Hand. Er wurde nass und grinste.
––Irgendwie sieht er mir ähnlich. – Komisch. Wenn ich gar keine Ideen mehr habe, und dieser Stromausfall passiert bald genug, dann kann ich mich vielleicht auch an die Wand klatschen lassen. So wie der. Werbung mit sich selbst. Eine optische Täuschung aus Schminke und Beleuchtung. Ein Produkt dazu lässt sich sicher erfinden und eine Kundschaft auch. Nichts im Kopf, aber eine fotogene Fassade. – Mein Ebenbild?
––Sie erreichten die Autobahn. Die Landschaft flog vorbei, flach. Die Alpen waren nicht zu sehen.
––Schön, bald nicht mehr da zu sein. Aufsteigen, etwas zurücklassen, tief unten: aufsteigen, die Sonne sehen, ankommen. Die Fahrt zum Hotel. Vertrautes wiedererkennen, Neues entdecken, empfangen werden. Er gab reichlich Trinkgeld: dem Taxifahrer in München, dem Taxifahrer in Berlin, dem Gepäckträger. Geliebt werden wollen, Gutes tun wollen, Attitüde. Mutter Teresa hat in diesem Jahr den Nobelpreis gewonnen. Ob sie jemals ein Trinkgeld gegeben hat?
Große Luxushotels sind etwas Fabelhaftes. Geborgen in der Anonymität, gebadet in den Dienstleistungen. Sterilität als Parfüm, nicht ein notwendiges Übel wie im Krankenhaus. Gedämpfte Beleuchtung, gedämpfte Beschallung, beides nur, damit ein Hintergrund da ist und man sich nicht so zweidimensional vorkommt. Moderato Cantabile.
––Warum gefällt es mir so gut, dass der Portier und der die Halle kreuzende Oberkellner mich nicht nur mit ihrer Verbeugung, sondern auch mit meinem Namen begrüßen? Weil ich eitel bin und mir einbilde, Sie meinen mich und nicht meine Scheckkarte. Sie würden mich genauso liebenswürdig begrüßen, wenn ich nicht zum Schlafen, sondern zum Betteln gekommen wäre, weil sie mich ganz einfach mögen. Also, ich mag sie jedenfalls. Ich freue mich nicht nur über ihre Diener, sondern auch über ihre Gesichter.
––„Guten Abend, Herr Liefenstahl! Schön, Sie wieder bei uns zu sehen.“
––Ja, so prominent muss man sein.
––Dasselbe Zimmer wie immer. Dasselbe Bett, dasselbe Bad. Die Seife in braunen Plastikdöschen mit goldener Schrift. Die dicken, weißen Frotteetücher. Klobürste und Kleenex-Tücher im selben Weiß. Der bekannte Blick aus dem Fenster, zu schäbig für den Preis, aber lieb vertraut, und außerdem kann man die gefütterten Vorhänge zuziehen. Der gleiche Schreibtisch, der gleiche Farbfernseher, der gleiche ‚Minibar‘ genannte Kühlschrank. Wie immer der silbrige Fruchtkorb auf dem Tisch, die grün-goldenen Streichhölzer auf der Kommode, der gläserne Aschenbecher am Bett. Und wie immer alles reichlich: Notizblöcke, Kugelschreiber, Bügel. Fast wie zu Hause, nur eben reichlicher. Im Alltäglichen ist die Gewohnheit schöner als die Überraschung. Für Ausgefallenes bleibt noch genügend Raum.
––„Gut!“ – Ein weiteres Trinkgeld.
––Der Junge dankte mit einer Verbeugung. „Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.“
––Er betrachtet mich nicht als ehrwürdig, so ein Kopfnicken macht er bei jedem Gast, zu Hause ist er vielleicht unverschämt. Knappes Kopfnicken als Entgegnung und Gunstbeweis.
––Der Junge verschwand durch den – wegen der Geräusche auf dem Gang unerlässlichen – Vorraum und schloss die Tür.
––Während Robert sich ein Bad einließ, blätterte er noch einmal die Unterlagen durch. Seine Verhandlungstaktik stand fest. Er hätte auch nicht mehr viel Zeit gehabt, sich noch etwas einfallen zu lassen. Robert hoffte in jedem Augenblick auf Inspiration, aber er glaubte unbeirrbar an Gründlichkeit.
––Einer der Vorteile von guten Hotels ist, dass das Wasser mit atemberaubend schnellem Strahl aus dem Hahn schießt. Man kann spontan baden. Zu Hause muss man das immer rechtzeitig planen.
––Er stellte das Radio an und legte sich in die Wanne.
Oh ja, in seiner Arbeit genau so viel Spaß haben und genau so gut sein wie im Privaten. So muss das.
Gelingt aber vor allem Pathologen, Stepptänzern und ihren weiblichen Pendants.
Hofft denn ein Pessimist aufs Schlimmste?
Nicht unbedingt. Nur wenn er gleichzeitig Besserwisser ist.
Recht zu haben mit seinen Schwarzmalereien ist ein wunderbares Gefühl! Da rechnet der Pessi-mist mit dem Schönsten. Ein Untergang, der nicht eintrifft, ist dagegen genauso schlimmer Mist wie in der Opposition zu sitzen.
Man schaue sich nur mal Q und seine zahlreichen Untergänge an. Fast tragisch wenn es nicht so idiotisch wäre.
Ein weiterer Vorteil von guten (oder eigentlich von fast allen) Hotels ist, dass nach dem Bad jemand anders sauber machen muss.
Viel mehr als das Wasser aus der Wanne zu lassen muss man doch eigentlich nicht machen? 🤔
Kommt wahrscheinlich ganz darauf an wie wild das Bad vorher war. Hahaha!
Wenn man dreckig war und sich abseift, bildert sich am Wannenrand eine Kruste. Immer wieder. Als ich meine Londoner Wohnung bezog, musste ich die Hinterlassenschaft meiner Vorgängerin wegschaben. War mühsam!
Urrrghhhh
Ich mag eigentlich auch Überraschungen im Alltag. DAs erfrischt ja auch. Sie dürfen nur nicht Überhand nehmen.
Positive gerne, negative eher nicht.
Tja, man kann’s sich leider nicht aussuchen.
Bei schönen Dingen gern die Vorfreude, bei schlimmen lieber die Überraschung plus Geistesgegenwart.
Was ich an Hotelaufenthalten, gerade auf Geschäftsreisen, immer mochte, ist die tägliche Ordnung und Routine. Alles wird jeden Morgen vom Reinigungsservice sauber gemacht und wieder auf die Ausgangsposition gestellt. Für mich war das immer eine willkommene Abwechslung im hektischen Arbeitsalltag.
Vor allem gewöhnt man sich viel zu leicht daran, nicht? Ich brauche zuhause immer ein paar Tage um mich daran zu gewöhnen, dass ich selbst derjenige bin, der sich kümmern muss.
Oder kümmern lässt.
Oh das ist die luxuriösere Variante. Das ist natürlich noch schöner.
Das ist interessant. Mir sind große Hotels immer zu unpersönlich. Ich fühle mich wirklich selten wohl dort.
Nach allem was man von Mutter Theresa mittlerweile hört, wäre ich überrascht wenn sie jemals Trinkgeld gegeben hätte.
Ich bin da nie sicher welche Geschichten ich glauben soll und welche nicht. Ihre Verdienste können ja nicht alle eine Lüge gewesen sein.
Ein Zeitungsartikel titelte mal „Die Heilige des elenden Verreckens“. Das fand ich ziemlich passend.
Sie war fromm wie ein Erleuchteter und autoritär wie ein Diktator (mein unsachliches Empfinden).
Das scheint auch gar keine so seltene Kombination zu sein. Sogar religionsübergreifend.
https://incognitobrand.co 😉
Na geht doch
Mit seiner Kleidung bzw. seinem eigenen Stil inkognito sein zu wollen erscheint mir aber auch ein seltsames Anliegen.
Es soll ja durchaus auch fotogene Fassaden geben, die trotzdem was im Kopf haben. Schönheit und Intelligenz schließen sich ja nicht zwangsläufig aus. Die Idee, dass Models dumm sein müssen und Denker sich nicht um ihr Äußeres kümmern, ist doch bestimmt überholt.
Da gibt es wohl genauso wenig Regeln, oder mindestens genauso viele Ausnahmen wie bei allem anderen.
Viele haben wahrscheinlich schnell genug von der Modeindustrie. Aber es gibt momentan ja auch einen Trend hin zu mehr Vielfalt in der Werbung. Unterschiedlichere Menschen und nicht der immer selbe Drill.
Oft erscheinen diese Bemühungen allerdings noch sehr, nun ja, bemüht und angestrengt. Nicht?