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04 – Beelzebub und der Teufel

#08 | Sensibler Kreativer

„Was? Das ist völlig neu für mich. Ich ruf Sie wieder an.“ Robert knallte den Hörer auf die Gabel und sprang hoch. Er lief mit schnellen Schritten durch den Flur und riss die Tür zum Vorzimmer auf. „Ist er da?“
––„Ja, aber er möchte im Augenblick nicht …“
––Robert hatte die Klinke schon in der Hand.
––Sessmer sah auf. „Herr Liefenstahl, kommen Sie!“
––Eher eine abwehrende als eine auffordernde Floskel, schien es ihm. Robert schloss die Tür. „Zeiler hat mit Ihnen gesprochen?“
––„Ja, ich wollte sowieso mit Ihnen darüber reden.“
––„Nun hat Riedendorf schon mit mir darüber geredet.“
––„Wer ist das?“
––„Der Produkt-Manager, der bei ‚Zedak‘ zuständig ist für ‚Prodent‘.“
––„Ach so. Herr Liefenstein, ich verstehe, dass Sie wütend sind. Aber ich verstehe auch den Kunden. Er hat Ihnen bei der Präsentation ja wohl schon gesagt, dass er mit Ihrem Konzept nicht einverstanden ist. Das haben Sie mir gar nicht erzählt.“
––„Er hat gesagt, er muss darüber noch mal nachdenken. Er hat nicht gesagt: So will ich das nicht, und jetzt werd’ ich Ihren Chef anrufen, um mich zu beschweren.“
––„Das hat er auch nicht getan. Ich begreife wirklich, dass Sie sich ärgern, aber das ist doch zwecklos. Es ist ja nicht das erste Mal, dass ein Kunde das Konzept nicht mag. Da hat es keinen Sinn, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Das Konzept muss dem Kunden gefallen.“
––„Es muss dem Käufer gefallen. Der Käufer ist für mich die Instanz, nicht ein Kleinindustrieller, der seinen persönlichen Geschmack zum Maßstab aller Dinge macht.“
––„Man kann das Konzept ja abwandeln. Ich finde es auch etwas riskant, mit Dreiviertel des Gesamt-Etats in die Plakatwerbung zu gehen.“
––„Ohne Risiko kommen wir bei dem Produkt nicht weiter. Natürlich weiß ich auch nicht, ob sich der Einsatz lohnt. Kein Mensch braucht ‚Prodent‘. Kein Mensch will ‚Prodent‘. Ein völlig überflüssiges Produkt, das dem Größenwahn eines Mannes entstammt, der zu viel Geld mit seinen Gebissreinigern verdient hat. Nun meint er, die Menschheit auch mit einer eigenen Zahnpasta beglücken zu müssen, obwohl der Markt total dicht ist. Wenn wir schon für ein solches Zeug auf den Strich gehen, dann aber auch richtig: mit vollem Einsatz. Dann müssen wir was wagen, dann müssen wir Aufmerksamkeit erregen. Im Fernsehen und in der Presse läuft so viel, da haben wir keine Chance. Da kann man das eine nicht vom anderen unterscheiden. Aber Plakatwerbung für Zahncreme: Das gibt es zurzeit praktisch nicht. Das ist etwas Neues. Und wenn man das ausnutzen will, dann muss man da voll reingehen. Nicht alle zehn Kilometer mal einen Bauzaun dekorieren. Der Slogan ist gut. Die grafische Lösung ist gut. Ich glaube nicht an das Produkt, aber ich glaube an unser Konzept. Wir haben unsere Haut redlich zu Markte getragen, und wir werden sie glänzend verkaufen. Hoffentlich. Wir können nichts weiter tun, als unsere Dienste anzubieten, ganz wertfrei, aber mit Überzeugung. Wenn Zeiler das nicht gefällt, dann möchte ich vorschlagen, den Etat jemand anderem zu geben und auch einem anderen Team. Ich weiß, ich spreche da für die ganze Gruppe.“
––„Nein. Das werde ich nicht tun. Ihnen gefällt Ihr Konzept. Mir auch. Aber mir gefällt nicht, wie gekränkt Sie reagieren. Es geht Ihnen nicht nur um die Zweckmäßigkeit des Konzepts. Es geht um Ihre Eitelkeit. Sie haben Schwierigkeiten mit Zeiler. Er ist ein bulliger Selfmademan. Sie sind ein sensibler Kreativer.“
––„Ach –“
––„Ich male genauso schwarz-weiß wie Sie. Sie sind einfallsreich genug, und das Team ist gut genug, Sie werden es schaffen, das Konzept so abzuwandeln, dass Zeiler zufrieden ist und eure Idee trotzdem durchschlägt. Sie wissen selbst, es geht nicht darum, zu gefallen, uns selbst schon gar nicht, es geht darum, zweckmäßig zu sein. Also schlucken Sie’s runter! Ihr dürft euch diesen Dünkel nicht durchgehen lassen.“
––„Es sind schon Konzepte so vermurkst worden, dass die ganze Marke daran eingebrochen ist.“
––„Wenn es erst so weit ist, dann bin ich der Erste, der aus dem Projekt aussteigt. Aber so weit sind wir nach dem ersten Anlauf noch nicht. Sie sind verliebt in Ihre Idee einer ganz neuen Etat-Aufteilung und einer ausgefallenen Visualisierung –“
––„Auffälligen Visualisierung!“
––„Meinetwegen. Aber Verliebtheiten können wir uns nicht leisten. Und Herzblut auch nicht. Und Sie sind viel zu professionell, um das nicht zu wissen.“
––„Ohne Herzblut geht es aber auch nicht“, dachte Robert, aber er war auch zu professionell, um unbedingt das letzte Wort haben zu wollen. Er sah zum Fenster hin. Oberhalb der Stuckatur, die die gegenüberliegende Häuserzeile zum Himmel hin abschloss: ein niedriges Gitter, zwei Handbreit nur. Es würde niemanden halten. „Wir sind befangen. Lassen Sie es ein anderes Team machen, das die Sache mit neuen – mit unterschiedlichen Vorstellungen anpacken kann!“
––„Ich will nicht, dass Sie aufgeben. Gerade jetzt will ich, dass Sie weitermachen.“
––„Wir wollen uns nicht drücken, das ist es nicht. Ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag: Lassen Sie uns gemeinsam noch mal zu Zeiler fahren und das Konzept vortragen. Wenn es sich modifizieren lässt, sind wir bestimmt bereit, unser Bestes zu tun. Wenn nicht, geben wir das Thema ab.“
––Sessmer sah Robert an, ein Blick, der Ärger und Bewunderung gleichermaßen verriet. „Gut“, sagte er. „Probieren wir’s!“

Hanno Rinke Rundbrief

36 Kommentare zu “#08 | Sensibler Kreativer

  1. Ohne Herzblut erfolgreich zu sein ist wirklich schwierig. Sicher geht das mit viel Glück auch mal, aber die Regel ist es bestimmt nicht.

      1. Man kann den Widerspruch des Kunden ja auch entweder als Angriff sehen, oder eben die Herausforderung suchen, die eigenen Vorstellungen zu verwirklichen und den Kunden trotzdem glücklich zu machen. Wenn das klappt, ist das sicher auch sehr befriedigend.

      2. Und wenn es nicht klappt beendet man die Zusammenarbeit. Je nach eigenem Empfinden mit dem Kunden oder mit dem störrischen Grafiker 😉

  2. Wahrscheinlich kommt es bei der oben beschriebenen Situation ganz darauf an, ob sich der Markting-Fachmann als Künstler oder als Dienstleister sieht. Am Ende muss ja doch der Kunde glücklich sein. Nicht die Werbeagentur.

    1. So würde ich das auch nicht sagen. Natürlich geht der Kundenwunsch vor. Aber auch die Agentur muss ja etwas abliefern, wo sie hinter stehen kann. Wenn nicht von der Aussage, dann doch zumindest qualitativ.

    2. Die Kreativen dürfen in so einem Fall aber sicher nicht übermäßig sensibel sein. Es geht ja schließlich um das erfolgreiche Abschließen eines Auftrages. Dazu gehört dann wohl den Kunden bestmöglich zu beraten, aber auch die Wünsche des Kunden so gut es geht zu erfüllen.

      1. Darum sind es ja in der Regel auch nicht die Kreativen selbst, die sich um die Kundenbetreuung kümmern. Da kommt es sonst wohl unweigerlich zum Clash.

      2. Der Vorgesetzte benutzt den Ausdruck ja auch leicht ironisch.
        Ein Kreativer muss sich als Künstler treu bleiben und irgendwie durchschlagen oder im Rahmen der Marktgesetze handeln – mit so wenigen Abstrichen wie möglich. Aber Zahnpasta-Werbung ist nun mal kein Gesamtkunstwerk.

  3. Ich verstehe den sensiblen Kreativen aber auch ein wenig. Wenn man das Gefühl hat man gibt sein Bestes, aber kann den Wünschen des Kunden nicht gerecht werden bzw. man hat einfach nicht das gleiche Ziel, dann ist eine Zusammenarbeit mitunter einfach nicht sinnvoll.

      1. Genau deswegen kommt es wohl oft zum Krach. Den Auftrag nimmt nämlich ja nicht der Texter oder Grafiker an, sondern der Agenturchef.

      2. Wer in ein nicht subventioniertes Unternehmen eintritt, sollte wissen, dass sein Sendungsbewusstsein der Gewinnmaximierung nicht im Wege stehen darf.

      3. Grundsätzlich ist es ja auch immer ganz gesund, wenn man das eigene Ego mal für eine Zeit zurückschraubt.

      1. Uneingeschränkte Freiheit kann hilflos machen. Viele wählen lieber aus drei Gerichten als aus sechs Seiten Speisekarte. (Oft ist das Essen da auch besser.)

      2. Ich war in Italien mal in einem wirklich süßen kleinen Lokal. Tatsächlich auch mit sehr gutem Essen. Die Speisekarte war trotzdem ein Buch. Und ich brauchte 10 Minuten zum bestellen, weil jedes zweite Gericht momentan nicht gekocht wurde.

      3. Das erinnert an Moskau zur UDSSR-Zeit. Jede Speisekarte hatte zehn gedruckte Seiten, ein Preis stand aber nur hinter Hähnchen Kiew. Das ist jetzt bei Putin sicher so beliebt wie Kalinigrader Klopse.

  4. Eine schlechte Kampagne kann den Ruf einer Marke wirklich schnell kaputt machen. Das gilt heute sicher noch eher wie damals.

    1. Fehltritte tun auf jeden Fall weh. Oft sind das aber ja gar nicht so sehr die Kampagnen, sondern ignorante oder unsensible Äußerungen der Firmenchefs.

      1. Stimmt. Die homophoben Kommentare bei Barilla kamen ebenso wenig an, wie die Mietstundungen bei Adidas.

      2. Adidas hat sich von diesen Schlagzeilen doch auch recht schnell erholt. Wie steht es eigentlich mit den Umsätzen von Corona Extra Bier?

      3. Corona Extra ist seit vorigem Jahr eingestellt. Auch Pest-Pils aus Budapest wird laut Viktor Orbán außerhalb Ungarns von der bösartigen EU-Administration boykottiert.

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